"Ich musste auch töten" bei
Berliner Verlag suspendiert:
Mossad-Enthüllungsknüller oder Lügengeschichte?
Von Bernhard
Schmid, Paris
Das passiert
nicht alle Tage: Der Berliner Kindler-Verlag hat vergangene Woche einen
Buchtitel vorläufig aus dem Programm genommen, weil die Authentizität
der darin enthaltenen Darstellung Story ernsthaften Zweifeln unterliege.
Dabei hätte das Buch, das als "atemberaubendes Dokument über den
Geheimdienstkrieg im Nahen Osten" angekündigt wurde, ein "sensationeller"
Knüller werden können, der sicherlich sein Publikum gefunden hätte.
Nunmehr will
Kindler abwarten, dass der Pariser Großverlag Albin Michel, bei dem im
Oktober 2003 die französische Ausgabe von "Ich musste auch töten" (Je devais
aussi tuer) erschienen ist, die von ihm angekündigten elf Beweisstücke für
die Echtheit der Darstellung vorlegt. Diese sollen dann einer eingehenden
Untersuchung unterzogen werden.
"Ich musste auch
töten" wurde in Frankreich eher mit Skepsis aufgenommen. Zwar urteilte die
konservative Wochenzeitschrift Le Point: "Was Nima Zamar erzählt, ist
spektakulär. Sieben Jahre bewegte sie sich in der Hölle eines
Schattenkriegs, den sie nicht unbeschadet übersteht."
Dagegen urteilte
das sozialliberale Wochenmagazin Le Nouvel Observateur: "Nach Thierry
Meyssan jetzt Nima Zamar". Meyssan ist der Autor von zwei Büchern, die im
Jahr 2002 in Frankreich erscheinen und belegen sollen, dass die Attentate
des 11. September 2001 in Wirklichkeit durch die US-Dienste ausgeführt bzw.
fingiert worden seien. Die Beweise wollte der Autor allein von seinem
Schreibtisch aus, dank Internet, gefunden haben. In Frankreich wurde er
allerdings bestenfalls belächelt. Ähnlich hohe Glaubwürdigkeit rechnet Le
Nouvel Obs jetzt auch Niza Zamar zu. Auch der deutsche Fernsehsender ZDF
bezeichnete das Buch am 19. Dezember schlicht als "eine gefälschte
Biographie".
Einige
Widersprüche
Das Milieu, in
dem Nima Zimar - die sich als Französin osteuropäisch-jüdischer Herkunft
vorstellt sich über die 335 Seiten ihrer angeblich authentischen Erzählung
hinweg bewegt, ist dazu angetan, dass der Leser sensationelle Enthüllungen
erwartet. Vielleicht sogar einen Einblick in weltumspannende Machenschaften
und hoch geheime Pläne. Denn die Autorin gibt an, sie habe acht Jahre lang
als Agentin für einen israelischen Geheimdienst gearbeitet. Unklar bleibt,
ob es sich bei letzterem wirklich um den von so vielen Legenden und Mythen
umwobenen Mossad handelt, oder um einen anderen Nachrichtendienst mit etwas
profanerem Ansehen (wie den Schin Beth). Der potenziell Erfolg des Buches
hängt sicherlich damit zusammen, dass die meisten LeserInnen an den
vermeintlich geheimnisumwitterten Mossad denken sollten. Der Bayerische
Rundfunk sprach deswegen auch am 4. Januar 04 von einem "fragwürdigen
Mossad-Enthüllungsbuch".
Ihre Einheit,
ihren Dienstgrad und den Namen des Nachrichtendiensts, für den sie tätig
gewesen sein will, nennt die Verfasserin dabei allerdings nicht. Wie sie im
Nachspann ihres Buches erklärt, habe das "evidentermaßen mit beruflicher
Geheimhaltungspflicht" zu tun. Ansonsten aber will sie sich nicht an
Weisungen ihrer ehemaligen Vorgesetzten gehalten haben, denn wie sie
ausführt, habe sie diesen das Manuskript vorgelegt von diesen aber eine
auf "knapp 20 Seiten" eingedampfte Version zurückerhalten, mit der
Aufforderung, der Ton sollte noch ein bisschen positiver werden. Das habe
sie dann aber nicht beherzigt. Das alles, nachdem wie kurz vor Schluss des
Buches zu erfahren ist ihre Vorgesetzten auch noch versucht hätten, sie
bei ihrer Ausreise nach acht Jahren Mitarbeit am Flughafen von Beirut zu
töten. Ein ehemaliger Kollege habe ihr dort eine tödliche Spritze
verabreichen wollen - sie habe ihm aber dann selbst das, den schnellen
Herztod herbeiführende, Mittel injiziert. Und das unter dem Auge von
Überwachungskameras im Wartesaal des Flughafens.
Die Autorin gibt
an, sie sei 1993 als gut Zwanzigjährige nach Israel ausgewandert, wo sie
lediglich über zwei Bekannte verfügt habe. Da sie zu dem Schluss gekommen
sei, dass man in Israel nicht zu gesellschaftlichem Ansehen kommen kann,
wenn man nicht gedient hat ihr Freund Eldad, der sich später als
Antimilitarist herausstellt, sagt ihr immer wieder: "Die Armee ist Israel,
Israel ist die Armee" verpflichtet sie sich dann freiwillig bei den
Streitkräften. Dort wird die junge Informatikexpertin, die nach eigenen
Worten nur ein unvollständiges und altmodisch-holperiges Hebräisch spricht,
dann gegen ihren Willen zum Nachrichtendienst rekrutiert. Sie wird in eine
Zelle gesperrt und hat faktisch die Wahl, ein oder zwei Jahre für nichts
abzusitzen oder einen Zehn-Jahres-Vertrag zu unterschreiben. Der ihr
abgenötigte "Kompromiss" besteht - nach Darstellung der Verfasserin - dann
darin, dass sie "nur" für acht Jahre unterschreibt.
Nun darf es
allerdings als sehr unwahrscheinlich gelten, dass ein als effizient
geltender Geheimdienst MitarbeiterInnen gegen ihren Willen rekrutiere.
Zwar will Nima Zamar noch einen Rest an eigener Motivation aufgebracht
haben, da sie an ihre von Nazis misshandelte Mutter gedacht und sich dabei
gesagt habe: "Wir dürfen nie wieder wehrlos sein". Als Ausgangsbasis für die
Rekrutierung als Geheimdienst-Arbeiterin von höherem Niveau , erscheint das
freilich ein wenig dünn.
Wenig später
scheint sie auch noch perfekt oder jedenfalls unauffällig Arabisch das sie
bis dahin offensichtlich nicht beherrschte zu sprechen. Nach eigener
Schilderung wird die Autorin dann zunächst in die palästinensichen Gebiete
eingeschleust, unter der Legende, sie sei eine Schweizerin, die von
palästinensischen Eltern geboren sei und nunmehr das Familienerbe für die
palästinensische Sache ausgeben wolle. Wegen des mitgebrachten Geldes sei
sie willkommen gewesen. Ihr nächster Einsatz habe sie in den Libanon
geführt, wo sie die Hizbollah infiltrieren wird. Relativ bald wird sie
demnach auf einen "Lehrgang" in Libyen geschickt, wo den Teilnehmern eine
derartige Paranoia eingeimpft werden soll, dass sie sich gegenseitig töten
müssen wobei die Autorin nach eigenen Angaben mit dem ersten Mord den
Anfang machen muss. Von 30 Teilnehmern hätten nur elf überlebt, darunter
zwei Frauen.
Vom Libanon bzw.
den Hizbollah-Standorten aus will die Autorin dann öfter auf dem Umweg
über die Schweiz oder Syrien nach Israel eingereist sein. Einer ihrer
Vorwände seien Besuche bei Verwandten in Syrien gewesen, die sie aber gar
nicht hatte. Und das soll nicht aufgeflogen sein, wo der syrische Staat den
Libanon kontrolliert und umgekehrt die Hizbollah in Damaskus vertreten ist.
Politische
Sympathie für die arabischen Bewegungen, mit denen sie in Kontakt tritt,
lässt die Autorin in keiner Form erkennen, vielmehr handelt es sich durch
die Bank um gefährliche Irre. Schon zum politischen Denken der israelischen
Gesellschaft, oder zur politischen Strategie des israelischen Staates oder
Geheimdiensts, führt die Autorin so gut wie nichts aus. Zu den politischen
Vorstellungen im arabischen Raum aber erfährt man gleich gar nichts es sei
denn, dass man überall auf "diskrete aber präsente" russische Agenten
trifft. Später will sie sich dann in Syrien auf ein Netz von sympathischeren
Leuten gestützt haben, nämlich im Untergrund lebende Mitglieder einer
demokratisch-liberalen oder intellektuellen Opposition. Dass gerade diese,
verfolgten und in mehreren Fällen gefolterten, Personen die verlässlichste
Basis für israelische Geheimdienstoperationen geboten hätten, darf
bezweifelt werden. Nach eigenen Angaben wird auch die Autorin später selbst
gefoltert. Und schließlich verliert sie die Motivation, bei dem insgesamt
blutigen Handwerk mitzumischen, und reist 2001 nach Paris aus. Dort will
die Autorin später, während sie als Kassiererin in einem Kaufhaus gearbeitet
habe, noch Drohungen von ihrem früheren Dienst erhalten haben.
Die
eigentliche "Botschaft"
Die eigentliche
Botschaft des Buches ist unterdessen im Schlussteil verborgen. Auf den
letzten 25 Seiten geht es um die Attentate des 11. September 2001. Die
Autorin gibt an, dass sie diese als Angestellte eines Callcenters in Paris
"erlebt", aber daraufhin Kontakt zu einem ihrer Ex-Kollegen vom Geheimdienst
in London aufgenommen. In dessen Londoner Appartement habe dann ein Treffen
mit anderen, in Europa lebenden Geheimdienstmitarbeitern und
Ex-Geheimdienstlern stattgefunden.
Im Laufe der
Londoner Diskussion, die auf den letzten Seiten wiedergegeben ist, stellt
sich heraus, dass alle Beteiligten nicht an eine islamistische oder sonstwie
"arabische" Täterschaft am 11. September glauben: Nein, eine derart
minutiöse Vorbereitung passe nicht mit den eigenen Erfahrungen mit
arabischen Terroristen zusammen. Technisch zu schwer, lautet ein Einwand, es
handele sich um Arbeit von Profis, die es schafften, die Vorbereitung zu den
Anschlägen in jahrelanger totaler Geheimhaltung vorzubereiten. "Warum haben
sie nicht einfach so ein Flugzeug auf New York gestürzt?" fragen die vier
Diskutierenden sich.
Im Übrigen, fügt
einer aus der Runde hinaus, sei der Bordfunk in der entführten Boeing, die
zuerst auf New York krachte, sofort nach ihrer Übernahme durch die Entführer
ausgeschaltet worden. Das aber bedeute, dass das US-Flugleitsystem keine
Navigationsdaten mehr an das Flugzeug übermittelt habe. Damit aber, so geht
die Überlegung weiter, hätte ein bestenfalls mäßiger Pilot der gerade
einmal ein paar Flugstunden in den USA genommen hat keinesfalls eine
Boeing in der Luft halten können. Also dränge sich eine andere Erklärung
auf. Vermutlich sei ein Umschalten des Flugzeugs auf das russische
Flugverkehr-Leitsystem per Satellit "Glonass" zu vermuten sei. Russland also
stehe hinter den Attentaten.
Diese Annahme
soll noch durch Details aus dem Inneren des israelischen Nachrichtendienst
untermauert werden: "<Sie haben Zac in den Dienst zurückgerufen.> (...)
Plötzlich verstand ich die Botschaft, die Amos mir mit der Nachricht von der
Rehabilitierung (des Agenten) Zac mitteilen wollte. Er war der beste Kenner
der russischen Akte." Später wird der in London lebende Agent Doron sich
fragen: "Sollen wir etwa gegen einen solchen Riesen (Russland) Krieg
führen?"
Das also ist die
wesentliche Botschaft, die das Buch von "Nima Zamar" transportieren soll.
Finster-fanatische Araber sowie israelische Geheimdienstler, denen man in
Europa mitunter gern eine ungeheure Macht über alles mögliche Geschehen in
der Welt andichtet, liefern die passende Kulisse für diesen dramatischen
Schluss. Er enthält die sensationelle Enthüllung, auf die der Leser über 300
Seiten hinweg vorbereitet wird.
Das Buch von
Nima Zamar bildet eine neue Version des Spionagethrillers, der als solcher
unterhaltsam sein mag, wenn man denn das Genre schätzt. Ob man ihn aber auch
politisch für bare Münze nimmt, ist eine völlig andere Frage. Vor
Leichtgläubigkeit kann nur gewarnt werden.
Nima Zamar:
Je devais aussi tuer
Edition Albin Michel
334 Seiten
19,50 Euro
Eine gekürzte
Version dieses Artikels erschien in:
Jungle World, Nr. 5,
21.01.2004
hagalil.com
22-01-2004 |