Rudolf Hirschs Prozessberichte:
Um die Endlösung
Rezension von Max Brym
Vor einiger Zeit brachte der Dietz- Verlag Berlin die
Prozeßberichte über Nazi- und Kriegsverbrecher von Rudolf Hirsch heraus.
Rudolf Hirsch wurde im Jahr 1907 in Krefeld als Sohn einer wohlhabenden
jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Ab 1933 wurde er von den Nazis durch
ganz Europa gehetzt. Im Jahr 1934 kehrte er noch einmal nach Deutschland
zurück und leistete für die Gruppe "Neu Beginnen" illegale antifaschistische
Arbeit. Im Jahr 1937 wurde die Situation für ihn immer bedrohlicher und er
war gezwungen, das Land seiner Geburt zu verlassen.
Nachdem er in Schweden vergeblich um Asyl
nachsuchte, gelangte er nach Tel Aviv. In Tel Aviv leitete er zusammen mit
Arnold Zweig die dortige Sektion des "Nationalkomitees Freies Deutschland".
Das Gefühl seiner Verantwortung gegenüber seinen jüdischen Leidensgefährten,
vor allem gegenüber seiner Mutter, die er nicht retten konnte, ließ ihn nie
los. Nach seiner Rückkehr nach Ostdeutschland ging er ruhelos bis in sein
hohes Alter zu den zahlreichen Prozessen gegen die Peiniger der Juden und
all der anderen Opfer des Naziregimes und berichtete leidenschaftlich von
ihren Verbrechen. In dieser Aufgabe sah er den Sinn seines Überlebens.
Rudolf Hirsch verstarb im Jahr 1998 in Berlin.
Der Dietz Verlag hat mit der Herausgabe verschiedener Prozessberichte von
Rudolf Hirsch das Verdienst, eine unersetzbare und mahnende Stimme wach zu
halten. Denn wer das Vergangene vergisst, ist unter Umständen dazu verdammt,
das Gleiche noch einmal zu erleben.
Der Aufbau des Buches
Das Buch beginnt mit einem Prozeßbericht um die
"Köpeninger Blutwoche" (1933 ) im Jahr 1950. Der Hauptteil des Buches
beschäftigt sich mit dem ersten Auschwitz Prozeß in den Jahren 1963- 1965 in
Frankfurt am Main und dem zweiten Auschwitz Prozeß 1966. Desweiteren findet
der Leser in dem Buch den Berliner Prozeß gegen den SS-Arzt Fischer ( 1966),
den Euthanasie-Prozeß in Frankfurt am Main 1967, den Majdanek Prozeß in
Düsseldorf in den Jahren 1975-1979, sowie den Lischka Prozeß in Köln
zwischen 1979 und 1980. Alle Berichte zeigen windige kleine und verlogene
Nazimörder. Anwälte, die ihren Berufsstand dazu mißbrauchten, den Mördern
eine historische Legitimation zu geben. Gerichte und Staatsanwälte, die
Nazimörder meist mit Samthandschuhen anfaßten und Urteile fällten, die in
keinem Verhältnis zu den begangenen Verbrechen standen. Schlechtere Papiere
hatten Nazi- Mörder, die in der DDR gefaßt wurden, mit Milde hatten sie
nicht zu rechnen.
Die Auschwitz Prozesse
Wie bereits dargelegt, bilden die Berichte über
die beiden Auschwitz Prozesse den Hauptteil des Buches. Rudolf Hirsch
beschreibt nicht nur den Prozeß, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld.
Hirsch kommt zu der Schlußfolgerung, dass die Prozesse ohne den Eichmann
Prozeß in Jerusalem nicht stattgefunden hätten. Damals wie heute dominierte
die "Schlußstrich Mentalität" das politische Klima in Deutschland. Alle
Kriegs- und Naziverbrechen sollten nach Meinung vieler
Bundestagsabgeordneter im Jahr 1965 verjähren. Die Auschwitz Prozesse
verhinderten dies.
Der Prozeß sagte viel über die bundesdeutsche
Nachkriegsgesellschaft aus. Eigentlich sollte Richard Baer, der letzte
Auschwitz-Kommandant, der Hauptangeklagte sein. Baer verstarb jedoch in der
Untersuchungshaft, nachdem er jahrelang von dem CDU Bundestagsabgeordneten
Fürst von Bismarck auf dessen Gut versteckt wurde. Ein Vertreter der
damaligen Regierungspartei verbarg jahrelang straflos einen Mörder vor der
eigenen Justiz, der den Tod von Millionen Menschen auf dem Gewissen hatte.
Der Hauptangeklagte war deshalb der Hamburger
Großkaufmann Robert Mulka. Die meiste Zeit während des Verfahrens blieb
Mulka, der ehemalige Adjutant des Lagerkommandanten Höß, auf freien Fuß, da
er eine Kaution von 50.000 DM hinterlegen konnte. Selbstverständlich
behauptete Mulka sowie diverse Ärzte, Apotheker, SS- Chargen und Kapos
unschuldig zu sein. Herr Mulka hätte sich angeblich nur um das Gestüt des
Kommandanten gekümmert und mit der Vernichtung nichts zu tun gehabt. Alle
Angeklagten wurden durch Zeugenaussagen, Dokumente und Ortsbesichtigungen
überführt. Die Strafen standen jedoch in keinem Verhältnis zu den begangenen
Taten, die Angeklagten bekamen zwischen 6 und 15 Jahren Haft.
Peinliches
Der Auschwitz Prozeß enthüllte peinliche
bundesdeutsche Realitäten. Das Wirken des Nebenklägers Professor Kaul
machte, trotz aller Angriffe auf ihn, den Zusammenhang zwischen nazistischer
Barbarei und einem entfesselten Kapitalismus deutlich. In Auschwitz Monowitz
betrieb die IG- Farben eine Mordfabrik. In enger Zusammenarbeit mit Höß und
dem WVHA der SS orderte die IG- Farben selbsttätig Sklavenarbeiter von der
SS. Beauftragte der IG- Farben nahmen eine Vorselektion (die Lebenserwartung
der Sklavenarbeiter betrug durchschnittlich 3 Monate) von nicht mehr zu
gebrauchenden Arbeitssklaven vor, die umgehend nach Auschwitz Birkenau
überstellt wurden. Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger erklärte
hierzu: "Wir lehnen die marxistische Theorie ab, dass der Faschismus die
letzte Form des Kapitalismus sei, obwohl, das muß ich zugeben, in der
Zusammenarbeit zwischen IG- Farben und dem Konzentrationslager Auschwitz
viele Indizien dafür sprechen." In dem Prozeß wurden einige
Wirtschaftskapitäne der bundesdeutschen Ökonomie geladen. Darunter einige
Bundesverdienstkreuzträger, die nach ihrer verbrecherischen Zusammenarbeit
mit der SS wieder hohe Funktionen in der Wirtschaft innehatten. Auch sie
hatten natürlich "ein reines Gewissen", dennoch mußte einem Dr. Bütefisch,
vor 1945 verantwortlich für die IG-Farben Filiale Auschwitz, das "Große
Verdienstkreuz der Bundesrepublik" wieder abgenommen werden. Unter Anklage
wurde von den von Professor Kaul geladenen Zeugen niemand gestellt.
Fazit
Das Buch von Rudolf Hirsch ist eine fesselnde
und spannende Lektüre. Es zeigt, wozu Menschen im positiven wie negativen
Sinne imstande sind. Die gesellschaftlichen Ursachen der Naziverbrechen
werden trotz detailgetreuer Schilderung der Naziverbrecher nicht
ausgeblendet. Leider bedient sich der Autor immer wieder vereinfachender
Interpretationen nach dem kleinen 1x1 des Marxismus. Dennoch ist es
entscheidend, den Zusammenhang von Kapitalismus und Naziverbrechen zu
berücksichtigen. Der Nazismus läßt sich ohne marxistische Prämissen nicht
erklären. Die in dem Buch stark gewichteten Auschwitz Prozesse, gaben
wichtige Anstöße für die Studentenbewegung 1968. Vieles wurde kritisch
hinterfragt und eine Beschäftigung mit dem Marxismus war angesagt. In
Auschwitz zeigte sich auch das, was Karl Marx im Kapital beschrieb: "Mit
entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher und man kann es
überall anwenden, 20 Prozent, es wird lebhaft, 50 Prozent positiv waghalsig,
für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinem Fuß, 300
Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf
die Gefahr des Galgens."
Ein
Verhältnis:
Ein Volk und seine
Verbrecher
Die Weisheitssentenz setzt
voraus, daß die Übeltaten der anderen uns in einem tieferen Sinn etwas
angehen, als wir uns in trivialer oder sozialwissenschaftlicher Rationalität
eingestehen. Denn es ist nicht eine Gerechtigkeit der jeweils einzelnen,
deren Summe dann das Volk erhöht - so einfach und so privat ist
Gerechtigkeit nicht zu haben.
Auschwitz-Prozess in Frankfurt:
Die Zeit des
Aufwachens
Heute vor 40 Jahren begann in Frankfurt am Main der Auschwitz-Prozess. Recht
gesprochen wurde über 22 Angeklagte wegen des Massenmordes in Auschwitz. Das
Verfahren gilt als Wendepunkt in der bundesdeutschen Geschichte...
Eine Übersicht aus Prag:
Die
Gerechtigkeit hat viel zu wenige der Nazi-Verbrecher ereilt
Prag (ctk / eb) - Nur wenige der Verbrecher des 2. Weltkriegs
standen vor einem unabhängigen Gericht, wo sie ihre Taten hätten
verantworten müssen.
hr-online.de -- specials/auschwitz-prozess
hagalil.com
26-12-2003 |