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Hier das Einleitungsreferat der Veranstaltungsreihe ERINNERUNGSABWEHR UND ZAHLUNGSVERWEIGERUNG
Almosen für die Opfer, Sicherheit für die Täter – Deutsche Wiedergutwerdung und das Diktat gegen die Überlebenden

Erinnerung – Verantwortung – Zukunft:
Zur Kritik deutscher Zahlungsverweigerung und der Abwehr der Erinnerung

"Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" – Der Name der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft, deren Ziel keinesfalls der Versuch einer sogenannten Entschädigung der wenigen, Ausbeutung, Pein und Todesdrohung entronnenen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ist, sondern die systematische Abwehr und Desavouierung ihrer berechtigen Forderungen, nimmt in sich die zentralen Bestandteile deutscher Verweigerung einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf.

Nicht nur verdeutlicht schon der Name die Entleerung und den Selbstbezug um den die deutsche Erinnerung kreist. Es ist vor allem eine Erinnerung, die keinesfalls jene "Leerstelle des Schweigens", die in der ausgelöschten Erinnerung der Toten selbst besteht, reflektiert. In ihrer Substanzlosigkeit produziert sie immer wieder nur fragwürdigste Identität, den bruchlosen Fortgang einer deutschen Geschichte, statt die Ermordung in Vernichtungslagern und an anderen Orten als nie mehr zu kittenden Riss zu reflektieren.

Die Deutschen haben, nach einem Wort Adornos, ihre Opfer Schlimmeres zu fürchten gelehrt als den Tod; sie nahmen ihnen auf qualvolle Art und Weise ihre Würde, indem sie sie durch Arbeit vernichteten, sie sich zu Tode schuften und dabei verhungern ließen. Sie reduzierten sie aufs bloße Objekt, mit dem nach Art der Herrenmenschen nur noch verfahren werden sollte, auf die Nummer als Symbol jener Abstraktion, die die Täter so sehr hassten. Ein Motiv der deutschen Tat aber, begangen von pathologisch-kalten, entsubjektivierten und dennoch gezielt hassenden deutschen Sozialcharakteren, war die Auslöschung von Erinnerung; einer Erinnerung der Toten selbst und auch der Erinnerung an die Toten. Die unwiederbringlich zerstörte Erinnerung der von den Deutschen Ermordeten markiert jene Leerstelle, Riss und Grenze der Erkenntnis zugleich.

Dieser Riss und diese Grenze sind es, von der wir ausgehen angesichts der Kontinuität von Abwehr und Beleidigung der Opfer im Land der Täter bis zum heutigen Tag. Ihn zu reflektieren bedeutet die Kritik dieser Kontinuität, des Weiterlebens der Vergangenheit in den Menschen wie in den Verhältnissen, die sie umklammern. Und es bedeutet sich der unwiederbringlichen Erinnerung der Ermordeten anzunähern in den Erinnerungen der wenigen Überlebenden der Verbrechen, denen, die der Vernichtung nur zufällig entronnen.

Wenn wir die Zwangsarbeit thematisieren, zu der Menschen in einem historischen Bündnis aus Staat, Bevölkerung und Wirtschaft gezwungen, ja versklavt wurden, dann müssen wir uns sowohl der Dimension, als auch den fortwirkenden Folgen der Verbrechen sowohl im Leben der Überlebenden, wie davon ganz verschieden im Land der Täter bewusst werden. Deutsche Wirtschaft und Gesellschaft realisierten gigantische Profite aus Raub, sogenannter "Arisierung", Zwangsarbeit und aus von den besetzten Ländern erpresste Staatsanleihen. Der Zwang zur Arbeit unter permanenter Todesdrohung hat bei der Realisierung dieses Profits einen zentralen Stellenwert.

Rund zehn Millionen Menschen wurden während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen zu Zwangsarbeit gezwungen. An jedem dritten Arbeitsplatz waren Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt. Fast alle Unternehmen haben zur Aufrechterhaltung ihrer Produktion Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen von staatlichen Stellen angefordert oder gezielt ausgesucht.
Rund sieben Millionen Menschen waren verschleppte Zivilistinnen und Zivilisten aus den von Deutschland besetzten Ländern, Kriegsgefangene und rund 600.000 Zwangsarbeiter aus den Konzentrationslagern.

Sogenannte "Ostarbeiter" aus der ehemaligen Sowjetunion und aus Polen stellten den höchsten Anteil. Schätzungsweise 100.000 Zwangsarbeiter waren Jüdinnen und Juden. Jüdische Zwangsarbeit ist ausschließlich in ihrer Verzahnung mit der Vernichtung der europäischen Juden zu verstehen: Die Arbeit für jüdische Menschen als Vorstufe zu deren Vernichtung war besonders hart, besonders grausam und vor allem in den ersten Kriegsjahren etwa in Polen durch die reiner Zwecklosigkeit gehorchenden Arbeiten die vor der Ermordung wahnhaft exekutierte, entwürdigende Demütigung.
Zwangsarbeiter wurden in allen Bereichen der Wirtschaft: von den Rüstungsbetrieben bis hin zum kleinen Handwerksbetrieb nebenan oder in Privathaushalten eingesetzt. In der Landwirtschaft betrug der Anteil ausländischer Zwangsarbeiter fast 50 Prozent, in der Industrie lag er bei 40 Prozent. Im Rüstungsbereich war jeder Zweite ein Zwangsarbeiter, in einzelnen Betrieben mit vielen ungelernten Arbeitern lag der Anteil bei 80 bis 90 Prozent. Bei Kriegsende existierten mehr als 1000 KZ-Außenlager, die direkt an Firmen angegliedert waren.
Die Deutschen reduzierten die Löhne der Polinnen, Polen und sogenannten "Ostarbeiter" auf Pfennigbeträge. Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge, die die anstrengendsten, gefährlichsten und schmutzigsten Arbeiten verrichten mussten, bekamen nichts. Ständiger Hunger, Appelle in den Lagern, Diskriminierungen und Strafen waren an der Tagesordnung. Unterkunft, Ernährung, Kleidung und medizinische Versorgung waren ungenügend. Gewalt im Lager und Schikanen am Arbeitsplatz kamen hinzu. Außerdem bestand vor allem für Frauen die permanente Drohung sexueller Gewalt und der Zugriff auf ihre Körper durch Vergewaltigung oder Zwangssterilisierung.
Besonders dramatisch war die Situation für KZ-Häftlinge und jüdische ZwangsarbeiterInnen, denn sie arbeiteten im "Schatten der Vernichtung". Die durch die Haftbedingungen entkräfteten Menschen mussten schwere Arbeiten verrichten; ihre Lebenserwartung betrug
nur wenige Monate. Unzählige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter haben das Ende des Krieges nicht mehr erlebt. Frauen, Männer, Kinder und Säuglinge starben wegen der unmenschlichen Bedingungen. Oder sie wurden aufgrund von Sabotage – tatsächlicher oder vermeintlicher, von Fluchtversuchen oder wegen Widerstandes an die Gestapo ausgeliefert. Deportation, Folter und Hinrichtung waren die Folgen. Bis heute sind die Überlebenden von der Verfolgung gezeichnet. Verschleppung und Erniedrigungen, Hunger und Entbehrung, Angst und Gewalt und der Verlust naher Angehöriger haben unauslöschliche Spuren
hinterlassen. Heute leben viele in Polen, der Ukraine, Russland und Weißrussland in ärmlichsten Verhältnissen.

Die Deutschen haben ihre mörderische Vergangenheit nie ernsthaft "aufgearbeitet", sondern bloß bewältigt. Nach Adornos Mahnung aber wäre die Vergangenheit erst aufgearbeitet, wenn ihre Ursachen beseitigt wären. Doch statt dessen wurden die Profite aus den begangenen Verbrechen zur willkommen Grundlage des sogenannten Wiederaufbaus. Im mythischen Bild des "Wirtschaftswunders" sind die Verbrechen, vor allem die Ausbeutung der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen negativ enthalten. Die Bundesrepublik basiert wesentlich auf den Profiten aus der Zwangsarbeit, während die Forderungen der Opfer systematisch abgewehrt wurden. So ist die Geschichte der sogenannten "Entschädigung" eine Geschichte der Zahlungsverweigerung. Den widerwillig gezahlten 100 Milliarden Mark an "Entschädigung" stehen 400 Milliarden Mark an Pensionen und Leistungen an deutsche Kriegsverbrecher und Massenmörder gegenüber. Ihnen galt die Solidarität der jungen Bundesrepublik. Sie – die halluzinierten deutschen Opfer – waren es, die Konrad Adenauer in seiner ersten Regierungserklärung 1949 erwähnte: deutsche Kriegsopfer und sogenannte "Vertriebene". Die Überlebenden der Shoah nannte er in keinem Wort. Stattdessen überlebte das Ressentiment, das "Weltjudentum als jroßer Macht" in den Worten Adenauers. Jede Entschädigungszahlung war ein strategischer Preis für die Westanbindung, deren Grundlage – der Antikommunismus – die Möglichkeit bot, die alten Ressentiments aufzubewahren und wiederzubeleben. Der in der Westanbindung verschwimmende Widerspruch zwischen ehemaligen Siegern und Besiegten kehrte sich um. Die Definitionsmacht über die begangenen Verbrechen holte sich die Bundesrepublik sowohl juristisch wie moralisch schon bald nach der Kapitulation zurück und kehrte sie gegen die Überlebenden.

Unter der Leitung des Nazi-Bankiers Hermann-Josef Abs, der an der "Arisierung" jüdischen Vermögens maßgeblich beteiligt war, gelang bei der Londoner Schuldenkonferenz 1953 der große Sieg über die vergangene Schmach. Sämtliche Ansprüche aus Kriegszerstörungen, Raub und Verbrechen wurden hinter einen zukünftigen Friedensvertrag zurückgestellt, Deutschland von jeder materiellen Forderung befreit.

Die deutsche Haltung zur "Entschädigung" Überlebender ist über die Jahre dieselbe geblieben: Partielle "Entschädigungsleistungen" ausschließlich aufgrund internationalen Drucks, Behauptung der Deutungsmacht gegenüber den Opfern in der Entschädigungsgesetzgebung und –praxis, systematischer Schlussstrichversuch und grundsätzliche Erinnerungsverweigerung sowie die zunehmende Dreistigkeit mit der eigene Forderungen gegenüber den Opfern deutscher Verbrechen artikuliert werden.

Diese Tradition ist es, in der die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft steht. Ihre Funktion für den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit gewinnt sie aus ihrem Postulat der Verantwortung. Neben dem inflationären Gebrauch des Begriffs der Erinnerung ist es vor allem die Verantwortung, auf der mit der Präambel auch das gesamte "Gesetz zur Errichtung einer Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft’" basiert. Dort kann man beispielsweise nachlesen, dass "deutsche Unternehmen, die an dem nationalsozialistischen Unrecht beteiligt waren, historische Verantwortung tragen und ihr gerecht werden." Nicht von Schuld – weder materiell, noch moralisch – ist die Rede sondern von "Verantwortung". Das begangene Verbrechen der Zwangsarbeit, das, so sagt dieser Satz keineswegs allen zuzurechnen sei und als "historisches" längst in die Geschichtsbücher verbannt gehört, wird zum Auftrag.

In seinem Aufsatz "Ressentiments" spricht der Auschwitz-Überlebende Jean Améry über die Realität Nachkriegsdeutschlands und so sehr es auch als Anmaßung erscheint, seine Eindrücke zur Illustration dessen heranzuziehen, was sich seit 1998, seit den ersten Klagen gegen deutsche Unternehmen und ihre Diskreditierung durch die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ereignet hat, so erschreckend ist doch die prophetische Kraft seines Berichts – oder sagen wir besser die darin überdeutliche Kontinuität deutscher Ignoranz und Verweigerung. Er schreibt:

"Ich war Zeuge, wie die deutschen Politiker (...) eiligst und enthusiastisch den Anschluß an Europa suchten: Sie knüpften mühelos das neue an jenes andere Europa, dessen Neuordnung Hitler in seinem Sinne bereits zwischen 1940 und 1944 erfolgreich begonnen hatte. Es war auf einmal guter Boden für die Ressentiments, da brauchten nicht erst in deutschen Kleinstädten jüdische Friedhöfe und Mahnmäler für Widerstandskämpfer geschändet werden. Es genügten Gespräche wie eines, das ich mit einem süddeutschen Kaufmann 1958 beim Frühstück im Hotel geführt hatte. Der Mann versuchte mich (...) zu überzeugen, dass es Rassenhaß in seinem Lande nicht mehr gebe. Das deutsche Volk trage dem jüdischen nichts nach; als Beweis nannte er die großzügige Wiedergutmachungspolitik der Regierung, wie sie übrigens auch von dem jungen Staat Israel voll gewürdigt werde. Ich fühlte mich miserabel vor dem Mann, dessen Gemüt im Gleichen war: Shylock, der sein Pfund Fleisch fordert. Vae Victoribus! Die wir geglaubt hatten, der Sieg von 1945 sei wenigstens zu einem geringen Teil auch unserer gewesen, wurden genötigt, ihn zurückzunehmen. Die Deutschen trugen den Widerstandskämpfern und Juden nichts mehr nach. Wie durften diese da noch Sühneforderungen stellen?"

Es mag ein Zufall sein, dass Amérys "Gesprächspartner" – oder sagen wir besser "Nicht-Gesprächspartner" - ein süddeutscher Kaufmann war. Vertreter jenes Mittelstandes, den die 17 Gründungsmitglieder der Stiftungsinitiative, die Nachfolgeorganisationen der verbrecherischen IG Farben – BASF, Hoechst, Degussa-Hüls und Bayer, ehemalige Rüstungsfirmen wie DaimlerChrysler, VW und BMW, die organisierten Profiteure des Raubes jüdischen Eigentums – Deutsche Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und Allianz - so heftig umgarnten.

Die Stiftungsinitiative sollte – ähnlich ihren Vorbildern, dem deutschen Solidarpakt von Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik und ihrer Nachfolgerin dem "Bündnis für Arbeit" – ein Gemeinschaftsprojekt, gesellschaftsübergreifend und vor allem deutsch sein. Eine konzertierte Aktion für die Wiedergutwerdung Deutschlands, die in ihrer gesetzlichen Grundlage "Verantwortung" heißt. Nur so ist auch die Initiative der "einfachen Bevölkerung" zu verstehen mit freiwilligen Zahlungen von 20 DM der eigenen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, bei dem Versuch 5 Milliarden DM zusammenzubekommen – Peanuts – von denen die Unternehmen über Steuerrückzahlungen noch die Hälfte zurückbekommen.

So sehr auch die Freiwilligkeit zum obersten Prinzip des Zustandekommens jener dreisten 10 Milliarden DM, die Wirtschaft und Politik in den Entschädigungstopf geworfen hatten, gemacht wurde, so wenig kann bei seinem Zustandekommen von Freiwilligkeit gesprochen werden. Es waren jene nachtragenden ehemaligen Opfer, denen das deutsche Volk wie der großherzige süddeutsche Kaufmann betont, schon längst verziehen hat, die Wirtschaft und Politik zum Handeln gezwungen hatten. Hunderttausende von ehemaligen Zwangsarbeitern waren es, die nun nach Deutschlands Vereinigung und dem faktisch als Friedensvertrag geltenden Zwei-plus-Vier-Vertrag den lieben Frieden störten. Dies war nur möglich durch das in den Vereinigten Staaten bestehende Rechtsmittel der Sammelklagen. Sofern deutsche Firmen ihren Sitz in den USA hatten, konnte nun gegen sie geklagt werden. Ehemalige Zwangsarbeiter aus vielen Ländern konnten sich den Klagen anschließen, ohne den aussichtslosen und kostenintensiven Weg durch die rechtlichen Instanzen im Land der Täter gehen zu müssen. Heute ist kaum mehr sichtbar, wie empfindlich dieser Schlag die deutsche Exportwirtschaft getroffen hatte. Mitten in die Fusionsverhandlungen der Deutschen Bank mit der amerikanischen Gesellschaft Bankers Trust trafen die Klagen ins Herz des deutschen Selbstbewusstseins, die wirtschaftliche Prosperität. Doch Amérys rhetorische Frage "Wie durften diese da noch Sühneforderungen stellen?" blieb aktuell. Und auch das stereotype Bild des Shakespearschen Juden Shylock, der trotz seines vertragsmäßigen Rechtes als moralisch desavouiert erscheint, als er sein Pfund Fleisch vom Kaufmann von Venedig fordert, setzt sich fort. Von Anfang an ging es der Stiftungsinitiative um die Leugnung der Rechtmäßigkeit der angestrengten Klagen und um die gleichzeitige Diskreditierung und Verhöhnung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen. Die Forderungen der Überlebenden wurden transformiert in einen internationalen Prozess der Wiedergutwerdung Deutschlands auf Kosten seiner ehemaligen Opfer.

Der Zweck der Stiftungsinitiative bestand in der Herstellung von "Rechtssicherheit" für deutsche Unternehmen. In diesem Begriff aufgehoben ist die Proklamation des Schlussstrichs, der zumindest unter den materiellen Aspekt neudeutscher Verantwortung gezogen werden soll. So schreibt die Stiftungsinitiative in einem "Informationsblatt für Unternehmen":

"Das deutsche Gesetz zur Errichtung der Bundesstiftung geht davon aus, dass rechtliche Ansprüche nicht bestehen. Es enthält eine Regelung wonach – vereinfacht ausgedrückt – alle vermeintlichen Ansprüche gegen deutsche Unternehmen aus Zwangsarbeit und sonstigem NS-Unrecht in Deutschland nicht mehr geltend gemacht werden können."

Die Almosenzahlung zu der man sich bereiterklärte, das wenige Geld, das – so sieht man jetzt – niemals reichen wird, um jenen noch den Lebensabend zu verbessern, die jahrzehntelang unter den psychischen und körperlichen Folgen der Zwangsarbeit gelitten hatten, war nur für den Verzicht auf jede weitere Forderung zu bekommen. Mit der Leugnung eines individuellen Rechtes auf Entschädigung wurde nicht nur ein Grundprinzip bürgerlichen Rechts mal eben so zur Seite geschoben, in der Verzichtserklärung, die jede Antragstellerin zu unterschreiben hat, manifestiert sich auch der "final insult", jene letzte Beleidigung der Überlebenden.

Das Pochen auf die "Rechtssicherheit" war es auch, das den Hebel bot für die permanente Verzögerung der Zahlungen, für die Verbindung von gutem Gewissen und Zahlungsverweigerung, den Tod der Antragsteller einkalkulierend. Während der sogenannten Verhandlungen, bei denen die deutsche Seite den KlägerInnen ihre Forderungen diktierte, setzte sich die Ignoranz den Menschen gegenüber, um die es hier ging, fort im Ausspielen der Opfergruppen. Durch die Logik des Fonds wurde die Unverschämtheit der Almosenzahlung der Kritik entrückt und stattdessen die sich um die Interessen der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen bemühenden Organisationen angegriffen. Heute setzt sich die Ignoranz in der Praxis der Ende 1999 schließlich beschlossenen und seit diesem Sommer auch vereinzelt auszahlenden Stiftung fort. Ihre Aufsicht führende Behörde ist das Bundesministerium der Finanzen. Nie ging es um die Auseinandersetzung mit den historischen Verbrechen, die vielen Überlebenden weitaus stärker am Herzen lag. Immer ging es nur um die Verwaltung der Ansprüche, die Bürokratisierung der Verfahren und die erneute Reduzierung auf eine Zahl, ein Aktenzeichen in einer Finanzbehörde.

Die ehemaligen Opfer werden in die Rolle von Kronzeugen für eine gelungene Wandlung gezwungen. Wer zumindest noch eine Aussicht auf ein mögliches Almosen erhalten will, muss mit der Stiftung auch die Konstruktion der "Rechtssicherheit" und den Verzicht auf weitere Forderungen akzeptieren. Der ehemalige Peiniger ist längst zum großzügigen Spender geworden. Genau das bedeutet die "Verantwortung", die Auschwitz als Auftrag begreift. Das Stiftungsgesetz ist in seiner Wortwahl an diesem Punkt sehr genau. Dort "bekennt sich der Bundestag zur politischen und moralischen Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus." Deutschland übernimmt die Verantwortung für die Opfer, nicht für die Taten. Die begangenen Verbrechen, Raub und Zwangsarbeit tauchen nicht mehr auf. Von materiellen Ansprüchen wird hier bewusst nicht gesprochen.

Der Unterschied zwischen dem, was Deutschland in seiner Gesamtheit den Ermordeten, den Entronnenen und ihren Erben schuldet und dem, was es je zahlen musste, ist ein Unterschied ums Ganze. Allein für die nie gezahlten Löhne für Zwangsarbeit errechnete der Wirtschaftshistoriker Thomas Kuczynski 180 Milliarden Mark, was niedrig angesetzt war. Nähme man die Ansprüche der Einzelnen auf Anerkennung ihrer Schädigungen an Leib, Leben und ihrer Zukunft ernst im Versuch ihrer Entschädigung, praktizierte man des weiteren die Rückgabe allen geraubten, geplünderten, schnäppchenweise auf Kosten der Deportierten erlangten, hätte man außerdem die Absicht, Reparation zu leisten an die Länder der ehemaligen Sowjetunion, die versehrt wurde mehr noch als all die anderen okkupierten und dem deutschen Faschismus unterworfenen Länder – allein die Nennung der Schulden würde diesen Rahmen sprengen – es müsste der deutsche Staats- Unternehmens- und Privatbesitz dafür in Anschlag gebracht werden.

Es müsste also um die bedingungslose Erfüllung aller Forderungen aller von Deutschland Geschädigten und der Erben ihrer Versehrungen gehen. Das wäre der Versuch einer Entschuldigung, die es nie gegeben hat, so deutlich es auch ist, dass dies nicht mehr geschehen kann angesichts des Todes der letzten Zeugen der Verbrechen, so eindeutig ist an diesem Minimalen, das dennoch nichts ungeschehen machen könnte, festzuhalten.

Doch stattdessen manifestiert sich der Schlussstrich durch die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" nicht nur in der Verweigerung des Anspruchs auf Entschädigung, nicht nur, indem weitergehende Forderungen nach der Entschädigung von italienischen Kriegsgefangenen oder den Opfern von sogenannten Kriegsschäden in Griechenland oder die Konsequenz aus dem Raub jüdischen Eigentums hinter dem Konstrukt der Stiftung verschwinden sollen. Im sog. "Zukunftsfonds" weist die Stiftung über sich selbst hinaus. Über den Tod der letzten, der deutschen Verbrechen Entronnenen hinaus soll das Bestand haben, was unter dem Signum der "Zukunft" im Gesetz der Stiftung formuliert wird. Zu diesem Zweck wurden den Anspruchsberechtigten noch einmal 700 Millionen Mark aus dem Fonds vorenthalten. Ob in der Definition der Aufgaben der Zukunftsfonds überhaupt noch von Zwangsarbeit und Nationalsozialismus die Rede sein wird, darüber wird im Beirat noch gestritten, festgelegt ist per Gesetz seine Funktion als eine dauerhafte: er soll u.a. der "Erinnerung an die Bedrohung durch totalitäre Systeme und Gewaltherrschaft und der internationalen Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet dienen." So hat die deutsche Seite ihren Zukunfts-Auftrag aus Auschwitz UND der DDR gezimmert.

Zur gleichen Zeit haben die Angriffe auf die Gedenkstätten der Konzentrationslager eine neue Qualität erreicht: In Dachau, das von US-Truppen befreit worden war wurden Mitte September die kompletten Rückseiten und Seitenwände der rekonstruierten Häftlingsbaracken mit antisemitischen und antiamerikanischen Parolen beschmiert. So sehr sich die deutschen Neonazis in ihrem antisemitischen und antiamerikanischen Hass einig wissen mit den Attentätern von New York und Washington und diesen gegen die Erinnerung an die Opfer des deutschen Faschismus richten, so sehr bestätigt das öffentliche Schweigen und die massive Verharmlosung dieser Tat das Ausmaß der antisemitischen Drohung und der klammheimlichen Komplizenschaft. Der Protest blieb wie immer den Lagergemeinschaften überlassen.

Angriffe gibt es auch von Seiten der offiziellen Gedenkstättenleitungen selbst. In den einzelnen Zellen des Bunkers des ehemaligen KZ Ravensbrück sind seit 1959 20 Gedenkräume der Lagergemeinschaften der einzelnen Länder, aus denen Menschen nach Ravensbrück verschleppt worden waren entstanden. In der aktuellen Zielplanung für die Gedenkstätte heißt es wörtlich: diese seien noch "so lange zu akzeptieren..., wie Überlebende nach Ravensbrück zurückkehren."

Noch wird es internationalen Protest der Verfolgtenorganisationen gegen solche Angriffe geben. Doch mit dem Protest der Überlebenden und ihrem Zeugnis droht der Widerspruch gegen das zu verstummen, was in Zukunft als Konsequenz aus der Vergangenheit definiert wird. Auch von der deutschen Linken ist hier kaum etwas anderes zu erwarten. So wenig von ihr bisher ein Widerspruch gegen die permanente Abwehr der Forderungen der Überlebenden und ihrer Erinnerung zu hören war, sowenig auch sie den Riss reflektierte, den die unwiederbringliche Erinnerung der Ermordeten an die Tat markiert, so spürbar ist doch ihre weitgehende Gleichgültigkeit, ihr Einverstandensein mit den Verhältnissen, in denen die Ursachen für die Verbrechen fortbestehen.

Dagegen stehen während der kommenden Veranstaltungen die Positionen der Überlebenden im Mittelpunkt. Ihr Protest und ihre Forderungen, die permanent überhört und zurückgedrängt wurden, ihre Erfahrungen in den entwürdigenden sogenannten Verhandlungen mit der deutschen Industrie fordern von uns Widerspruch gegen eine deutsche Normalität, die immer ungeschönter zutage tritt. Rudy Kennedy Überlebender der Zwangsarbeit bei IG Farben wird von seinen Erfahrungen im Kampf um Entschädigung berichten, so wie auch die Teilnehmer der polnischen und der tschechischen Delegation Ludwik Krasucki und Felix Kolmer.

Die Kontinuität der Nichtentschädigung der Sinti und Roma, das ungehinderte Fortbestehen des antiziganistischen Ressentiments und die diplomatisch vorerst abgewehrten Forderungen aus Griechenland, Italien und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion verdeutlichen in den darauffolgenden Veranstaltungen die Dimension der Verbrechen und ihrer Folgen, die mit der Konstruktion der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" verdeckt werden sollen. Die Nötigung, den Sieg von 1945 zurückzunehmen, von der Jean Améry spricht, der Triumph der Täter über die Konsequenz aus ihren Verbrechen, scheint vollendet. Doch solange die Ursachen der Verbrechen fortbestehen, besteht auch die Notwendigkeit ihrer Kritik.

haGalil onLine 30-10-2001

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