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Interview zum Antisemitismus:
Wo die Kritik aufhört und das Ressentiment beginnt

derStandard.at, 09.02.2004

Der Rechtsextremismus-Experte des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) Heribert Schiedel spricht im derStandard.at-Interview über die signifikante Zunahme antisemitischer Drohungen und Gewalttaten in Österreich und Europa, sowie über das Verhältnis von berechtigter Kritik an der israelischen Regierungspolitik und einem Ressentiment gegen den jüdischen Staat. Er zeigt anhand des "neuen" Antisemitismus die möglichen und tatsächlichen Verbindungen zwischen scheinbar so unterschiedlichen politischen Strömungen wie Rechtsextreme, Islamisten, Linken und der globalisierungskritischen Bewegung. Mit dem DÖW-Experten sprach Michaela Sivich.

derStandard.at: In der letzten Zeit wird in den Medien von einem "neuen" Antisemitismus und vom steigenden Antisemitismus gesprochen. Wie bewertet das DÖW diese Thematik?

Schiedel: In rechtsextremen Publikationen konnten wir seit den frühen 90er Jahren Antisemitismus vor allem in Form von Codes und Andeutungen wie zum Beispiel "Ostküste" feststellen. Seit dem Beginn der zweiten Intifada und noch mal verstärkt seit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon wird dort wieder offener das Feindbild "Jude" benannt. Auch kam es zu einer starken Zunahme antisemitischer Agitation. Das bis dahin vorherrschende Feindbild "Ausländer" wurde in den Hintergrund gedrängt.

Kam es in Österreich zu einer Zunahme antisemitischer Angriffe?

Ja, das Forum gegen Antisemitismus meldet für das letzte Jahr eine signifikante Zunahme an antisemitischen Drohungen und Übergriffen in Österreich, vor allem in Wien. Sie stiegen um mehr als 30 Prozent auf 127 gemeldete Fälle. Bei antisemitischen Taten kommen die Angreifer nach den Beobachtungen vermehrt aus dem arabischen Raum bzw. haben einen militant-islamischen Background. Das ist das "Neue" am Antisemitismus: Seine Träger kommen nicht mehr nur aus der rechten Ecke, wodurch die Frage nach einem originär arabischen/islamistischen Antisemitismus auf die Tagesordnung gesetzt wurde.

Gibt es einen arabischen/islamistischen Antisemitismus?

Auch jenseits der Israel-Palästina Problematik muss man die Existenz dieses Antisemitismus bejahen. Er hat seine Ursache nicht im Nahost-Konflikt, der nur benutzt wird, um die antisemitische Propaganda zu verstärken. Ursächlich kann dieser Antisemitismus auch nicht aus der Religion erklärt werden, sondern vor allem aus den jeweiligen Gesellschaften und Krisen. Für muslimische MigrantInnen in Österreich stellt der Antisemitismus auch so etwas wie ein unausgesprochenes Integrationsangebot von Seiten der österreichischen Gesellschaft an sie dar. Und bei Rechtsextremen beobachten wir seit geraumer Zeit offene Bündnisangebote an den politischen Islam gegen den "gemeinsamen Feind" Israel und die USA. Bemerkenswert daran ist, dass von Seiten der Rechtsextremen das Feindbild Islam "nur" in Diskursen über Migration in Anschlag gebracht wird. Aber mittlerweile warnen einige rechtsextreme Kader ihre Kameraden auf der Straße sogar davor, den Islamismus vor Ort als Feind zu sehen. Vielmehr heben sie die Ähnlichkeiten der eigenen Ideologie mit jener der Islamisten hervor: Neben dem Antisemitismus und der anti-westlichen Grundhaltung nennen sie vor allem das Anhängen an vermeintlich eigene, authentische Werte und den ausgeprägteren Charakter der patriarchalen Herrschaft.

Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen rechtsextremen und islamistischen Antisemiten konkret aus?

Die Zusammenarbeit, die nach den Anschlägen von 9/11 intensiviert wurde, ist vor allem im Bereich des "Revisionismus", der Holocaustleugnung stark ausgeprägt. Viele arabische/muslimische Länder und Institutionen sind heute die Hauptzentren des organisierten "Revisionismus". In Dubai, Jordanien und dem Iran finden internationale Konferenzen mit arabischen, europäischen, amerikanischen und russischen Neonazis statt. Das Interesse der arabischen "Revisionisten" liegt offensichtlich in der Delegitimierung des Existenzrechtes Israels. Wird die Shoah als einer der Gründungsmomente des Staates Israel anerkannt, muss genau hier angesetzt werden. Das funktioniert am besten, indem die Shoah verharmlost, verniedlicht oder geleugnet wird. Und das trifft sich hierzulande auch mit dem weit über die Grenzen des Rechtsextremismus hinaus verbreiteten Gefühl nach der Befreiung von der Last der Erinnerung, der Verantwortung und der Schuld.

Wie kann eine Auseinandersetzung um das Thema des islamistischen Antisemitismus geführt werden?

Es ist recht schwierig, sich mit der Problematik auseinander zu setzen, weil sehr schnell der Vorwurf des Anti-Islamismus und Rassismus erhoben wird, wenn man auf oben genannte Probleme hinweist. Das ist vor allem eine Strategie, sich gegen Kritik immun zu machen. Natürlich muss man immer aufpassen, nicht pauschalisierend den Islam als ganzes zu verurteilen. Nicht der Koran sollte zur Ursachenforschung herangezogen werden, vielmehr gilt es die gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen und Krisen in den islamischen/arabischen Ländern als Ursachen für diesen Antisemitismus unter die Lupe zu nehmen.

Gibt es auch "Importstücke" des europäischen Antisemitismus?

Ja, auf der Ebene der Rationalisierungen des Hasses lassen sich solche feststellen. Dass sich die "Protokolle der Weisen von Zion", eine Fälschung des zaristischen Geheimdienstes zur Ablenkung des Volkszornes auf die "jüdische Allmacht", heute in arabischen Ländern und im Iran größter Beliebtheit erfreuen, wäre da nur ein Beispiel. Und in Ägypten, Syrien und dem Irak gab es in den 30er Jahren Parteien nach dem Vorbild der NSDAP. Der "arabische Sozialismus" stellte überhaupt in vielen Aspekten eine regionalspezifische Ausdrucksform des Faschismus dar.

Gilt das auch für den Islamismus?

Auch der politische Islam kann als solch eine regionalspezifische Ausdruckform des Rechtsextremismus, der selbst oft als politische Religion analysiert wird, verstanden werden. Es gibt einfach zu viele Ähnlichkeiten: Neben dem gemeinsamen Antisemitismus und Antiamerikanismus sind beide grundsätzlich als Gegenbewegungen zur bürgerlichen Aufklärung zu begreifen. Daraus ergibt sich eine Frontstellung gegenüber der liberalen Demokratie und ihrer Werte, wie etwa der Gleichberechtigung von Mann und Frau.

In den Diskussionen zum "neuen" Antisemitismus kommt immer wieder auch die Linke in die Kritik. Zu Recht?

Auf jeden Fall! Weite Teile der Linken, wollen in ihrer bedingungslosen! Solidarität mit den PalästinenserInnen die Veränderung in der palästinensischen Gesellschaft nicht sehen. Sie machen noch heute auf Palästinasolidarität wie in den 70 Jahren, wo es unter sehr großer Anstrengung vielleicht ja noch möglich war, einen Link zu linker Theorie und Praxis finden. Aber heute? Hamas und andere antisemitische Terrorbanden haben mit "links" gar nichts mehr zu tun. Trotzdem halten viele Linke an ihrer bedingungslosen Solidarität mit den PalästinenserInnen fest, das heißt auch mit der Intifada, auch mit der Hamas, mit dem Suicide-Bombing, der systematischen Ermordung von israelischen ZivilistInnen. Nicht nur Rechtsextreme suchen das Bündnis mit Islamisten, auch manche Linke reihen sich ein in die "globale Intifada". Andere gehen zwar nicht so weit, wehren aber jede Kritik am politischen Islam und seinen terroristischen Praxen als "rassistisch" ab.

Wie kann nun das Verhältnis von Antisemitismus und dem Nahost-Konflikt charakterisiert werden?

Der Antisemitismus strukturiert bewusst oder unbewusst die Wahrnehmung dieses Konfliktes. Zudem kann sich die Enkelgeneration über die Feindschaft zu Israel mit den Großeltern aussöhnen, ohne am antifaschistischen Selbstbild zweifeln zu müssen. Oft ist also der eigene Antisemitismus und nicht das Mitleid mit den PalästinenserInnen das Handlungsmotiv. Wenn es nicht so wäre, dann könnte sich der Protest nicht nur ausschließlich gegen Israel richten, sondern er müsste sich auch gegen viele arabische Nachbarn wenden, wie Jordanien oder Syrien. Denn dort dienen die nach wie vor in Flüchtlingslagern zusammengepferchten PalästinenserInnen als Faustpfand. Die wenigsten wissen, dass seit 1948 weniger PalästinenserInnen durch "israelische" Hand, wenn man so sagen will, gestorben sind als durch "arabische".

Wo liegt nun die Grenze zwischen "berechtigter Kritik an Israel" und dem Antisemitismus?

Grundsätzlich ist es relativ einfach, diese Grenze zu bestimmen: Es geht um den Unterschied zwischen Kritik und Ressentiment. Rational nachvollziehbare Kritik kann per definitionem nie antisemitisch sein. Denn sie hat ja die Realität zum Gegenstand, eine Realität, die vielleicht falsch gesehen wird, aber auch in den verzerrtesten Formen ihrer Wahrnehmung noch verhandelbar ist. Das Ressentiment und der Antisemitismus im Besonderen ist eine Wahnidee. Der wahnhafte Charakter ist dabei ganz zentral, denn dieser stellt das genaue Gegenteil von Kritik dar. Ein Ressentiment ist nicht mehr verhandelbar, es ist nur mehr denunzierbar. Mit KritikerInnen Israels kann mensch sich auseinandersetzen, mit jemandem, der die Realität nicht anerkennen will, jedoch nicht. Nach 1945 wurde vielerorts getuschelt: "Man darf ja nix mehr über Juden sagen". Heute heißt es, auch im aufgeklärten, linksliberalen Milieu: "Man darf ja nix mehr über Israel sagen" oder "Jeder der Israel kritisiert, wird zum Antisemiten erklärt". In beiden Fällen handelt es sich um Rationalisierungen der antisemitischen Paranoia.

Gibt es ein Beispiel für ein "gängiges" Ressentiment in diesem Zusammenhang?

Nehmen wir etwa die Berichterstattung zu Jenin, die medial und von palästinensischer Propaganda vermittelte Wahrnehmung der Kämpfe in diesem Flüchtlingslager. Diese waren ja der Auslöser für eine antisemitische Gewaltwelle in Europa, vor allem in Frankreich und England. Gegenüber der falschen Rede von einem "Kriegsverbrechen" oder "Massaker" an palästinensischen ZivilistInnen steht der Report von Human Rights Watch, der von Gefechten zwischen auch auf palästinensischer Seite in der Mehrzahl bewaffneten Personen spricht, aber nicht von einem Massaker. Wenn (österreichische) Medien und diverse politische Gruppierungen der Rechten wie der Linken bis heute an der "Massaker-Theorie" festhalten, dann widerspricht das den Tatsachen. Das ist schlicht ein Ressentiment.

Kommen wir zurück zur Rolle von Linken in antisemitischen Diskursen. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, wies jüngst darauf hin, dass auch von der globalisierungskritischen Bewegung immer wieder antisemitische Töne zu vernehmen sind. Wie bewerten Sie diesen Aspekt?

Leider muss ich hier dem Herrn Präsidenten Muzicant Recht geben. Dort, wo sich diese Bewegung antizionistisch gebärdet, wo Israel das Existenzrecht als jüdischer Staat abgesprochen und das antisemitische Suicide Bombing als "Widerstand" abgefeiert wird, steckt sie schon tief im antisemitischen Sumpf. Dazu kommt eine oft falsche und oberflächliche Kritik der Globalisierung, die zumindest strukturell antisemitisch ist. Denn in ihrer Sucht nach massenwirksamen und einfachen Erklärungen macht diese Bewegung in weiten Teilen aus komplexen ökonomischen und sozialen Prozessen eine eindeutige Strategie von konkret benannten Bösewichten. Von dieser Personalisierung ist es dann nicht mehr weit zum Verschwörungsmythos, der auch ohne die Erwähnung des Feindbildes "Jude" antisemitisch ist.

Ähnlich der maschinenstürmenden Linken vor Marx ist auch die heutige Linke nach Marx großteils nicht in der Lage, den Wandel der Verhältnisse richtig zu begreifen. So wie damals findet auch heute der Antisemitismus über eine spontane oder verkürzte Kritik am Kapitalismus Eingang in linke Diskurse. Anstatt gegen den Kapitalismus kämpfen viele gegen das "internationale Finanzkapital". Wie Rechtsextreme spalten sie die Einheit von Produktion und Zirkulation demagogisch auf und versuchen, das "schaffende" gegen das "raffende" Kapital auszuspielen. Grundsätzlich scheint es tatsächlich so zu sein, dass der Antisemitismus immer dann an Boden gewinnt, wenn Menschen nicht in der Lage oder willens sind, die Verhältnisse zu durchschauen. Darin liegt leider die Stärke des Antisemitismus als "Alltagsreligion", ein Begriff, der von Detlev Claussen geprägt wurde: Er erlaubt es, die Welt aus einem einzigen Punkt zu erklären, dort Sinn zu stiften, wo keiner ist.

Stellt sich die globalisierungskritische Bewegung diesem Problem?

Leider tut sie das viel zu wenig. Der Selbstkritik hinderlich ist der linke Mythos, wonach der Antisemitismus, der nur auf seine rassistischen und eliminatorischen Artikulationsformen reduziert wird, ein originär rechtes Phänomen sei. Dadurch machen sich viele Linke immun gegen Kritik, indem sie sagen, dass sie als Linke ja gar nicht antisemitisch sein können.

Verschärfend kommt dann noch die positiv gesehene Spontaneität der Bewegung selbst dazu. Wenn oppositionelle Bewegungen sich vor allem in Spontaneität erschöpfen, haben wir es erfahrungsgemäß immer rasch mit Antisemitismus zu tun. Es gibt aber auch Teile der globalisierungskritischen Bewegung, wo Analyse, Diskussion und Rationalität im Vordergrund stehen, doch damit lassen sich keine Massendemonstrationen, oder Bewegungshappenings wie in Bombay, wo es mehr um Stimmungen geht, organisieren. Dort wo Stimmungen und Gefühle im Zentrum stehen, ist das Ressentiment nie weit. Daher bräuchte diese Bewegung auch außerhalb kleiner Diskussionszirkel schleunigst so etwas wie eine reformulierte Kritik der politischen Ökonomie. Wie die historische Linke kann sie sich nur so von ihrem antisemitischen Geburtsmakel befreien. Bezugnehmend auf den Zusammenhang von undurchschauter Herrschaft und Antisemitismus bringt dies Detlev Claussen auf den Punkt: "Erst wenn die Menschen die Gesellschaft richtig wahrnehmen, werden sie auch die Juden richtig wahrnehmen."

© derstandard.at

hagalil.com 11-02-2004

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