Lästige Konkurrenz:
Das Verhältnis deutscher "Vertriebener" zu Shoah und Israel
Von Markus Ströhlein
Die
50er Jahre: Während sich Ex-Nazideutschland, von den Nürnberger Prozessen,
Entnazifizierung und sonstiger "Siegerjustiz" schwer gekränkt, dennoch
vehement des Ja-Sagens zur Täterfrage erwehrt, sind sich manche Kreise
bezüglich der Frage des Opferseins jedoch überaus klar: "Die Völker der Welt
sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom
Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen empfinden", liest es sich in der
am 5. August 1950 in Stuttgart verkündeten "Charta der deutschen
Heimatvertriebenen".
Doch was tun, wenn der eigene und bis heute gültige Totalitätsanspruch auf
den Leidtragendenstatus mit der Geschichte kollidiert, mit dem
schrecklichsten Menschheitsverbrechen noch dazu? Vor machte es der
sudetennahe "Witikobund" 1974 in seinem "Witiko-Brief" recht unverblümt: "Zu
den gewaltigsten Geschichtslügen der jüngsten Vergangenheit gehören die 6
Millionen Juden."
Dass derlei Haudrauf-Historienklitterung der völkischen Sache eher weniger
dienlich ist, hat sich mittlerweile auch bei den Sudeten herumgesprochen.
Geschichtsfälschung bedarf Fingerspitzengefühl, wie Peter Glotz,
sudetendeutscher Landsmann und zweiter Vorsitzender des "Bund der
Vertriebenen" weiß. So lautet es in seinem Buch "Die Vertreibung - Böhmen
als Lehrstück": "Zum Schluss fielen die Stärksten unter ihnen, Deutsche,
Tschechen und Slowaken, übereinander her. Die Juden wurden dabei fast völlig
ausgelöscht." Der Holocaust als Haufen Späne einer Ethno-Hobelei, von Schuld
und Täterschaft keine Spur – Mission erfüllt, Herr Glotz.
Implizit erscheint die Relativierung der Shoah auch bei den Plänen des "Bund
der Vertriebenen" zum "Zentrum gegen Vertreibungen", nämlich über die
anvisierte Aufnahme des Themas "Judenpogrome und Generalvernichtung im 20.
Jahrhundert" in den Katalog der Wechselausstellungen. Auffällig ist hierbei
zunächst natürlich die Vermeidung der gängigen Begriffe "Shoah" oder
"Holocaust", wobei letzterer für die geplante Wechselausstellung "Der
Holocaust an den Armeniern" durchaus Verwendung findet. Die gleichwertige
Einordnung der Shoah in eine Reihe von Wechselausstellungen suggeriert zudem
alles andere als das, was sie tatsächlich ist: ein historisch einzigartiges
Verbrechen an jüdischen Menschen, begangen von Deutschen. Die
terminologische Verwischung und die Entsingularisierung der Shoah
amalgamieren mit ihrer Einordnung unter den Nenner "Vertreibungen", unter
dem dann schließlich deutsche "Heimatvertriebene" als Opfer auf Augenhöhe
mit den europäischen Juden stehen. In selber Tendenz liegt auch der Wunsch
nach Berlin als gewünschtem Standort für das "Zentrum gegen Vertreibungen",
der einer bewusst gewählten Ortsrivalität gleichkommt und dort den
"Opferstatus" deutscher "Vertriebener" proklamieren möchte, wo mit dem
"Mahnmal für die ermordeten Juden Europas" den Opfern der Shoah gedacht
werden soll. Der Relativierung nicht genug, stünde mit einem "Zentrum gegen
Vertreibungen" eine Gedenkstätte für selbsternannte deutsche "Opfer" in der
Stadt, in der sich mit der "Wannsee-Konferenz" und der auf ihr beschlossenen
"Endlösung" der deutsche Vernichtungswille und somit deutsche Schuld und
Täterrolle endgültig manifestierten.
Für Marek Edelmann, den letzten überlebenden Anführer des Aufstands im
Warschauer Ghetto, bleiben die geschichtlichen Kategorien von Tätern und
Opfern klar: "Als polnischer Jude kann ich deutsche Vertriebene nicht als
Opfer ansehen. Das wäre so, als ob ich mich selbst für einen Henker halten
würde." Kehrt man Edelmanns Aussage ins Negative, ergibt sich
ironischerweise die ideologische Stoßrichtung der "Vertriebenen": Will man
als "Vertriebener" "Opfer" sein, gilt es, die wahren Opfer zu Henkern zu
erklären. Ziel dieser Projektion: Israel.
So lud am 17. April 2002 die Initiative "SOS Heimat" aus dem Umfeld der
"Österreichischen Landsmannschaft" im Wiener "Haus der Heimat" zu einer
Podiumsdiskussion mit dem Thema "Von Benes zu Sharon. Sudetendeutsche und
Palästinenser – entrechtet und vertrieben". Beteiligt an der Diskussion
waren Hermann Böhm und Gerhard Zeihsel von der "Sudetendeutschen
Landsmannschaft in Österreich" sowie Dr. Georg Nicola von der
Palästinensischen Gemeinde, Wien. Eifrig schmiedet man, zumindest
ideologisch, an der Achse Eger-Ramallah auch bei der bundesrepublikanischen
Sudeten-Sektion. Rudolf Hill, Vorstandsmitglied der Landesgruppe Bayern der
Sudetendeutschen Landsmannschaft, spinnt in Beiträgen in bayern intern,
dem Informationsblatt der Landesgruppe, den schicksalsgemeinschaftlichen
Schulterschluss zwischen Sudeten und Palästinensern. Während die
Sudetenfrage zu weltgeschichtlichem Ausmaß mutiert ("Genozid"), halluziniert
Hill den israelisch-palästinensischen Konflikt zum Weltbedrohungspolitikum
("Rand eines dritten und globalen Krieges"), bei dem der Schuldige längst
ausgemacht ist. Am Ende der (sudeten)deutschen Weltuntergangsdenke steht die
Vernichtungsfantasie: "Und welche moderate arabische Regierung könnte sich
dann noch halten, wenn in Hunderten von Millionen Muslimen der Schrei nach
der Vertreibung der Israelis ertönen würde?"
Unschwer zu erraten ist auch, wen Peter Glotz meint, wenn er in einem
Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 11. August 2003 von
"Vertreibern" und "Säuberern" im Zusammenhang mit dem "Nahen Osten" spricht.
Um derlei heißen Brei redete Bundeskanzler Schröder bei seinem Auftritt auf
dem "Tag der Heimat" am 3.September 2000 erst gar nicht herum. In ein und
demselben Satz sprach er von "12 Millionen Deutschen nach Kriegsende" und
"Flüchtlingsströmen aus Palästina". Den von Glotz und Schröder indirekt
genannten "Täter" zu erraten, fällt leicht: Israel – ein Hohmann, wer hier
an "Juden" und "Tätervolk" denkt.
Verbindungen zwischen dem Fall "Hohmann" und den "Vertriebenen" lassen sich
indirekt tatsächlich herstellen. Mit dem Schild "Man darf in Deutschland
nicht mehr die Wahrheit sagen" bekundete Hans Knoblauch, CDU-Ratsherr in
Recklinghausen, seine Solidarität mit Hohmann. Interessant hierbei:
Knoblauch ist der Leiter des Wahlkampfbüros des CDU-Bundestags-Abgeordneten
Erwin Marschewski. Und dieser ist seit 2002 Vorsitzender der Arbeitsgruppe
"Vertriebene" der CDU-/CSU-Fraktion. Distanziert hat sich Marschewski
mittlerweile. Doch die Geisteshaltung seines Wahlkampfbüro-Leiters scheint
zumindest die vorherige Zusammenarbeit nicht getrübt zu haben, keine
Reibungen also zwischen Antisemiten und in Belangen der "Vertriebenen"
engagierten Politikern.
hagalil.com
27-01-2004 |