Ein Blick zurück auf ein
Interview das Pierre Heumann für die Weltwoche mit der Weltwoche mit
Amos Os, kurz nach der Wahl Ehud Baraks, vor weniger als zwei
Jahren, geführt hat.
haGalil onLine
05-02-2001
«Frieden ist ein
erotisches Projekt»
Schade, dass der Schriftsteller
Amos Oz nicht Israels Regierungschef ist. Er würde Jerusalem
teilen, vor den Palästinensern sprechen und einen Staat
Palästina zulassen
Interview: Pierre Heumann
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«Der
Friedensprozess ist bitter – für Israelis und
Palästinenser»: Amos Oz |
Weltwoche: Sie gehörten zu den
schärfsten Kritikern von Benjamin Netanyahu. Hassen Sie ihn?
Amos Oz: Nein. Ich hatte, als er
an der Macht war, lediglich Angst vor ihm.
Angst?
Weil ich nicht wusste, wozu
er in der nächsten Nacht fähig sein würde. Ich lebte in ständiger
Furcht, dass er etwas tun könnte, dessen Konsequenzen er nicht
absieht. Ich hatte das Gefühl, in einem Auto zu sitzen, dessen
Chauffeur in die falsche Richtung fährt, der zudem nicht fahren kann
und ständig mit parkenden Wagen zusammenstösst.
Fühlen Sie sich mit dem
neugewählten Regierungschef Ehud Barak sicherer?
Ja, aber es handelt sich
wohl bloss um eine vorübergehende Beruhigung. Die existentiellen
Probleme Israels sind nämlich nach wie vor ungelöst. Der Konflikt
mit der arabischen und der muslimischen Welt bedroht unser Leben
weiterhin. Ich denke nicht bloss an Terror, Selbstmordattentate oder
die Intifada. Ich spreche über die Möglichkeit eines apokalyptischen
Krieges zwischen Israel und einer Koalition arabischer Staaten, die
potentiell stärker wäre als wir.
Aber auch die Araber haben
Angst – vor allem vor der israelischen Atombombe.
Stellen Sie sich vor, dass
die Araber eine Atombombe auf uns abwürfen und wir deren fünf auf
die Araber. Beides wäre schlimm. Aber die arabische Welt würde
weiter existieren, Israel hingegen gäbe es dann nicht mehr.
Damit hat Netanyahu
Feindbilder gepflegt und den Frieden verhindert. Haben Sie sich
anstecken lassen?
Nein, ich bin vor vielen
Jahren schon zur Überzeugung gelangt, dass unser Konflikt mit den
Arabern an der Wurzel gelöst werden muss. Wir werden nicht in
Sicherheit leben können, solange palästinensische Flüchtlinge in den
Lagern keine Wohnung und keine Arbeit haben und nicht nach Palästina
zurückkehren können.
Die meisten Israelis
wehren sich allerdings gegen ein palästinensisches Recht auf
Rückkehr.
Es ist ein Gebot der
Menschlichkeit, Flüchtlingen, die in Lagern hausen, die Rückkehr zu
erlauben und zu ermöglichen. Ich habe keine Probleme damit, solange
dies auf den künftigen Staat Palästina beschränkt bleibt.
Zwischen der Mittelmeerküste und dem Jordan wird es aber wenig
Platz haben.
Es hat Platz genug, um die Flüchtlinge aus den Lagern
aufzunehmen. Wenn der palästinensische Staat einmal auf der Westbank
und im Gaza-Streifen etabliert ist, wird er ungefähr soviel
Territorium umfassen wie der Staat Israel ohne die Wüste Negev.
Kanadische Verhältnisse werden wir damit zwar nicht haben. Kann ich
jedoch mit gutem Grund über die Bevölkerungsdichte klagen, solange
Menschen in Flüchtlingslagern leben?
Seit dem Sechstagekrieg von 1967 ist ein weiteres Hindernis
hinzugekommen, das Ehud Barak auf dem Weg zum Frieden lösen muss:
die Siedler.
Wenn Siedler aus religiösen Gründen auf der Westbank bleiben
wollen, weil dort ein paar Heiligtümer sind, sollen Sie von mir aus
bleiben. Unter einer Voraussetzung allerdings: Sie sollen nicht als
«Herren» auftreten. Sie könnten zum Beispiel das palästinensische
Bürgerrecht annehmen. So wie es in Israel immer eine grosse
Minderheit von Arabern geben wird, ist es denkbar, dass in Palästina
eine Minderheit von Juden lebt. Das wäre eine gute Erfahrung für
beide.
Die Wahl Baraks hat, vor allem in Europa und in den Vereinigten
Staaten, Hoffnungen geweckt, dass der Friedensprozess wieder in
Schwung kommt. Was müsste Barak als erstes unternehmen, um das
Momentum auszunutzen?
Barak hatte wirklich einen relativ optimalen Anfang. Nach dem
Ende der Ära Netanyahu sieht ihn die ganze Welt als Lichtpunkt, wie
eine Mutter, die nach zwei Fehlgeburten ein gesundes Kind erhält. An
seiner Stelle würde ich bald darum bitten, in der
Nationalversammlung der Palästinenser eine Rede halten zu dürfen.
Dort würde ich erstens sagen, dass wir die Tragödie, die über das
palästinensische Volk gekommen ist, verstehen. Wir glauben zwar
nicht, dass wir die Hauptschuldigen oder die einzigen sind, die
dafür verantwortlich sind. Ich würde also nicht wie Willy Brandt in
die Knie gehen. Ich würde den Palästinensern aber versprechen, alles
zu tun, um die Wunden der Tragödie zu heilen – alles, ausser
Selbstmord zu begehen. Zweitens würde ich den Palästinensern sagen,
dass über kurz oder lang ein Staat Palästina entstehen wird. Ich
kann mir vorstellen, dass eine solche Rede ein emotionales Moment
auslösen würde – wie damals, als uns der ägyptische Präsident Anwar
el-Sadat in der Knesset den Frieden offerierte.
Vielleicht erwarten die Palästinenser aber eine Anerkennung der
Schuld und nicht bloss eine Anerkennung des Leids, das ihnen
widerfahren ist?
Ich widerspreche ausdrücklich der Meinung, dass die
palästinensische Tragödie nur das Resultat der Gründung Israels ist.
Im Jahre 1947 waren die Araber nicht bereit, die Existenz des
Staates Israel zu akzeptieren. Hätten sie damals der Gründung
Israels zugestimmt und die Uno-Resolution angenommen, die eine
Teilung Palästinas vorsah, gäbe es heute keinen einzigen
palästinensischen Flüchtling. Natürlich trifft auch uns Schuld, wir
haben Leute vertrieben, sie während des Kriegs mit Gewalt aus den
Häusern gezerrt. Die Verantwortung ist also geteilt. Die Geschichte
ist nicht schwarzweiss. Statt eines Kniefalls würde ich deshalb
zusammen mit den Palästinensern ein Monument bauen, das an unsere
gemeinsame Dummheit erinnert. Jeder müsste dafür gleich viel
bezahlen und dürfte keine Anleihen im Ausland aufnehmen, weder in
Europa noch in den Vereinigten Staaten. Das Monument würde die
Palästinenser daran erinnern, dass sie wegen ihrer Dummheit heute
weniger erhalten, als sie 1948 bekommen hätten: vor einundfünfzig
Jahren, nach fünf Kriegen und 150 000 Toten. Uns müsste das Denkmal
daran erinnern, dass wir deutlich weniger kriegen, als wir 1967
hätten erwarten können.
Wo würden Sie das Monument
aufstellen? In Jerusalem?
Ja, und zwar in der Mitte der
Stadt.
In der gemeinsamen Hauptstadt Israels und Palästinas?
Ich nehme an, dass es in Jerusalem eines Tages zwei
Hauptstädte geben wird. Jerusalem ist ja de facto heute schon eine
geteilte Stadt. Vielleicht kann man sie vereinigen, wenn sich eine
politische Lösung findet. Es geht deshalb nicht darum, wie die
Teilung Jerusalems zu verhindern ist…
…was im Wahlkampf sowohl
Netanyahu als auch Barak behauptet haben…
…sondern darum, wie der
jüdische und der arabische Teil der geteilten Stadt wieder
zusammengefügt werden können.
Bereits ist aber aus Kairo, aus Damaskus und aus Gaza Kritik zu
hören, weil Barak sich in seinen ersten Äusserungen zuwenig
kompromissbereit zeigte.
Wenn die Araber glauben, dass irgendeine israelische Regierung
eines Tages mehr offerieren wird als Barak, dann täuschen sie sich.
Sehen Sie die Regierung Barak als letzte Chance für den Frieden?
Es ist die zweite Chance. Yitzhak Rabin und Shimon Peres
offerierten die erste. Doch die Hamas hat sie vergeben, als in
unseren Städten Autobusse in die Luft flogen und viele Todesopfer zu
beklagen waren – zur gleichen Zeit, als wir den Palästinensern ihre
Städte zurückgaben. Das war ein harter Schlag, auch für mich. Wenn
jetzt der Friedensprozess keine Fortschritte macht, könnte er um
viele Jahre aufgeschoben werden. Es wird keine dritte Chance geben.
Worüber sich Syrien, die Palästinenser und die arabische Welt mit
Barak einigen, dafür wird es in Israel eine Mehrheit geben, das
zeigen die Wahlen. Wenn die Araber nicht akzeptieren, was ihnen
Barak nach den Verhandlungen anbietet, wird er bei der nächsten Wahl
abgewählt – und Israels Rechte kehrt zurück. Die Verantwortung
lastet nicht nur auf uns, sondern auch auf den Arabern. Ein
arabisches Sprichwort sagt: Um zu klatschen, braucht es zwei Hände.
Wenn die Palästinenser es Barak ermöglichen wollen, dem Frieden
näherzukommen, müssen auch sie aktiv sein.
Was müssten sie tun?
Der Frieden ist kein Paket, das man abholen kann. Beide Seiten
müssen daran arbeiten. Was Palästinenser sagen, was in den Moscheen
gepredigt wird, was Arafat dem Volk in seinen Reden verspricht – das
alles bestimmt das Umfeld, in dem der Frieden gedeihen kann. Die
palästinensische Führung könnte zum Beispiel die iranische Regierung
auffordern, die Existenz Israels nicht mehr zu bedrohen. Können Sie
sich vorstellen, welche Emotionen ein derartiger Aufruf in Israel
auslösen würde? Das Projekt Frieden ist nicht nur ein politisches
oder ein militärisches Unterfangen, sondern auch ein erotisches.
Beide Seiten müssen das Gefühl haben, dass sie etwas tun müssen, und
zwar jetzt.
Aber lässt das neue Kräfteverhältnis in der Knesset Kompromisse
überhaupt zu?
Der religiöse nationale Fanatismus verfügt heute in der Knesset
nicht einmal über zehn Mandate. Auch unter den Palästinensern sind
die Fanatiker in der Minderheit. Ich kann aber nicht sicher sein,
dass es so bleibt.
Palästinensische Intellektuelle schlagen vor, dass Israelis und
Palästinenser gemeinsam in einem Staat leben.
Das scheint mir merkwürdig. Palästinenser, die einen Staat mit
Jordanien ablehnen, sollen ausgerechnet mit Juden einen Staat
anstreben? Nein, in nächster Zukunft werden Palästinenser und
Israelis nicht zusammen in einem Staat leben. Das würde nämlich
voraussetzen, dass wir eine glückliche Familie sind. Das sind wir
aber nicht. Hier gibt es zwei Völker, zwei Religionen, zwei
Sprachen, eine leidvolle Vergangenheit. Es ist nicht realistisch,
von einem tragischen Konflikt in ein gemeinsames Ehebett zu
springen.
Sind Sie, trotz allem, optimistisch?
Ja, aber ohne Zeitplan. Ich bin aufgewachsen in einer Zeit, als
sich Juden und Araber nicht anerkannten. Inzwischen haben wir die
schlimmsten kognitiven Hürden überwunden. Die Israelis behaupteten
einmal, dass es kein palästinensisches Volk gibt, und die
Palästinenser waren überzeugt, dass die zionistische Einheit, wie
sie uns nannten, eines Tages verschwinden würde. Nun hat sich viel
geändert. Aber der Friedensprozess ist bitter, für beide Seiten. Die
Siedler wissen nun, dass Erez Israel geteilt wird, und die
Palästinenser haben begriffen, dass ihnen Jaffa und Haifa nicht
gehören werden.
Amos Oz
geboren 1939, hat sich in
zahlreichen Werken für einen Kompromiss zwischen Israelis und
Palästinensern eingesetzt. Auf deutsch erschien zuletzt «Die Hügel
des Libanon» (1995, Suhrkamp).
Weltwoche
Ausgabe Nr. 21/99, 27.5.1999
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