Christliche Judenfeindlichkeit:
"Lasst uns beten für die treulosen Juden"
Die antisemitische Rede des
CDU-Abgeordneten Martin Hohmann ist kein zeitgenössisches Phänomen.
Sie steht in einer 2.000 Jahre alten Tradition christlicher
Judenfeindlichkeit
Von Philipp Gessler
"Ach", seufzte ein Franziskaner-Pater vor 20
Jahren nach den ersten 100 Tagen des neuen Bischofs seiner Fuldaer
Diözese, Johannes Dyba, "in manchen Gegenden unseres Bistums wird
man die Früchte des Konzils nur mit Waffengewalt einführen."
Progressivere Katholiken lästerten bis zu seinem Tod vor drei Jahren
gern über den reaktionären Oberhirten - konservative dagegen
himmelten Dyba an. Einer von ihnen: Der Bundestagsabgeordnete Martin
Hohmann, der für die CDU im Städtchen Neuhof nahe Fulda ein
Direktmandat errang. Und am 3. Oktober eine Rede hielt.
Wer sie sich in Gänze antut, dem muss auffallen: Sie
ist nicht nur klar antisemitisch, sondern auch ziemlich christlich.
Es wimmelt nur so von christlicher Terminologie und theologischen
Bezügen wie "Erbsünde", "das Böse", "Gott", "Papst" - bis zur
Conclusio: Weder "die Deutschen" noch "die Juden" seien ein
"Tätervolk", sondern "die Gottlosen". Da wundert es nicht, dass
Hohmann etwas für eine bräunliche Grundsatzschrift des
"Arbeitskreises konservativer Christen" schrieb, deren obskure
Homepage Links zu Neonazis lieferte. Hohmann ist deutlich vom
klassischen, christlichen Antijudaismus durchdrungen. Seine meist
gut katholischen Zuhörer nahmen keinen Anstoß an der Rede, im
Gegenteil. Der C(!)DU-Mann und sein Publikum sind ja auch Produkte
einer 2.000 Jahre alten Geschichte von Mord und Schande.
Jesus war Jude, die Gottesmutter Maria, alle Apostel
- und dennoch gab es von Anfang an Spannungen zwischen Juden und
Christen, die ursprünglich nur eine jüdische Sekte waren. Schon in
den ersten Schriften des Neuen Testaments finden sich antijüdische
Tendenzen, etwa bei Paulus, der sie als Gottesmörder beschimpft
(siehe Kasten). Das war schon damals falsch, denn der Römer Pontius
Pilatus kreuzigte Jesus, nicht "die Juden".
Dennoch verfestigte sich schnell unter den Christen
der Ruf der Juden als "Gottesmörder". Anfangs wurden auch Christen
von Juden umgebracht, etwa der erste christliche Märtyrer Stephanus,
gesteinigt Mitte der 30er-Jahre. Sobald das Christentum in Roms
Reich Staatsreligion wurde, also seit Konstantin ab 313, wurden
umgekehrt die Juden durch Christen verfolgt und diskriminiert. Schon
Anfang des 4. Jahrhunderts war es Christen verboten, Juden zu
heiraten, ja mit ihnen zu essen. Und das sollte die nächsten knapp
anderthalb Jahrtausende so bleiben.
Gerade im Mittelalter blühte die Judenfeindlichkeit
der Christen. Schon beim ersten Kreuzzug 1095 kam es zu Pogromen,
bei denen über 10.000 Juden massakriert wurden. So setzte sich die
Judenverfolgung fort, meist in Wellen. Die Juden wurden die
klassischen Sündenböcke für alles Böse. Wenn die Pest ausbrach etwa,
ganz schlimm bei der europaweiten Pestepidemie um 1348.
Über die religiöse Euphorie des Hochmittelalters
verwurzelte sich der christliche Antijudaismus in die Frömmigkeit
des einfachen Volkes. Absurde Gräuelgeschichten, so angebliche
"Hostienschändungen" durch Juden oder jüdische Ritualmorde an
christlichen Kindern, verankerten sich tief ins christliche Denken
und Leben. Die Wallfahrt zur Deggendorfer Gnad in Bayern etwa wurde
erst 1992 eingestellt. Dagegen gab es Proteste von Christen. Sie
wollten weiter dort eines angeblichen "Hostienfrevels" durch Juden
gedenken.
Die Kirchen der Reformation machten es kaum besser -
antijudaische Sentenzen des alten Luther wirkten lange nach. Im 19.
Jahrhundert dann verband sich der religiöse Antijudaismus der
Christen mit dem damals modernen (Rassen-)Antisemitismus, der
allerdings wegen seiner Anlehnung an Darwin von den Kirchen
abgelehnt wurde - zumindest der Theorie nach.
Die Nazis konnten mit ihrem rassisch motivierten
Judenmord auf dem religiösen Antijudaismus aufbauen. Das Schweigen
der meisten Katholiken und ihres Papstes beim Massenmord am
"auserwählten Volk" liegt auch darin begründet. Zwar wurden die
Nazis anfangs eher von norddeutschen Protestanten gewählt. Viele
NS-Judenmörder aber waren gute Katholiken. Und erst 1959 setzte
Papst Johannes XXIII. die Streichung der antijüdischen Fürbitte
"Oremus et pro perfidis Judaeis" ("Lasst uns auch beten für die
treulosen Juden") aus der weltweit festgeschriebenen
Karfreitagsliturgie durch.
Seit dem Vatikanischen Konzil (1962-65) bemüht sich
die offizielle katholische Kirche, die traditionelle
Judenfeindschaft aus ihren Gemeinden zu vertreiben. Der heutige
Papst Johannes Paul II. hat offiziell um Vergebung für die
Jahrtausende alte Judenfeindschaft seiner Kirche gebeten. In den
letzten Jahrzehnten erforschten Theologen immer tiefer die
"jüdische" Seite Jesu - doch in der Volksfrömmigkeit und im Denken
konservativer Christen vom Schlage eines Martin Hohmann sind 2.000
Jahre Judenfeindlichkeit des Christentums nur schwer zu verdrängen.
Dabei war das christliche Abendland des Juden Jesus immer auch
jüdisch geprägt. Nicht nur CDU-Volksvertreter aus Neuhof tun sich
schwer, das zu begreifen.
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17-11-2003
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