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Erschienen am: 19.05.2001

Palästina im Kleinen, 
gleich hinter den Anden

Von Ulrich Achermann, Santiago/Chile

Die Palästinenserkolonie in Chile ist mehr als ein Jahrhundert alt. Ihre 350 000 Mitglieder haben sich mit den südamerikanischen Verhältnissen bestens arrangiert. Nur der Dialog mit den Juden im Lande will nicht gelingen. Schon gar nicht, wenn in der Heimat die Gewalt wütet.

Wenn Israels Panzer in Feindesland einrücken, wenn seine Helikopter Stellungen gegnerischer Freischärler unter Feuer nehmen - dann schlägt jedes Geschoss gleich zweimal ein: in den Siedlungen, Lagern und Städten der Palästinenser und, Tausende Kilometer weiter, in Chile, in der Seele von 350 000 palästinensischen Einwanderern. Sie bilden dort die grösste Palästinenserkolonie ausserhalb Nahost.

Es sind keine Menschen, die dem aktuellen Elend der Flüchtlingslager entkamen. Sie sind Jahrzehnte vor der Staatsgründung Israels eingetroffen und seit vielen Jahren im Südwesten Südamerikas ansässig. Ihnen folgt niemand mehr nach, wird doch daheim auf jeden Palästinenser gezählt: «Die Autonomiegebiete entvölkern, das hiesse den Anspruch auf den eigenen Staat untergraben», sagt Nancy Lolas, die Sprecherin der Chile-Palästinenser.

Die Kolonie ist wohlhabender und zehnmal grösser als die jüdische in Chile. Familien wie die Yarurs, Abumohors, Saiehs sind Eigner der grössten Banken und Holdings. Mit mehr als zwei Milliarden Dollar Vermögen gehören die Saiehs sogar zu den Spitzenverdienern Lateinamerikas. Umtriebig die gesamte Kolonie: Der Fuss-ballclub «FC Palestina» spielt in der obersten Liga mit, 40 palästinensische Gesellschafts-Clubs bilden ein dichtes Geflecht sozialer Kontakte.

Miguel Littin, Chiles renommiertester Filmschaffender, ist palästinensischer Abstammung und obendrein Bürgermeister eines fast ausschliesslich von Palästinensern bevölkerten Dorfes. Mit fünf Vollmitgliedern im Palästinensischen Exilparlament leistet die Emigrantengemeinde aus Chile Lobbyarbeit für einen Verhandlungsfrieden. Und Yassir Arafat? Seine Mühen mit der Demokratie? In den Augen der Brüder und Schwestern in Chile, die bis vor einem Jahrzehnt in einer blutigen Diktatur lebten, sind dies allenfalls «Schönheitsfehler, keine substanziellen Defizite».

Das Araberviertel

In den Gassen des Stadtteils «Recoleta» in Santiago empfangen den Besucher Schwärme von Schmeissfliegen und der Gestank verfaulenden Mülls. Bis in die fünfziger Jahre war es das Araberviertel Chiles. Jetzt ist es fest in koreanischer Hand. Nur Werkstattschilder, die niemand abzuschrauben für nötig hielt, künden von der Generation arabischer Pioniere und ihren Namen: Abusleme, Hasbun, Zaror. Von den ehemaligen Konfektionsbetrieben ist der Lack ab. Manchmal fahren reich gewordene Enkel der Gründergeneration im Mercedes mit Chauffeur bei der einzig verbliebenen arabischen Bäckerei vor.

In kleinen Gruppen schwelgen sie dann, bei Erbsenmus und Pitabrot, in Jugenderinnerungen. Mal auf Arabisch, mal auf Spanisch und immer schön laut. Auf einen Wink ihrer Fahrer brechen sie ab, hetzen zum nächsten Termin und sind im Handumdrehen wieder jene stummen chilenischen Spitzenkräfte, die nur für den Cash-Flow Interesse zeigen.

Die Vorväter sind in den Jahren vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert gekommen. Die Briten sorgten sich um ihre levantinischen Besitzungen und rekrutierten zu ihrer Verteidigung junge christlich-orthodoxe Männer, zum Beispiel aus Beit Jala, Beit Sahour oder Beit Lahem, dem heutigen Bethlehem. Palästinenserblut fremden Herren opfern? Nichts wie fort; am besten nach Chile. Das lag am weitesten weg.

Die lokale Elite

Die Geringschätzung der lokalen Elite für die Ankömmlinge schlug sich in Verbotschildern an den Türen zu den Ballsälen nieder. «Kein Zutritt für Juden und Araber». Solange die als wuselige Aufsteiger Anzüge und Hemden nähten und unter sich blieben, mokierte sich keiner. Bat einer der Immigranten allerdings um die Hand einer Señorita, liess man ihn amüsiert ins Leere laufen. Das ortsansässige Bürgertum scherte Juden und Palästinenser lange über denselben Kamm: Geldgierige, einfältige Menschen seien sie - und die Seifenopern des Fernsehens bilden die Klischees massstabgetreu noch heute ab.

Der Rabbiner Angel Kreiman ortet andere Gemeinsamkeiten zwischen Palästinensern und Juden in Chile: «Primitives, reaktionäres Denken hüben wie drüben» macht der im weltweiten jüdisch-christlichen Dialog tätige Geistliche aus. Mit Pinochets Diktatur wussten sich beide Lager gut zu arrangieren. Und tatsächlich sitzen in der über Ruf und Vermächtnis des Gewaltherrschers wachenden Pinochet-Stiftung je ein Jude und ein Palästinenser im Vorstand. Im Übrigen aber verweigern sich Palästinenser und Juden bis heute der Aufgabe, in ihrem chilenischen Biotop einen Dialog in Gang zu bringen. Über sporadische Fussballmatches zwischen dem FC Palestina und dem FC Makaby sind sie nie herausgekommen.

Ruf nach der Polizei

Jetzt, da die Gewalt im Nahen Osten wieder wütet, ist es auch in Chile zu spät. Schon ein harmloser Solidaritätsmarsch der Palästinenserjugend verunsichert betende Juden in den Synagogen so stark, dass sie das Überfallkommando der Polizei zu Hilfe rufen. Wenn, wie neulich, israelische Helikopter eine Polizeiwache in Ramallah ins Visier nehmen, dann tragen sie den Konflikt mitten in die Wohnzimmer Chiles: Schockiert sah eine vor 25 Jahren emigrierte Palästinenserin beim Sender CNN, wie die Granaten keine zwei Strassen neben ihrem Elternhaus einschlugen, wo heute noch Vater, Mutter und Geschwister leben.

Daneben gibt es die vergleichsweise harmlosen Konflikte: Der älteste Sohn hat sich in eine attraktive Jüdin verknallt. Im Zorn stellt ihn der Vater, ein gebürtiger Syrer, vor die Wahl: «Entweder du beendest die Beziehung, oder wir kennen uns nicht länger.»

In der Arabischen Schule

«Hier reden wir über alles, über die zionistische Aggression, über den palästinensischen Aufstand, über den Frieden.» An der Arabischen Schule Santiagos mit ihren 400 Schülern behandelt Lehrer Fernando Saud den uralten Streit auf allen Gymnasialstufen. Es gibt Grenzen der Beeinflussung. «Chile darf weder als Nebenschauplatz in den Strudel des Konfliktes geraten, noch wollen wir Hamas-Kämpfer heranzüchten.» Wer tätlich gegen Juden vorgeht, fliegt von der Schule: «Unseren Jungen und Mädchen geben wir mit auf den Weg, dass Juden in der Opferrolle genau das sind, worauf sie am wenigsten Anspruch haben.»

Ideologen in der Palästinenserkolonie schlägt das Leben bisweilen ein Schnippchen, mit dem sie dann ihre liebe Mühe haben. Mischehen zum Beispiel: Die Heirat zwischen chilenischen Palästinensern und Juden gibt es öfter, als man denkt und als es beiden Lagern lieb ist. Nancy Lolas braucht nur kurz nachzudenken, dann zählt sie Paar für Paar aus ihrem Bekanntenkreis auf: Der hinter Marcelo Rios zweitbeste Tennisspieler Chiles, Nicolas Massu, hat einen Palästinenser zum Vater und eine ungarische Jüdin zur Mutter. Die Eltern des einzigen lokalen Everest-Bezwingers gehören ebenso zur Gruppe palästinensisch-jüdischer Eheleute wie der ehemalige Vorsitzende des Palästinenser-Clubs von Santiago und seine Frau.

Ein Bund fürs Leben

Wie ist mit jemandem auszukommen, dessen Volk das des Partners am liebsten steinigen würde? «Eine unmög liche Basis für ein gemeinsames Leben», findet Lehrer Saud und schiebt gleich nach, «nicht gegen die Juden, sondern gegen den Zionismus» zu sein, Einer von Sauds Brüdern hält das für «blanken Unsinn». Der wirblige Kaufmann Mitri Rishmawi weiss: «Kein Mensch sieht in seiner Frau seinen Feind. Wer liebt, weiss zu trennen.»

Er ist seit 26 Jahren mit der jüdischen Lehrerin Maria Cristina Grimberg «glücklich verheiratet». Dass der Bund fürs Leben aber «total unbeschwert und problemlos» sein soll, das hört sich dann doch wenig glaubwürdig an. Andere, die in Chile eine solche gemischte Ehe eingingen, bekamen die Ächtung ihrer Landsleute postwendend, gnadenlos und auf allen möglichen Ebenen zu spüren. «Erst verlierst du die Ehre, dann die Freunde und schliesslich noch den Job», sagt einer, der ungenannt bleiben will.

Schon möglich, dass Rishmawis idealisierende Zustandsbeschreibung aus dem Bedürfnis erwächst, ständig Versöhnlichkeitssignale aussenden zu wollen. Richtig ist auf jeden Fall seine zweite Feststellung: dass die Länder Südamerikas, die sich schon immer einer hohen Zahl an Einwanderern erfreuten, eine Toleranz entwickeln, ohne die für Rishmawi und seine Frau nichts ginge. «Im Nahen Osten hätten wir die Heirat vergessen können.» Die unbelasteten Chilenen akzeptieren das palästinensisch-jüdische Ehepaar ohne Vorbehalte. Der Wille zur Assimilierung, die Bereitschaft, chilenische Verhaltensmuster und den konservativen Lebensstil zu verinnerlichen - von dieser Sorte ist der Kitt, mit dem die Rishmawis die gesellschaftliche Kluft zwischen Einheimischen und Zuwanderern gefüllt haben.

Und die Religion bildet ihr persönliches Bindeglied. «Der katholische Glaube, zu dem wir beide übergetreten sind, ist unser gemeinsamer Nenner», sagt Cristina. Offenbar eine gute Grundlage dafür, in Chile als Familie heimisch zu werden. Die 18-jährige Tochter Veronica, mit der Schule vor kurzem auf Studienreise in Palästina, sagt: «Ich war schockiert, ich wollte zurück. Nach Chile, nach Hause.»

haGalil onLine 20-05-2001

 

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