"Das Wunder von Bern":
Gut gemachter Humbug und nationaler Wahn
Von Max Brym
Der Film von Sönke Wortmann "Das Wunder von Bern" wird
ein Kinorenner und rührte bereits Kanzler Schröder zu Tränen. Überall im
Lande soll des Wunders von Bern im Jahr 1954 gedacht werden. Dabei steht
nicht die sachlich fachliche Erinnerung an den überraschenden Gewinn der
Fußballweltmeisterschaft durch das deutsche Team im Mittelpunkt, sondern die
Wiedergewinnung von nationalem Stolz. Im Jahr 2003 ist dies neuerlich eine
Herzensangelegenheit der gesamten politischen Kaste.
Kanzler Schröder sprach kürzlich von einer "neuen
deutschen Normalität" und der "Wiedererlangung unserer Souveränität" (Rede
zum Tag der Deutschen Einheit 3.10.03). Die Erinnerung an Bern, die Tore von
Helmut Rahn im Endspiel gegen Ungarn 1954, dienen filmisch aufbereitet der
deutschen Geschichtsentsorgung, dem Kult der harten Männer und der
Durchsetzung deutscher Interessen im Weltmaßstab. Ein Fußballspiel wird für
reaktionäre politische Konzepte mißbraucht, ein völkischer Mythos
weiterentwickelt. Deshalb weint der Kanzler, nicht wegen dem in Wirklichkeit
tatsächlich sympathischen Helmut Rahn oder wegen der technischen Brillanz
eines Fritz Walter. Der Film von Sönke Wortmann hat in der Tat wenig mit
Fußball zu tun, dafür um so mehr mit nationaler Gefühlsduselei und der
Haltung "wir sind wieder wer".
Kein Film für Fußballbegeisterte und
Fußballinteressierte
Nichts, buchstäblich nichts, außer den Resultaten, erfährt
der Laie über die beiden Siege des DFB-Teams gegen die Türkei in der
Vorrunde 1954 in der Schweiz. Warum Nationaltrainer Herberger damals in der
Vorrunde gegen die Fußballmacht Ungarn die Reserve spielen ließ und mit 8:3
verlor, überläßt Wortmann der Spekulation. Im Viertelfinale ließ Herberger
statt Berni Klodt Helmut Rahn über rechts angreifen und das Spiel gegen
Jugoslawien wurde 2:0 gewonnen. Ob das Resultat mit der geänderten
Aufstellung zu tun hatte, oder an der defensiven Spielweise des DFB-Teams in
diesem Match lag, erfährt der Besucher des Filmes nicht. Herrn Wortmann, der
selbst einige Zeit in der zweiten Liga Fußball spielte, tangieren solche
Fragen nicht sonderlich.
Warum im Halbfinale gegen Österreich Rahn nicht traf,
dafür Ottmar Walter aber um so mehr, ist ebenfalls nicht von belang. Statt
dessen werden die Fußballkalauer von Herberger: "Der Ball ist rund, ein
Spiel dauert neunzig Minuten, nach dem Spiel ist vor dem Spiel" auf eine
Putzfrau aus der Schweiz zurückgeführt. Das mag ein gelungener Regieeinfall
gewesen sein und ist nicht verwerflich. Allerdings das Finale am 4. Juli
1954 einfach als "Wunder" hinzustellen, den 3:2 Sieg des deutschen Teams
gegen Ungarn zu mystifizieren, ist mehr als bedenklich. Diese traditionelle
Betrachtung des Endspiels von Bern, "das Wunder, "der Wahnsinn", ist
irrational und steht intellektuell unter der Binsenweisheit Herbergers: "Der
Ball ist rund". Zudem wird dem keineswegs fortschrittlich gesinnten
Herberger der Fußballfachverstand abgesprochen. Denn wenn der Sieg ein
"Wunder" war, dann hatte die Anweisung Herbergers an Hans Schäfer, "offensiv
die Schwächen der ungarischen Abwehr über links zu nutzen", keine wirklich
entscheidende Bedeutung. Auch nicht die Order für Horst Ekel, "den
ungarischen Spielmacher hauteng zu decken."
Die Freiheiten, die Herberger, Helmut "Boß" Rahn über
rechts gewährte, werden ebenfalls nicht richtig gewichtet. Rahn galt als
nervenstarker Fußballegozentriker, der schwer auszurechnen war. Der berühmte
Kommentar: "Schäfer nach innen geflankt, abgewehrt, aus dem Hintergrund
müßte Rahn schießen, Rahn schießt, Tor, Tor, Tor, Tor" konnte nur deshalb
gesprochen werden, weil Rahn statt mit rechts einfach draufzuhalten, sich
den Ball auf den linken Fuß legte, dadurch rutschte der ungarische
Verteidiger ins Leere, es entstand eine Lücke und der nervenstarke "Boß"
knallte den Ball mit dem linken Fuß ins Tor. Diese Szene wird im Film gegen
Ende kurz nachgestellt, aber Rahn gelingt in dem Film die Aktion nur, weil
er einen kleinen deutschen Jungen aus Essen am Spielfeldrand erblickt, der
ihn mystisch animiert, den Ball für ihn und alle Deutschen ins Tor zu hauen.
Darum, um den völkischen Wahn, geht es dem Filmemacher
Sönke Wortmann in Wahrheit. Anders sind solche sachlichen Fehler, wie die
Beziehungskiste zwischen Fritz Walter und Helmut Rahn, falsch darzustellen,
nicht erklärbar. In dem Film ist der sensible Techniker Walter der Starke
und der in Wahrheit robuste Rahn der Weiche. Das Gegenteil war der Fall, ein
Blick in die Memoiren von Fritz Walter hätte Wortmann belehren müssen. Aber
es geht in Wirklichkeit in dem Film nicht um ein Fußballspiel und seine
Typen, sondern um nationalen Pathos. Dass Fußball immer etwas mit Glück zu
tun hat, ist eine Binsenwahrheit. Glück gehört zu jedem gelungenen Torschuß,
entscheidend ist aber das Training, die Taktik, das System und die
Einstellung der Mannschaft.
Dennoch ist dem Zufall im Fußball, Tür und Tor geöffnet,
kein Ergebnis kann sicher prognostiziert werden. Fußball ist ein Spiel und
der Ausgang, wenn halbwegs gleichwertige Mannschaften aufeinander treffen,
relativ offen. Deshalb hat der Aberglaube, die Hoffnung und das
Metaphysische, in diesem Sport breiten Raum. Das "Wunder von Bern" stellt
den Sieg der deutschen Mannschaft 1954 als nationale "Wiedergeburt" nach der
"Niederlage" von 1945 hin. Eine Familie aus Essen hat in dem Film die
Starrolle. Die deutsche Familie hat die Hauptrolle und nicht Toni Turek,
Werner Liebrich, Boß Rahn oder der fußballerisch geniale Fritz Walter.
Eine Familie aus Essen, eine Dame aus München
Ein kleiner Junge aus Essen ist Freund, Fan und
Kofferträger von Helmut Rahn, der damals für Rot-Weiß Essen kickte. Der
älterer Bruder des Jungen schmeißt die Kneipe der Mutter und ist Kommunist.
Die Mutter rackert zusammen mit ihrer Tochter in der Arbeiterkneipe. Ein
gutes Geschäft verspricht sich die Mutter von der kommenden WM und stellt
ein TV Gerät im Lokal auf. Kurz vor der WM kehrt der Vater aus russischer
Kriegsgefangenschaft zurück. Tyrannisch behandelt er seinen Jüngsten, dem er
die Bewunderung für Helmut Rahn austreiben will. Er ohrfeigt den Jungen und
fügt hinzu: "Ein deutscher Junge weint nicht". Der Tochter verbietet er, mit
amerikanischen Soldaten zu tanzen und Schminke zu benützen. Dem älteren Sohn
verübelt er den Kommunismus und die Renitenz. Die Mutter versucht, den
Streit beizulegen, indem sie auf Papas Schicksal hinweist. Sie prägt den
Satz: "Wir alle sind unschuldig".
Gemeint sind damit alle Deutschen, bezogen auf die jüngste
Vergangenheit. Der älteste Sohn ist nicht gewillt, an dieser Versöhnung
teilzunehmen und übersiedelt in die DDR. Der jüngere Bruder verurteilt
diesen Schritt, denn "soziale Gleichheit könne es nicht geben". Wunder gibt
es nach dem Kleinen nur, wenn der Boß Fußball spielt. Der tyrannische Vater
entdeckt seine Liebe zum Fußball wieder und fährt mit seinem Filius zum
Endspiel nach Bern. Beglückt nimmt der Mann den Sieg der Fußballmannschaft
wahr und freut sich über das "deutsche Wunder". In der Kneipe der Eltern
werden anlässlich der Übertragung der Spiele laufend rassistische Sprüche
geklopft, wie: "Vorsicht, die Jugos sind alle Partisanen und unfair". Ein
anderer Kneipengast sagt, nachdem Ungarn im Endspiel früh 2:0 führt: "Wir
werden das Spiel genauso verlieren, wie den Krieg."
Die Message des Films ist jedoch eine andere, das Spiel
endete 3:2 für Deutschland, die Kriegsniederlage wiederholte sich nicht.
Eine verwöhnte Dame aus München, Frau eines SZ- Reporters, ist anfangs nicht
am Fußball interessiert. Im Lauf des Turniers entwickelt sie sich zum "Fan".
Vor dem Spiel gegen Ungarn fordert sie: "Schickt sie zurück in die Pusta,
macht Schaschlik aus den Ungarn". Während des Spiels kommt die deutsche
"Walküre" groß ins Bild und brüllt "Deutschland, Deutschland", die
Haupttribüne folgt der Dame aus München blind. Kurz nach diesem
Gefühlsausbruch schießt Max Morlock den Anschlußtreffer für Deutschland.
Kitsch, Nationalismus und Rassismus prägen den Film. "Das Wunder von Bern"
wird neuzeitlich instrumentalisiert. Dichtung und Wahrheit liegen nah
zusammen, die Kernaussage ist jedoch "Deutschland, Deutschland über alles in
der Welt". Die führenden Politiker des Landes sind von dem Film begeistert,
ein Schelm wer böses dabei denkt. Sind doch alle bloß Fußballfans, oder ?
hagalil.com
20-10-2003 |