Merkwürdige Versöhnung
Polens Bischöfe bitten Gott um
Vergebung für Pogrome
an den Juden, verprellen aber gleichzeitig viele Juden
WARSCHAU - taz - Wenn
sich am Sonntag Polens Bischöfe für die Massaker entschuldigen
werden, die 1941 polnische Katholiken an ihren jüdischen Nachbarn
verübten, werden sie allein mit sich und Gott sein. Denn der
Rabbiner von Warschau und Lodz hat seine Teilnahme bereits abgesagt.
Er wird zur selben Zeit in der nur wenige hundert Meter entfernten
Nozyk-Synagoge in Warschau den Beginn des Schawuot-Festes feiern,
das an die Tora-Gabe auf dem Berge Sinai erinnert. Auch zahlreiche
andere polnischen Juden werden nicht zum katholischen Buß- und
Versöhnungsgottesdienst kommen.
Das Grund für das Fernbleiben
der Juden ist nicht nur, weil das Episkopat lediglich Michael
Schudrich, den Rabbiner von Warschau und Lodz, eingeladen hatte.
Vielmehr hatte Primas Jozef Glemp, das Oberhaupt der Katholischen
Kirche Polens, nur wenige Tage vor dem Gottesdienst erklärt: "Ich
überlege mir, ob die Juden nicht anerkennen sollten, dass sie
gegenüber den Polen schuldig sind, insbesondere was die
Zusammenarbeit mit den Bolschewisten angeht und die Mittäterschaft
bei den Deportationen nach Sibirien." Nach entsprechender
Gewissensüberprüfung sollten sich die Juden eigentlich im Gegenzug
bei den Katholiken entschuldigen.
Krasser hätte Glemp das
Stereotyp vom "bolschewistischen Juden" nicht bedienen können. Denn
unter den Opfern der Sowjets waren sowohl polnische Katholiken wie
Juden, ebenso wie unter den Tätern - wenn man überhaupt ein
religiöses Kriterien gelten lassen will. In beiden Fällen waren die
Katholiken schon allein deshalb die größere Gruppe, weil Juden nur
zehn Prozent der Bevölkerung ausmachten. Für den Kommunismus und
seine Verbrechen aber kann weder eine ganze Nation, Religion oder
Rasse verantwortlich gemacht werden.
Konstanty Gebert, Gründer der
jüdischen Zeitschrift Midrasz und einer der führenden
Intellektuellen Polens, der auch dem Versöhnungsgottesdienst
fernbleibt, sagt denn auch: "Ich entschuldige mich beim Primas der
Katholischen Kirchen für Jakub Berman, wenn sich der Primas bei mir
für Boleslaw Bierut entschuldigt. Die Verantwortungslogik ist in
beiden Fällen gleich absurd."
Anlass für die Bitte der
Bischöfe um Vergebung ist das Buch "Sasiedzi" (Nachbarn) des in New
York lehrenden polnischen Soziologen Jan Tomasz Gross. Darin
schildert er das Pogrom von Jedwabne, bei dem die eine Hälfte der
Bevölkerung die andere erschlug, erstach und bei lebendigem Leibe
verbrannte. Bei dem Massaker starben 1.600 Juden. Die deutschen
Besatzer schauten zu und filmten das Pogrom.
Das Verbrechen war lange Zeit
in der polnischen Öffentlichkeit nicht bekannt gewesen. Gross Buch
hat daher viele Polen geschockt. Denn sie waren im Mythos
aufgewachsen, ein Volk heldenhafter Freiheitskämpfer zu sein, das
nie mit den Nazis kollaboriert hatte und sich selbst romantisch
verklärend als "Christus der Nationen" verstand.
Auch wenn dieser Mythos schon
einige Jahre zuvor bei den Diskussionen um die Vertreibung der
Deutschen nach 1945 "angekratzt" worden war, so brach er erst mit
Gross Buch und der darauf folgenden Debatte über die eigene
Vergangenheit zusammen. Mit dem Pogrom von Jedwabne wurde klar:
Polen waren im Zweiten Weltkrieg nicht nur Opfer, sondern auch
Täter.
GABRIELE LESSER
taz Nr. 6455 vom 26.5.2001
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27-05-2001
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