"Die Palästinenser müssen der
Gewalt abschwören!"
Zalman Shoval gehört zu
den engsten Beratern Ariel Scharons. Er ist ein Mann mit reichlich
politischer Erfahrung, der ruhig und bestimmt die Lage Israels so
schildert, wie er sie sieht – nicht ohne Gefahren, aber auch nicht
ohne eine reelle Friedenschance. Shoval vertraut auf seinen Premier
und dessen pragmatische Strategien, meint, er sei ein Kenner der
historischen Verhältnisse und würde sich daher auch nichts vormachen
lassen – der Schlüssel zum Erfolg im Nahen Osten.
Von Chagit Adler
Chagit Adler: Der israelische
Journalist und Schriftsteller Uri Dan, Biograph Ariel Scharons,
sieht den neu gewählten Premierminister als Israels "Mann der
Stunde". Was veranlasst ihn Ihrer Meinung nach zu dieser
Einschätzung? Wer ist Ariel Scharon?
Zalman Shoval: Wir befinden
uns in einer für den Staat Israel äusserst schicksalhaften Periode.
Die Gegebenheiten erfordern, dass der Staatsmann, der während dieser
Zeit an die Spitze unserer Regierung tritt, dort seinen Mann steht,
denn die kritischen Entscheidungen, die jetzt zu fällen sind, werden
die Zukunft Israels nachhaltig beeinflussen. Seit der Staatsgründung
hat es keine solch bedeutungsschwere Phase mehr gegeben.
Mit der Wahl Ariel Scharons
zum Premierminister, hat die israelische Bevölkerung unter den
gegebenen Umständen einen weisen Schritt getan. Keiner kennt die
Geschichte des jüdischen Staates so wie Scharon – er war von Anfang
an mit dabei, hat die Kriegs- und Friedenszeiten entscheidend
mitgeprägt und ist daher, gemeinsam mit Schimon Peres, einer der
letzten israelischen Politiker mit so viel Erfahrung. Der Premier
besitzt somit die für einen erfolgreichen Verhandlungsprozess mit
den Palästinensern notwendige Autorität sowie das erforderliche
Know-how. Seine Haltung ist pragmatisch - ihm ist klar, dass es zum
gegenwärtigen Zeitpunkt keine ideale Regelung mit den Palästinensern
geben kann.
CHA: Was meinen sie mit
´keine ideale Regelung´? Welche Vorschläge wird Ariel Scharon den
Palästinensern unterbreiten?
Z.S.: Keine ideale Regelung
bedeutet, dass ein Friedensschluss nach europäischem Muster leider
nicht möglich ist. Barak und Clinton haben dies versucht und sind
kläglich gescheitert. Scharon beabsichtigt, Vorschläge zu
unterbreiten, die den realen Verhältnissen in der Region Sorge
tragen. So soll in einer ersten Phase auf das palästinensische
Bedürfnis nach nationaler und wirtschaftlicher Unabhängigkeit
eingegangen und erst zu einem späteren Zeitpunkt über die
konfliktgeladenen Faktoren wie der Tempelberg, die Verwaltung der
religiösen Stätte und die Flüchtlingsfrage verhandelt werden.
CHA: Welche Voraussetzungen
müssen gegeben sein, damit es zur Behandlung der von ihnen zuletzt
genannten kritischen Verhandlungspunkte kommen kann?
Z.S.: Wir beabsichtigen
diesbezüglich, die Emotionen auf beiden Seiten etwas abkühlen zu
lassen. Israel hat kein Interesse an der Verwaltung der religiösen
Stätte des Islams und des Christentums, es möchte sich jedoch die
Herrschaft über seine eigenen Heiligtümer in jedem Fall sichern.
Als generelle Voraussetzung
für die erneute Einleitung des Friedensprozesses gilt jedoch, dass
sich die israelische Regierung unter Scharon nur dann zu
Verhandlungen mit den Palästinensern bereit erklärt, wenn diese der
Gewalt abschwören. Arafat, der unserer Meinung nach, noch immer Herr
der Lage ist, wird sich in absehbarer Zeit entscheiden müssen, ob er
als Kriegsheld oder als wahrer Staatsmann in die Geschichte seines
Volkes eingehen möchte. Der ägyptische Präsident Sadat hat sich, bei
seinem ersten Besuch in Jerusalem, mit dem Statement "No more war,
no more bloodshed" voll und ganz dem Frieden verschrieben – er
entsagte der Gewalt und stand in der Folge auch zu seinem Wort. Nur
auf diese Weise können einst verfeindete Völker sich einander
nähern. Arafat scheint jedoch noch immer darauf zu vertrauen, dass
es ihm durch die Ausübung von Terror gelingen wird, Israel
entscheidende Konzessionen abzuringen. Diese Annahme ist falsch und
schadet ihm und seinem Volk:
Erstens: Angesichts der
anhaltenden Terrorwelle, beginnt eine zunehmend steigende Zahl von
Israelis sich zu fragen, ob auf der anderen Seite überhaupt ein
Gesprächspartner vorhanden ist. Eine Frage, die sich mit der Zeit
auch Europa und Amerika, die Vermittler in diesem Konflikt, stellen
werden...
Zweitens: Lässt Arafat den
Gewaltausschreitungen weiterhin freien Lauf, könnte er bald seine
Position gefährdet sehen. Wir wissen, dass die Hizbollah- Miliz, mit
iranischer und syrischer Unterstützung, sowie irakische Kräfte, am
Aufstand beteiligt sind und den Hass schüren. Weist Arafat diese
Mächte nicht rasch in ihre Schranken, so drohen die Extremisten die
Oberhand zu gewinnen.
Eine solche Entwicklung
können wir uns nicht leisten. Wir werden uns daher, sollte sich die
Lage nicht beruhigen, zur Einleitung einseitiger Schritte gezwungen
sehen.
CHA: Welches sind diese
Schritte?
Z.S.: Das kann ich Ihnen
nicht sagen, ich bin kein Militärexperte.
CHA: Sie haben zuvor die
Europäer und Amerikaner erwähnt und sie mit recht als Vermittler in
diesem Konflikt bezeichnet. Ist das Ausland jedoch noch immer zur
intensiven Ausübung dieser Rolle bereit, jetzt wo an der Spitze des
Staates Israel ein Mann steht, den es, wie auch einige Israelis, in
erster Linie als Hardliner sieht?
Z.S.: Nun, was die
israelische Bevölkerung betrifft, so denke ich, dass das
Wahlergebnis – 65 Prozent der Wählerstimmen gingen an Ariel Scharon
– für sich spricht: Israel hat Scharon an die Spitze seiner
Regierung gesetzt, im Bewusstsein, dass er nicht nur in
Kriegszeiten, sondern auch während den Friedensverhandlungen mit
Ägypten, Jordanien und auch mit den Palästinensern in Wye, in erster
Linie seinem Staat gedient und nicht irgendwelche persönliche
Interessen vertreten hat. Bezüglich Europa und Amerika ist folgendes
zu sagen: Gleich nach den Wahlen habe ich, gemeinsam mit meinen
Parteikollegen Mosche Arens und Dori Gold die Türkei, Frankreich,
Italien, England, Deutschland und Amerika besucht. Wir unternahmen
diese Reisen in erster Linie, um uns mit dem Standpunkt der Länder
bezüglich der Lage im Nahen Osten vertraut zu machen und durften
beispielsweise in Amerika mit Genugtuung feststellen, dass wir
bezüglich der globalen Weltanschauung, der Zukunft des
Friedensprozesses und der Zukunft der Region im allgemeinen, im
großen und ganzen mit der Regierung Bush übereinstimmen. Was Europas
angeht, so haben wir uns dort vor allem an die Deutschen gewandt.
Wir hoffen, dass Deutschland weiterhin eine zentrale Vermittlerrolle
in den Verhandlungen einnehmen wird – auch innerhalb Europa. Es soll
dort, unter den Staaten, die uns, auf Grund ihrer wirtschaftlichen
und historischen Interessen, in der Vergangenheit weniger
Verständnis entgegen brachten, einen Meinungsausgleich schaffen.
CHA: Nicht nur der
palästinensische Aufstand stellt für Israel zur Zeit ein
Sicherheitsrisiko dar, auch die Situation an der Nordgrenze scheint
bedrohlich. Vermehrt werden Stimmen laut, die prophezeien, dass
Ariel Scharon die israelische Armee ein zweites Mal in den Libanon
führen wird.
Z.S.: Scharon hat den Abzug
unserer Soldaten aus dem Libanon befürwortet, obwohl er sich mit der
Art und Weise wie er schließlich vorgenommen wurde nicht
einverstanden erklären konnte.
Es ist richtig, dass die Lage
an der Libanongrenze uns nachdenklich stimmt. Entgegen der
Anordnungen der UNO bestimmt dort heute die Hizbollah über das
Geschehen und nicht die libanesische Armee. Bleibt zu hoffen, dass
Syrien und Iran, die hinter der Miliz stehen, keine Eskalation in
der Region anstreben.
Der Premierminister ist
diesbezüglich jedoch noch nicht in Sorge, er legt zur Zeit das ganze
Gewicht seiner Politik auf die Lösung des Palästinenserkonflikts.
CHA: Ist das Bestehen auf der
Bildung einer Einheitsregierung ein Indiz für die Absichten
Scharons?
Z.S.: Die Verhandlungen
lassen sich einfacher führen, wenn wir dem Partner signalisieren
können, dass wir im Namen aller handeln. Ariel Scharon beteuerte
lange vor den Wahlen, dass er die Einheit möchte, und die
israelische Bevölkerung bezeugte mit dem Wahlzettel, dass sie diesen
Wunsch teilt. Israel glaubt, trotz allem, an die Möglichkeit einer
pragmatischen Regelung mit den Palästinensern. Innerhalb der
palästinensischen Führung gibt es noch immer Kräfte, die sich für
eine friedliche Lösung aussprechen und diese Stimmen geben uns
Zuversicht.
Zalman Shoval
– Curriculum Vitae:
- 1930 in Danzig
geboren
- In Tel Aviv
aufgewachsen
- Studium in
Kalifornien und Genf: Internationale Beziehungen,
Staatswissenschaften, Wirtschaft – MA-Abschluss
- Kadett im
israelischen Außenministerium
- 1973 Bildung der
Likudpartei gemeinsam mit Ariel Scharon
- Stellvertretender
Außenminister in der Regierung Menachem Begins
- Aktive Teilnahme
an den Friedensverhandlungen von Camp David
- Zwei Mal
israelischer Botschafter in den USA: 1990-93, 1998-2000
- Der
aussenpolitische Chefbeauftragte in der Regierung
Scharons.
- Verheiratet, Frau
Kena in der Schweiz, Genf, aufgewachsen,
Vater dreier Kinder und Enkelkinder
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23-05-2001
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