* Dozent an der Kunsthochschule von Utrecht, Leiter der
dortigen Forschungsstelle. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "État des
lieux de la création en Europe. Le tissu culturell déchiré", Paris
(LHarmattan) 1999, und "Copyrights: a choice of no choice for artists
and Third World countries", Köln (Köppe) 1999.
Die großen Medienkonzerne überziehen die Erde mit ihren Satelliten- und
Kabelnetzen. Was nützt es ihnen aber, über sämtliche Informationskanäle
der Welt zu gebieten, wenn sie nicht auch über die Inhalte verfügen? Die
Rechte an deren Eigentum regeln Copyright und Urheberrecht. Nach den
Fusionen großer Medienunternehmen wie AOL und Time Warner kann man
annehmen, dass in naher Zukunft eine Handvoll solcher Konzerne die
Rechte an nahezu allen künstlerischen Erzeugnissen der Vergangenheit und
Gegenwart besitzen werden. Bereits heute verfügt die zum Imperium von
Bill Gates gehörende Corbis weltweit über die Rechte an 65 Millionen
Bildern, von denen 2,1 Millionen online verfügbar sind.
Das einst schlüssige Konzept des Urheberrechts verwandelt sich so zu
einem Instrumentarium, mit dem einige wenige Konzerne die Kontrolle über
den geistigen Besitz der Allgemeinheit erlangen. Dabei handelt es sich
jedoch nicht um schlichten Missbrauch, den man einfach abstellen könnte.
Rosemary Coombe, eine kanadische Anthropologin und
Urheberrechtsexpertin, stellt fest, dass in den "Konsumgesellschaften
die Mehrzahl der Bilder, Texte, Motive, Label, Logos, Warenzeichen, des
Warendesigns, der Melodien und sogar Farben und Gerüche unter das
Prinzip des geistigen Eigentums fallen oder darüber kontrolliert
werden."(1)
Die Auswirkungen solcher monopolistischen Kontrollstrukturen sind
katastrophal. Denn verbreitet wird lediglich die Kunst und Unterhaltung,
über deren Rechte einige mächtige Konzerne verfügen. Sie konzentrieren
sich darauf, einzelne "Stars" aufzubauen, in die sie hohe Summen
investieren, und verdienen an den Nebenprodukten ihrer Vermarktung.
Angesichts des hohen Investitionsrisikos setzen sie auf aggressives,
weltweites Marketing, das kulturelle Alternativen aus dem Bewusstsein
der Menschen verdrängt. Die Vielfalt der künstlerischen
Ausdrucksmöglichkeiten bleibt dabei auf der Strecke.
Gleichzeitig ist eine starke Verrechtlichung auf allen Ebenen der
schöpferischen Tätigkeit zu beobachten. Die Konzerne, die im großen Stil
Rechte aufkaufen, sichern sich diese durch paragraphenreiche Verträge
und verteidigen sie mit Hilfe von hoch spezialisierten Rechtsanwälten.
Die Künstler ihrerseits müssen darauf achten, von den Konzernen nicht um
die Früchte ihrer Arbeit gebracht zu werden. Sie sehen sich gezwungen,
ihre Interessen ebenfalls von Anwälten vertreten zu lassen, wozu ihnen
weit geringere Mittel zur Verfügung stehen.
Mit den Urheberrechten verdienen die Konzerne ein Vermögen. Eine
Bedrohung stellen allerdings private Raubkopien dar, durch die sich
Musik und andere Werke "demokratisch" verbreiten. Sie richten jährlich
einen Schaden von über 200 Milliarden Dollar an. Der Kampf gegen diese
Piraterie scheint spätestens mit MP3, Napster oder Wrapster verloren.
Solche Internetplattformen ermöglichen es, enorme Mengen von Musik,
Bildern, Filmen oder Software aus einem weltweit verfügbaren Datenvorrat
herunterzuladen. Die Tonträgerindustrie ist davon verständlicherweise
wenig begeistert.
Der Australier Philip Kennicott sieht durch Napster das gesamte
bisherige System der Herstellung und Vermarktung von Musik in Frage
gestellt. "Die Amerikaner", schreibt er, "begehen den Fehler, eine
bestimmte Art von Popkultur - die Publikumsrenner der amerikanischen
Unterhaltungsindustrie - mit der amerikanischen Kultur gleichzusetzen,
als ob Filmerfolge und millionenfach verkaufte CDs das ganze kreative
Potenzial der USA darstellten. Dass die Produkte der
Unterhaltungsindustrie der Kitt seien, der die Völker zusammenhält, ist
ein sehr verführerischer Gedanke. Aber diese Art von volksnaher Kultur
im Besitz von Medienkonzernen ist etwas ganz anderes als die Kultur
eines Volkes, die niemandem gehört."(2)
Man darf nicht vergessen, dass Computer und Internet für die Künstler
eine einzigartige Möglichkeit darstellen, Neues unter Verwendung von
Material hervorzubringen, das ihnen aus sämtlichen künstlerischen
Strömungen der Welt und aller Epochen zufließt. Sie tun damit nichts
anderes als Bach oder Shakespeare. Es gehört zum Wesen des
schöpferischen Prozesses, die Ideen und auch einen Teil der Arbeit von
Vorgängern zu nutzen - sofern dabei kein Plagiat herauskommt.
Das Urheberrecht behindert die Vielfalt der Kunst
DER Philosoph Jacques Soulillou macht dazu eine interessante
Bemerkung: "Es ist schwierig, in Kunst und Literatur ein Plagiat
nachzuweisen, weil es nicht genügt, zu zeigen, dass B aus A geschöpft
hat, ohne seine Quellen anzugeben, sondern weil man auch beweisen
müsste, dass A aus niemand anderem geschöpft hat. Ein Plagiat aber würde
voraussetzen, dass der Rückgriff von B auf A mit diesem endet, denn wenn
man belegen könnte, dass A bereits irgendeinen Vorgänger X benutzt und
ihn somit plagiiert hat, würde das den Vorwurf gegen B entkräften."(3)
Das System des Urheberrechts scheint also auf ein Prinzip gegründet,
das weniger einleuchtend ist, als man normalerweise annimmt. Wie soll
man sich vorstellen, dass jemand ein Gedicht schreibt, ohne auf andere
Gedichte zurückzugreifen? Folgerichtig stellt Rosemary Coombe die Frage,
in welcher Weise die Berühmtheit eines Stars und sein Marktwert
überhaupt von ihm selbst abhängen: "Der Ruhm muss zunächst produziert
werden . . . Das Image der Stars wird in den Studios, von den Medien und
den Public-Relations-Agenturen gemacht, von Fanclubs,
Klatschkolumnisten, Fotografen, Friseuren, Fitnesstrainern, Lehrern,
Drehbuchschreibern, Ghostwritern, Regisseuren, Anwälten und Ärzten."
Immer mehr Ökonomen kommen zu dem Schluss, dass von einer Ausweitung
der Urheberrechte eher die Investoren als die schöpferischen oder
ausübenden Künstler profitieren würden. Tatsächlich werden 90 Prozent
der auf diesem Gebiet erzielten Einnahmen an nur 10 Prozent der Künstler
verteilt. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Martin Kretschmer
stellt fest, dass die "Rhetorik des Urheberrechts hauptsächlich von
Dritten vorgetragen wird: von Buchverlagen und Musikproduzenten, also
von denjenigen, die in die Kreativität investieren und die auch die
größten Nutznießer dieser ausgedehnten Schutzrechte sind."(4)
Der Dritten Welt kommt dieses System ebenfalls nicht zugute. James
Boyle bringt es auf den Punkt: Um in den Genuss seiner Rechte am
geistigen Eigentum zu kommen, muss sie der Künstler erst einmal
nachweisen. "Diese Grundforderung begünstigt in unverhältnismäßiger
Weise die industrialisierten Länder. So passieren Kurare, Batik, Mythen
und der Lambada völlig ungeschützt die Grenzen der Entwicklungsländer,
während Prozac, Levis, die Romane von John Grisham und der Film
,Lambada' mit dem Begleitschutz von Gesetzen über das geistige Eigentum
eingeführt werden."(5)
Es wäre also vernünftig, über ein neues System nachzudenken, das der
Vielfalt der künstlerischen Bestrebungen eher gerecht werden könnte.
Rosemary Coombe umreißt die Widersprüche, die es zu lösen gilt: "Kultur
ist nicht in abstrakte Begriffe eingebettet, die wir verinnerlicht
haben, sondern einerseits in einer Materialität von Zeichen und Texten
verankert, um die wir kämpfen, und andererseits in dem Eindruck, den
dieser Kampf auf unser Bewusstsein macht. Die dauernde
Auseinandersetzung und der Kampf um die Bedeutung ist das Wesen des
Dialogs. (. . .) Gesetze über das geistige Eigentum begünstigen den
Monolog anstelle des Dialogs und führen zu großen Machtunterschieden
zwischen den sozialen Akteuren im Kampf um die Vormachtstellung."
Ein zweites Ziel eines neuen Systems müsste sein, dass möglichst viele
Künstler von ihrer kreativen Tätigkeit vernünftig leben können. Die
direkte Beziehung zwischen dem Künstler und seinen Rechten, wie sie die
Philosophie des Urheberrechts zunächst annahm, gibt es praktisch
nirgends mehr. Warum also nicht einen Schritt weitergehen und das System
abschaffen? Warum es nicht durch ein anderes ersetzen, das eine bessere
Vergütung der Künstler in der Dritten Welt wie in den Industriestaaten
bieten könnte, das ihre Arbeit mehr respektierte und das freie geistige
Eigentum in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rückte?
Ist das Urheberrecht erst einmal abgeschafft, haben die Medienkonzerne
kein Interesse mehr, den Massengeschmack zu homogenisieren. Für den
Durchschnittskünstler würde sich die Situation vereinfachen: Ihm stünden
wieder unterschiedliche Märkte und ein offenes Publikum zur Verfügung,
nicht nur in seiner unmittelbaren Umgebung, sondern weltweit im
Internet; er könnte also ganz normal, ja sogar besser als zuvor seinen
Lebensunterhalt verdienen. Unternehmen und andere Werknutzer müssten
nichts mehr für die Urheberrechte zahlen und wären darüber hinaus den
damit verbundenen bürokratischen Papierkram los. Das heißt nicht, dass
die Nutzung künstlerischer Arbeit nun umsonst sein sollte.
Unternehmen und andere kommerzielle Nutzer künstlerischer Schöpfungen
verwenden Musik, Bilder, Zeichnungen, Texte und Filme, Choreografien,
Gemälde und multimediale Gebilde - alles mit dem Ziel, eine angenehme
Atmosphäre zu schaffen und dadurch ihre Gewinne zu erhöhen. Man müsste
daher den Gewinn der Unternehmen besteuern, die auf die eine oder andere
Weise Kunstwerke nutzen. Praktisch wären das alle Unternehmen. Dieses
Geld käme in einen Fonds, der nach gesetzlich geregelten Bestimmungen
verwaltet würde. Ausschüttungen würden an drei Gruppen erfolgen:
Künstlervereinigungen, einzelne Künstler und Künstler in der Dritten
Welt. Es gäbe also keine direkte Verknüpfung zwischen der tatsächlichen
Nutzung der Arbeit eines Künstlers und seiner Vergütung.
Die ideellen Rechte hingegen, welche die künstlerische und
wissenschaftliche Arbeit gegen Fälschungen sichern sollen, behindern
lediglich die schöpferische Tätigkeit. Die logische Schlussfolgerung
wäre, sie ganz abzuschaffen. Nur in den westlichen Gesellschaften haben
wir die bizarre Situation, dass die Gerichte bemüht werden, sobald man
meint, irgendwo seien Urheberrechte verletzt.(6) Es sollte in Zukunft
mehr um die Frage gehen, ob die Verwendung eines Werks oder eines Teils
davon mit Respekt geschehen ist und ob dadurch ein kreativer Beitrag
geleistet wurde, oder ob sie im Gegenteil nachlässig, langweilig und
ohne Engagement war.
Stellen wir uns aber vor, dass jemand das Werk eines anderen Künstlers
schlicht kopiert, vorgibt, es sei sein eigenes und es mit seinem Namen
versieht. Sofern es sich nicht um eine Bearbeitung handelt und auch
keinen kulturellen Kommentar zu einem anderen Kunstwerk darstellt, keine
parodistische Absicht und auch sonst kein kreativer Beitrag zu erkennen
ist, handelt es sich dabei ganz offensichtlich um Diebstahl, der
geahndet werden sollte.
Das Ziel müsste also sein, ein neues System zu schaffen, das den
Künstlern der Industrienationen und der Dritten Welt zu einem höheren
Einkommen verhilft. Es sollte die Aufmerksamkeit stärker auf eine
öffentlichen Debatte über den Wert der Kreativität lenken, sich um den
Erhalt eines offenen Zugangs zur Kultur bemühen und das Monopol der
Kulturindustrie beseitigen, die vom System der Urheberrechte lebt.(7)
dt. Thomas Wollermann
Fußnoten: