Bin Laden als Drahtzieher des Terrors:
Lieber einen Feind als ein Feindbild
Kai Hafez
Bisher kann man nur spekulieren. Aber sollte
sich bestätigen, dass der saudi-arabische Multimillionär Ussama Bin
Laden die Terroranschläge in New York und in Washington in Auftrag
gab, so wäre fast der günstigste Fall eingetreten, der nach den
Attentaten noch denkbar war. Aus zwei Gründen.
Erstens: Seitdem die USA in ihrem innersten
Selbstverständnis verletzt worden sind, ist ein Gegenschlag höchst
wahrscheinlich. "Kollateralschäden" an der Zivilbevölkerung werden
dabei billigend in Kauf genommen. Ein Beispiel aus der Vergangenheit
ist der Golfkrieg, der 100.000 Menschen das Leben gekostet hat.
Angesichts dieser US-Tradition der Vergeltung wäre es
außerordentlich bedrohlich, falls die Drahtzieher der Attentate auf
das World Trade Center und das Pentagon längerfristig nicht
identifiziert werden könnten. Denn dann würden die Vereinigten
Staaten möglicherweise auf Verdacht militärisch aktiv.
Wahrscheinliche Ziele wären Afghanistan, der Irak, aber auch Zentren
der Hisbullah. Militärisch-strategisch würden diese Luftangriffe so
wenig nützen wie die immer noch fortgesetzten, wöchentlichen
Bombardierungen des Irak. Doch selbst die offenkundige Sinnlosigkeit
solcher Militäreinsätze würde die USA nicht unbedingt stoppen; zu
dringend ist die Erwartung an den Präsidenten, dass er
Entschiedenheit demonstriert.
Sollte jedoch tatsächlich Bin Laden der Urheber
der Attentate sein, so hätten die Vereinigten Staaten nicht nur ein
klares operatives Ziel, nämlich ihn zu verhaften oder auszuschalten
- vor allem wäre es eine Aufgabe, die begrenzt und lösbar ist. Denn
Bin Laden ist auch in der islamischen Welt isoliert: Er ist ein
Extremist ohne politischen Arm. Selbst die Taliban empfinden ihn als
gefährlich und haben seine Bewegungsfreiheit in Afghanistan
eingeschränkt. Daher könnte es gelingen, Bin Ladens habhaft zu
werden, ohne dass Tausende von Zivilisten unschuldig den Tod finden.
Zweitens: Der Extremismus Bin Ladens ist auch im
westlichen Wahrnehmungsraster zu erkennen. Damit ist die größte
Gefahr gebannt, dass in Europa und Amerika nach dem Anschlag alle
islamischen Gruppen und Parteien unterschiedslos als radikal
eingestuft werden. Eine solche Verhärtung der Vorurteile hätte
verheerende Auswirkungen auf den Friedensprozess im Nahen Osten
gehabt. So schrecklich es ist: Ein eindeutiger Feind ist immer noch
besser als ein virulentes Feindbild.
Der Autor ist
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Orientinstitut in Hamburg
taz 13.9.2001 Gastkommentar
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13-09-2001
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