Hoffnung ist das Brot des kleinen Mannes:
Werden die Kurden noch einmal verraten?
Von Haydar Isik
Der große Satiriker Aziz Nesin beschrieb in seinem Buch
die Situation der Türkei der 60'er Jahre. Nachdem die "Demokrat Parti" auch
Katzen als Mitglieder in ihre Partei aufgenommen hatte, schlug der
verstorbene Schriftsteller vor, wenn eine Partei an die Macht kommen will,
sollte sie erst dieser Partei beitreten. Dann wenn die mächtigen
Parteiobersten sprechen, sollten sie Beifall geben. Auch wenn sie husten
oder pinkeln oder irgend einen Laut von sich geben, sollten sie dann sofort
applaudieren. Vielleicht könnte eine Partei nur auf diese Weise ungemerkt an
die Macht gelangen.
Zur Zeit ist in der Türkei eine Partei allein an der
Macht. Wie sie an die Macht kam, ähnelt der Beschreibung von Nesin.
Anscheinend haben die Mitglieder dieser Partei den Weg des Satirikers gut
verstanden und deshalb sind sie auf diese Weise an die Macht gekommen.
Da in der Türkei die Macht immer in den Händen der
Generäle liegt, haben die Politiker ihr Gesichter total geändert. Sie hängen
einen Schleier vor ihr Gesicht. In der Öffentlichkeit sprechen sie so,
hinterher aber ganz anders. Diese Partei war vor drei Jahren von der
fundamentalistischen Erbakan Partei abgespalten. Um an die Macht zu kommen,
haben sie die eigentlichen Machthaber des Landes, die Generäle, die Wächter
der Ideologie des Kemalismus: "ein Volk, eine Nation, ein Staat, eine
Religion" sind, überlistet.
Wenn es um Säkularismus geht, sind sie die besten
Laizisten, obwohl sie lebenslang nach der Scharia riefen und auch heute noch
verdeckt danach rufen. Wenn es um Kemalismus geht, sind sie natürlich die
besten Kemalisten. Der tiefe türkische Staat hat ein rotes Buch, in dem die
Kurden als Staatsfeinde definiert sind. Wenn es um Kurden geht, verleugnet
diese Partei die Kurden als erstes. Die Verantwortlichen dieser Partei haben
seit ihrem Machtantritt am 3. November letzten Jahres bis heute offiziell
das Wort "Kurden" nicht in den Mund genommen. Sie überholen die Generäle
rechts und sagen: "Wenn man nicht daran denkt, dass man Kurde ist, dann gibt
es auch kein Kurden Problem."
Diese Haltung bezeichnet man "Takkiye", das heißt
Doppelgesichtigkeit. Obwohl sie die wahren Fundamentalisten sind, und immer
für einen Heiligen Krieg gegen die gottlosen der westlichen Welt standen,
gegen Christen und Juden den Heiligen Krieg führen wollten, zeigen sie sich
heute als beste Demokraten. Die Wandlungen dieser AK Partei (AKP) geschehen
so verborgen und schnell, dass selbst die Windhunde sie nicht erreichen
können.
Gestern noch religiöse Fundamentalisten heute als
Demokraten lässt diese Partei ihre eigentlichen Gegner, das Militär, mit
Kurdenkriegen ablenken, damit sie ihre Macht verlängern kann. Die Mehrheit
dieser Partei hat am Dienstag, den 7.Oktober einen Parlamentbeschluss
gefasst, um 10.000 Soldaten für ein Jahr im Irak zu stationieren.
Wenn in der Türkei ein Drittel der Bürger - die Kurden –
nicht einmal ihre Muttersprache sprechen und schreiben lernen und verbreiten
dürfen, und sie staatlicher Repression ausgesetzt sind, und wenn in diesem
Land die Folter noch an der Tagesordnung ist, wer kann glauben, dass die
Türkei den Völkern im Irak helfen wird, Demokratie und Menschenrechte zu
bringen?
Man muss mit sich im klaren sein, dass die Türkei ein
wahres Ziel hat. Nämlich den Kurden im Irak keine erweiterten Rechte zu
lassen, wie die Eigenstaatlichkeit oder demokratische Föderation und die
Kurden in der Türkei in einer Zeitspange auszulöschen.
Wir dachten, dass die USA Administration für die Änderung
des Status quo stehen und einen demokratischen Nahen Osten schaffen, in dem
die Völker frei nebeneinander leben werden. Außerdem werden sie den religiös
fundamentalistischen Terroristen und den Feinden des jüdischen Volkes und
Antichristen ihr Terrorhandwerk abnehmen. Die USA haben tatsächlich in
kürzester Zeit das Saddamregime zu Ende gebracht. Aber eine bleibende
demokratische Ordnung wird anscheinend schwieriger sein, weil verschiedene
Kräfte gegen diese Änderung sind. Die Türkei war und ist die erste Kraft für
den Status quo im Irak. Wie können die Amerikaner mit Saddams Freund Türkei
eine Demokratie installieren, wo sie in der Türkei selber sehr mangelhaft
ist?
Die USA haben seit Ende des Krieges nahezu Hundert tote
Soldaten zu beklagen. Ich denke, dass die USA vom eigentlichen Ziel, der
Demokratisierung, abweichen. Um das Leben ihrer Soldaten zu schonen, wollen
sie selbstverständlich die billigsten Särge mit Halbmond und Stern sehen.
Somit wird das türkische Militär ihr Ziel erreichen, um die Kurden zu
entrechten und, die AKP befestigt ihre Macht, und die USA haben weniger
Tote.
Zur gleichen Zeit hat der Regierungsrat im Irak einen
Beschluss gegen das türkische Militär gefasst und es abgelehnt. Die Türkei
will jetzt erst recht in den Irak einmarschieren. Sie erwartet dafür von den
USA mehr finanzielle Unterstützung und gegen die Kurden bessere Karten, um
mit Hilfe der US-Armee gegen kurdische Guerilleros von KADEK (Kongress für
Demokratie und Freiheit Kurdistans) vorgehen zu können.
Der KADEK hat sich schon seit der Änderung des Status quo
im Irak auf die Seite der USA geschlagen. In vielen Erklärungen hat KADEK
das Vorgehen der USA begrüßt, sogar ihre Bereitschaft gezeigt, gegen Saddams
Banden an der Seite der USA zu kämpfen. Jetzt wollen die USA mit der Türkei
gegen KADEK vorgehen, um ihn zu vernichten. KADEK, der für Demokratie und
für eine Allianz der Völker im Nahen Osten steht, gegen fundamentalistisch
religiöse Banden ist, und im Türkisch Kurdistan die Mehrheit der kurdischen
Bevölkerung hinter sich gebracht hat, im Iran, Irak und Syrien von den
kurdischen Massen gestützt wird, und mit einer neuen Strategie sich an
Israel und USA annähern möchte, wird auf Wunsch der Türkei bekämpft.
Wir wissen, dass die Kurden von den Weltmächten mehrere
Male verraten worden sind. Vielleicht konnte man in der Vergangenheit nicht
wissen, wie die Kurden sich verhalten werden. Aber jetzt ist es klar, dass
sie, ob sie den irakisch kurdischen Parteien DKP und PUK, oder dem in allen
Gebieten Kurdistans gut organisierten KADEK angehören, sich an die Seite
derer, die den Status quo geändert haben, setzen wollen.
Wir Kurden werden unsere Augen auf die Politiker der USA
richten, ob sie tatsächlich für die Änderung waren, denn dann müssten sie
sich eigentlich dem Vorhaben der Türkei fernhalten. Das heißt, dass sie das
türkische Militär nicht in den Irak holen dürfen. Wenn das türkische Militär
in den Irak geht und die USA mit ihm gegen KADEK den gewünschten Krieg
führt, werden sie 40 Millionen Kurden gegen sich aufbringen.
Die PKK hat eine durch die Politik der Türkei bedingte
Vergangenheit, aber sie hat nach einem langen Prozess selbstkritischen
Diskussionen den Weg der Gewalt verlassen. Sie hat eine neue Strategie
gewählt, die auf Gewaltlosigkeit, Frieden und Freiheit basiert. Der KADEK
will sogar noch weiter gehen und sich vollkommen an die neue Weltordnung
anpassen. So eine Kraft wie der KADEK, sollte von den demokratischen Kräften
unterstützt werden. Wenn man diese gut organisierte Kraft beseitigen will,
sägt man den Ast ab, auf dem man steht. Da die Türkei nur ihren Interessen
blind nachgehen will, wird sie mit Provokationen die Lage der Region noch
erschweren.
Man sollte die Türkei daran erinnern, dass sie ihren
kurdischen Bürgern das Recht auf Muttersprache in den Schulen geben, und die
kurdische Identität in ihrer Verfassung verankern, und ein friedliches
gleichberechtigtes Leben für Kurden ermöglichen müssen. Dann gibt es kein
Kurdenproblem in der Türkei.
Wir, die Kurden haben unsere Hoffnung auf die USA und die
Intelligenz des israelischen Staates gesetzt, dass sie eine rasche
Demokratie in die Region bringen. Nach Meldungen der Presse müssen wir diese
Hoffnung nun aufgeben. Hoffnung ist aber das Brot des kleinen Mannes, das
niemals endet.
hagalil.com
10-10-2003 |