Jürgen Trittin
hat den CDU-Chef Laurenz Meyer und die Union in die geistige Nähe
rechter Skinheads gerückt. Zu Recht. Denn es gibt viele Gemeinsamkeiten
zwischen Teilen von CDU und SPD, der bürgerlichen Presse und der
rechtsradikalen Skinheadszene.
Seit zwanzig Jahren
führen sie in der "Ausländerfrage" ähnliche Diskurse. Und ohne
Ermunterung durch das deutsche Bürgertum hätten sich in den letzten
Jahren die rassistischen Gewaltdelikte nicht vervielfacht.
Die politische Mitte
ahnt diese Zusammenhänge. Das ist bei mehr als 130 Todesopfern
rassistischer Gewalt unbequem und verlangt nach Verdrängung. Der noch
nicht völlig verhärtete Teil der Gesellschaft hat inzwischen eine
Strategie der Selbstberuhigung gefunden. Seit August hat man sich dem
Kampf gegen rechtsextremistische Gewalt verschrieben. Engagiert und
voller Leidenschaft. Auch das Böse ist längst ausgemacht: Die NPD und
die Skinheads sind es, die die Gewalt zu verantworten haben und die es
deshalb zu bekämpfen gilt.
Mit seinem
Skinhead-Vergleich hat Trittin den beruhigenden Konsens "das sind die
Bösen - wir sind die Anständigen" radikal in Frage gestellt. Das erklärt
den Furor, der ihm nun parteiübergreifend entgegenschlägt. Und es macht
das einhellige Urteil verständlich, das auch viele Sozialdemokraten und
Grüne teilen: Unglaublich sei dieser Trittin. Ein Provokateur, kein
ernst zu nehmender Repräsentant des deutschen Volkes.
Nein, mit dem Denken
und den Taten der Skinheads will keiner etwas gemein haben. Und dennoch
gilt: Sie wären ohne die Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl
(CDU), ohne die rassistischen Ausfälle der beiden Volksparteien nicht
denkbar.
Zur Erinnerung: Am
22. Januar 1980 eröffnete Professor Helmut Schröcke in der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Debatte. Er schrieb: "Völker
sind (kybernetisch und biologisch) lebende Systeme höherer Ordnung mit
voneinander verschiedenen Systemeigenschaften, die genetisch
weitergegeben werden." Es war das Exposé für das "Heidelberger
Manifest", das am 17. Juni 1981 von elf Professoren unterzeichnet wurde.
Darin heißt es: "Mit großer Sorge beobachten wir die Unterwanderung des
deutschen Volkes durch Zuzug von vielen Millionen Ausländern und ihren
Familien, die Überfremdung unserer Sprache, unserer Kultur und unseres
Volkstums. (...) Gegenüber der zur Erhaltung unseres Volkes notwendigen
Zahl von Kindern werden jährlich kaum mehr als die Hälfte geboren.
Bereits jetzt sind viele Deutsche in ihren Wohnbezirken und an ihren
Arbeitsstätten Fremdlinge in der eigenen Welt."
Zwar wurde das
"Heidelberger Manifest" damals heftig kritisiert, aber wenn wir es heute
in einigen Aussagen von CDU-Vertretern wie dem Brandenburger
Innenminister Jörg Schönbohm oder dem hessischen Ministerpräsidenten
Roland Koch wiedererkennen, dann ist das kein Zufall. Das Manifest
sprach Millionen Bürgern aus der Seele, sickerte in den
gesellschaftlichen Diskurs ein und wirkt bis heute nach.
In der ersten Hälfte
der Achtzigerjahre war in den bürgerlichen Parteien Konsens: Es leben zu
viele Türken hier, und das kann nur Ärger und Bürgerkrieg in naher
Zukunft bedeuten. Deshalb beschloss die sozialliberale Koalition unter
Kanzler Helmut Schmidt (SPD) am 14. Juli 1982, die Rückkehr der Türken
durch finanzielle Anreize zu fördern. Mit dieser Maßnahme, so der
damalige Berliner Landschulrat Herbert Bath (SPD), sollte der
"schleichenden Landnahme durch eine fremde Bevölkerung" entgegengewirkt
werden.
Die CDU, stets
besser als die Sozialdemokraten, wenn es darum geht, mit
Rechtspopulismus Stimmung zu machen, schaltete ein paar Gänge höher. So
verkündete der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann 1983 im
Parlament: "Ein konfliktfreies Zusammenleben wird nur möglich sein, wenn
die Zahl der Ausländer bei uns begrenzt und langfristig vermindert wird,
was vor allem die großen Volksgruppen (Türken) betrifft."
Just zu dieser Zeit
erreichte die jugendliche Subkultur der Skinheads mit über zehnjähriger
Verspätung via Großbritannien Deutschland. Eindeutig rechts war sie noch
nicht. Erinnern wir uns an die Bilder aus den frühen Achtzigerjahren,
als Skinheads und Punks noch auf gemeinsamen Treffen und Partys vor
allem eine antibürgerliche Haltung pflegten.
Das proletarische
Rebellentum wurde allerdings schon bald durch eine militante
Fremdenfeindlichkeit ergänzt. Unter dem Eindruck des rassistischen
Diskurses in der politischen Mitte entwickelte sich ein Teil der
Skinheadszene nach rechtsaußen. Sie griff die Slogans von SPD und CDU
auf. In Frankfurt übersetzten die Böhsen Onkelz die Politikerstatements
in die Sprache ihres jugendlichen Anhangs. 1982 verfassten sie ihren
Kult- und Hasssong "Türken raus". Etwas schnörkelloser als im
Heidelberger Manifest und in der Politik eines Friedrich Zimmermann
heißt es da: "Türken raus, Türken raus, Türken raus aus unserem Land /
Geht zurück nach Ankara, denn ihr macht uns krank. /
Deutschland-Besatzer, Plastiktütenträger / Altkleidersammler /
Opernbrillenträger: Türkenvotze nassrasiert, Türkenvotze glattrasiert
. . ."
1985 sind die
Tabugrenzen durch die von der politischen Mitte verbreitete
Anti-Türken-Stimmung bereits weit herabgesetzt. An den Stammtischen
kursieren Witze, die den Einwanderern das gleiche Schicksal wie den
Juden nach 1933 in Aussicht stellen. Ein Beispiel: "Wie viele Türken
passen in einen VW-Käfer? - Fündundzwanzig. Zwei auf den Vordersitzen,
drei auf der Rückbank und zwanzig im Aschenbecher." Wenig später kommt
es zu den ersten rassistischen Morden: 1985 werden in Hamburg die
türkischen Einwanderer Mehmet Kaynakci und Ramazan Avci von
Naziskinheads erschlagen. Es ist der Beginn einer Gewaltserie, die bis
heute ungebrochen ist.
Gegen Ende der
Achtzigerjahre wird die Anti-Türken-Hetze durch die alarmistische
Anti-Asyl-Debatte der Union ergänzt. Christdemokraten lassen keine
Gelegenheit aus, Schreckensszenarien auszumalen, in denen
"Asylantenfluten" Deutschland überschwemmen, und das Bild des
kriminellen Ausländers zu beschwören. Die Botschaft: Das deutsche Volk,
die deutsche Frau, der deutsche Jugendliche sind bedroht.
Die Naziskinheads
verstehen die Botschaft in ihrer eigenen Logik: Wenn gewählte
Volksvertreter behaupten, es lebten zu viele Ausländer und Flüchtlinge
hier, und sich gleichzeitig die Zahl der Ausländer in Deutschland stetig
erhöht, dann haben die Politiker ein Problem. Die gewaltbereite rechte
Szene ließ die politische Mitte mit diesem Problem nicht allein. Sie
setzte die Politik der Vertreibung auf der Straße um. Die Folge: Die
Zahl der rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Gewalttaten stieg
in Westdeutschland von 91 im Jahr 1984 über 306 im Jahr 1990 auf 1.719
im Jahr 1992 (in Ostdeutschland waren es 865).
1992 dann der
Super-GAU. Naziskinheads, militante Rechtsextremisten und die Union
bildeten faktisch eine Aktionsfront. Während die internationale
Öffentlichkeit wegen der Angriffe auf Asylunterkünfte entsetzt auf
Deutschland blickte, machte die CDU die SPD für die
bürgerkriegsähnlichen Zustände vor den Flüchtlingswohnheimen
verantwortlich. Die Weigerung der SPD, das Grundrecht auf Asyl
abzuschaffen, provoziere diese Auseinandersetzungen. "Weniger Asylanten
- weniger Ausländerfeindlichkeit", so Skinheads und Union. Im September
1992 war das Ziel erreicht: Die SPD stimmte mehrheitlich dem
"Asylkompromiss" zu.
Die bürgerliche
Mitte hat aus der jüngsten Geschichte wenig gelernt. Seit Ende der
Neunzigerjahre gewinnt die rechte Skinheadszene, um die es nach den
Lichterketten und antirassistischen Großdemonstrationen Ende 1992 und
1993 etwas ruhiger geworden war, wieder an Bedeutung. Diesmal war der
hessische Ministerpräsident Koch der Anstifter. Viele Bürger begriffen
die von ihm inszenierte Unterschriftenkampagne gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft als ein Votum gegen Ausländer an und für sich.
Die Erfahrung lehrt,
dass die radikale rechte Szene Motivationsanreize und
Legitimationsmuster aus der politischen Mitte braucht. Augenblicklich
diskutiert diese Mitte, ob die rechtsradikale Parole "Ich bin stolz, ein
Deutscher zu sein", wirklich rechtsradikal ist. Es ist eine
gespenstische Debatte, die vor allem zeigt, wie groß die geistige Nähe
zwischen Rechtsextremisten und so manchen Demokraten bereits ist.
EBERHARD SEIDEL
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