Luther:
Ein Film in Deutschland
Von Max Brym
Äußerst erfolgreich läuft in den Kinos in
Deutschland der Film "Luther". Uwe Ochsenknecht, der darin Papst Leo den X.
spielt, erklärte anlässlich der Filmpremiere in München: "In Deutschland
fehlen uns Personen mit dem Mut und der Charakterstärke eines Martin
Luther". Das passt in die gegebene politische Landschaft, versuchen doch
gerade jene die den sozialen Kahlschlag in Deutschland durchsetzen, sich
selbst mit Attributen wie "reformstark" ,"mutig" und "charakterstark"
hervorzutun.
Wenn in diesem Kontext die Geschichte benützt,
verklärt und entstellt wird, so ist das im Sinne der politischen Kaste. Gut
gemachte Verklärung garniert mit Halbwahrheiten zeichnen den Film "Luther"
aus.
Luther war kein theologisch inspirierter Held
In dem Film wird der Bauernsohn und spätere
Professor Luther zum deutschen Helden, der sich in der Tat dem widerwärtigen
Ablasshandel der römischen Kirche entgegenstellte. Der Ablasskrämer Tetzel
wird im Film demaskiert und die Werbetechniken des katholischen Klerus in
Sachen Seelenheil plastisch dargestellt. Der Protest dagegen war im
damaligen Deutschland völlig gerechtfertigt, Papst Leo der X. hatte einen
Ablass ausgeschrieben, der ihm die ungeheure Summe von 50.000 Dukaten
einbringen sollte. Als Haupteinkommensquelle sah der Vatikan das feudal
zersplitterte Deutschland vor. In den ökonomisch fortschrittlichen,
absolutistischen Monarchien Spanien, Frankreich und im österreichische
Kernimperium war der Katholizismus nur noch in der Funktion, den
Absolutismus ideologisch abzusichern oder wie in Spanien, die Ideologie mit
polizeilichen Repressalien zu ergänzen. In diesen Ländern hatte der König
das entscheidende Wort bei der Besetzung der höheren geistlichen Stellen.
Gelderhebungen für den Papst ohne Zustimmung des Königs waren verboten.
Diese Länder hatten sich von der römischen Ausbeutung zu befreien gewusst
und sich nunmehr vom Papsttum loszureißen lag ihnen umso ferner, als sie
daran denken konnten, den Papst selbst zu ihrem Werkzeug zu machen und durch
ihn über die ganze Christenheit zu herrschen.
Als Herren des Papstes wollten sie die
christlichen Völker ausbeuten. Der damalige deutsche Kaiser eroberte zuerst
Rom, um dann um so unerbittlicher den Katholizismus zu verteidigen. Relativ
breiten Handlungsspielraum hatte die katholische Kirche im fürstlich
dominierten Deutschland. Die frühbürgerlichen Zustände hatten über die
verallgemeinerte Ware-Geld-Beziehung, die Bauern in maßloses Elend gestürzt.
Die Ausbeutung auf der Basis von Naturalabgaben hatte natürliche Grenzen,
mit der entscheidenden Rolle des Geldes war der Ausbeutung keine Grenze mehr
gesetzt. Das Land hungerte, sowohl der weltliche wie der klerikale Adel
griff nach den Gemeindewiesen und den Wäldern der Bauern. Grund und Boden
wurden dem Wertgesetz unterworfen, was bedeutete, Grund war am wertvollsten,
wenn möglichst wenig Personen einen möglichst großen Ertrag erbrachten.
Massenhaft wurden Bauern von ihren Höfen
vertrieben und einer schrecklichen Blutgesetzgebung unterworfen. Längst
hatte sich die mittelalterliche "Gemütlichkeit" (der Begriff blauer Montag
stammt aus dieser Zeit) in Luft aufgelöst. Unter dem Gesetz der
Profitmaximierung war der Spruch "unterm Krummstab ist gut leben" obsolet
geworden. Die katholischen Feudalherren waren mit dem Handelskapital
verwoben, die Ware-Geld-Beziehung senkte die katholische Armenfürsorge
dramatisch, jene wurde jedoch nie ganz eingestellt. Bestimmte Dinge sind
sehr langlebig, die christlichen Feiertage wurden später ein Ärgernis für
die liberalen "Manchester-Kapitalisten". Aber zurück in die Vergangenheit
und zum Film.
Der Film zeigt einen Martin Luther, wie er zum
Teil wirklich war. In seiner Zeit war er ein glänzender Redner, der Herr
Professor aus Wittenberg vergaß über den Professor den Bauern nicht. Seine
Vorlesungen an der Universität waren tatsächlich ein Renner. Mit beißender
Ironie und Schärfe geißelte er die Doppelmoral der katholischen Kirche, eine
Zeitlang sympathisierte er mit den revolutionären Bestrebungen der
Bauernschaft. Letzteres zeigt der Film nicht. Statt dessen werden seine 95
Thesen, die er im Herbst 1517 an die Kirche in Wittenberg nagelte, zur
revolutionären Tat verklärt. In Wirklichkeit waren diese Thesen nur eine
bescheidene Anklage "gegen die missbräuchliche Handhabung des
Ablasshandels." Die päpstliche Autorität stellte Luther mit diesen Thesen
nicht in Frage.
Nach den Thesen zu Wittenberg entwickelten sich
die Kämpfe der damaligen politischen Lager in Deutschland in einer neuen
Dimension. Der Kurfürst Friedrich von Sachsen war für seine Person ein sehr
frommer, gläubiger, ja selbst bigotter Katholik, aber auch damals schon
hörte in Geldsachen die Gemütlichkeit auf und er verbot den Ablasskrämern
das Betreten seines Landes. Die Krämer wollten sich ursprünglich mit
besonderem Eifer auf das Kurfürstentum Sachsen stürzen, das damals durch den
Segen seiner Bergwerke das reichste Land in Deutschland war. Dieser
sächsische Kurfürst wird im Film zum liebenswerten alten Mann mit Sinn für
den Reformator Luther. Nirgendwo wird gezeigt, dass es bei dieser
Unterstützung um nichts anderes als den schnöden Mammon ging. Der "Held"
Luther hatte deshalb einen bestimmten Mut, weil die Fürstenbande selbst ihre
Bauern schröpfen wollte und deshalb dem in Eisleben geboren Luther unter
ihre Fittiche nahm.
Luther hatte mit seiner Bibelübersetzung ins
Deutsche entscheidenden Anteil an der Herausbildung der deutschen Sprache.
Im Film wird nur gezeigt, wie die Übersetzung der Bibel den sächsischen
Kurfürsten erfreute. Dass die Übersetzung dadurch auch urchristliche Texte
bekannt machte und damit den Bauernaufstand von 1525 befruchtete, wird
dezent verschwiegen.
Luther der Fürstenknecht
Am 2. April 1525 erhoben sich in vielen Teilen
Deutschlands die Bauern. Die wachsende Not, die mit der Umwandlung der
Natural- in die Geldwirtschaft über die bäuerliche Klasse gekommen war,
hatte seit dem Jahre 1476 eine Reihe von bäuerlichen Aufständen, namentlich
in Süddeutschland hervorgerufen. Darunter die Bauernverschwörungen, die
unter dem Namen des Bundschuhs und des armen Konrads historischen Ruf
gewonnen hatten. Aber sie alle blieben örtlich beschränkt und wurden bald
niedergeschlagen. Erst als die Reformationsbewegung das ganze Land in seinen
Tiefen aufwühlte, gelang eine Bauernverschwörung über das ganze Reich hin.
Im Reformationsstreit spielte Luther als
Getriebener eine positive Rolle. Trotz aller Protektion durch bestimmte
Fürsten, kokettierte Luther eine Zeit lang relativ offen mit den bäuerlichen
Anliegen. Das änderte sich fast schlagartig als der Bauernaufstand begann.
Luther wand sich in einer klösterlichen Zelle in "religiöser Pein" (das wird
in dem Film gezeigt), um dann geläutert gegen den Bauernaufstand Front zu
machen. Letzteres unterschlägt der Film komplett, Luther bedauert nur die
Opfer und das Blutbad. In Wahrheit riet Luther zunächst seinen fürstlichen
Brotgebern mit den Bauern zu verhandeln, um Zeit zu gewinnen. Ein Gedanke,
den der Adel selbst hatte, denn der Aufstand kam überraschend. Nachdem die
Starre gewichen war, veranstalteten die "Blaublütler" ein entsetzliches
Bauernmassaker. Am 6. Mai 1525 veröffentlichte Luther seine Schrift "Wider
die räuberischen und mordenden Bauern". Darin animierte Martin Luther die
Fürsten dazu, "zu hängen, zu schlagen" und "zu töten". Doch dieses Pamphlet
im blutrünstigen Henkerstone war nur eine leere Prahlerei, denn die Fürsten,
evangelische wie katholische, bedurften seiner Mahnung gar nicht, um ein
grausames Gemetzel unter den Bauern anzurichten.
Einen wirklichen Dienst im Bauernkrieg leistete
Luther seinen Brotgebern dennoch, er denunzierte mehrmals den
bäuerlich-plebejischen Revolutionär Thomas Münzer (1490- 1525). Luther war
ein kriechender Fürstenknecht geworden. Aus seiner Bibelübersetzung machte
er nunmehr einen Fürstenkatechismus. Die evangelischen Fürsten reformierten
in ihrem Sinne, indem sie sich zu obersten Bischöfen ihrer Landeskirche
erklärten, das Luthertum durch ihre Hofpfaffen zu einer Religion des
beschränkten Untertanenverstandes ausbilden ließen und namentlich die
reichen Kirchengüter in ihre Tasche steckten. Der Protestantismus setzte
sich im wesentlichen in den rückständigsten deutschen Landesteilen fest und
wurde zur Haus und Hofreligion des späteren preußischen Adels.
Luther der Antisemit
Der späte Luther war ein erklärter Antisemit. Um
es genauer zu sagen, der erste völkisch "moderne" Antisemit auf deutschem
Boden. Luther erweiterte den christlichen Antijudaismus der katholischen
Kirche. Nicht ohne Grund verteidigte sich Julius Streicher im Nürnberger
Kriegsverbrecherprozess mit Zitaten von Martin Luther. Der Film "Luther"
verschweigt diese Tatsache vollständig. Damit entspricht der Film dem
Zeitgeist, denn man kennt zwar Antisemiten oder ist gar selbst einer, aber
man spricht nicht darüber.
Die Person Luther begann ihre Karriere nicht als
Antisemit. In einigen seiner Reden an der Universität zu Wittenberg wandte
sich der junge Luther gegen die Exzesse des christlichen Antijudaismus.
Ungeachtet dessen wollte Luther stets die Juden bekehren. Nachdem er sich in
einen vollständigen Fürstenknecht verwandelte und sein Lob auf die abstrakte
Arbeit zugunsten der Fürsten sang, entwickelte Luther massiv Elemente des
"modernen" Antisemitismus. Luther adelte die Arbeit als solche und verklärte
sie zur höchsten Tugend des Christenmenschen. Die Verausgabung von Schweiß
ohne nach dem Sinn des Ganzen zu fragen erklärte Luther zur höchsten Tugend
des Christenmenschen. Im Gegensatz zum Kalvinismus hatte Luther einen extrem
engen Arbeitsbegriff, der Schweiß an sich, ohne nach dem Gebrauchswert der
Glocke zu fragen, war für Luther das non plus ultra.
Selbstverständlich verband er dies mit einem
extremen Untertanengeist gegenüber der "gottgegebenen Obrigkeit". Zudem
verstand sich Luther als "deutscher Patriot". Er konstruierte zu seinem
Nationalismus und seinem Arbeitsbegriff ein Gegenvolk. Dieses Gegenvolk
waren die Juden, Luther schrieb, "daß das deutsche Geld und Gut durch den
schmarotzenden und wucherischen Juden bedroht sei". Weiter schrieb Luther
über den angeblichen Gegner: " Sie faulenzen, pompen und braten Birnen,
fressen, saufen, leben sanft und wohl von unserem erarbeiteten Gut". Luther
entwarf ein Konzept der Zwangsarbeit für Juden, war aber zugleich skeptisch
bezüglich des Erfolgs. Deshalb plädierte er für ihre Vertreibung, "dass man
ihre Synagoge oder ihre Schule mit Feuer anstecke und was nicht verbrennen
will mit Erde überhäufe".
Der moderne Antisemitismus des neunzehnten und
zwanzigsten Jahrhunderts, konnte sich stark auf den reaktionären
Antijudaismus der katholischen Kirche stützen. Wesentlich stärker allerdings
auf den offenen Antisemitismus eines Martin Luther. In der Endphase der
Weimarer Republik erwiesen sich neben den roten Arbeiterzentren die
mehrheitlich katholischen Gebiete als wesentlich resistenter gegen die
nazistische Ideologie als das protestantische Milieu.
Es geht nicht an, einen vollkommen unkritischen
Lutherfilm in den Kinos zu tolerieren. Luther war kein Heiliger, sondern ein
Mensch aus Fleisch und Blut in einer konkreten historischen Situation. Ein
Mensch in seinem Widerspruch, wer die reaktionären und barbarischen Seiten
von Luther nicht kritisiert, von dem ist in der Gegenwart nichts gutes zu
erwarten.
hagalil.com
26-11-2003 |