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Der Antisemitismus
wird kaschiert

TRIBÜNE-Gespräch mit Dr. Alexander Brenner, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Berlin

Dr. Alexander Brenner

TRIBÜNE: Sie sind Vorsitzender der größten und zugleich noch immer wachsenden jüdischen Gemeinde der Bundesrepublik Deutschland. Fast 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und damit der Schoah bezeichnete der Historiker Arnulf Baring den Umgang der Deutschen mit Auschwitz als „moralischen Größenwahn“. Beflügeln solche Aussagen gerade Konservative und Rechte, ihre Forderungen nach dem viel zitierten „Schlussstrich“ zu forcieren?

BRENNER: Wissen Sie, ich begreife allein die dahinterstehende Semantik nicht – was bedeutet für den Historiker Baring „moralischer Größenwahn“? Er gehört bei den Historikern sowieso in eine gewisse konservative Ecke. Wie kann man den Umgang mit Auschwitz und damit der Schoah als „Größenwahn“ bezeichnen? Das wirft vor allem ein bezeichnendes Licht auf diesen Historiker, und ich erachte diese Aussage als ungeheuerlich. 
 

TRIBÜNE: Das 20. Jahrhundert wurde geprägt von zwei Weltkriegen, Genoziden, dem Holocaust und Vertreibungen infolge von Kriegen und Bürgerkriegen. Ein Ende des Gedenkens gerade an den Holocaust fordern aber vor allem jene, die sich bei jeder bietenden Gelegenheit die Vertreibung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg thematisieren – und diese war ja schließlich die Folge der von Deutschen begonnenen Kriege und verübten Verbrechen. 

BRENNER: Ich glaube, ich kann für Juden generell – auch für die Opfer und deren Nachkommen – sprechen: wir werden niemals das Gedenken an unsere Toten, an die Ermordeten der Schoah verdrängen oder vergessen. Jene, die dafür plädieren, sich nicht weiter mit der Schoah zu beschäftigen, sind Menschen, die einen Schlussstrich unter die gesamte Geschichte ziehen wollen und die nicht bereit sind, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Wir werden alles tun, um das Gedenken an unsere Toten und auch die Folgen des Holocaust aufrecht zu erhalten. 

TRIBÜNE: Ist es nicht einmalig, dass gerade jene für ein Ende der Erinnerung an den Holocaust eintreten, die im Gegenzug die Vertreibung der Deutschen aus bestimmten Gebieten und Regionen in Osteuropa thematisieren? 

BRENNER: Sicher, Sie haben recht. Das ist eben eine bestimmte Doppelmoral. Von den einen – von uns Juden – wird verlangt, wir sollten „endlich“ einen Schlussstrich ziehen. während die anderen die Folgen eines von den Deutschen selbst verursachten Krieges für immer in Erinnerung bewahren möchten. Die Vertreibung und das teilweise begangene Unrecht waren jedoch eine Folge von Schoah und Krieg. Das gehört zusammen. 

TRIBÜNE: Die rechtsradikalen Ausschreitungen sind im Jahr 2000 im Vergleich mit dem Vorjahr um knapp 75 Prozent angestiegen. Die juristische Verfolgung dieser Täter – wenn sie überhaupt gefasst werden – wird medienwirksam herausgestellt. Meistens sind die verhängten Strafen jedoch sehr gering und so gleichsam ein erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer. Zudem schreckt dies Nachahmungstäter nicht ab.

BRENNER: Dem stimme ich vollkommen zu. Die juristische Ahndung rechtsradikaler Taten endet manchmal mit vollkommen lächerlichen Strafen, die nicht abschrecken und in gar keinem Verhältnis zu der verübten Tat stehen. Juristische Maßnahmen allein werden des Rechtsradikalismus aber auch nicht Herr – egal, wie hoch die Strafen sind. Prävention und Aufklärung müssen intensiviert werden und die Kontakte zwischen den einzelnen Minderheiten sollten enger werden. Doch es spielt auch eine Rolle, wie beispielsweise über Minderheiten in den Medien berichtet wird. Nehmen Sie nur den Nahostkonflikt und die Berichterstattung in den deutschen Massenmedien – das ist zum Teil Wasser auf die Mühlen der Antisemiten und Rechtsradikalen, weil Israelis und Juden gleichgesetzt und negativ betrachtet werden.

TRIBÜNE: Dem stimme ich voll und ganz zu. TRIBÜNE wird sich dieses Themas in Zukunft verstärkt annehmen. Viele von den fast 90.000 Juden, die hier zu Lande leben, kamen nach dem Zusammenbruch des früheren kommunistischen Ostblocks nach Deutschland. Sie sind in ihrer alten Heimat von Verfolgung bedroht und sind auch bei uns Antisemitismus ausgesetzt. Wie wird dies in der jüdischen Gemeinschaft thematisiert, wie wird mit antisemitischen Drohungen umgegangen?
 

BRENNER: Die absolute Mehrheit der Juden, die aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik kommen, verlassen ihre Heimat aus zwei Gründen. Natürlich gehört der materielle Aspekt dazu, denn sie möchten ihren Lebensstandard, wie andere Osteuropäer auch, endlich anheben. Hinzu kommt die Gefahr eines massiven antisemitischen Ausbruchs. Sollte es in der GUS zu irgendwelchen Unruhen kommen, werden wegen des latenten, aber zugleich weit verbreiteten und stark verwurzelten Antisemitismus die ersten Opfer Juden sein. Diese Befürchtung ist berechtigt. Deshalb wandern viele Juden bereits jetzt aus. Was den Antisemitismus hier zu Lande angeht: Die Neueinwanderer kümmern sich nicht zuerst um diese neu-alten Gefahren. Auch beherrschen sie nicht alle die Sprache, können über Rechtsradikalismus und Antisemitismus daher auch nichts lesen. Hinzu kommt, dass sie interessanterweise in der Bundesrepublik nicht zuerst als Juden, sondern als „Russen“ behandelt und angesehen werden. Das ist eine Groteske: in Russland, der GUS, werden sie zuerst als Juden gesehen und diskriminiert und hier als Russen. Sie stoßen also zuerst auf Ausländerfeindlichkeit und dann erst auf Antisemitismus. 

TRIBÜNE: Durch unsere eigenen empirischen Untersuchungen 1990/91 sowie die Erhebungen von Instituten in den nachfolgenden Jahren konnte festgestellt werden, dass Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus eng mit dem Bildungsniveau verknüpft sind. 

BRENNER: Damit bin ich nicht ganz einverstanden. Diese aus den 1960ern stammenden Theorien, dass alles vom sozialen und bildungspolitischen Niveau abhängt und der Bildungsstandard auch das Maß der Vorurteile beeinflusst, kann ich nach meinen Erfahrungen nicht mehr so teilen. Ich sehe, dass gerade der Antisemitismus noch von ganz anderen Faktoren abhängt. Antisemitismus kann man nicht alleine mit Rationalität und Bildung bekämpfen. Das haben Juden bereits in den 1920ern versucht und es hat nicht gefruchtet. 

TRIBÜNE: Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Antisemitismus gemacht, wenn Sie nicht nur die sozial schwachen und weniger gebildeten Schichten berücksichtigen?

BRENNER: Ich habe den Antisemitismus in allen Schichten der Bevölkerung bemerkt und zu spüren bekommen. Bei intellektuellen ist der Antisemitismus nur nicht so primitiv wie in den sozial schwächeren Schichten, wo einfach artikuliert wird und ein irrationaler Neid eine große Rolle spielt. In den gebildeteren Kreisen gibt es aber auch diese unbestimmte Aversion und die Vorurteile gegen uns Juden. Sie werden bloß besser versteckt und eleganter formuliert.

TRIBÜNE: Die antisemitischen Vorurteile werden also in Gesellschaft und Familie tradiert und zugleich stetig „modernisiert“. Durch Ereignisse wie die Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter oder auch den Nahostkonflikt sowie die begleitenden Diskussionen werden diese Stereotype immer wieder neu belebt. 

BRENNER: Die alten Vorurteile kriegen durch so etwas zusätzliche Nahrung und werden der Situation angepasst. Man hat zuerst das Vorurteil und sucht dann nach vermeintlich rationalen Gründen, um das Vorurteil zu rechtfertigen. 

TRIBÜNE: Im Vergleich mit anderen Staaten haben wir uns in Deutschland bis in die 1980er hinein mit der Erinnerungskultur schwer getan – obgleich es in Frankreich oder gar Japan noch ganz anders aussieht, was die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit betrifft. Wenn wir aber die oft unwürdige Diskussion über das geplante Holocaust-Mahnmal betrachten, minimalisiert sich dieser Fortschritt jedoch schon wieder.

BRENNER: Ich kann schlecht beurteilen, wie die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte in Japan oder Frankreich aussieht, doch ich glaube, dass man sich gerade in Frankreich immer mehr mit dem ganzen Spektrum zwischen Résistance und Kollaboration befasst. Übrigens: Auch die Juden selbst haben sich lange nicht der Vergangenheit stellen können – wenn auch aus anderen Gründen als z. B. das Land der Täter. Die Auschwitz-Generation hat im Gegensatz zu den Deutschen versuchen müssen, die Erinnerung in den ersten Nachkriegsjahren in den Hintergrund zu drängen, denn sonst wäre kein Weiterleben möglich gewesen. Erst seit den 1980ern ist es uns möglich, dass wir uns damit befassen, und das gilt für alle Juden, ob in Israel, hier zu Lande oder die jüdische Diaspora in den USA. Selbstverständlich gibt es darüber hinaus einen normativen Unterschied zwischen Deutschland und anderen Staaten Europas. Deutschland hat den Holocaust erdacht, ermöglicht und durchgeführt, und auch wenn es in anderen Ländern zur Kollaboration kam, ist die Initiative zum Mord an den europäischen Juden von Deutschland ausgegangen. Eine Beschäftigung mit dieser Vergangenheit musste sein. 

TRIBÜNE: Die Erinnerung, so auch die Mahnmal-Diskussion, scheint dem Antisemitismus immer wieder neue Nahrung zu geben.

BRENNER: Solche Diskussionen mobilisieren den Antisemitismus nicht, sondern legen ihn offen. Allein die Leserbriefe in den Zeitungen zeugen von erschreckenden Vorurteilen. Das Mahnmal wurde zu einem Ventil, um diese Haltung nach außen zu tragen, ebenso wie jede Eskalation im Nahostkonflikt dazu dient. 

TRIBÜNE: Die Stimmung ist aufgeheizt. Nach dem Terroranschlag auf die USA am 11. September mischten sich in die Trauer und das Entsetzen sehr schnell jene Stimmen, die in Israel den wahren Schuldigen sehen – weil die USA und Israel enge Verbündete sind und dies quasi die radikalen Islamisten provoziert.

BRENNER: Israel wurde in den vergangenen Jahren durch Antisemiten zur „Keimzelle“ des so genannten „Weltjudentums“ abgestempelt. Israelis und Juden in der Welt werden synonymisiert. Es ist geradezu grotesk und absurd: Überall versucht man, den alten Sündenbock aus dem Hut zu zaubern, und kaschiert wird der Antisemitismus durch den Mantel des Antizionismus. Viele versuchen daher, sogar die Tragödie vom 11. September letztlich Israel in die Schuhe zu schieben. 

TRIBÜNE: Nach langen Vorbereitungen wurde das Jüdische Museum in Berlin mit mehr als 1.000 Ehrengästen eröffnet. Für die Öffentlichkeit ist es kaum nachvollziehbar, warum der Direktor ein US-Amerikaner und der Leiter der Ausstellung ein Neuseeländer ist. 
Wie können Sie sich darüber hinaus erklären, dass bei der Einweihung des Museums kein einziger jüdischer Repräsentant aus Deutschland gesprochen hat?

BRENNER: Auch der Bundeskanzler hat nicht gesprochen. Dieses Event wurde ja protokollarisch sehr hoch gehandelt und auch Herr Blumenthal stand vor fast unlösbaren Aufgaben: wer soll sprechen, wer wird eingeladen, wer wird wo platziert? Er hat es meiner Ansicht nach ganz elegant gelöst und dann auch lieber weniger Menschen reden lassen als zu viele. 

TRIBÜNE: Amerikaner und Engländer haben, ohne dass die jüdische Gemeinschaft in diesen Ländern unmittelbar von der Schoah betroffen war, jüdische Museen und Holocaust-Museen eingerichtet. Die bekanntesten sind jene in London und Washington. Aber auch in zahlreichen anderen Städten der USA gibt es solche Einrichtungen, hinzu kommt z. B. auch das Simon-Wiesenthal-Center. Die Museen werden erfreulicherweise besonders von Jugendlichen besichtigt. Es gibt Studientage und Projekte. Bei uns dauerte es Jahre, bis es zu dem Beschluss kam, überhaupt ein Mahnmal zu errichten. 

BRENNER: Die jahrelange Diskussion um das Mahnmal war ermüdend, wenngleich am Ende ein Bundestagsbeschluss stand. Auch möchte ich noch Mal darauf hinweisen, dass der Zentralrat der Juden in Deutschland eine einstimmige Erklärung verabschiedet hat, nach dem  wir die Errichtung des Mahnmals begrüßen. Ich hoffe, dass allein dadurch, dass dieses Mahnmal im Zentrum Berlins steht, die Erinnerung an das Geschehen wachgehalten wird – als ewige und sperrige Erinnerung an das, was den Juden von Deutschen angetan wurde.

TRIBÜNE: Das Wissen deutscher Jugendlicher über die Schoah und Auschwitz oder die Pogromnacht im November 1938 ist nicht sonderlich groß. Auch hier hängen Schulniveau und Kenntnisse eng miteinander zusammen. Erstaunlicherweise gibt es trotzdem ein breites Interesse an dem, was unter dem Begriff „Klezmer-Romantik“ und „Falafel-Essen“ etwas süffisant zusammengefasst werden kann. Philosemitismus und Unkenntnis – auch über die Sorgen und Hoffnungen der Juden in Deutschland nach 1945 – halten sich also die Waage. 

BRENNER: Ich würde das nicht so sehen und ich stehe dem Philosemitismus nicht so kritisch gegenüber. Kein Franzose stört sich an der Frankophilie eines Nichtfranzosen. Viele Juden vergleichen Antisemitismus und Philosemitismus, ich persönlich teile diese Auffassung nicht. Mir ist ein Philosemit immer noch lieber als ein radikaler Antisemit. Selbst die Verkitschung des Judentums durch Philosemiten und die Klezmer-Romantik kann ich noch weitaus besser ertragen als den Antisemitismus. Das ist meine Überzeugung. 

Das Gespräch führte Otto R. Romberg

TRIBÜNE aktuell / vom 6.12.2001

 

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