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Das blockierte Land:
Innerisraelische Grabenkämpfe

Von Moshe Zimmermann und Pierre Heumann

Teil 2

Durch Israels Gesellschaft ziehen sich Gräben und Mauern. Sie besteht aus lauter Minderheiten, für die alle andern stets Feinde sind. Religiöser Fanatismus, ethnische Konflikte, politischer Extremismus und die historisch unterschiedlichen Einwanderungswellen nähren die verschiedenen Lagermentalitäten.

Orthodoxe versus Säkulare

Jitzhak Cohen beginnt seinen Tag frühmorgens in der Synagoge. Dort legt er die Gebetsriemen an und erfleht die Ankunft des Messias. Dann studiert der orthodoxe Jude in einer Talmud-Hochschule die Heilige Schrift. In seinem Quartier gilt das als Ehre. Wer etwas auf sich hält, widmet sein Leben ausschliesslich dem Lernen der Thora. Cohen, der sich strikt an die zahlreichen Vorschriften der jüdischen Religion hält, geht wie zwei Drittel der orthodoxen Männer keiner geregelten Arbeit nach. Seine fünfköpfige Familie lebt von Zuwendungen des Staates, von den Kinderzulagen und von Spenden vermögender Glaubensgenossen. Cohen ist kein Einzelfall. Knapp zehn Prozent der israelischen Population befolgen sämtliche Religionsgesetze, und ein weiteres Zehntel ist dem religiösen Lager zuzuordnen. Weil sieben bis acht Kinder pro Familie die Regel sind, verdoppelt sich die ultraorthodoxe Bevölkerung alle 18 Jahre.

Der Trend stösst den säkularen Israelis sauer auf, da die Frömmsten der Frommen in den Talmud-Hochschulen gesellschaftlich als Schmarotzer gelten. Sowohl die militärischen als auch die wirtschaftlichen Pflichten müssen voll und ganz von den Säkularen getragen werden. Sie befürchten zudem, ihnen würde ein religiöser Lebenswandel aufgezwungen. Orthodoxe klinken sich zwar aus der Gesellschaft aus. Sie haben ihre eigenen Städte und Quartiere. In den vergangenen Jahren haben die Orthodoxen aber dank ihren vielköpfigen Familien nicht nur zahlenmässig zugelegt. Sie konnten auch ihren politischen Einfluss steigern, zumal ihnen ein neues Wahlgesetz dabei geholfen hat.

Der Antagonismus scheint unüberbrückbar. Die Frommen verabscheuen die weltlichen jüdischen Mitbürger wegen ihres leeren, hedonistischen Gehabes, und die Säkularen verachten die Frommen als hinterwäldlerische oder gar abergläubische Zeitgenossen, die die Gesellschaft ins Mittelalter zurückwerfen wollen. Jeder definiert sich als das Gegenteil des andern. Als ob zwei Nationen in einem Staat leben würden, haben Säkulare und Orthodoxe ihre eigenen Tageszeitungen, Radiostationen, Wertskalen, Freizeitverhalten und ihren eigenen Slang. Was im Massenblatt "Yedioth Achoronot" steht, nehmen Gottesfürchtige nicht zur Kenntnis, und die wenigsten Säkularen wissen von der Existenz der populären orthodoxen Zeitung "Ha Modia", die sich ausschliesslich an die Gottesfürchtigen richtet.

Die Kluft zwischen den Säkularen und den Strenggläubigen wird in getrennten Schulen auf die nächste Generation übertragen. Während die einen Fächer fördern, die den Anschluss an die Moderne ermöglichen, beschränken sich die anderen aufs Pauken der jüdischen Tradition. Das Funktionieren eines modernen Staates steht nicht auf dem Lehrplan religiöser Institute. In den Jeschiwoth (Talmud-Hochschulen) wird den Jünglingen eingetrichtert, Demokratie und jüdisches Gesetz würden sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Während die säkulare Mehrheit an einen fortschrittlichen Staat glaubt, wollen Orthodoxe die Dominanz religiöser Gesetze im ganzen Land durchsetzen. Auf vielen Gebieten hatten sie bereits Erfolg. Der öffentliche Verkehr ruht am Sabbat, und die El-Al-Maschinen haben Flugverbot. Wenn Juden heiraten oder sich scheiden lassen wollen, müssen sie zu orthodoxen Rabbinern, die das Monopol in allen zivilrechtlichen Fragen haben. Wer bei der Heirat auf religiösen Klimbim verzichten will, muss ins Ausland ausweichen. Pfiffige Reisebüros haben sich auf den Hochzeitstourismus von Israelis spezialisiert, die von Rabbinern als zu wenig koscher erachtet werden.

Orthodoxe betrachten das Diktat religiöser Gesetze nicht als Einschränkung, sondern als Bereicherung. Mehr als das: Ohne Konfession würde Israel seine Identität und seine Existenzberechtigung verlieren, argumentieren sie. Das Judentum sei nicht bloss eine private Angelegenheit, sondern eine zentrale Komponente der nationalen Identität. Meint Cohen: "Welche Argumente blieben uns in der Auseinandersetzung mit den Arabern, wenn wir auf alles verzichten, was uns heilig ist?"

In ihrer Verzweiflung über die zunehmende Macht und Unverschämtheit ihrer orthodoxen Mitbürger haben sich säkulare Israelis halb im Ernst, halb im Spass eine Lösung ausgedacht, um den Konflikt mit den Orthodoxen zu lösen: In und um Tel Aviv sollte man für sie eine laizistische Autonomieverwaltung ausrufen. Dort hätten Orthodoxe nichts zu sagen.

Sephardim versus Aschkenasim

Noch immer wird in der Verwandtschaft getuschelt, wenn der Spross einer aschkenasischen Familie eine orientalische Jüdin heiratet. Zwei Kulturen stoßen aufeinander, die sich fremd sind: diejenige europäischer Juden (Aschkenasim) und die Welt der jüdischen Israelis, deren Vorfahren vor fünf Jahrzehnten aus nordafrikanischen oder asiatischen Ländern in Israel eingewandert sind (Sephardim). Tendenziell gehören die Aschkenasim zur Mittel- oder Oberschicht, während die Sephardim, die inzwischen über die Hälfte der jüdischen Israelis ausmachen, in der unterprivilegierten Klasse stark vertreten sind. Sie sind an den Universitäten unterproportional vertreten und verdienen im Durchschnitt deutlich weniger als die Aschkenasim.

Der tiefe Graben zwischen Juden aus Europa und denjenigen aus Ländern wie Marokko, Jemen, Syrien oder Indien tat sich gleich nach der Staatsgründung vor fünf Jahrzehnten auf. Bei ihrer Ankunft in Israel stiessen die Sephardim auf ein Establishment europäischer Juden, das für die Orientalen wenig Verständnis hatte. Die Sephardim wurden in neue, periphere Entwicklungsstädte geschickt, in denen Jobs rar und die Ausbildungsmöglichkeiten schlecht waren. Das aschkenasische Establishment unterdrückte die sephardische Kultur und wollte eine möglichst homogene Lebensform durchsetzen, indem es in den Schulen und im Militär den Typ des "Neuen Juden" nach europäischem Vorbild prägte. Die Lebensart der Juden aus Nordafrika und den arabischen Ländern galt als minderwertig. Die Sephardim wurden mit der Moderne konfrontiert, ohne eine Revolution durchgemacht zu haben, ohne mit der Industrialisierung vertraut zu sein.

Für die benachteiligte sephardische Gemeinschaft, die bis in die siebziger Jahre keine ernstzunehmende politische Vertretung hatte, setzt sich nun die Shas-Partei ein. Sie gibt den Sephardim den Stolz auf ihre Herkunft und ihre Kultur zurück, den ihre Eltern bei der Ankunft im Heiligen Land verloren haben. Die Shas, die in den vergangenen Wahlen regelmässig Mandate hinzugewonnen hat und unter den marokkanischen Juden den grössten Teil der Anhänger rekrutiert, ist bereits drittwichtigste Partei in der Knesset.

Doch ihre eigentliche Bedeutung liegt ausserhalb der Politik. Die Shas hat bei einem grossen Teil der Sephardim eine religiöse Umkehr und eine Renaissance traditioneller Denkweisen ausgelöst, was sie von den säkularen europäischen Juden zusätzlich entfremdet. Der geistige Mentor der Bewegung, Rabbi Ovadia Yosef, strebt eine eigentliche geistige Revolution an. Er will die dominierende Ideologie Israels, den säkularen Zionismus, durch einen Nationalismus ersetzen, der ausschliesslich auf dem Judentum sephardischer Prägung basiert.

Die Shas-Partei lanciert keinen ideologischen Kampf gegen die Armut, sondern beschränkt sich auf die soziale Fürsorge für die Bedürftigen. Sie bietet den kinderreichen Familien Tagesheime und einen langen Schultag zu Preisen, die deutlich unter dem Landesdurchschnitt liegen, Mittagssuppe und Transport inbegriffen. Wo der Staat seine Wohlfahrtsfunktion vernachlässigt, springen Sozialarbeiter der Shas ein. Sie bemühen sich sogar um die Vermittlung von Arbeitslosen.

Die soziale Funktion der Shas trägt indessen nichts dazu bei, die Kluft zwischen Aschkenasim und Sephardim zu verkleinern, weil die Eleven in den Shas-Schulen keinen modernen Stoff pauken. Die Shas-Partei und deren Institutionen verfolgen ein anderes Ziel. Sie wollen unter der Führung von Ovadia Yosef die israelische Kultur und Ideologie westlicher Prägung umkrempeln. Der Rabbiner benützt dazu nicht nur die Shas-Partei als Sammelbecken der Unzufriedenen, sondern auch den Zauber der Heiligen Schrift. Wenn er weiterhin Erfolg hat, befürchten die Aschkenasim, werden sie "ihr" Israel bald schon nicht mehr wiedererkennen.

Pierre Heumann

Weltwoche, Ausgabe Nr. 5/01 vom 1.2.2001

Zu Teil 1, Zu Teil 3

haGalil onLine 15-03-2001

 

 

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