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Es sind die gleichen, deprimierenden Bilder, die seit zehn Jahren die Berichte
aus Rumänien begleiten. Sie handeln von Armut, von Korruption, von
wirtschaftlicher Stagnation und schamloser Oligarchie, von mafiosen Zuständen,
von Fatalismus, von Vetternwirtschaft, Kriminalität, verwahrlosten
Straßenkindern, von pogromartigen Überfällen auf Roma und immer wieder von einem
ausufernden neuen Nationalismus.
Die postkommunistischen Machthaber versprachen großmundig, die lang ersehnte
Wende herbeizuführen. Die katastrophalen Bilanzen aller Nachwenderegierungen
bestätigten aber nur die fehlende Aussicht auf ein wirtschaftliches, politisches
und soziales Tauwetter, das den Anschluss des Landes an Europa herbeiführen
würde.
Europa und die atlantische Integration sind die magischen Worte, die den
öffentlichen Diskurs beherrschen. Damit sind die abstrakten Sehnsüchte und
wirklichkeitsfremden Hoffnungen einer deprimierten Wählerschaft nach Wohlstand
und sozialer Sicherheit verknüpft, die aber noch nicht bereit ist, die
westlichen Werte zu akzeptieren. Ein Teufelskreis.
Geistig orthodox
Bei den im vergangenen Jahr stattgefundenen Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen hat ein Drittel der Wähler für die neofaschistische
Partei Großrumänien (PRM) gestimmt. Die Wahlergebnisse waren ein schwer
wiegendes politisches Debakel und ein Armutszeugnis für die politische Klasse
und die Intellektuellen, die sich das Wort Demokratie auf die Fahnen geschrieben
haben. Rumänien ist ein Land der politischen Paradoxe. Ein Land, das geografisch
zwar in Europa liegt, aber geistig tief in den orthodoxen und levantinischen
Traditionen verankert ist, die eine archaische Autoritätsgläubigkeit und ein
unzeitgemäßes patriarchalisches Denken begünstigen. Darauf bauen die
rückwärtsgewandten völkischen Konzepte auf, die nicht nur von den populistischen
Ideologen der einzelnen Parteien in praktische Politik umgesetzt werden. Sie
spiegeln leider auch das zweifelhafte Kokettieren mit nationalistischen Ideen
wider, die den Diskurs jener Intellektuellen beherrschen, die vorgeben, im Namen
einer nur in Ansätzen existierenden "zivilen Gesellschaft" zu sprechen.
Der Geist nach Ceausescu
Vom nationalkommunistischen Ceausescu-Regime ist bloß der Nationalismus übrig
geblieben. Er entwickelte sich zu einer parteiübergreifenden Ideologie, deren
radikalste Form die großrumänische Partei verkörpert.
An der Spitze dieser Partei steht der Schriftsteller Corneliu Vadim Tudor. Er
war vor 1989 weniger durch seine abgeschmackten Lobeshymnen auf Ceausescu
aufgefallen, die sich kaum von jenen seiner Zunftsgenossen abhoben, sondern
vielmehr durch seine militanten antisemitischen Gedichte und Aufsätze. Seine
ressentimentgeladenen Texte entsprachen dem Geist einer ultranationalistischen
Tradition, die das intellektuelle und politische Klima der Zeit zwischen den
Weltkriegen dominierte und somit Rumänien nicht zufällig zum treuesten
Verbündeten Hitlers machte.
Um sich nachhaltig vom untergegangenen Kommunismus abzugrenzen, beriefen sich
nach der Wende fast alle wichtigen Parteien auf die Traditionen aus der mythisch
verklärten Zeit von vor 1945. Mit einem radikalen Schlussstrich versuchten auch
die einflussreichen Intellektuellenkreise ihre Abgrenzung von dem früheren
Ceausescu-System zu markieren, das sie durch ihren opportunistischen
Konformismus und ihr fatalistisches Schweigen mit zu verantworten hatten. Die
intellektuelle Abrechnung mit dem Kommunismus äußerte sich in
Gefälligkeitsgesten gegenüber einer fragwürdigen geistigen Elite, die nach 1945
marginalisiert, isoliert und zensiert war. Die faschistoiden Schriften jener
Leute, die bis 1945 zu den intellektuellen Wegbereitern des rumänischen
Faschismus gehörten, überschwemmten den Büchermarkt. Zweifelhafte politische
Persönlichkeiten, wie der 1946 als Kriegsverbrecher hingerichtete
militärfaschistische Diktator und Hitler-Verbündete, Ion Antonescu, erfreuten
sich einer unangemessenen postumen Popularität dank der zielstrebigen
Propagandatätigkeit von Intellektuellen, die sich nach der Wende schlagartig in
kompromisslose Antikommunisten verwandelt hatten und dadurch ihre eigenen
schuldhaften Verstrickungen mit dem untergegangenen System zu beschönigen
versuchten.
Faschismus-Recycling
Einer davon ist Professor Dr. Gheorghe Buzatu, korrespondierendes Mitglied der
Akademie, Leiter eines historischen Instituts, Vorsitzender der Liga "Marschall
Ion Antonescu" und seit vergangenem Jahr Vizepräsident des Senats (der ersten
Kammer des Parlaments, in das er als Mitglied des großrumänischen Partei
eingezogen ist). Im letzten Jahrzehnt sorgte er wie kaum ein anderer Historiker
für das akademische Recycling der faschistischen Antonescu-Diktatur. Er ist
nicht wie der Chef seiner großrumänischen Partei, Corneliu Vadim Tudor, ein mit
Charisma und rednerischen Talenten gesegneter Politiker, sondern wirkt bei
seinen öffentlichen Auftritten eher zurückhaltend und bescheiden, ja sogar etwas
unbeholfen und schüchtern.
Wenn Buzatu seine immer mit archivalischen Dokumenten untermauerten Argumente
sachlich vorträgt, scheint er besonnen, vernünftig und überzeugend zu sein.
Vielleicht fehlte er auch deshalb nur selten in einer der populären Talkrunden
rumänischer Fernsehsender, in denen historische Themen zur Debatte standen und
in denen eine Rehabilitierung Antonescus angestrebt wurde. Hinter der Maske des
auf Sachlichkeit bedachten Wissenschaftlers verbreitete er seine Ansichten im
Stil eines defensiven Spielers. Ohne ausfällig zu werden, artikulierte er aber
immer seine Antipathie gegen Kritiker des Antonescu-Regimes, indem er ihnen
Dilettantismus, tendenziöse Unwissenschaftlichkeit und einen unterschwelligen
Antirumänismus vorhielt.
Mit seinen Schriften und Aussagen düngte Buzatu nicht nur den Nährboden der
großrumänischen Ideologie und vergrößerte die Rekrutierungsbasis dieser
neofaschistischen Organisation, sondern schürte auch irrationale Ängste vor der
euroatlantischen Integration, dem multikulturellen westlichen Wertekanon und der
Globalisierung - die im kruden Stil seiner Parteifreunde nichts anderes als ein
von "okkulten" Kräften geplanter Anschlag auf die nationale Identität des Volkes
beinhalten.
Das Wort "okkult" gehört übrigens auch zu den Lieblingsvokabeln vieler anderer
rumänischer Kommentatoren, die der großrumänischen Organisation durchaus
kritisch gegenüberstehen.
Mit "okkult" ist nicht nur eine von Juden und Freimaurern geplante
identitätsunterwandernde "neue Weltordnung" gemeint, sondern auch eine speziell
gegen Rumänien gerichtete internationale Verschwörung. Zu den Agenten dieser
antirumänischen Verschwörung zählen in erster Linie die Juden und deren
"rumänische Handlanger". In der Lesart der großrumänischen Parteipropaganda
waren die Juden sowohl für die Einführung des Kommunismus verantwortlich als
auch am Sturz des nationalen Ceausescu-Regimes. Obwohl die tatsächlich in
Rumänien verbliebene jüdische Minderheit auf ein Häuflein zumeist alter Leute
geschrumpft ist, wird dieser Bevölkerungsgruppe zuweilen sogar die
postkommunistische Verelendung angelastet. Die Juden und ihre internationalen
Verbündeten werden nicht nur für die Hinrichtung des faschistischen Diktators
Antonescu verantwortlich gemacht, sondern auch für die Inszenierung des
Schauprozesses gegen den "Patrioten" Ceausescu und die anschließende
Vollstreckung des Todesurteils.
Intellektuelle wie Gheorghe Buzata berufen sich auf den zum Nationalheiligen
verklärten Antonescu, um den Kommunismus und den Kapitalismus westlichen
Zuschnitts als eine von Juden erfundene Ideologie zu delegitimieren. Auf diese
Weise fördern sie die in breiten Schichten der Bevölkerung unterschwellig
vorhandenen antisemitischen Vorurteile, bestätigen rassistische Ansichten,
schüren Überfremdungsängste und schaffen den Rahmen für nationalistische
Abschottungsfantasien.
România Mare
Der von Antonescu initiierte rumänische Holocaust, dem mehr als 400.000 Juden
zum Opfer gefallen sind, wird somit nicht nur hartnäckig geleugnet und
verharmlost, sondern als eine Propagandalüge der Feinde Rumäniens
zurückgewiesen. Im Sprachjargon der Zeitschrift România Mare (Großrumänien), dem
wichtigsten Organ der gleichnamigen Partei - werden diese "Feinde" als Leute,
die an "Antirumänismus leiden", abgekanzelt und ihnen mit repressiven Maßnahmen
gedroht. "Wir werden wieder das sein, was wir einst waren, und sogar noch mehr",
verspricht das Motto, das wöchentlich auf der Titelseite des großrumänischen
Parteiblattes prangt.
Der einem mittelalterlichen rumänischen Fürsten zugeschriebene Ausspruch ist auf
die parteipolitische Tat fixiert, die Tudor und seine Gesinnungsgenossen durch
eine "Diktatur des Gesetzes" umzusetzen versprechen. Rhetorisch verpackte
Formeln wie "Rumänien kann nur mit dem Maschinengewehr regiert werden" oder
"Zigeuner ins Arbeitslager" lassen erahnen, was ein Rechtsextremist wie Tudor im
Falle einer Machtübernahme tatsächlich anrichten würde.
Geschliffen rassistisch
Buzatu, der durch seinen objektivistischen
Tonfall wie kein anderer zur Intellektualisierung des rechtsextremen und
revisionistischen Diskurses beigetragen hat, gießt die dumpfen rassistischen
Sprachreflexe und politischen Drohgebärden seiner Partei in die geschliffene
Form von Geschichtstheorien. Die Verherrlichung von Antonescus antisemitischen
Greueltaten, sein "heiliger Krieg" gegen die Sowjetunion sowie die von ihm
angeordnete radikale Lösung der "Zigeuner- und Judenfrage" werden somit zu
Chiffren eines ethischen Dammbruchs, den die zivile Gesellschaft durch ihr
zögerliches Verhalten, ihr Kokettieren mit antidemokratischen, historisch
kompromittierten politischen Persönlichkeiten und rechtslastigen Konzepten mit
verursacht hat.
Es bleibt abzuwarten, wie Buzata als Parlamentarier den populistischen
Aktionismus seiner Partei, die auf Druck des Westens von den regierenden
Wendekommunisten im Parlament quasi isoliert wurde, in praktische Politik
umsetzt. Präsident Iliescus Minderheitsregierung signalisierte ihre
Bereitschaft, den Brückenschlag zu den Großrumänen zu vermeiden. Trotzdem machte
Iliescu bereits eine erste, wenn auch nur verbale Konzession, als er vor wenigen
Tagen während einer Gedenkfeier für jüdische Pogromopfer von 1941 von
übertriebenen Opferzahlen sprach, die Rumänien zu Unrecht angelastet würden.
Der Zusammenbruch der sozialistischen Systeme 1989/90 bedeutete für viele
Staaten Mittel- und Osteuropas den Startschuss für ihre "Rückkehr nach Europa".
Diese Rückkehr manifestiert sich konkret in den Beitrittsverhandlungen, die die
Europäische Union mit zehn dieser Länder führt. Im Vordergrund stehen
politisch-ökonomische Fragen. Doch wie der Streit um den öffentlich-rechtlichen
Rundfunk in Tschechien zeigt, interessieren mehr denn je Fragen nach der
politischen Kultur dieser Länder. Der Eigensinn steckt auch hier in Details,
denen wir in einer Folge von Artikeln nachgehen wollen. Am 15. Januar
analysierte Gabriele Lesser das polnische Wort "Ende", und am 23. Januar
beleuchtete Magdalena Marsovsky die Medienpolitik der positiven Diskriminierung
in Ungarn.
taz Nr. 6359 vom 30.1.2001,
Seite 13, 377 Zeilen TAZ-Bericht
WILLIAM TOTOK
haGalil onLine
21-01-2001
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