Maren Cronsnest
Auf der Pressekonferenz der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und
Zukunft am Freitag in Berlin fand der Vorsitzende des
Stiftungskuratoriums, Dieter Kastrup, harte Worte über einen Abwesenden,
der angeblich den »Zorn aller Kuratoren« erregt habe. Gemeint war Lothar
Evers, Geschäftsführer des in Köln ansässigen
Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte. Während der
am Donnerstag abend zu Ende gegangenen zweitägigen Kuratoriumssitzung
hätte es eine breite Diskussion über das »stiftungsschädigende
Verhalten« des Opfervertreters gegeben, so Kastrup.
Beim Streitpunkt, ob die Wirtschaft sämtliche Zinsen der von ihr
aufgebrachten Entschädigungssumme an die Stiftung überweisen muß oder
nur 51 Millionen Euro, würden nach wie vor unterschiedliche Meinungen
bestehen. Kastrup konnte deshalb »keine verbindliche Aussage« dazu
machen, ob »Neuborne nun auf die vor der Kuratoriumssitzung angedrohte
Wiederaufnahme einer Sammelklage verzichten« werde. US-Anwalt Burt
Neuborne hatte gegen die 17 Konzerne, die im Februar 1999 die
Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft gründeten, um gemeinsam
Sammelklagen von US-Opfern in den USA abzuwehren, Klage angedroht. Auf
der Kuratoriumssitzung legte er dazu Anträge vor, die indes alle nicht
abgestimmt wurden. Er wollte gemeinsam mit vielen anderen Mitgliedern
des Kuratoriums, daß die Stiftungsinitiative weitere 70 Millionen Zinsen
an die Bundesstiftung überweist.
Laut Ulla Jelpke, Kuratoriumsmitglied und innenpolitische Sprecherin der
PDS-Bundestagsfraktion, wäre die Mehrheit der Kuratoriumsmitglieder »baß
erstaunt« gewesen, daß die Stiftungsinitiative zu keinem Kompromiß
bereit gewesen sei. Nach ihrer Vermutung würden »die Zinsen genutzt, um
fehlende Spenden der Wirtschaft zu decken«. Die Spenden sollten aber den
Opfer zukommen und nicht der Wirtschaft, forderte Jelpke. In einer
Presseerklärung vom Freitag appellierte sie an Kastrup, »sich in seinen
Äußerungen gegen Opfervertreter Evers zu mäßigen«. Den Zorn der
überwiegenden Mehrheit des Kuratoriums hätte sich nicht Lothar Evers
zugezogen, sondern die Wirtschaft mit ihrer »Weigerung, sämtliche Zinsen
zu überweisen, mit ihrer Weigerung, sich in die Bücher sehen zu lassen,
mit ihren exorbitanten Kosten zu Lasten der Opfer im
Versicherungsstreit«. 60 Millionen DM haben die Allianz und andere
Versicherer nicht an die Bundesstiftung überwiesen.
Geeinigt hatte man sich in der Kuratoriumssitzung vor allem darauf, daß
bis Ende dieses Jahres rund 1,4 Millionen ehemalige Nazizwangsarbeiter
erste Entschädigungsleistungen von der Bundesstiftung ausgezahlt
bekommen sollen. Rund 565000 Anspruchsberechtigte hätten bereits Geld
erhalten, weitere 840000 Auszahlungen seien für dieses Jahr geplant,
erklärte Kastrup. Die bereits ausgezahlte Summe belaufe sich auf 1,1
Milliarden Euro, 27 Prozent der für die Zwangsarbeiterentschädigung
insgesamt zur Verfügung stehenden 4,41 Milliarden.
Das Aktionsbündnis Entschädigung für ZwangsarbeiterInnen hatte zu Beginn
der Kuratoriumssitzung versucht, Manfred Gentz, Vorstandsmitglied von
Daimler Chrysler, einen Schuldschein zu überreichen. Gentz tauchte
jedoch gar nicht erst auf. Petra Rosenberg vom Landesverband Deutscher
Sinti und Roma Berlin-Brandenburg e.V. empörte sich während des
Aktionstages »Warten, bis sie tot sind« am Mittwoch in Berlin:
»Diejenigen, die die Verantwortung dafür tragen, daß das Geld und das
Vermögen unserer Familien geraubt wurde, und die dieses Vermögen
jahrezehntelang für ihre eigenen Zwecke profitabel verwertet haben,
werfen den Opfern heute vor, wenn sie einen geringen Bruchteil dessen
als Entschädigung fordern. Es scheint gerade so, als mache man den
Opfern des Nationalsozialismus die an ihnen begangenen Verbrechen zum
Vorwurf. Hier wird Recht in Unrecht umgewandelt, und das kann durchaus
Vertrauen beschädigen, das sich in den letzten Jahren entwickelt hat.«
Die Opfervertreter wissen das und Kuratoriumsmitglieder wie Ulla Jelpke
auch. Sie werden wie Lothar Evers nicht aufgeben, um mehr Geld für die
Opfer zu kämpfen. Selbst dann, wenn es viel zu spät und viel zu wenig
ist.