Laudatio von Imo Moszkowicz:
Geschwister-Scholl-Preis für Mark Roseman
Der britische Historiker und Erzähler Mark
Roseman wurde gestern für sein Buch Für sein Buch "In einem unbewachten
Augenblick - Eine Frau überlebt im Untergrund" mit dem
Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Roseman habe mit seiner Biografie
einer deutschen Jüdin exemplarisch gezeigt, dass es auch im Dritten Reich
möglich war, großen Mut zu beweisen, urteilte die Jury. Die Auszeichnung,
die in München verliehen wurde, ist mit 10.000 Euro dotiert. Die Laudatio
hielt Imo Moszkowicz.
Imo Moszkowicz
Laudatio für Mark Roseman
anl. der Verleihung des
GESCHWISTER-SCHOLL-PREISES
am 24.November 2003
in der Universität München
"Lieber Mark Roseman,
im August 1997 schrieben Sie mir, dass sich
herausgestellt habe, dass mein Leben einige verblüffende Querverbindungen
mit dem Leben von Frau Ellenbogen aufweist, und dass Sie hoffen, dass mich
ein paar Fragen dazu nicht zu sehr belästigen.
Marianne Ellenbogen kannte ich nur unter dem
Namen Marianne Strauß, und es ist mir sicherlich gestattet, dass ich mich in
meiner Laudatio an diesen Namen halte und lediglich anmerke, dass die
Namensgleichheit zur einstigen bayrischen Landesmutter nur eine rein
zufällige ist.
Noch eine Querverbindung gibt es, schrieben Sie
mir: Marianne ist 1943, als die Familie schließlich doch abgeholt wurde, in
den Untergrund gegangen und wurde durch eine wenig bekannte Gruppe
geschützt, die sich DER BUND nannte. Über diese Gruppe lernte Marianne Hanna
Jordan kennen, die ebenfalls für eine Zeitlang von Angehörigen dieser Gruppe
versteckt worden war.
Diese Hannah Jordan ( auch an den Münchener
Staatstheatern keine Unbekannte ) ist - über Jahrzehnte hin - meine Bühnen-
und Kostümbildnerin gewesen.
Sie befragten Hannah, befragten mich, sowie ca.
40 andere, die Marianne Strauß kannten, bereisten spurensuchend nahezu die
ganze Welt.
Mich zogen Sie mit Ihren Fragen in eine Zeit
zurück, zu der ich mich nicht mehr äußern wollte, denn ich hatte mir
souffliert, dass die Welt mittlerweile genug von der Unbegreiflichkeit der
Jahre zwischen 1933 und 45 weiß, und dass es nicht angehen kann, dass diese
Schrecklichkeit, die mir meine Mutter und sechs Geschwister und meine Jugend
weggerissen hat, jetzt, da mein letztes Jahrzehnt eingeläutet ist, durch
eine erinnernde Rückkehr mich auch dieser Jahre beraubt.
enn: Erinnerung ist nicht nur das Paradies, aus
dem man nicht vertrieben werden kann – wie ein mir zu weiser Rabbi tröstend
behauptet - sie ist zugleich auch die allerquälendste Hölle.
Mein Vorsatz vor keinem Mikrophon, keiner
Kamera, keinem Bleistift mehr mich in diese Vergangenheit zurückziehen zu
lassen, war schon aus einem einzigen Grund nicht haltbar: Wir, die Opfer,
dürfen niemals aufhören das hohe Lied derjenigen zu singen, die in unserem
Lande die Kühnheit hatten ihre Mitmenschlichkeit zu bewahren.
Sie schrieben mit detektivischer Akribie die - wie eine Räuberpistole
anmutende - Geschichte der Marianne Strauss, malten zugleich ein Zeitbild
genauester Art. Immer begleitete Sie die Sorge, dass Ihr Buch niemals wird
zu Ende geschrieben werden, und es war unfertig, als Marianne Strauß im
Dezember 96 verstarb.
Und doch wurde dieses beachtliche Buch daraus, weil Sie, wie Sie schreiben,
ein Stück Geschichte zu Papier bringen wollten, die schmerzliche Geschichte
von Erinnern und Vergessen.
Und Sie taten das mit bewundernswerter
Genauigkeit, setzen aus den oftmals blassen Steinchen des Erinnerns ein
zeitliches Mosaik zusammen, das selbst demjenigen der das Glück hatte diese
Zeit nicht miterlebt haben zu müssen, ein unverzerrtes Bild vermittelt.
Dafür werden Sie heute mit dem
Geschwister-Scholl-Preis geehrt, weil Ihr Buch - im weitesten und wohl auch
naheliegendsten! – Sinn an das Vermächtnis der Geschwister Scholl und all
derer gemahnt, die für ihre unbeugsame Haltung ihre Leben lassen mussten.
Hatte Sie nicht der Holocaust und das
schreckliche Mysterium, das ihn umgab, Historiker werden lassen?
Sie sind in London geboren, in Leeds als Sohn
reformierter jüdischer Eltern aufgewachsen, und wie man so sagt:
bürgerlicher Herkunft. Sie promovierten an der Universität Warwick. Ihre
Mutter hatte es mit einem Preisstipendium zum Studium nach Oxford gebracht,
Ihr Vater, ein studierter Naturwissenschaftler, unterrichtet an der Uni
Logistik. Ihre Eltern leben in Bournemouth, an der Südküste, weil das der
einzige Ort in Grossbritannien mit vernünftigem Wetter sei, wie Sie
anmerken, Ihr zwei Jahre jüngerer Bruder lebt im entfernten Kanada. Sie
haben drei Kinder, sind seit 1990 geschieden, und ziehen bald (wie sie mir
anvertrauten) der Liebe wegen in die Staaten.
Mit einem 'Gut Glück auf den weiteren Liebes-
und Lebensweg' verbindet sich der Dank dafür, dass sie die schwere Bürde,
die durch die Vergangenheit immer noch auf der Gegenwart lastet, und wohl
für eine lange Zukunft lasten wird, mit dem Schicksal der großartigen
Marianne Strauß, deren Charme (wie Sie schreiben) eine 'stahlharte Kante'
hatte, exemplifizierten.
Erlauben Sie mir, es das Anne-Frank-Syndrom zu
nennen, deren Einzelschicksal für viele erst ein Erkennen der Zeit
ermöglichte, denn Millionen Gemordete sind eine abstrakte Zahl, die sich der
Vorstellungskraft entzieht. Anne Frank hat nicht überleben dürfen, Mariannes
Überleben beruht auf den noch aufrecht erhaltenen, menschlichen Beziehungen
zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Welt.
Sie machen klar, dass Marianne ihre jüdische
Identität – wie bei so vielen anderen – ihr erst durch die Nürnberger
Gesetze aufgedrängt wurde; dieses aufgezwungene Jüdischsein war ihr
Schicksal und Bürde.
Sie, Mark, kamen, von dieser Bürde unbelastet,
1982, vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanziert, nach Essen, um
für Ihre Promotion an der Universität Cambridge eine Arbeit über die
Bergarbeiter an der Ruhr zu schreiben. Sie wurden sofort Mitglied der damals
noch winzigen Jüdischen Gemeinde, denn mit wenigen Ausnahmen , zu denen auch
ich gehörte, waren die Essener Juden aus der Vorkriegszeit nur noch als
Geister zugegen, deren Namen in Grabsteine gemeißelt oder auf Gedenktafeln
des jüdischen Friedhofs eingraviert, zu finden sind.
Dr. Jamin vom Ruhrlandmuseum bat Sie, ein
Interview mit der Essenerin Marianne Ellenbogen, geborene Strauß, die
derzeit in Liverpool lebte, zu machen. Sie hatte einen bemerkenswerten
Artikel über ‚Flucht und illegales Leben während der Nazi-Verfolgunsjahre
1943-45’ geschrieben.
Daraus entstand ein Sog, ein Buch über ihr
Schicksal zu machen, und so schrieben Sie IN EINEM UNBEWACHTEN AUGENBLICK,
gefördert von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung.
Ihr Buch wollten Sie unbedingt zuerst in
deutscher Sprache verlegt wissen und Astrid Becker gelang eine
bewundernswerte Übersetzung. Inzwischen ist es auch unter dem Titel A PAST
IN HIDING in englischer, und unter dem Titel IL PASSATO NASCOSTO in
italienischer Sprache erschienen.
Die heutige Auszeichnung gesellt sich zu dem
Fraenkel – Preis, den die Wiener Library, London, Ihnen im Jahr 2000
verlieh, dem 'Wingate Literary Prize 2001' und dem Lucas Prize Project Mark
Lynton, 2002.
Nachdem ich Ihr Buch gierig verschlungen hatte,
schrieb ich Ihnen: "Welch' tiefverknüpften Teppich haben Sie, Mark, mit
Ihrem grandiosen Buch über Marianne Strauß für alle Zeiten gewoben!
Mit tränennassen Augen habe ich soeben (heute ist der Tag der Shoah in
Israel) das meisterhaft geschriebene Werk zu Ende gelesen, das mich –
partiell - das Verfolgtsein noch einmal durchleben ließ.
Mit schmerzhafter Intensität ruft ihr Buch diese
unbegreifbare Zeit zurück, sagt mir Vieles, das in meiner Erinnerung immer
nach Konturen suchte und jetzt wieder greifbar nah geworden ist.
Ihr Dokument einer Judenverfolgung, das die jahrtausendalte Liste um einen
weiteren mörderischen Gewaltbericht verlängert, läßt mich die auf dem Foto
so wissend lächelnde Marianne fragen: 'Ist es nicht schrecklich ein Jude zu
sein?'
Und antwortet sie nicht, dass es zumindest unmenschlich ist dafür unentwegt
(!) durch eine Hölle des Leidens zu müssen?
Ich umarme Sie!"
So endet meine Mail.
Der Geschwister-Scholl-Preis wird Ihnen heute in
einem Raum übergeben, in dem lebenshungrige Menschen – wie Machiavelli sagt
- 'der Verzweiflung, die jeden Irrweg aus einem Labyrinth geht und Mittel
findet, auf die man durch freie Willensäußerung nicht kommt' Ausdruck gaben.
War es nicht diese Verzweiflung, die die
Namensgeber dieses Preises in den Tod getrieben hat?
Die Hoffnung, dass durch ihre mutige Tat ein
rasches Ende des Schreckens herbeigeführt werden könnte, war doch längst
schon im brutalen Reich von Macht und Gewalt in ihren ekligen Morast
abgesunken. Dennoch taten sie, was ihnen ihre moralische Verpflichtung, ihr
Glaube, zu tun befahl, und folgten einem Zwang, der in jener Zeit irrational
(also verstandesmäßig nicht fassbar, vernunftwidrig, unberechenbar) war.
Sie taten was sie getan, damit nicht 'Gewissen Feige aus uns allen macht!' –
wie Hamlet sagt.
Helden? Nein auch sie nicht!
Wie es auch die vom Essener BUND nicht waren und
wohl auch niemals sein wollten.
Der von Artur Jacobs gegründete BUND bezog sich auf die Normen und Werte der
Linken aus der Weimarer Zeit. Und es ist bewundernswert, wie Sie, Mark
Roseman und Marianne, so durch die Jahre hin, bemüht waren, dass diesem BUND
auf der Liste der "Gerechten unter den Völkern", die im Jerusalemer Yad
Vashem geführt wird, die ihnen zustehende Ehre zu geben.
Bis heute vergebens!
Damit Mariannes Wunsch wenigstens posthum in
Erfüllung gehen kann, bitte ich - von dieser historischen Stelle aus - die
Verantwortlichen des Yad Vashem, ihr zögerliches Verhalten erneut zu
überprüfen und jenen die Ehre zu geben, denen sie - last not least -
gebührt.
In Ihrem Buch schildern Sie, wie still die
Helfer mit den damals lebensgefährlichen Schwierigkeiten, Menschlichkeit zu
üben, umzugehen verstanden.
Über die unmenschliche Belastung, dass die Verfolgten bei einem Misslingen
ihrer Rettung auch den Tod der Erretter und deren in Sippenhaft genommenen
Familien in Kauf nehmen mussten, ist erstaunlich wenig berichtet worden. In
Ihrem Buch aber glaube ich die Bedeutung dessen zwischen den Zeilen zu
lesen.
Oder habe ich sie mir nur hineingewünscht?
Sie berichten von dem SS-Mann Arras, der nach
außen so tat als ob er ein hundertprozentiger Hitleranhänger wäre, in
Wirklichkeit aber - im Soldatenrock der Wehrmacht - das alles unterwanderte.
Er war der Postillion der Liebe zwischen Marianne und ihrem Geliebten Ernst
Krombach, brachte Briefe und Pakete nach Izbica, einem von SS bewachtem
Warteraum zu den Gaskammern, in dem auch meine Mutter und einige meiner
Geschwister eingesperrt waren, und brachte Briefe von dort zurück.
Als er uns aufsuchte., um von den unmenschlichen Zuständen in Izbica zu
berichten, hielten wir ihn für einen Spion der Gestapo, der uns aushorchen
sollte.
In diese Zeit fällt mein näheres Kennenlernen
der Marianne Strauß, die in unserer Kindheit oft in meiner Geburtsstadt
Ahlen in Westfalen war, denn ihre Grosseltern mütterlicherseits lebten in
Ahlen. Die Begegnung mit ihr wurde allerdings erst konkreter, als die Stadt
Ahlen dem Führer ihre Stadt als erste im Reich 'judenrein' vermeldete und
wir dieserhalb nach Essen ziehen mussten.
So begann die Konzentration der Verfolgten, so
auch die mir unvergessliche Begegnung mit Marianne, die mit schönstem Elan
die Barriere zwischen S'phardim und Aschkenasim, zwischen Ost- und
Westjuden, die selbst in der unbehaglichen Aura der nahenden Katastrophen
noch immer zu bemerken war, niederriss.
Im Barackenleben Steele – Holbeckshof besuchte
sie uns, die wir als Kohlentrimmer auf dem RWE schufteten, wohl jeden Tag,
förderte mit jedem Hoffnungsblick aus 'ihren Glutaugen' –so bezeichnen sie
sie treffend, Mark! - den längst schon müde gewordenen jüdischen Stolz,
demonstrierte beispielhaft, dass Liebe auch in bedrohlicher Zeit ihr Recht
beanspruchen darf.
Wir begriffen allerdings nicht, warum sie eine
Privilegierte war, die kommen und gehen konnte, wann immer sie wollte. Sie
haben mich mit Ihrem Buch die ganze Wahrheit wissen lassen: Canaris schützte
die Familie Strauß.
Das 'Unternehmen Sieben', das Canaris 1942 auf
von Dohnanys und Bonhoeffers Geheiß als 'Liste der Protegés' für die Abwehr
erfand, schützte die Familie Strauß. Die Idee war: jüdische Menschen als
Spione in Südamerika einzusetzen, und sie so zu retten; was immerhin mit 15
Seelen gelang. Von Dohnany bezahlte diese Kühnheit mit dem Leben. Der Plan
scheiterte an einem Einwand Himmlers, der die sofortige Überstellung nach
Theresienstadt anordnete; im Zuge dieser Aktion floh Marianne IN EINEM
UNBEWACHTEN AUGENBLICK.
Das 'Unternehmen Aquilar' des Bankdirektors
Hammacher (um ein weiteres Beispiel zu nennen) der Holländer jüdischen
Glaubens aus der Verzweiflung des Verfolgtseins riss, ist – wie das
'Unternehmen Sieben’ - in der reflektierenden Öffentlichkeit, die als
Meinungsmacher für das politische Klima zuständig ist, erstaunlich wenig
beachtet worden. Wieviel verleumderisches Verkennen begeleitet selbst die
Aufständischen des 20.Juli, die, bis zum heutigen Tag, vielfach als Verräter
tituliert werden.
'Verleumderisches Verkennen' – ich kann dieses
Stichwort nicht übergehen, ohne auf die schmutzigen Kampagnen hinzuweisen,
die mein langjähriger Chef, der Intendant, Regisseur und Schauspieler Gustaf
Gründgens zu erdulden hatte.
Durch Nutzung seiner von Emmy Göring geförderten
Karriere setzte er sein enormes taktisches und schauspielerisches Talent
ein, um jüdische Menschen zu schützen.
Das ist die blanke Wahrheit, bewiesen von den Zeugen der Zeit!!
Das Heulen mit den Wölfen war auch bei ihm – wie bei ach so vielen – nur ein
Überdecken der eigenen Ängste.
Wer sich zeitkritisch äußert, der sollte die
Tatsache bedenken, die mit dem Anlass der heutigen Verleihung eng verbunden
ist, die Tatsache nämlich, dass niemand auf der weiten Welt voraussagen
konnte, wann das 1000jährige Reich zu Ende sein würde.
Selbst als Deutschland schon lange nicht mehr an
allen Fronten siegte, das Ende bereits abzusehen war, wir dennoch nach
Auschwitz verbracht wurden, konnte keiner sagen, dass es noch mehr als zwei
Jahre dauern wird; viele hofften vielmehr, dass der Spuk bald zu Ende sein
müßte. In dieser Ungewissheit ist in vielen Fällen die Begründung zu suchen,
wieso Menschen die Kühnheit aufbringen konnten, sich gegen die Staatsmacht
zu stellen.
Es muss gesagt sein – von mir gesagt sein – das
es nicht nur einflussreiche Prominente waren, die ihre Positionen nutzten,
um so handeln zu können. Allerorten gab es Menschen, die dafür sorgten, dass
das Übel sich nicht vermehrte.
Von einer Viertelmillion jüdischer Menschen, die
1939 noch in Deutschland verblieben waren, überlebten wahrscheinlich weniger
als 3000 im Versteck, die Hälfte davon in Berlin; unter ihnen Hänschen
Rosenthal, Michael Degen, Manfred Joffe.
Hier muss ich aus tiefbewegtem Herzen Kund von
einer Ahlener Bergarbeiterfrau tun, die meine hungernde Familie mit
Lebensmitteln versorgte, die sie über Jahre vom elterlichen Bauernhof
organisierte; Tante Tres'chen tat dieses unter den Augen der Gestapo,
riskierte ihr Leben.
Von vier westfälischen Bauernfamilien gilt es
ebenfalls zu berichten, die Anfang 43 – da war Stalingrad bereits gefallen!
– einen Ahlener Pferdehändler mit seiner Frau und seinem Töchterchen
versteckten, die mit mir hätten nach Auschwitz müssen. Die unterschiedlichen
Motivationen des unglaublichen Handelns beschäftigen mich derzeit ungemein,
weil ich über diese Bauern ein Drehbuch zu einem Film schreibe, der ab Mai
nächsten Jahres, von mir gedreht werden soll.
Der Bauer Aschoff handelte aus Gutmütigkeit, ein gegebenes Versprechen
einhaltend,
Bauer Pentrop fühlte sich als Kirchenvorstand zu menschlichem Handeln
verpflichtet,
Bauer Silkenbömer war ein Hasardeur, der den versagenden Kriegstaktiker
Hitler zutiefst verachtete,
Bauer Schulte – das schwächste Glied in dieser gefährdeten Kette- hatte bei
dem Pferdehändler Spiegel Schulden.
Als ich (vor zwanzig Jahren etwa) dem wdr diesen
unglaublichen Stoff vorlegte, wurde er mit dem Vermerk abgewiesen, dass wir
– wörtlich! – 'dieses Thema nicht noch mehr strapazieren wollen'.
Jetzt hat sich ein Produzent gefunden, der mutiger zu sein scheint.
Ihre Schilderung dieser Zeit zwingt meinem
Langzeitgedächtnis Erinnerungen auf, die mich ruhelos halten. Ruhelos
insbesondere deswegen, weil mich ein schlechtes Gewissen plagt, ob ich mich
bei denen, die uns in jenen Jahren beistanden, zumindest uns zu helfen
versuchten, ausreichend bedankt habe.
Aus Ihrem Buch, Mark, ist erlesbar, dass die
Devise immer lauten musste: einen Steg zu bauen, über die man Verfolgte von
einer Zeit in die nächste führen konnte, gestützt von der Hoffnung, dass das
doch bald ein Ende haben wird.
Als ich ihr Buch, in der Absicht es zu
verfilmen, einem Filmlektor vorlegte, lautete der letzte Satz der durchweg
positiven Analyse: "Doch um es hier direkt zu sagen, ohne die Pietät
preiszugeben: Es reicht nicht, um daraus einen Film zu machen. Die eigene
Schuldhaftigkeit schwingt zu sehr mit."
'Die eigene Schuldhaftigkeit' – eine
Feststellung, die eine objektive Zeitbetrachtung von Anfang an erschwert
hat. Am schwierigsten war es wohl immer da, wo die Tatsache, das es Nazis
gegeben hat, die keine Antisemiten waren, und noch um einiges schwieriger
da, wo Antisemiten, mit mörderischer Lust, ihren unterschwelligen
Antisemitismus kultivierten, obwohl sie keine Nazis waren.
Diese Widersprüchlichkeit untersuchen und
benennen Sie ohne nachsichtige Beschönigung, zeigen sich auch hier des
leidenschaftlichen Historikers würdig. Sie prüfen sehr genau die Löcher in
der Erinnerung, die meistens dort entstehen, wo die Schmach des
Erduldethabens für die brutale Wahrheit blind macht, weil man mit ihr nicht
weiterleben kann.
"Das Gesetz des Lebens zu erkennen und zu
befolgen" notiert Marianne Strauß in ihrem Tagebuch, einem Tagebuch des
Grauens und der Finsternis.
'Das Gesetz des Lebens –--'‚dem viele zu folgen suchten, denn es heißt ja
wohl zu allererst: 'das Leben zu erhalten';
'Das Gesetz des Lebens zu erkennen ---' meint das nicht, dass wir erkennen
müssen, das Hass und Rache menschenunwürdig sind?
"Das Gesetz des Lebens zu erkennen und zu befolgen." --- der
Geschwister-Scholl-Preis, der heute an den Historiker Mark Rosemann vergeben
wird, mahnt diese Forderung bedeutungsschwer ein.
Erlauben Sie einem Regisseur, der ein
Schicksalsgefährte der vom Mark Roseman auf so meisterliche Weise dem
Vergessen entzogenen Marianne Ellenbogen, geborene Strauß, war, mit einem
Zitat zu enden, das mich in eine Zwiespalt trieb als ich Brechts GALILEO
GALILEI inszenierte.
"Wehe dem Land, das Helden nötig hat!" gewichtete Will Quadflieg in der
Rolle des Galilei diese Mahnung an die Welt.
...Helden nötig...
Meine Erfahrung diktierte mir jedoch eine andere Gewichtung:
"Wehe dem Land, das Helden nötig hat!"
...nötig hat...
Und wir hatten in jener dunklen Zeit viele
Helden nötig, einigen setzen Sie in Ihrem Buch IN EINEM UNBEWACHTEN
AUGENBLICK ein markantes Denkmal.
Ihnen gebührt der Geschwister-Scholl-Preis
2003 in seiner ganzen historischen Bedeutung.
Gratulation!"
hagalil.com
25-11-2003 |