Jude sein, leicht gemacht:
Was ist eigentlich ein Jude?
Von Georg
Kreisler
Am
Anfang des vergangenen Jahrhunderts hielt jemand in Prag eine politische
Rede, in deren Verlauf er sagte: "Ich bin aus dem Judentum ausgetreten",
worauf der im Publikum sitzende Max Brod rief: "Aber das Judentum nicht aus
ihnen."
In diesen Vorhitlerjahren wollten viele
assimilierte Juden ihre Religion loswerden, sie verschwiegen sie oder ließen
sich taufen. Karl Kraus ließ sich taufen, Arnold Schönberg ließ sich taufen,
Gustav Mahler ließ sich mehr oder weniger zwangsweise taufen, weil man ihn
als Jude nicht zum Hofoperndirektor ernennen wollte. Manche ließen sich aus
Überzeugung taufen, aber die meisten taten es des allgemeinen Antisemitismus
wegen, der sich für ihre Karrieren als Hemmschuh erwies.
Groteskerweise fand in den Jahren nach dem
zweiten Weltkrieg das genaue Gegenteil statt. Hatten sich vorher Juden zu
Christen gewandelt, so erklärten sich nach 1945 etliche "Arier" zu Juden –
oder wenigstens zu "Halbjuden", manchmal auch nur zu "Menschen jüdischer
Abstammung", eine jüdische Großmutter genügte da schon. Auch sie taten es
der Karriere wegen, denn siehe da, sie wurden in Talkshows und unzähligen
Artikeln der deutschen Illustrierten zu willkommenen Gästen, schrieben
Bücher über ihre Leiden in der Nazizeit und waren in der deutschen
Unterhaltungsindustrie eine allseits beliebte Attraktion. Nach der alten
Schauspielerregel, dass ein Zwerg keinen Zwerg spielen kann, sondern nur
Schauspieler, ließ man auch in den Medien die echten Juden lieber von
selbsternannten spielen. Wo hätte man auch in der Schnelligkeit echte Juden
hernehmen sollen, die so gut die die unechten sprechen, singen und weinen
konnten?
Hitler hatte ja bekanntlich die Juden als Rasse
definiert und einen Ariernachweis bis zu den Großeltern verlangt, aber das
war offensichtlich falsch gewesen. Denn ein westeuropäischer Jude hatte ja
rassistisch gesehen rein gar nichts mit afrikanischen oder indischen Juden
zu tun, da mußte unbedingt eine neue Definition für die Juden her.
Man erklärte sie vorübergehend zum "Volk", aber
das hielt sich auch nur kurze Zeit, denn eine Volkszugehörigkeit ergibt sich
aus einem Land oder dem Kulturkreis, in dem man aufgewachsen ist, und ein
amerikanischer Jude konnte ja nicht plötzlich völkische Gemeinsamkeiten mit
italienischen oder norwegischen Juden teilen. Aus lauter Verlegenheit
erklärte einmal der österreichische Bundeskanzler die Juden als
"Schicksalsgemeinschaft", ohne daran zu denken, dass das Schicksal eines
australischen Juden kaum mit dem eines russischen zu vergleichen wäre.
Dabei ist die Wahrheit doch so einfach: Das
Judentum ist eine Religion, so wie das Christentum oder der Islam. Die
jüdische Religion fußt vor allem auf dem alten Testament und dessen
Auslegung, so wie das Christentum auf dem Neuen Testament und dessen
Auslegung beruht. Ob man nun Christ ist, kann man nicht selbst bestimmen,
das muß von den Religionsgesetzen und deren Verkündern, also den Priestern
bestimmt werden, und bei den Juden ist es ebenso. Die jüdische Religion
sagt: Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat oder wer zum jüdischen Glauben
übergetreten ist. Der Vater ist ausdrücklich unerheblich, geschweige die
Großmutter. Aus jüdischer Sicht blieben daher Karl Kraus, Schönberg und
Mahler Juden, weil sie eine jüdische Großmutter hatten.
Man erspare mir Namensnennungen, aber die
selbsternannten Juden und Jüdinnen sollten doch bedenken, dass sie sich der
Sprache des Dritten Reiches bedienen, wenn sie sich als "Halbjuden" oder
irgendwie "jüdisch versippt" hochrechnen. Man kann ebenso wenig Halbjude
sein, wie man Halbkatholik oder Halbmoslem sein kann. Man kann nur einer
Religionsgemeinschaft angehören, ob man fromm ist oder nicht. Ebenso kann
man deutschstämmig, italienischer Abstammung und auch israelischer
Abstammung sein, denn Israel ist ein Land, in dem nicht nur Juden, sondern
Moslems und Christen leben, daher sind die Israelis keine Juden, sondern ein
Volk, von dem man abstammen kann. Aber von einer Religion kann man nicht
abstammen, auch wenn es die deutschen Medien gern so hätten.
Ein alter Wiener sagte mir: "Laß sie doch! Wie
wissen eh, wer ein Jud ist und wer nicht, und wenn es wieder einmal so weit
ist, dann gnade ihnen Gott!" Und ich frage mich: Werden dann die vielen,
vielen Halb – Viertel oder Achteljuden wissen, wo sie hingehören oder - ?
Georg Kreisler, 1922 in Wien geboren, 1938 in
die USA emigriert; Kabarettist, Schriftsteller, Schauspieler und mehr. 1942
erhielt Kreisler die amerikanische Staatsbürgerschaft. Seit einigen Jahren
lebt er in der Schweiz.
Dieser
Artikel erschien im Magazin "CAMPO
de Criptana"
Heft 4, I Quartal 2004.
hagalil.com
14-01-2004 |