Debatte um "Islamophobie":
Wer hat Angst vor Differenz?
Über die Tarnung des Rassismus als
Religionskritik
Von Bernhard
Schmid
Islamophobie,
gibt es so etwas? Eine Diskussion über diesen Begriff tobt seit einigen
Monaten in Frankreich und scheint nun auch in Deutschland zu beginnen. Wobei
es immer wieder darum geht, ob das Phänomen, das der Begriff umreißt,
überhaupt existiert. Denn das bestreiten einige Diskussionsteilnehmer
vehement, etwa auch bei Debatten in dieser Zeitung. Ihr Argument lautet, der
Begriff und der darin implizit enthaltene Vorwurf seien nur ein Mittel, um
die notwendige Kritik am autoritären Phänomen des Islamismus unter
Rassismusverdacht zu stellen und so ein neues Tabu zu errichten.
Nicht ganz so
weit gehen die beiden französischen Feministinnen Caroline Fourest und
Fiametta Venner. Beide veröffentlichten Mitte November einen längeren
Artikel in der linksliberalen Tageszeitung Libération. Eine leicht
abweichende Fassung stand bereits zuvor auf der Homepage ihrer Zeitschrift
ProChoix und wurde in der
letzten Ausgabe der Jungle World veröffentlicht. Die Co-Autorin
Fiametta Venner ist seit Mitte der neunziger Jahre in der französischen
Öffentlichkeit bekannt, da die Soziologin sich bleibende Verdienste mit
ihrer Recherchearbeit über die so genannten commandos anti-IVG –
Aktivistengruppen rechtsextremer Abtreibungsgegner – erworben hat.
"Keine
Verwechslung zwischen Islamophoben und Laizisten", also Anhängern der
Trennung von Religion und Staat, fordert die Überschrift ihres
Gastkommentars in Libération. Das lässt die Möglichkeit offen, dass beides
existiere – Islamophobie wie Säkularismus – , dass man aber auch einen
Trennungsstrich zwischen beiden ziehen müsse. Zugleich warnen die beiden
Autorinnen vor "leichtfertiger" Verwendung des Begriffs, da man dessen
Geschichte und Herkunft kennen müsse. Die Begriffsbildung datieren sie auf
das Jahr 1979 im Iran, also auf den Beginn der islamistischen
Konterrevolution, die auf die von sehr unterschiedlichen Kräften getragene
gesellschaftliche Revolution gegen das Regime des Schahs folgte. Die damals
gegründete so genannte Islamische Republik habe jene Frauen, die ihren Kopf
nicht verhüllen wollten, was nunmehr per Gesetz unter Androhung körperlicher
Züchtigung festgeschrieben war, als "islamophob" bezeichnet.
Aber stimmt das
wirklich? Das Wort "islamophob" mit seiner griechischen Wurzel existiert
natürlich im Persischen nicht. Das Khomenei-Regime bezeichnete die bi-hijab
(unverschleierte Frauen) deswegen auch nicht als islamophob, sondern
wahlweise als zed-e eslam (gegen den Islam) oder auch als zed-e enqelab
(gegen die Revolution). Letzteres erklärt sich daraus, dass die neue
Diktatur die revolutionäre Legitimität für sich in Anspruch nahm und
usurpierte, obwohl sie zugleich nach Kräften bemüht war, die
Errungenschaften der Revolution gegen den Schah eine nach der anderen zu
zerschlagen. Kann man nun diese Begriffe einfach mit "islamophob" bzw.
"konterrevolutionär" übersetzen? Ist es wirklich dasselbe, wenn ein sich auf
den Islam berufendes Regime in einem zu 97 Prozent von Moslems bevölkerten
Land seinen (aktiven oder passiven) Gegnerinnen vorwirft, gegen die "eigene"
Religion aufzubegehren, oder wenn in einem mehrheitlich von Christen und
einigen Atheisten bevölkerten Land von Islamophobie die Rede ist?
Das bedeutet
beileibe nicht, dass der Islam oder sich auf ihn berufende politische
Ideologien nicht auch dort, wo nur eine Minderheit der Bevölkerung ihm
angehört, reaktionäre Phänomene hervorbringen könnte. Dadurch, dass eine
eingewanderte Bevölkerung eine Minderheit bildet und zusätzlich noch
diskriminiert und mitunter stigmatisiert wird, werden die in ihr
zirkulierenden Ideologien noch keineswegs automatisch emanzipatorisch. Ein
deutliches Beispiel liefert die US-amerikanische Nation of Islam des
muslimischen Predigers Louis Farrakhan. Ihre Zielgruppe und soziale Basis
besteht aus Menschen, deren Vorfahren auf sehr unfreiwillige Weise nach
Nordamerika einwanderten, nämlich als Sklaven, und die heute zweifellos auf
vielfache Weise benachteiligt werden. Dadurch wird die Ideologie dieser
konkreten politischen Bewegung nicht besser: Sie ist homophob, tendenziell
rassistisch, antisemitisch, und im Zweifelsfall stehen ihr weiße
Neonazi-Organisationen, deren grundsätzliches Ziel einer "getrennten
Entwicklung der Rassen" sie teilt, näher als die "Regenbogenkoalition" aller
Unterdrückten und Diskriminierten.
Trotzdem ist es
wichtig, jene analytische Grundregel zu beachten, die darin besteht, einen
Gegenstand von seiner ideologischen Wahrnehmung bzw. Verarbeitung durch
verschiedene Menschen zu trennen. Jedenfalls, sofern man davon ausgeht, dass
es eine gesellschaftliche Realität außerhalb des Kopfes des jeweiligen
Sprechers gibt, was zu den Grundannahmen des Materialismus gehört.
Der Gegenstand,
das wären hier einerseits der Islam und andererseits jene politischen
Bewegungen, die vorgeben, die Gesellschaft nach seinen Vorschriften zu
organisieren – also bereits ein doppeltes Phänomen. Selbstverständlich
handelt es sich nicht um eine Naturgegebenheit, sondern um eine
gesellschaftliche Erscheinung, die nicht unabhängig vom Verhalten und den
Vorstellungen ihrer eigenen Anhänger zu betrachten ist, die also nicht "für
sich" existiert. Doch außerhalb davon existiert noch die Wahrnehmung dieses
sozialen Phänomens durch andere Menschen, die nicht zum Kreis dieser
Anhänger gehören. Unter Umständen kann diese Wahrnehmung fantastische,
ideologisch verzerrte, von ihrem (gesellschaftlichen) Gegenstand weitgehend
abstrahierende Züge annehmen.
Die Kritiker und
Gegner der Verwendung des Begriffs der "Islamophobie" gehen davon aus, eine
solche "Feindschaft gegenüber dem (Phänomen) Islam" gebe es nicht, denn man
könne nur Menschen hassen. Was es gebe, sei allenfalls eine Form von
Rassismus gegen arabische Immigranten, der aber nicht oder nicht
hauptsächlich mit der Religion zusammenhänge. Was aber, wenn es spezifische
Hassausbrüche und Handlungen gibt, die sich explizit gegen muslimische
Kultstätten richten? Das ist in Frankreich der Fall: Seit etwa anderthalb
Jahren gibt es eine Serie von Anschlägen auf Gebäude, die der islamischen
Religionsausübung dienen. Eine häufig gewählte Aktionsform bestand darin,
eine Moschee – wie etwa jene von Lyon – durch Farbbeutelwürfe mit blauer,
weißer und roter Farbe zu beschmieren. Das darf man wohl ungefähr so
interpretieren, als stünden die Nation, für deren Symbole die
Farbenkombination steht, und "der Islam" sich feindlich gegenüber. In einem
drastischeren Fall plante ein verhinderter Attentäter, sich im Februar 2003
in der Hauptmoschee von Paris in die Luft zu sprengen. Er wurde Ende
September dieses Jahres zu vier Jahren Haft verurteilt.
Ebenfalls nicht
unberücksichtigt bleiben sollte dabei, dass es Personen gibt, die den
Begriff der "Islamophobie" nicht zu Zwecken der Kritik einsetzen, sondern
die ihn als Eigenbezeichnung auf sich selbst beziehen. Das gilt etwa für
Jean-Claude Imbert, den Chefredakteur des konservativen Wochenmagazins Le
Point. Er wird von Caroline Fourest und Fiametta Venner zwar erwähnt. Aber
er taucht bei ihnen in einer Linie mit Personen oder Organisationen wie dem
antirassistischen Verband MRAP auf, die den Begriff als Anklage im Munde
führen, was wiederum von den beiden Autorinnen kritisiert wird.
Aber Jean-Claude
Imbert hatte den Begriff in einem völlig anderen Sinne benutzt, als er
nämlich Ende Oktober dieses Jahres vor den Mikrophonen des Kabelkanals LCI
erklärte: "Ich bin ein bisschen islamophob. Es stört mich nicht, das zu
sagen. Ich sage, dass der Islam – und ich rede hier nicht von den Islamisten
– als solcher einen Schwachsinn an verschiedenen Rückständigkeiten
hervorbringt." Dass es Monsieur Imbert dabei vorwiegend um eine
antiklerikale Position ging, hätte man dem gebürtigen Katholiken vielleicht
eher abgenommen, wenn er sich nebenbei noch als "ein bisschen vatikanophob"
bezeichnet hätte. Die Sache wurde nicht besser dadurch, dass er just zur
selben Zeit dem "Hohen Rat der Integration" (HCI) angehörte, einem Gremium,
das Vorschläge zur Verbesserung der Situation von Einwanderern machen soll.
Mit dem Eindruck der Unbefangenheit war es damit vorbei, und es kam zu einem
kurzen Aufschrei in der Öffentlichkeit, der alsbald wieder verstummte. Es
wäre zumindest ehrlich von Fourest und Venner gewesen, darauf hinzuweisen,
dass also der Begriff der "Islamophobie" nicht nur in denunziatorischer,
sondern auch in affirmativer Absicht benutzt worden ist.
Dass eine
bestimmte Form von Hetze gegen Einwanderer sich durchaus genau an der Kritik
ihrer Religion festmachen und diese zum Vorwand nehmen kann, hat bereits vor
20 Jahren ein amtierender Regierungschef vorgeführt. Im Januar 1983 hatte
eine Welle von Streiks in der französischen Automobilindustrie
stattgefunden, unter anderem bei Renault im Großraum Paris. An der Spitze
der kämpferischen Bewegung standen damals marokkanische und algerische
Arbeiter, die in diesen Fabriken an den Fließbändern streikten. Der
sozialdemokratische Premierminister Pierre Mauroy, der ohnehin unter Druck
stand, weil just zu jener Zeit die Enttäuschung über nicht eingetretene
Erwartungen an die erste Linksregierung besonders tief saß, reagierte darauf
mit der Bemerkung, hinter den Arbeitsniederlegungen stünden "Anhänger des
Ayatollah Khomeini", dessen Propaganda hier verfangen habe. Für eine
Richtigkeit dieser Behauptung sprachen freilich keinerlei Hinweise.
Anti-arabischer Rassismus? Die solcherart Angesprochenen teilten mit dem
Oberhaupt der iranischen Islamisten weder die Nationalität oder die
Sprachzugehörigkeit, die einen waren Araber und Berber, der andere war
Perser, noch die Konfession, da die Nordafrikaner keine Schiiten sind. Der
einzige gemeinsame Punkt war offenkundig eine – vorausgesetzte – Zurechnung
"zum Islam".
Es handelte sich
offenkundig um die Mobilisierung von Phantasmen und Halluzinationen, die in
einem Teil des Publikums vorhanden waren und die eine Bedrohung "des
Westens" durch die "islamische Welle" suggerierten. Bedrohlich war Khomenei
tatsächlich für die politischen Oppositionellen und die nicht unterwürfigen
Untertanen im Iran, aber bestimmt nicht für "den Westen", der ihn zur selben
Zeit eifrig mit Waffen belieferte.
1983 war
übrigens auch das Jahr, in dem Jean-Marie Le Pen seinen politischen
Durchbruch feierte und seine ersten Wahlerfolge einfuhr. Mit dem damals
entstandenen politischen Klima hatte das einiges zu tun. Und der Chef der
französischen Neofaschisten hat auch – vor allem in den ersten Jahren seines
Erfolgs – genau die hier angesprochenen Bedrohungsvorstellungen, die sich um
"den Islam" drehen, in seinem Diskurs eingesetzt. So zeigten die Wahlplakate
der extremen Rechten in den achtziger Jahren regelmäßig eine verschleierte
Marianne, das weibliche Nationalsymbol, um zu illustrieren, was Frankreich
noch blühe, oft versehen mit dem Zusatz: "In 20 Jahren wird Frankreich eine
islamische Republik sein." Vorgemacht hatte es das stockkonservative Figaro
Magazine, das 1985 die glorreiche Idee hatte, ein Titelblatt mit der
verhüllten Marianne zu versehen. Später freilich hat sich das Arsenal des
Front National stärker diversifiziert, und Le Pen hat ab Ende der achtziger
Jahre auch antisemitische Versatzstücke und Weltverschwörungsideen, die sich
häufig um die so genannte Globalisierung drehen, in seinen Diskurs
aufgenommen. Beide Register existieren heute nebeneinander, wobei der
speziell am Islam festgemachte Rassismus eher das Massenpublikum der Partei
anspricht, die "Komplotttheorien" und antisemitischen Thesen dagegen eher
zum Rüstzeug der ideologisch gefestigten Kader zählen.
Dabei weist,
jedenfalls im rechtsextremen Diskurs, das Bedrohungsszenario von der
"islamischen Flut" manche strukturellen Ähnlichkeiten zu den später
bedeutsam gewordenen Verschwörungsdiskursen auf. Denn als ideologisch
verfestigtes Ganzes, das über den bloßen ressentimentgeladenen Affekt gegen
die Anwesenheit von "arabischen" Einwanderern hinausgeht, nimmt der
Islamdiskurs auch einige Elemente von Weltverschwörungsdenken in sich auf.
Demnach gibt es ein Komplott gegen die Nationen (am Anfang war vor allem von
"immigrationistischen und antirassistischen Lobbys" die Rede), das deren
Überflutung durch Immigranten beabsichtige, die wiederum im Auftrag
finsterer und übel wollender Regime in der Dritten Welt handelten. Das
Versatzstück "Islam" erlaubt es dabei, eine fertige Assoziationskette
zwischen der Anwesenheit von Einwanderern in Frankreich und der Existenz
offenkundig unsympathischer Regime anderswo – Stichwort Khomenei – sowie den
Forderungen der Dritten Welt zu etablieren.
Damit steht die
Idee, die man von der "islamischen Bedrohung" zeichnet, irgendwo zwischen
dem "einfachen" Rassismus, der sich an äußerlich erkennbaren,
oberflächlichen Differenzen zum Anderen festmacht, und elaborierten
Verschwörungstheorien, in denen das Böse aus dem Zusammenspiel verborgener
Kräfte im Interesse finsterer Mächte resultiert. Zu letzteren Theorien
gehört vor allem der Antisemitismus. In neuerer Zeit erlaubt die Figur des
"Schläfers", die nach dem 11. September 2001 viel von sich reden machte – es
gab einige Kader, die tatsächlich diese Rolle spielten und bei den
Attentaten mitwirkten –, die Vorstellung von der Bedrohung durch einen
besonders gut assimilierten, deswegen unsichtbaren und besonders
bedrohlichen Feind in die Bedrohungsszenarien vom "Islam" einzuführen.
Es ist
offenkundig, dass dies alles nicht bedeutet, es gäbe keine legitime und
notwendige Kritik an der islamischen Religion oder an den politischen
Bewegungen, die seit dem 20. Jahrhundert entstanden sind und sich als
Programme zur Ausrichtung der Gesellschaft nach islamischen Vorschriften
darstellen. Für die übergroße Mehrzahl der (nach neueren Schätzungen) 3,7
Millionen Moslems in Frankreich bedeutet "Islam" einfach, kein
Schweinefleisch in der Kantine zu essen und zu versuchen, während des
Ramadan tagsüber nichts zu essen. Bedarf das unserer Kritik? Man muss solche
Überzeugungen nicht mögen, aber solange sie Privatsache bleiben, brauchen
sie uns nicht zu stören. Wo sie in den Raum des gesellschaftlichen
Zusammenlebens oder in die politische Sphäre eingreifen, werden sie zum
Gegenstand berechtigter Kritik.
Es verhält sich
ähnlich wie mit dem Antiamerikanismus: Selbstverständlich ist es nötig und
richtig, die jeweilige konkrete Politik der US-Administration zu kritisieren
und oftmals zu bekämpfen. Das gibt aber jenen Ideologien und Diskursen
keinen Freibrief oder keine Legitimation, die die Ablehnung von allem, was
"Amerika" ist oder tut, zu einem geschlossenen Gedankengebäude verdichten,
das meist sehr reaktionäre Implikationen aufweist.
Ansonsten gilt
es, Marx zu folgen, der dafür eintrat, "religiöse Fragen systematisch in
weltliche zu verwandeln". Natürlich wäre es besser, wenn alle Menschen
Atheisten würden, und Emanzipation ist ein notwendiges Ziel. Aber sie lässt
sich nicht gegen den Willen von Bevölkerungen erzwingen. Nicht durch
innerstaatliche Vorschriften, und auch nicht anderswo durch B 52-Bomber. Wo
Menschen sich religiös aufgeladene Regeln gesellschaftlichen Zusammenlebens
zu Eigen machen, weil ihnen dies als Antwort auf das Scheitern anderer
gesellschaftlicher Wege oder auf eine spezifische Unterdrückung erscheinen
sollte, sollten wir mit ihnen über die Gesellschaft reden. Bessere Antworten
als die Religion, jede Religion, haben wir allemal.
Jungle World
Jungle World Nummer 52 vom 17.12.2003
Begriffsklärung:
Islamophobie?
Über die Karriere eines Begriffs...
hagalil.com
21-12-2003 |