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Der Leiter der tschechischen
Verhandlungsdelegation in Sachen NS-Opfer, Jiri Sitler, hat »von so
einer juristischen Verrenkung sein Lebtag noch nicht gehört«. Für
den früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum, der mittlerweile
russische Zwangsarbeiter berät, wird der Entschädigungsfond für NS-
ZwangsarbeiterInnen bald zu einer »Hinterbliebenenstiftung«.
Der Grund der Empörung ist in
beiden Fällen derselbe: Die Stiftungsinitiative der deutschen
Wirtschaft, allen voran deren Sprecher Wolfgang Gibowski und die
Rechtsabteilung der Stiftungsinitiative, vertreten durch Dr. Klaus
Kohler, Deutsche Bank AG Frankfurt, lassen sich immer neue Vorwände
einfallen, um die überfälligen Zahlungen der Wirtschaft für
NS-Zwangsarbeit noch weiter hinauszuschieben.
Bereits Ende Januar hatten
Gibowski und die Stiftungsinitiative eine nagelneue Definition von
»Rechtssicherheit« präsentiert. Während das Stiftungsgesetz und die
am 14. Juli 2000 von der Stiftungsinitiative der Wirtschaft, allen
an den Verhandlungen beteiligten Regierungen und den Anwälten der
NS-Opfer unterzeichnete »internationale Vereinbarung« ausdrücklich
festlegt, Rechtssicherheit für die Wirtschaft bestehe dann, wenn
alle am 14. Juli 2000 vorliegenden Sammelklagen gegen deutsche
Unternehmen eingestellt seien, fordern Gibowski, Kohler und die
Wirtschaft nun, daß es überhaupt keine Klagen mehr geben dürfe.
Für sie ist
»Rechtssicherheit« identisch mit Abschaffung des Rechtswegs. Erst
wenn es keine einzige Klage mehr gibt, sollen die Zahlungen an die
Opfer beginnen. Diese absurde Interpretation hätte zur Folge, daß
jede Klage, die irgendwer - womöglich auf Wunsch einer deutschen
Firma? - vor US- Gerichten einlegt, die Auszahlung an die Opfer
blockieren würde.
Frechheit Nr. 2 ist ein
Memorandum, daß die »Rechtsabteilung« der Stiftungsinitiative am 13.
Februar 2001 den Abgeordneten des Bundestags zukommen ließ. Darin
bekräftigt Dr. Kohler die absurde »Rechts«-Position der Wirtschaft
von Ende Ja nuar. Zur Begründung zitiert er dann aus einer
Beschlußempfehlung des Innenausschusses des Bundestags vom 4. Juli
2000, worin dieser der Wirtschaft zusichert, eine Entscheidung zur
Rechtssicherheit und zur Auszahlung an die NS-Opfer werde »nic ht
über den Kopf der Wirtschaft hinweg« getroffen. Die von Kohler
angeführte Passage besagt aber lediglich, daß der Bundestag vor
seiner im Gesetz geforderten Entscheidung über den Beginn der
Auszahlungen an die Opfer noch einmal mit der Wirtschaft reden wird.
Mehr nicht.
Das Pikante daran: Die von
Kohler und der Stiftungsinitiative zitierte Passage findet sich in
einem Abschnitt, in dem der Innenausschuß bereits im Sommer letzten
Jahres noch einmal das Gezerre kritisierte, daß die Wirtschaft schon
damals auff ührte, um ihre fünf Milliarden DM noch nicht in die
Bundesstiftung einzuzahlen. Der Innenausschuß forderte die
Wirtschaft deshalb auf, »ihre Zusage möglichst umgehend einzulösen«
und die fünf Milliarden DM zu überweise n, zumal nach Meinung des
Innenausschusses schon damals »für die deutschen Firmen ein
ausreichendes Maß an Rechtssicherheit gegeben ist.« (alle Zitate
aus: Drucksache 14/3758, Seite 22).
Im weiteren wollen die Herren
der Wirtschaft in ihrem neuen Memorandum die Abgeordneten auf
»einige neuere Entwicklungen« hinweisen, die nach Meinung der
Wirtschaft den Rechtsfrieden noch immer gefährden. Als erstes
Beispiel dafür nennen sie da nn ein Gesetz in Kalifornien, das
deutsche Versicherer »zu sehr weitreichenden und aufwendigen
Berichtspflichten über Versicherungspolicen mit zeitlichem Bezug zur
NS-Zeit« (Memorandum der Stiftungsinitiative, 13.2.2001, Punkt 3a)
verpflichtet. Gege n dieses Gesetz klagt gegenwärtig die
Gerling-Versicherung. Deren Klage sei noch nicht entschieden. Das
läßt nur einen Schluß zu: Rechtssicherheit soll in den Augen der
Wirtschaft erst dann bestehen, wenn auch deutsche Firmen gegen
niemanden mehr klagen müssen wegen ihrer Nazi-Vergangenheit.
Und solange deutsche
Versicherungskonzerne noch gegen US-Gesetze prozessieren, weil diese
von ihnen verlangen, ihre schmutzige braune Vergangenheit
offenzulegen, besteht nach dieser Definition eben keine
»Rechtssicherheit«, gibt es also auch kein Geld f& uuml;r die Opfer!
Deutlicher kann man die Absicht der Wirtschaft, einen »Schlußstrich«
unter ihre braune Vergangenheit zu ziehen, nicht formulieren.
Für die Herren der deutschen
Wirtschaft ist »Rechtssicherheit« offenbar erst dann gegeben, wenn
die Opfer ihrer Verbrechen in der Nazi-Zeit völlig rechtlos sind und
selbst einfache Fragen nach ihrer braunen Vergangenheit möglichst
verboten sind.
Ulla Jelpke, PDS-MdB, ist
Mitglied im Kuratorium der Bundesstiftung »Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft«
junge Welt, 20. Februar 2001
haGalil onLine
13-03-2001
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