Ausgerechnet in München:
Nazigegner bestraftVon Max
Brym
Am 22.09.03 wurden vom Amtsgericht München der 1952
geborene Christiaan Boissevain und der 1925 geborene Martin Löwenberg zu
Geldstrafen wegen "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz" verurteilt.
Vorgeworfen wurde den Angeklagten, das Demonstrationsrecht nazistischer
"Kameradschaften" in München in Frage gestellt zu haben. Was war der Grund
für die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft?
Alt und Neonazis gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht"
Insgesamt acht verschiedene Demonstrationen und Aktionen
meldeten im vergangenen Jahr der Nazi Christian Worch und der berüchtigte
Martin Wiese in München an. Mit ihrem braunen Spuk wollten sie die Straße in
München erobern. Unter Parolen wie: "Ruhm und Ehre der Wehrmacht" sowie zum
Ruhme der "Waffen SS" wollten die "Kameraden" ungestört durch München
marschieren. Am 12. Oktober 2002 misslang dies vollständig, weil Tausende
Münchner sich dem braunen Mob entgegenstellten.
Oberbürgermeister Ude bedankte sich ausdrücklich für die
dabei gezeigte Zivilcourage. Ihre nächste größere Aktion meldeten die Nazis
für den 30.11.2002 an. Neuerlich mobilisierte das Bündnis gegen Rechts zu
einer Gegendemonstration. Der Stadtrat fasste einen einstimmigen Beschluss,
indem die Münchner neuerlich zum Widerstand ermutigt wurden. Einen Tag vor
der Nazidemo erklärte Christian Ude öffentlich: "Man solle sich den Nazis in
den Weg stellen". Frau Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen
Kultusgemeinde, forderte in einer Erklärung dazu auf, "Den Worten Taten
folgen zu lassen und den Nazispuk zu beenden".
Diese Worte waren angebracht, denn die Nazis sollten legal
mit Parolen wie "National & Sozial ist Nationalsozialismus" durch München
geleitet werden. Im November 2002 wurde den Nazis durch ein massives
Polizeiaufgebot ihr Aufmarsch ermöglicht. Einige Gegner der Nazis wie
Christiaan Boissevain und Martin Löwenberg wurden jetzt durch das
Amtsgericht München verurteilt.
Ein makaberer Prozeß
Die Staatsanwaltschaft München 1 konnte nicht davon
Abstand nehmen, Nazigegner anzuklagen. Der Staatsanwalt sprach viel von dem
Recht auf Demonstrationsfreiheit (für Nazis) und zeigte sich dabei
unerbittlich. Argumente von Martin Löwenberg, der sagte: "Es gibt kein Recht
auf Nazipropaganda, was auch im Grundgesetz stehe", prallten am Gericht ab.
Den Ausführungen von Rechtsanwältin Angelika Lex, die erläuterte: "Die
Angeklagten folgten nur der Aufforderung von OB Ude und seien nicht
gewalttätig gewesen", konnte das Gericht ebenfalls nichts abgewinnen.
Den einzigen Beweis, den die Staatsanwaltschaft gegen
Christiaan Boissevain hatte, war ein Auszug aus dem Stadtplan Münchens, den
der Angeklagte "an bestimmte Personen verteilte". Das war für die
Staatsanwaltschaft der Anlass, Herrn Boissevain am 30.11.2002 festzunehmen
und unter Anklage zu stellen. Gegen den ehemaligen KZ-Häftling Martin
Löwenberg wurde ein Redebeitrag ins gerichtliche Spiel gebracht, wonach
Löwenberg Menschen am Odeonsplatz während einer Kundgebung dazu aufforderte,
den Nazis am Goetheplatz auf individuelle Art entgegenzutreten. Das war für
das Gericht ein Straftatbestand.
Die Argumente von Löwenberg, doch auf den Schwur von
Buchenwald zu achten und zu berücksichtigen, "dass das Grundgesetz über
einer kleinlichen Paragraphenreiterei bezüglich des Versammlungsrechtes
stehe", wurde vom Staatsanwalt mit einem kalten Lächeln beantwortet.
Christiaan Boissevain nahm den Prozess als politisches Verfahren wahr,
"ausgerechnet jetzt sollen Antifaschisten verurteilt werden, nachdem jedem
klar sei, was die Bande um Martin Wiese plante." In diese Kerbe schlug auch
Rechtsanwältin Angelika Lex, sie warf der Staatsanwaltschaft politische
Blindheit gegenüber Rechts vor und unterstellte der Staatsanwaltschaft "afür
um so härter gegen Antifaschisten zu schlagen."
Frau Lex brachte dafür auch Beispiele, sie erklärte: "Im
Jahr 2002 forderte das Kreisverwaltungsreferat händeringend von ihnen
Belege, um die Nazidemos verbieten zu können, damals hatten sie keine
Erkenntnisse. Jetzt weiß man in ganz Deutschland, dass die Kameradschaft Süd
am 9. November einen Anschlag gegen die jüdische Gemeinde plante".
Allerdings sei dies, nach Frau Lex, nicht der Staatsanwaltschaft München zu
verdanken, sondern die Gefahr sei erst richtig klar, nachdem die
Generalbundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich zog. Die Kompetenz der
Staatsanwaltschaft im Bereich Rechtsextremismus ergibt auch ein Blick in die
Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft. In den Akten sei zu finden: "Der
KFZ- Häftling Löwenberg", es ist von einem "Herrn Gebben" und von
einer "Reichsgnomnacht" zu lesen. "Offensichtlich befindet sich ein
politisches Dezernat der Polizei auf dem "Bildungsstand eines
Drittklässlers", meinte Frau Lex.
Der Staatsanwaltschaft bescheinigte RA Lex: "Ihre eigenen
Akten nicht gelesen zu haben". Zudem schäme sie sich für die
Staatsanwaltschaft, der jegliches Gespür für die Beweggründe der Angeklagten
Boissevain und besonders von Martin Löwenberg abgehe. Zuvor hatte Martin
Löwenberg darauf verwiesen, dass es in Deutschland laut amtlicher Statistik
alle einundvierzig Minuten eine nazistische Straftat gebe. "In Deutschland
gibt es 160 Kameradschaften, wie die Kameradschaft Süd, und ich werde weiter
gegen Nazismus und Antisemitismus kämpfen", erklärte Löwenberg. Christiaan
Boissevain sagte in seinem Statement, dass er ganz im Sinne des "Aufstandes
der Anständigen" weiter agieren werde, obwohl von diesem bürgerlichen
"Aufstand" nicht viel geblieben sei.
Die Staatsanwaltschaft und das Urteil
Christiaan Boissevain wurde zu einer Strafe von insgesamt
900 Euro verurteilt. Martin Löwenberg bekam eine Strafe von 300 Euro. Der
Staatsanwalt räumte in seinem Plädoyer ein, dass die politische Rechte
vielleicht triumphieren werde, aber das sei nicht von Belang. Wichtig ist
für ihn das Demonstrationsrecht (für Nazis) und er gehe auch "gegen
Ökobauern vor, wenn sie traditionell arbeitende Landwirte behindern würden".
Diese Argumentation wurde von zahlreichen Zuhörern als zynisch empfunden. Es
gab Zwischenrufe und Pfiffe. Nachdem das Gericht den Schuldspruch gegen
Martin Löwenberg verkündete, verließen die meisten Zuhörer den Gerichtssaal.
Es gab Zwischenrufe wie: "Sie urteilen nicht in unserem Namen." Tatsächlich
machte sich das Gericht die Linie der Staatsanwaltschaft zu eigen und
reduzierte lediglich das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß. Die
Verurteilten wollen in Berufung gehen, Solidarität ist gefragt.
Amtsgericht Nymphenburger Straße:
Münchener NS-Gegner vor
Gericht
Es trifft ausgerechnet diejenigen, die sich bereits
seit Jahren gegen die Münchner Neo-Nazi-Szene engagieren...
mb /
hagalil.com
23-09-2003 |