München-Schwabing:
Der Naziterror geht weiterVon
Max Brym
Wenige Tage nach der Festnahme von Mitgliedern der
"Kameradschaft Süd" kam es zu einem nazistischen Mordversuch in
München-Schwabing. Elf angetrunkene Nazis griffen um 2 Uhr nachts am Sonntag
den 14. September einen schwarzen amerikanischen Staatsbürger an. Dieser
verteidigte sich am Busbahnhof an der Münchner Freiheit mit einem
Verkehrsschild. Zu seinem Glück fuhr zufällig ein ziviles polizeiliches
Einsatzfahrzeug vorbei.
Der Angegriffene rettete sich in den Einsatzwagen.
Daraufhin attackierte die braune Bande den Polizeiwagen. Danach versuchten
die Faschisten zu verduften, was ihnen aber nicht gelang. Elf Nazis wurden
festgenommen, auf der Wache wurden sie neuerlich gewalttätig. Wie aus
Polizeikreisen verlautet, stehen die Festgenommenen in enger Verbindung mit
dem Nazi Martin Wiese. Ihr "Führer" und weitere "Kameraden" wurden letzte
Woche festgenommen. Die Nazibanditen planten einen Sprengstoffanschlag am 9.
November, anläßlich der Grundsteinlegung für ein jüdisches Gemeinde und
Kulturzentrum am fünfundsechzigsten Jahrestag der Reichspogromnacht.
Hunderte von Bürgern, hauptsächlich jüdischer Abstammung, aber auch
Angehörige der politischen Prominenz, hätten sterben können.
Mittlerweile ist bekannt, dass die Faschisten auch andere
Anschlagsziele im Visier hatten. Es ist von einer Moschee, von einer
griechischen Schule und einem spanischem Kulturzentrum die Rede. Höchste
Priorität hatten nach polizeilichen Erkenntnissen jedoch jüdische Objekte.
Das entspricht auch dem nazistischem Hasskalender. Grundsätzlich sind, wie
der Angriff auf den amerikanischen Staatsbürger an der Münchner Freiheit
zeigt, alle die nicht den "Rassegeboten" der Nazis entsprechen, potentielle
Opfer. Aber auch Politiker, wie der brave Sozialdemokrat Franz Maget,
standen auf der Liste der braunen Gesellen.
Die Presse und Innenminister Beckstein
Am Montag, den 15. September 03, verurteilten alle großen
Zeitungen entschieden den nazistischen Terrorakt an der Münchner Freiheit.
Herr Beckstein zeigte sich "bestürzt über den Angriff", er kündigte harte
Maßnahmen gegen die von ihm so bezeichnete "Braune Armee Fraktion" an. Der
brave bundesdeutsche Staatsbürger, der etwas gegen Nazis hat, kann sich
demzufolge beruhigt zurücklehnen. Der Beckstein und die Presse werden es
schon richten, soll suggeriert werden. Solche Vorstellungen sind prinzipiell
falsch. Im Gegensatz zur Berichterstattung in den Medien, handelt es sich
bei den Naziterroristen nicht um eine Szene, die im politischen Abseits
operiert. Im Gegenteil, ihre politische Rolle speist sich aus dem
Gedankengut, das aus der Mitte der Gesellschaft kommt.
Es gibt in Deutschland einen weit verbreiteten
rassistischen Konsens. Asylbewerber werden meist als "Betrüger" und
"Problem" wahrgenommen. Ein Gerichtsurteil sah kürzlich in der Folter kein
Abschiebehinderniss, "da das in dem genannten Land weitverbreitet sei." Der
Mensch soll abgeschoben werden, die Folter ist faktisch zu einem "Kulturgut"
erklärt. Der Presse war dieses Gerichtsurteil nur eine Randnotiz wert. Einer
der stärksten Befürworter einer rigorosen Abschiebepolitik ist der
bayerische Innenminister Beckstein. Vor einigen Jahren startete die CSU eine
Kampagne gegen den Doppelpass. Im Münchner Rathaus unterschrieben damals
Tausende "Gegen die Ausländer", wie sie es nannten. Die CSU warnt beständig
vor einer "Überfremdung" des Landes und fordert eine "deutsche Leitkultur".
Kein Wunder, dass die Nazis sich positiv angesprochen fühlen und die
"Leitkultur" in ihrem Sinne befördern wollen.
Im Jahr 1997 versuchte Beckstein eine nazistische
Demonstration in München gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht"
auf Teufel komm raus zum Münchner Marienplatz durchkommen zu lassen.
Allerdings stellten sich im Jahr 1997 rund 15000 Münchner den 5000 Nazis in
den Weg. Beckstein wertete dies als massiven Eingriff in die demokratischen
Rechte einer zugelassenen Partei (der NPD). Kein Wunder, in jener Zeit
agitierten Nazis und CSU gemeinsam gegen die "Verleumdung der
Wehrmachtssoldaten". Die Nazis haben auch Erfahrungen damit gesammelt, dass
die politische Kaste braune terroristische Aktionen dazu benützt, die
rassistische Gesetzgebung zu verschärfen. Unmittelbar nach den pogromartigen
Ausschreitungen in Rostock 1992 und den Nazimorden im Jahr 1993 wurde das
Asylrecht in Deutschland entscheidend minimiert.
Die Spitze des Rassismus stellt selbstverständlich der
Antisemitismus dar. Der Antisemitismus ist ein ausgearbeitetes theoretisches
Wahngebilde. Mittels des Antisemitismus kann vermeintlich sowohl der
Kapitalismus, als auch der Kommunismus erklärt werden. Das Konstrukt einer
jüdisch- bolschewistischen Plutokratie, die im Geheimen die Welt regiert,
spukt in vielen "treudeutschen Gehirnen". Der Ausgangspunkt dieser
Betrachtung, ist die "Rasse" und das Blut, welche den Juden angeblich
schlecht machen. Letztere Feinderklärung gilt für jeden, der kein "deutsches
Blut" in den Adern hat. Es gibt dennoch einen Unterschied, der Türke oder
Slawe wird bespuckt beleidigt und attackiert. Kein deutscher Rassist käme
jedoch auf den Gedanken, dem Menschen aus Togo oder dem Albaner, eine
"Weltmachtrolle" zuzugestehen oder zu behaupten: "Es gäbe eine Verschwörung
der Weisen von Ruanda, um die Welt zu beherrschen."
Der Antisemitismus ist die Spitze des
sozialdarwinistischen Rassismus. Die Prämisse für jeden Rassisten ist die
Frage nach dem Blut und der Herkunft der Menschen, um die Teilung in gut und
erhaltenswert, sowie schlecht und unbrauchbar zu machen. Der Rassismus ist
eine barbarische Ideologie, die alle Nicht-Deutschen bespuckt und beleidigt
und als rassenbiologische Ideologie in letzter Konsequenz den Juden, nach
der rassistischen Katalogisierung am härtesten trifft. Aus diesem Grund
waren für die Nazis die wichtigsten Anschlagziele in München jüdische
Einrichtungen. Herr Beckstein kann gar nicht konsequent gegen den
Antisemitismus sein, denn er steht für das rassistisch definierte deutsche
Staatsbürgerschaftsrecht aus der Kaiserzeit. Nach dem Gesetz wird die
Staatsbürgerschaft mit dem Blut und der Abstammung in Verbindung gebracht.
Was erregt Beckstein ?
Zunächst geht es Beckstein um das Ansehen Deutschlands in
der Welt. Ein Anschlag am Jakobsplatz hätte die Wettbewerbsfähigkeit des
"Standortes Deutschland" gefährdet. Nebenbei hätte man selbst unter den
Opfers sein können. Denn sowohl Ministerpräsident Stoiber, als auch
Bundespräsident Rau, sind als Gäste für die Grundsteinlegung für das neue
jüdische Zentrum in München geladen. Die CSU sieht die Interessen der
deutschen Konzerne in der Schlacht um den Weltmarkt. Offener und
mörderischer Antisemitismus sowie nichtstaatlich organisierte rassistische
Menschenjagten schaden dem Markenartikel "Made in Germany".
Dies begreift der nazistische Mob nicht so ganz und
deshalb wird auf ihn eingedroschen. Der "Kameradschaftler" aus der
"Kameradschaft Süd" versucht Herrn Walser wörtlich zu nehmen und hat nicht
kapiert, dass ein "fanatischer Antisemitismus" noch nicht gefragt ist. Die
Ablehnung des "fanatischen Antisemitismus" zieht sich durch viele
Zeitungsartikel und diverse Statements. Diese Formulierung sollte
nachdenklich stimmen: Warum wird eigentlich nur der "fanatische
Antisemitismus" abgelehnt und nicht jeglicher Antisemitismus ? Liegt es
vielleicht daran, dass es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt ? Auch
keinen partiellen und latenten ? Wohl kaum, wer daran glaubt, glaubt auch,
dass der Mond eine Kuh ist, einen Euter hat und Milch gibt.
Natürlich gibt es im heutigen Deutschland selten
selbsterklärte Antisemiten, dennoch gibt es sie und zwar zuhauf. Die
politische Mitte in Deutschland versucht jenen bedrückten Wiener zu
rehabilitieren, der im Jahr 1946 gegenüber einem bekannten jüdischen
Kabarettisten sein Leid klagte: "Das Schlimmste, was uns dieser Hitler
angetan hat ist, dass er uns unseren guten, alten Antisemitismus kaputt
machte." Dieser Typ des Antisemiten befindet sich noch im Gegensatz zum
bombenden Antisemiten Wiese. Jene Gestalten, die Herrn Walser anläßlich
seiner Paulskirchen "Schlußstrichrede" im Jahr 1998 stehend applaudierten,
befinden sich in allen politischen Parteien.
Selbstredend auch in der CSU. Herr Beckstein ist mit der
Tatsache vertraut, dass es in diesem Land Antisemiten gibt. Von ihm selbst
ist keine antisemitische Äußerung bekannt, was aber nicht heißt, dass er
hier keine Ambitionen hätte. Er steht für den rassistischen Konsens in
diesem Land. Im Streit um die Entschädigung für Zwangsarbeiter teilte
Beckstein die Haltung der Industrie, auf eine biologische Lösung der Frage
zu setzen. Im Rahmen der Debatte zur "Zwangsarbeiterentschädigung" gab es
viele antisemitische Beiträge in bekannten Medien. Herr Beckstein legte hier
eine bezeichnende Zurückhaltung an den Tag. Als erfahrenem Politiker ist ihm
klar, dass ein antisemitisches Gemüt gepflegt sein will, auch in der eigenen
Partei und in der Wählerschaft. Von dieser Person einen ernsthaften Kampf
gegen den Antisemitismus zu erwarten, ist genauso naiv, wie von einer Kuh
eine großartige Eiskunstlaufleistung zu erwarten.
Was Herrn Beckstein wirklich erregt, sind geistig
minderbemittelte Nazis, die dem Standort Deutschland gefährlich werden
könnten. Diese Leute verachtet und bekämpft Beckstein. Obwohl er und seines
Gleichen immer wieder durch ihre zum Teil rassistischen Bierzeltreden und
Praktiken in die Rolle des Zauberlehrlings geraten. Der Nazi radikalisiert
und verabsolutiert den Diskurs, der von Beckstein über Walser bis hin zu
sogenannten Antizionisten geprägt wird. Diese Verabsolutierung erregt den
Innenminister ernsthaft. Dagegen will er auch handeln, dass dabei auch nach
links geschlagen wird, versteht sich bei der CSU. Völlig daneben liegt
allerdings die "Junge Welt", die in ihrer Ausgabe vom 14 September 03 im
Stil des nazistischen Störtebeker-Netzes herumspekuliert. Die Junge Welt
äußert den Verdacht einer Inszenierung des Sprengstoffundes bei der
"Kameradschaft Süd" durch bayerische Staatsorgane, um das Versammlungs und
Demonstrationsrecht abzubauen. Natürlich hegt Beckstein solche Absichten.
Ihm aber eine Inszenierung nazistischer Mordgelüste zu unterstellen, um die
ach so starke Linke zu schwächen, ist nur noch blödsinnig. Am Besten belegt
das die Debatte in den Cafés an der Münchner Freiheit am Tag nach dem
Mordversuch.
Dieter Bohlen und Naddel
Einen Tag nach der Naziaktion wurde viel über das Buch
(Ungelogen) der ehemaligen Ehefrau von Dieter Bohlen geplaudert. Auch die
Niederlage des FC. Bayern in Wolfsburg war ein Thema. Der nazistische
Mordversuch am Busbahnhof war kein Thema. Obwohl jede Zeitung über die
Aktion direkt vor der Haustüre berichtete. Es wird auch erstaunlich wenig
über den geplanten Anschlag gegen die jüdische Gemeinde gesprochen. Um es
zynisch auszudrücken, 1,7 Kilogramm TNT gegen Juden und andere, ein
Mordversuch gegen einen Schwarzen vor der Haustüre berührt die Meisten
nicht. Davon ist man ja nicht betroffen, zur Grundsteinlegung am 9. November
wäre man eh nicht gegangen und der Angegriffene war ein Schwarzer. Wie der
FC Bayern spielte und warum Olli Kahn wieder einen schweren Fehler machte,
ist interessanter. Das ist keine Momentaufnahme von der Münchner Freiheit,
solche Befindlichkeiten, Gleichgültigkeit gepaart mit Rassismus und latentem
Antisemitismus, prägen weite Teile des Landes.
München:
Schweres
Bombenattentat vereitelt
Neonazis wollten am 9. November eine Bombe auf der Baustelle des
Jüdischen Gemeindezentrums in München zünden. An diesem Tag war die
Grundsteinlegung vorgesehen. Unklar ist, ob der Anschlag vor oder während der
Feier geplant war...
München:
Sie
nannten ihn den "großen Watschenbaum"
Der in München festgenommene Neonazi Martin Wiese gilt als Führer
der rechtsextremen Szene - und als gewaltbereit...
München:
Explosiver Fund in rechter Szene
Polizei fand bei Durchsuchungen in der rechtsextremen Szene in
München 14 Kilogramm Sprengstoff...
hagalil.com
17-09-2003 |