Zum Nachtisch meldet ein Rechtsanwalt Zweifel an
Auschwitz an
Beim Essen mit Düsseldorfer
Honoratioren erntet ausgerechnet Zentralratschef Spiegel den Vorwurf,
Antisemitismus zu schüren
Von Ingrid Müller-Münch (Düsseldorf)
Zum Gänse-Essen hat die Deutsche Bank im November
2000 ein handverlesenes Publikum auf Düsseldorfs Königsallee eingeladen.
Eine Amtsrichterin will nun erkunden, ob ein Teilnehmer zum Nachtisch
volksverhetzende Äußerungen servierte.
"Das Essen war hervorragend, die Gans schmeckte
vorzüglich", beschrieb der Präsident des Zentralrates der Juden, Paul
Spiegel, am Montag vor dem Düsseldorfer Amtsgericht den Beginn des
Martinsgans-Essens, zu dem die Deutsche Bank 70 Honoratioren geladen
hatte. Zum Dessert hielt Spiegel auf Einladung der Gastgeber einen
Vortrag über jüdisches Leben in Deutschland. Im Verlauf der
anschließenden Diskussion fiel ein Wortbeitrag aus dem Rahmen, "eisige
Stille" breitete sich im Raum aus. Spiegels Frau verließ - in Tränen
aufgelöst - den Saal.
In seinem Vortrag erwähnte Spiegel die Deportation
seiner kleinen Schwester und deren Vergasung in Auschwitz. Im Anschluss
daran meldete sich ein Düsseldorfer Rechtsanwalt zu Wort. Er sei als
15-jähriger Pimpf in einer Flakbatterie in der Nähe von Auschwitz
stationiert gewesen. Von dort aus sei man zum Duschen, Saunen und
Entlausen in das Lager Auschwitz gefahren, ohne etwas von Gräueltaten an
Juden zu bemerken. Auch sein Vater, später von ihm hierzu befragt, habe
ihm versichert, hiervon nie etwas gehört zu haben. Darüber hinaus, fügte
der Rechtsanwalt noch an, müsse sich Spiegel fragen lassen, ob er seine
Bemühungen um eine Verständigung von Juden und Nichtjuden in
Deutschland, der die von jüdischer Seite erhobenen Forderungen nach
finanzieller Entschädigung schon genug schadeten, nicht geradezu
konterkariere, wenn er die Erinnerung an diese Gräueltaten immer wieder
wachrufe.
"Eine subtile Art der Auschwitz-Lüge", nennt Paul
Spiegel diese Äußerungen. Er selbst hatte keine Anzeige gegen den 71
Jahre alten Rechtsanwalt erstattet. "Dann hätte ich viel zu tun. Dann
würde ich nur noch meine Zeit im Gericht verbringen", erklärte er seine
Reaktion. Zumal am nächsten Tag bei ihm ein Blumenstrauß samt Brief
einging, in dem der Rechtsanwalt bedauerte, das Wort "lächerlich" in
Zusammenhang mit dem Rechtsextremismus benutzt zu haben. Auch habe er
sich bei dem Wort "Moralkeule" in Zusammenhang mit der
Auschwitz-Erwähnung "vergriffen", er sei an diesem Abend "nicht Herr
seiner Worte" gewesen.
Spiegel hatte versucht, so erklärte er als Zeuge dem
Düsseldorfer Amtsgericht, die Sache nach dem Brief abzuhaken. Doch
nachdem sich beim Westdeutschen Rundfunk ein Kommentator des
Gänse-Essens angenommen hatte, erstatteten Radiohörer Anzeige. Die
Amtsrichterin ließ sich nicht auf einen Strafbefehl gegen den Anwalt
ein, sondern wollte es genau wissen. Und erfuhr nun am Montag, dass
Spiegel eines vor allem "deprimiert" hat. Nicht nur, dass er bislang
noch nicht gehört hat, "wie jemand sagt, ich war in Auschwitz und habe
nichts davon bemerkt, dass dort Juden umgebracht werden". Darüber hinaus
empfand er es als "ausgesprochen merkwürdig, dass ich für den
Antisemitismus in Deutschland verantwortlich gemacht werde". Was Spiegel
allerdings an diesem Abend besonders erschütterte, war die Reaktion der
etwa 70 sonstigen Gänse-Esser, darunter Düsseldorfs Oberbürgermeister
Joachim Erwin, Universitäts-Rektor Gert Kaiser und Regierungspräsident
Jürgen Büssow: "Niemand hat etwa gesagt: ,Wir sind nicht dieser
Auffassung. Das hier ist eine Einzelmeinung.' " Die Amtsrichterin will
nun weitere Teilnehmer des Mahles hören und vertagte die Verhandlung
zunächst bis auf weiteres.
haGalil onLine 15-01-2002 |