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Bericht vom internationalen Symposium mit Ausstellung:
Youtai – Presence and Perception of Jews and Judaism in China

Im Rahmen des gleichnamigen Forschungsprojekts am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft (FASK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim 19. bis 23. September 2003

Von Silvia Fricker und Peter Kupfer

Schwerpunkt des in den Jahren 2002-2003 laufenden und von Prof. Dr. Peter Kupfer (FASK, Universität Mainz) sowie Prof. Dr. Roman Malek (Institut Monumenta Serica, Philosophisch-Theologische Hochschule Sankt Augustin) geleiteten Forschungsprojekts ist die jüdische Gemeinde, die historisch nachweisbar zwischen dem 12. Jahrhundert (Nördliche Song-Dynastie) und dem 19. Jahrhundert in der alten chinesischen Kaiserstadt Kaifeng, Provinz Henan, mit Synagoge, eigener Tradition und religiöser Praxis existierte, sich aber auch durch einen über die Jahrhunderte dauernden Akkulturations- und Assimilationsprozess allmählich auflöste.

Sowohl aus dem Blickwinkel der chinesischen und jüdischen Geschichte als auch unter allgemein interkulturellen Aspekten ist das lange Fortbestehen dieser religiösen und ursprünglich auch ethnischen Gemeinschaft in einer völlig fremden soziokulturellen, konfuzianisch geprägten Umgebung ein wohl einmaliges Phänomen. Eine weitere Besonderheit der Juden von Kaifeng ist, dass sie isoliert und ohne Kontakte zur jüdischen Diaspora in der übrigen Welt ihre Traditionen über Jahrhunderte aufrechtzuerhalten vermochten und auch keinerlei anhaltenden Diskriminierungen oder Verfolgungen ausgesetzt waren.

Während seit der historischen Begegnung zwischen Matteo Ricci und dem Kaifenger Juden Ai Tian 1605 in Peking immer wieder Missionare und Reisende aus Europa über die jüdische Gemeinde in Kaifeng berichteten und damit sogar bei großen Denkern wie Kant, Leibniz und Voltaire Aufmerksamkeit hervorriefen, erregte dieser Teil der chinesischen Geschichte bei den chinesischen Intellektuellen selbst erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts Forschungsinteresse. Nach der Gründung der Volksrepublik China 1949 und einer kurzen Phase reduzierten Interesses im Zusammenhang mit der sich neu formierenden Minderheitenpolitik in den frühen 1950er Jahren kam die Judenforschung aufgrund der ungünstigen politischen Atmosphäre in China zu einem Stillstand und lebte erst im Kontext der Reform und Öffnung Chinas in den 1980er Jahren wieder auf. Durch die Aufnahme und Verbesserung der diplomatischen Beziehungen zwischen China und Israel in den 1990er Jahren sowie durch die Aufarbeitung des Schicksals der aus Nazi-Deutschland nach Shanghai geflohenen und dort bis in die 1940er Jahre ansässigen rund 25.000 Juden wurde die Judenforschung in China zusätzlich gefördert. Sie befasst sich heute auch mit anderen Kapiteln jüdischer Einwanderer in der neueren Geschichte Chinas, etwa mit der Ansiedlung sephardischer Kaufleute in Shanghai nach dem Opiumkrieg und der Flucht aschkenasischer Juden aus Russland nach Nordostchina am Ende des 19. Jahrhunderts und zum Beginn des 20. Jahrhunderts.

In den letzten Jahren ist sowohl in China als auch im Ausland vermehrt über die Geschichte und Kultur der Juden in China gearbeitet worden, und auch in Zukunft ist ein zunehmendes wissenschaftliches Interesse an allen damit zusammenhängenden Fragen zu erwarten. Das Projekt trägt im Rahmen der klar umgrenzten Frage- und Zielstellung, wie sie im Titel zum Ausdruck kommt, zur Diskussion bei. Es konzentriert sich auf die Fragen zum sozialen Status sowie zur Assimilation der Kaifenger Juden in der chinesischen Gesellschaft. Auf der Grundlage neuer Quellen und Forschungsergebnisse werden Fragestellungen zur Wahrnehmung des Judentums sowohl in der chinesischen Gesellschaft als auch unter chinesischen Wissenschaftlern, zur Selbstreflexion der älteren und jüngeren Nachkommen in Kaifeng selbst, zu deren aktuellem Status und zum Umgang Chinas mit dem Fremden als Teil seiner eigenen Geschichte und Identität systematisch herausgearbeitet und aus unterschiedlicher historischer, soziologischer, religiöser, ethnischer, ethnopolitischer und interkultureller Perspektive diskutiert.

Höhepunkt des Forschungsprojekts war das Symposium, das nach mehrmonatiger intensiver Vorbereitung vom 19. bis 23. September am FASK in Germersheim stattfand. In der Nachfolge der letzten Tagungen zu dieser Thematik 1997 in Sankt Augustin ("From Kaifeng… to Shanghai. Jews in China" mit Ausstellung; im Jahr 2000 Veröffentlichung des gleichnamigen Konferenzbandes, hg. von R. Malek in Monumenta Serica Monograph Series XLVI, Sankt Augustin) und 2002 in Nanjing ("History of Jewish Diaspora in China") wurde auf die Kontinuität der Forschungsresultate und ein breites Spektrum neuer unterschiedlicher Ansätze mit aktuellen Bezügen Wert gelegt. Dies spiegelte sich auch wider in der aus finanziellen Zwängen zwar beschränkten, jedoch repräsentativen Auswahl der vierzehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Australien, China, Hongkong, Israel, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die sich trotz oder gerade wegen ihrer wissenschaftlich-biografischen Heterogenität – ein Altersunterschied von immerhin 50 Jahren zwischen dem ältesten und jüngsten Teilnehmer – gleich vom Beginn an in einer inspirierenden Atmosphäre lebhaften Gedankenaustausches und Dialogs wiederfanden. Neben den anwesenden international prominenten Sinojudaisten hatten einzelne jüngere Nachwuchskräfte die Gelegenheit, in durchwegs hervorragenden und aufschlussreichen Vorträgen mit anschließenden anregenden Diskussionen ihre neueren Arbeitsergebnisse zu präsentieren.


Gespräche zwischen drei Generationen

Das Auditorium Maximum des FASK bot für das Symposium sowie für die im Hintergrund aufgebaute und danach noch bis zum 10. Oktober zu besichtigende Ausstellung zum Judentum in China ein ideales Ambiente. Beide Veranstaltungen waren für Interessenten der Universität, sinologischer wie judaistischer Institutionen, jüdischer Gemeinden und der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich.

Vor der Eröffnung des Symposiums gingen bei den Organisatoren unter anderen die Grußworte von Bundespräsident Johannes Rau, der wenige Tage zuvor selbst das ehemalige jüdische Ghetto in Shanghai besucht hatte, vom Vorsitzenden des Zentralrates der Juden Paul Spiegel und vom Center of Jewish Studies der Akademie der Sozialwissenschaften Shanghai ein. Am Abend des 19. September begann die Veranstaltung mit einer Begrüßung durch den Dekan des FASK, Prof. Dr. Wolfgang Pöckl, und einer Einführung mit Vorstellung der Teilnehmer durch Prof. Kupfer. Er wies insbesondere darauf hin, dass sich China in den letzten Jahren auf dem Weg zur Globalisierung und Integration in die Weltpolitik und wirtschaft nicht nur wirtschaftlich rapide öffne, sondern sich auch im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Umbrüchen der Austausch von Meinungen und Themen schrittweise verbessere, die noch vor wenigen Jahren eher tabuisiert wurden. Für ihn sei die Begegnung der beiden ältesten kontinuierlichen Kulturen eines der faszinierendsten Themen der Menschheitsgeschichte. Er rekapitulierte kurz die Beweggründe und Vorbereitungen für das Forschungsprojekt und dieses Symposium und betonte die historische Verantwortung sowie auch die Vorzüge, die für die Durchführung in Deutschland sprächen. Weder in China noch in Israel sei gegenwärtig eine wertfreie und unvoreingenommene Diskussion zum Thema möglich. Überdies liege der diesmalige Tagungsort in der Region mit der traditionsreichsten Geschichte jüdischer Kultur in Mitteleuropa. Die jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz begannen etwa zur selben Zeit wie die Kaifenger Gemeinde aufzublühen.

Prof. Kupfer richtete abschließend seinen ausdrücklichen Dank an die Förderer des Symposiums und der Ausstellung: das Zentrum für Interkulturelle Studien der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (ZIS), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das rheinland-pfälzische Ministerium für Wissenschaft, Weiterbildung, Forschung und Kultur sowie zahlreiche Sponsoren und Helfer. Ohne deren finanziellen und organisatorischen Einsatz wäre dieses Projekt nicht durchführbar gewesen.

Professor Dr. Roman MALEK (Monumenta Serica, Sankt Augustin) hielt nach der Eröffnung den einführenden Vortrag zum Thema "'Marginal Religions´ in Chinese History of Religion: The Case Study of Judaism". Er setzte sich mit der aktuellen Definition des Judaismus als "marginale Religion" in China auseinander und beleuchtete diese vor historischem Hintergrund im Vergleich zu anderen Religionen (Buddhismus, Islam, Nestorianismus, Manichäismus, Zoroastrismus und Christentum) und ihrer Adaption an die konfuzianische Orthodoxie. Die Fragen, auf die er abzielte, waren vor allem: "Wie ist Judaismus in China tatsächlich definiert – durch die Religion (jiao) oder nach der ethnischen Zugehörigkeit (minzu)? Wie ist die Sinisierung (bzw. Chineseness) einer "Fremdreligion" zu begründen?

Prof. Dr. Donald D. LESLIE (Canberra), Verfasser des bisher umfangreichsten Sammelwerkes Jews and Judaism in Traditional China. A Comprehensive Bibliography (Monumenta Monograph Series XLIV, Sankt Augustin/Nettetal 1998), wies in seinem Vortrag "Chinese Jews: Prospects for Research" zunächst auf Forschungslücken und weiterführende Fragestellungen hin, die sich auf Grund neuerdings insbesondere aus China vorliegender wissenschaftlicher Arbeiten ergäben. Zu den Kernfragen gehörten die Einstellungen und Erkenntnisse chinesischer Wissenschaftler gegenüber Juden und dem Judaismus. In einem punktuellen Überblick über die Geschichte und Gegenwart der Forschung über die Juden in Kaifeng, besonders aber auch über die jüdischen Immigranten in Harbin, Shanghai und anderen Orten in China vermochte der durch seine Vitalität beeindruckende 81jährige Wissenschaftler, fehlende Fakten, Quellen und persistente Fehlschlüsse in vorliegenden Standardwerken aufzuzeigen und diese zum Teil zu korrigieren.

Begleitet von einer informativen Bilddokumentation beschrieb Prof. Dr. PAN Guang (Akademie der Sozialwissenschaften Shanghai) in seinem Vortrag "Jews in China: Legends, History and New Perspectives" die verschiedenen jüdischen Migrationen nach und ihre Ansiedlungen in China, von den Kaifenger Juden im alten China über die sephardischen Juden nach dem Opiumkrieg, die russischen aschkenasischen Juden seit 1880 und die vom Nazi-Regime verfolgten europäischen Juden zwischen 1933 und 1945 bis zu den nach 1949 in der Volksrepublik, in Hongkong und Taiwan verbleibenden Juden, von denen die heute noch mit hohen Ehrenämtern betrauten chinesischen Staatsbürger jüdischer Herkunft Epstein und Shapiro die prominentesten Beispiele sind. Er betonte, dass das "hot topic" Juden in China nicht nur von akademischer Bedeutung für die Judaistik, Sinologie, Geschichte, Religionswissenschaften, Ethnologie, Anthropologie und Philosophie, sondern auch von praktischer Signifikanz im Kampf gegen Rassismus und Faschismus, für die Förderung der freundschaftlichen und harmonischen Kulturbeziehungen zwischen den Völkern sowie für die Erhaltung des Weltfriedens sei.

Prof. Dr. ZHANG Qianhong (Universität Henan, Kaifeng) verwies in ihrem Vortrag "From Judaism to Confucianism: Studies on the Internal Causes for Assimilation of the Kaifeng Jewish Community" darauf, dass sich die akademischen Recherchen weitestgehend darauf beschränkten, dass man die Gründe für die Assimilation der Kaifenger Juden in externen Gründen, wie Teilnahme an den kaiserlichen Examen und Mischehen, suche, jedoch die wirklichen internen Gründe, die im Wesentlichen auf komplexen ideologischen Wandlungsprozessen basierten, vernachlässigt habe. In ihrer Studie analysierte sie die verschiedenen Stufen der Sinisierung der Kaifenger Juden im Kontext der Konfuzianisierung.

Der Nachwuchswissenschaftler ZHANG Ligang (Universität Henan, Kaifeng) beschäftigte sich in seinem Vortrag "The Understanding and Attitude of Chinese Society towards the Kaifeng Jews" mit der Wahrnehmung und dem Verhältnis der chinesischen Obrigkeit und Gesellschaft gegenüber den Kaifenger Juden während der verschiedenen Zeitepochen von der Song-Dynastie bis zur Gegenwart. Wie war ihr gesellschaftlicher Status? Inwieweit konnten sie ihre religiösen und kulturellen Gebräuche ausüben? Wie war die Perzeption innerhalb der chinesischen Bevölkerung? Sein Standpunkt, dass mit der totalen Assimilation der Kaifenger Juden ein Schlusspunkt gesetzt sei, provozierte ein kontroverse Diskussion.

Frau WEI Naxin, Dipl.-Übs., (Universität Mainz, Germersheim) berichtete in ihrem Vortrag "Contemporary Perception of Jews and Judaism among the Jewish Descendants in Kaifeng" über die Ergebnisse einer im Frühjahr 2003 durchgeführten Umfrage an Hand eines umfangreichen Fragebogens und von in den Jahren 2000 und 2003 aufgezeichneten Interviews unter den Nachkommen der Kaifenger Juden. Ihr Ziel bestand weniger in einer Analyse der Ergebnisse, die, auch wenn die Befragung keinen Anspruch erhebt, erschöpfend und repräsentativ zu sein, aufschlussreiche Fakten und Tendenzen aufwiesen. Deren Interpretation in Verbindung mit weiterführender Feldforschungsarbeit gehörten zu den künftigen Aufgaben der Wissenschaftler. Die Daten bezogen sich vor allem auf die aktuelle Selbstwahrnehmung und Situation der Nachkommen der Kaifenger Juden, ihre familiären und wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, ihre Beziehungen untereinander, ihre Kenntnisse bzw. Vorstellungen über Juden, die jüdische Religion und Kultur, ihre Ansichten zur Assimilierung ihrer Vorfahren und ihre Erwartungen an die Zukunft.

Prof. YIN Gang (Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften, Beijing) präsentierte in seinem Vortrag "Between Disintegration and Expansion – A Comparative Retrospection of the Kaifeng Jewish and Muslim Community" einen historisch vergleichenden Überblick und bislang kaum bekannte Fakten über die moslemische und jüdische Gemeinde in Kaifeng während der Dynastien Song, Jin, Yuan und Ming. Er untersuchte kontrastiv den sozialen Status der Juden und Moslems und analysierte die gesellschaftlichen und juristischen (zeitweiliges Heiratsverbot innerhalb der eigenen Gemeinschaft) Hintergründe einerseits der allmählichen Schwächung der jüdischen Gemeinde und andererseits der Expansion und Stärkung der islamischen Gemeinde innerhalb der Kaifenger Bevölkerung.

Der aus Israel angereiste junge Chinawissenschaftler Noam URBACH (Hebrew University, Jerusalem) umriss in seinem Vortrag "What’s holding back the Reconstruction of the Kaifeng Synagogue? Between Revival and Obliteration of Kaifeng Jewry" Erlebnisse und Ergebnisse seiner Feldforschung in Kaifeng. In seinen Recherchen beleuchtete er erstmals die politischen Hintergründe, die nach dem Beginn von Chinas Öffnungspolitik zunächst 1993 zu einem Höhepunkt an Engagement seitens der Stadtregierung und verschiedener Persönlichkeiten Kaifengs zur Wiederbelebung der jüdischen Kultur, jedoch im Jahr 1996 zum plötzlichen Ende aller diesbezüglichen Initiativen führten. Hierzu gehörten konkrete Pläne, die Mitte des 19. Jahrhunderts zerfallene Synagoge im alten Stil einschließlich einem Gemeindezentrum und einer Schule neu zu errichten. Auch die für einige Jahre praktizierte Registrierung der Nachkommen als "Juden" (youtai) in den offiziellen Einwohnerakten wurde rückgängig gemacht und verboten. Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und China brachte nicht die erhoffte Verbesserung der Lage der jüdischen Nachkommen. Im Gegenteil, ihre Anerkennung und Unterstützung wird auf bilaterales Einvernehmen hin vermieden.


Tagungsszene: (Erste Reihe von links nach rechts)
Dr. Donald D. Leslie (Australien), Dr. Maisie Meyer (U.K.),
Prof. PAN Guang (China), Dr. Salomon Wald (Frankreich),
Prof. XU Xin (China), Prof. YIN Gang (China) und
Mr. Zhang Ligang (China)

Frau Dr. Maisie MEYER (London) gab uns in ihrem Vortrag "Baghdadis, 'Chinese Jews' and Chinese" Einblicke in das Leben und die Umstände der aus Bombay stammenden jüdischen Geschäftsleute, die sich nach dem Abschluss des Vertrages von Nanjing 1842 als britische Staatsbürger in dem nun geöffneten Handelshafen Shanghai ansiedelten. Die Bezeichnung 'Bagdader Juden' bezieht sich ursprünglich auf großenteils Arabisch sprechende Juden aus Ländern des Nahen Osten, Aden, Jemen, Irak, Persien und Afghanistan. Das Vorhaben und die Bemühungen der Shanghaier "Bagdadis" zwischen 1898 und 1904 sowie zwischen 1924 und 1932, in Kaifeng die jüdische Kultur wieder zu beleben, waren zwar vergebens, zeugten jedoch von deren starker Identität mit der jüdischen Kultur, die bis 1949 in Shanghai präsent war.

Prof. Robert E. ALLINSON (The Chinese University of Hong Kong) stellte in seinem Referat zum Thema "A Comparison Between Hillel and Confucius: The Proscriptive Versus the Prescriptive Formulation of the Central Ethical Principle in the Jewish and Chinese Ethical Traditions" fest, dass sowohl in der jüdischen als auch in der chinesischen ethischen Tradition präskriptive wie auch proskriptive Formulierungen von Bedeutung sind, wie dies in der 'Goldenen Regel' zum Ausdruck kommt. Er gelangte zu der These, dass in beiden Traditionen ein vergleichbarer semantischer Rahmen gesetzt und gemeinsame ethische Werte definiert seien.

Dr. Salomon WALD (The Jewish People Policy Planning Institute, Jerusalem/Paris) analysierte in seinem Vortrag "Chinese Jews in European Thought" die Reaktionen und Erwartungen europäischer Denker, wie Menasseh Ben Israel, Leibniz, Voltaire, Basnage, Marquis d'Argens, Kant und Abbé Grégoire, auf die Entdeckung der jüdischen Gemeinde in Kaifeng hin. Er untersuchte die Zusammenhänge der beschriebenen Reflexionen über Juden in China mit der europäischen Debatte dieser Zeit über Judentum und Christentum im Allgemeinen, den Kontext der philosophischen und religiösen Überzeugungen der Autoren und die Auswirkungen dieser Entdeckung auf die europäische Geistesgeschichte – wobei jedoch keinerlei direkte Einflüsse der chinesischen Juden selbst zu verzeichnen waren. Dies prägte auch die frühe Entwicklung der europäischen Sinologie, etwa unter Abel Rémusat und Stanislas Julien.

Dr. ZHOU Xun (SOAS, University of London) referierte in ihrem Beitrag "The 'Jews' in the May Fourth Period" über das neuzeitliche chinesische "Judenbild" während der Bewegung des Vierten Mai bzw. der Neuen Kulturbewegung zwischen 1915 und den 1930er Jahren. Welche Bedeutung hatten diese Vorstellungen für die geistige Elite in dem Bestreben, China zu modernisieren, und inwieweit beeinflusste die jiddische Literatur und das jüdische Theater die Literaturreform während dieser Periode? Sie kam zu dem Schluss, dass in der gleichen Weise, wie westliche 'Wissenschaft' und 'Demokratie' als 'modern' gepriesen wurden, vielen Literaturreformern der Bewegung des Vierten Mai dieses konstruierte Bild der Juden sowohl als Inspiration wie auch als Hoffnung auf der Suche einer neuen Identität diente.

Prof. Dr. XU Xins (Universität Nanjing) Vortrag wurde im Plenum gespannt erwartet, da sich die Nachricht der zu kommunizierenden "wichtigen Neuigkeiten" bereits herumgesprochen hatte. Unter dem Titel "On Chinese Policy towards Judaism" umriss er kurz die tausendjährige Geschichte des "Chinesischen Judaismus", wobei die chinesische Politik seit 1950 strikt zwischen den Juden der alten Zeit, die integraler Bestandteil der chinesischen Gesellschaft wurden (Kaifeng), und den nach 1840 immigrierten Juden unterscheide. Insbesondere ging er auf die Situation und die politischen Entscheidungen in den über fünfzig Jahren der Volksrepublik ein. Aufschluss über die jüngere chinesische Politik bezüglich der Behandlung der Nachfahren der Kaifenger Juden und der Wiedererrichtung der historischen Stätten brachte vor allem ein Dokument, das 1953 von der "Vereinten Front des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas" abgefasst worden war. Es sagt aus, dass die Nachfahren der Kaifenger Juden nicht als ethnische Gruppe angesehen werden könnten, da diese weder eine eigene gemeinsame Sprache und Tradition noch einen gemeinsamen Wohnort hätten und seit geraumer Zeit eine völlige Vermischung mit der Han-Bevölkerung stattgefunden habe.

Prof. Dr. Peter KUPFER (Universität Mainz, Germersheim) untersuchte in seinem abschließenden Vortrag "The Situation of Jewish Culture in China in the Past, Present and Future" die Situation der Kaifenger Juden und ihrer Nachkommen im Hinblick auf die Erhaltung des jüdischen Kulturerbes. Er hinterfragte zunächst die gängige Interpretation der konfuzianischen 'Toleranz', die die Kaifenger Juden über Jahrhunderte weitgehend unbehelligt ließ, und formulierte die These von der 'Ignoranz', die ihnen von Seiten der chinesischen Staatsorthodoxie und Gesellschaft vielmehr wiederfuhr. Unter diesem Aspekt sei auch eine Reihe von angeblichen historischen Fakten zur Ankunft und Legitimation der ersten jüdischen Siedler in Kaifeng möglicherweise lediglich das Ergebnis von Legendenbildung. Vor diesem Hintergrund mag auch ihr sozialer Status im Verlauf der Geschichte neu bewertet werden. Eingehende Recherchen zur von der Forschung bislang weitgehend ausgeklammerten modernen Geschichte seit 1949, insbesondere zu den katastrophalen Folgen ("final blow") der Kulturrevolution für die verbleibenden Traditionsgüter und Identifikationsdokumente der Nachfahren der Juden, würden noch manche interessanten Fakten ans Tageslicht bringen. Allerdings seien diesbezüglichen unbefangenen Forschungaktivitäten immer noch zu viele Türen verschlossen. So bleibe die grundsätzliche Frage, wie man mit den bis heute zweifellos vorhandenen "complicated feelings" (Zhang Qianhong) der Nachfahren und mit ihrem neuerdings wieder erwachten Wunsch nach Identifizierung mit der Kultur der Vorfahren umzugehen habe. Ungeklärt bleibt bis heute die Haltung der offiziellen Stellen in China, aber auch eine deutliche Position Israels. Die Hoffnung auf eine eines Tages offene Diskussion und auf ein Bekenntnis der Stadt Kaifeng und der chinesischen Politik zu diesem integralen Teil von Chinas Geschichte, was für alle Beteiligten nur von Vorteil wäre, wird nicht aufgegeben.

Die Schlusssitzung am späten Nachmittag des 22. September wurde von Prof. Malek und Prof. Kupfer geleitet. Auf eine kurze Rekapitulation der Beiträge und neuen Erkenntnisse der vergangenen drei Tage folgte eine lebhafte Diskussion um die verschiedenen Standpunkte, Ideen und Perspektiven. Ausnahmslos wurde das diesmalige Symposium von den Teilnehmern als neuer Meilenstein in der sino-judaistischen Forschung gewürdigt. Die Erwartung wurde geäußert, in regelmäßiger und institutionalisierter Form nachfolgende Tagungen durchzuführen. Da jedoch die künftigen politischen Voraussetzungen momentan noch schwer einzuschätzen sind, erfolgte vorläufig noch keine diesbezügliche Festlegung. Man einigte sich lediglich auf die Minimalinitiative der Etablierung eines internationalen Netzwerkes, zunächst konkretisiert durch eine Newsgroup im Internet, für deren Organisation sich N. Urbach bereit erklärte. In jedem Fall angestrebt wird die baldige Publikation der durchwegs positiv bewerteten Beiträge dieses Symposiums. Der offizielle Teil der Veranstaltung endete mit einem festlichen Menü im Restaurant "Stadtgarten" in Germersheim, was zur weiteren Vertiefung der alten und neuen Freundschaften beitrug.

Besondere Erwähnung verdient nicht zuletzt das interessante und aufwendig vorbereitete Rahmenprogramm. Vor dem Symposium, am Vormittag des 19. September, wurde für die bereits eingetroffenen Gäste aus Übersee eine Stadtführung durch die Festungsstadt Germersheim sowie eine anschließende Besichtigung des FASK organisiert, dessen Dolmetschlehranlagen, wohl die größten und modernsten weltweit, besonders beeindruckten. Beim Abendessen nach dem Symposiumsbeginn, einem Freitag, veranstalteten die jüdischen Teilnehmer für alle eine gemeinsame Shabbatfeier. Ein besonderes Erlebnis war ein anschließendes nächtliches Konzert im Speyerer Dom mit mittelalterlicher Musik, das unter dem Motto "Auf den Spuren Abrahams" stand. Vor allem der letzte Teil des Konzerts, der in der Krypta stattfand und bis nach Mitternacht dauerte, dürfte für die Gäste unvergesslich bleiben: christliche, arabische und jüdische Gesänge aus dem mittelalterlichen Spanien und Marokko, welche die vielfältigen Verbindungen zwischen den drei Bibelreligionen und den orientalisch-okzidentalischen Sprach- und Musiktraditionen offenbarten.

Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung zum Judentum in China fand am Sonntagabend (21. September) ein Empfang mit rund sechzig geladenen Gästen statt. Nach einer Begrüßung durch Prof. Kupfer hielten der Vizepräsidenten der Universität Mainz, Prof. Dr. Johannes Preuß, und der Landrat des Kreises Germersheim, Dr. Fritz Brechtel, Ansprachen. Prof. Malek, der die hochwertige Ausstellung mit seinen Kollegen maßgeblich gestaltet hatte, gab eine Einführung in die Thematik und die wichtigsten Exponate. Es wies auf die Ziele der Ausstellung hin, die jüdische Präsenz in Kaifeng sowie auch in Shanghai und an anderen Orten in China zu dokumentieren, im historischen Zusammenhang darzustellen und unter interkulturellen und interreligiösen Aspekten zu beleuchten. Viele Relikte und Dokumente seien leider über die ganze Welt verstreut und zum Teil nicht oder nur schwer zugänglich. In hervorragend replizierten und faszinierenden Text- und Bilddokumenten wurde auf dieser Ausstellung das Judentum im traditionellen wie im modernen China präsentiert. Vier Originalgemälde des Kaifenger Malers Zhou Xiang, der selbst zu den jüdischen Nachkommen gehört, demonstrierten die Imagination über die Vergangenheit, wie sie heute noch unter diesen anzutreffen sei. Besondere Aktualität vermittelten die im Frühjahr 2003 in Kaifeng aufgenommenen Fotografien von Prof. Kupfer mit Motiven der Stadt und der Familien jüdischer Nachkommen. Ein weiterer zentraler Teil der Ausstellung war eine Buchvitrine mit einschlägiger Fachliteratur zur Erforschung der Juden in China. Die ebenfalls ausgestellten Grußworte von Bundespräsident Rau, von Paul Spiegel und des Forschungszentrums für Judaistik in Shanghai unterstrichen die wissenschaftliche und informative Bedeutung der Ausstellung.

Der weitere Verlauf des Abends – einige Vertreter der Öffentlichkeit konnten begrüßt und den teilweise anwesenden Sponsoren nochmals gedankt werden – wurde umrahmt von einem deutsch-hebräischen Erzählkonzert der israelischen Akkordeon-Künstlerin Revital Herzog und von einem multikulturellen Büfett, das Dr. Bopst, FASK, mit seiner Projektgruppe "Weltkochbuch" gestaltete.
Zwei Exkursionen, die erste am Nachmittag des 21. September nach Speyer und die zweite ganztägig am 23. September nach Worms, Osthofen und zur Weinstraße, widmeten sich schwerpunktmäßig den bedeutenden Orten der jüdisch-europäischen Geschichte. Der 95. Speyerer Bischof, Dr. Schlembach, persönlich stellte den Teilnehmer den größten romanischen Kirchenbau der Welt vor. Eine von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Speyer organisierte Führung zur Ruine der Synagoge und zum ältesten Judenbad Europas schloss sich an. In Worms erwartete die Gäste ein überaus interessanter Streifzug durch die alte jüdische Kultur: Besuch der restaurierten Synagoge mit Raschi-Schule und Museum sowie ein Abstecher zum ältesten jüdischen Friedhof Europas. Die anschließende Besichtigung der mit bewundernswertem Privatengagement in den letzten Jahren eingerichteten KZ-Gedenkstätte Osthofen in der Nähe von Worms informierte die Teilnehmer in anschaulicher Weise über eines der erschütterndsten Kapitel der jüngeren Geschichte.

Den Ausklang dieses letzten Tages bildete eine Fahrt zur Deutschen Weinstraße, eine Weinprobe in einem idyllisch gelegenen Winzerhof und ein kulinarischer Abend in einem der ältesten Pfälzer Traditionslokale im Ort Birkweiler.

Ohne die – oft spontane – vielseitige organisatorische und finanzielle Unterstützung wäre die Durchführung des Programms in diesem Umfang nicht möglich gewesen. Ausdrücklich gedankt sei deshalb den zahlreichen Helfern aus Sankt Augustin und Germersheim sowie den folgenden Sponsoren: Germersheimer Bürgermeister Hänlein, Landrat Dr. Brechtel, Speyerer Bischof Dr. Schlembach, Speyerer Bürgermeister Brohm, Deutsch-Israelische Gesellschaft Speyer, Wormser Oberbürgermeister Kissel, Förderverein Projekt Osthofen e.V., Freundeskreis des FASK e.V., Bund der Germersheimer e.V., Lions-Clubs Germerheim und Landau, Autohaus Rittersbacher, Nolte Holding GmbH, Sparkasse Germersheim-Kandel, VR Bank Südpfalz, Hotel Kurfürst (Germersheim) und Herrn Heinrich Scherer (Germersheim).


Gruppenfoto von Teilnehmern und Helfern des Symposiums

Text in English

hagalil.com 02-12-2003

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