Schonungsloser Passion:
Mel Gibson und der Antisemitismus
Von Max Brym
Viel wird in den USA, aber auch in Deutschland, über
den Passionsfilm von Mel Gibson gesagt und geschrieben. Der Streitfall ist
Gibsons aktuelles Filmprojekt "The Passion". Nach der Produktionsfirma Icon
ist der Film eine realistische, schonungslose und wahrheitsgetreue
Darstellung der letzten zwölf Stunden im Leben des Jesus von Nazareth. Gegen
eine realistische Darstellung der historischen Ereignisse wäre auch nichts
einzuwenden, wenn es sich um eine solche handeln würde. Aber der Macher des
Films, Mel Gibson, ist in dieser Hinsicht mehr als suspekt.
Mel Gibson ließ sich den Film 25 Millionen Dollar kosten.
Der Film wurde nach Gibson "bewusst in Italien gedreht, um außerhalb des
Einflusses der Entertainment Elite arbeiten zu können." Mit diesen Aussagen
im Januar 2003 in der "New York Times" bediente Gibson offen ein
antisemitisches Klischee. Ebenfalls im Januar sprach Gibson in einem
Fernsehinterview von "gewissen Personen", die sein Filmprojekt verhindern
möchten.
"Christlicher" Antijudaismus
Mel Gibson gehört der christlich fundamentalistischen
Catholic Church an. Den ideologischen Kern der Sekte brachte Hutten Gibson,
der Vater von Mel Gibson, zu Jahresbeginn im "New York Times Magazine" zum
Ausdruck: "Ich halte das Zweite Vatikanische Konzil von 1965 für eine
freimaurerische Verschwörung unter jüdischer Leitung." Das Konzil
verabschiedete damals eine Erklärung, in der die Juden nicht mehr als
kollektive Christusmörder bezeichnet wurden. Damit brach der Vatikan verbal
mit einer Kernthese des christlichen Antijudaismus, zudem versuchte er einen
theologischen Unsinn zu bereinigen. Der christliche Erlösungsgedanke ist mit
dem Tod von Jesus untrennbar verbunden. Es ist ein Widerspruch, einerseits
den Tod von Jesus als göttliche Erlösung zu feiern und andererseits auf die
angeblichen Mörder, die Juden, einzudreschen. Trotz des Vatikanischen
Konzils von 1965 sind bis heute viele Christen, von Altötting bis Montana,
in diesem Widerspruch befangen. Die Sekte, der Herr Gibson angehört, kennt
in dieser Sache keinen Widerspruch. Zu den Eigenarten der sektiererischen
Catholic Church gehört, dass sie jenes Vatikanische Konzil bis heute nicht
anerkennt und ihre Messen auf Lateinisch abhält.
Politikum Gibson
Die Rohfassung des Filmes "The Passion", die im März 2003
in die Hände der Anti Defamation League geriet, bestätigte die schlimmsten
Befürchtungen. Die Juden werden als blutdürstiges Kollektiv dargestellt, an
deren Spitze der Priester Kaiphas den Römer Pilatus einschüchtert. Sämtliche
mittelalterliche Feindbilder vom "gottlosen und mörderischem Volk" werden
bedient. Im März zeigte sich die ADF besorgt und warnte die Öffentlichkeit.
Eine Gruppe, bestehend aus fünf Katholiken und vier jüdischen Gelehrten,
zeigte sich entsetzt. Mel Gibson sprach von einem "Diebstahl" seiner
Rohfassung, der Fall wurde umgehend zum Politikum. Gibson weigerte sich, die
Originalfassung an die ADL weiterzuleiten, allerdings sicherte er gewisse
Änderungen an seinem Drehbuch zu. Dennoch befürchtet Schwester Mary C. Boys,
Professorin des Union Theological Seminary in New York, "eine der größten
Krisen in den Beziehungen zwischen den jüdischen und christlichen Gemeinden
in Amerika".
In der Tat, Schwester Mary hat Recht. In Amerika haben
seit Jahren fundamentalistische christliche Sekten Hochkonjunktur. Früh
schon wurde im konservativen Lager polemisiert, dass die jüdische Gemeinde
Amerikas doch nicht etwa wegen eines Hollywood-Filmes die guten Beziehungen
der USA zu Israel trüben wolle. Der jüdischen Gemeinde wird von
"wohlmeinenden" bürgerlichen Kritikern "Intoleranz" vorgeworfen, auch in den
deutschen Feuilletons ist diese Bewertung zu finden. Mel Gibson wird
inzwischen offen von antisemitischen Gruppen und Ideologen gefeiert
und neuerlich der alte christliche Antijudaismus mit dem biologistischen
Antisemitismus verbunden.
Fazit
Die ADL sowie das Simon Wiesenthal Centre in New York
äußerten sich sehr zurückhaltend zu dem Film von Mel Gibson. Der orthodoxe
Rabbi Yechiel Z. Eckstein, Präsident der "International Fellowship of
Christians and Jews", meinte in einem Interview, "dass Gibson möglicherweise
gar nicht bewusst sei, welch lange Geschichte dieser Streitfall inzwischen
hat und wie die historische Mordanklage das Leben jüdischer Gläubiger
bereits beeinträchtigt hat." Gewiss kann dem Rabbi gefolgt werden, wenn er
die intellektuellen Fähigkeiten des Herrn Gibson nicht überbewertet, dennoch
bleibt festzuhalten: Intellekt und Verstand sind keine wesentlichen
Bausteine des Antisemitismus. Es bleibt zu hoffen, dass der Gibson Film
ebenso ein Flop wird, wie die Verfilmung eines Romans des Scientology-Gurus
L. Ron Hubbard durch John Travolta.
hagalil.com
01-10-2003 |