Der Minister für Regionale Kooperation, Schimon Peres, gilt als einer der
Architekten des Friedensvertrags von Oslo zwischen Israel und den
Palästinensern. Dafür erhielt er 1994, zusammen mit Palästinenser-Präsident
Jassir Arafat und dem damaligen israelischen Premierminister Jitzchak Rabin, den
Friedensnobelpreis. Peres verfügt über einen engen Kontakt zu Arafat.
Gleichwohl, sagt er, bleibe ihm Arafat "ein Mysterium". Mit Peres sprach
Thorsten Schmitz in Tel Aviv.
SZ: Sind die Gespräche im ägyptischen
Taba durch die jüngsten Morde an zwei Israelis gefährdet?
Peres: Nein. Aber jedes Mal, wenn
Palästinenser einen Israeli töten, können wir nicht einfach weiterverhandeln,
als sei nichts passiert. Wir müssen dann eine Anstandspause einlegen.
SZ: Premierminister Ehud Barak hofft, mit
einem Friedensvertrag in der Tasche in zwei Wochen wiedergewählt zu werden. Ist
das realistisch?
Peres: Um ehrlich zu sein: kaum. Die uns
zur Verfügung stehende Zeit bis zu den Neuwahlen am 6. Februar ist zu kurz. Ich
glaube, dass in Taba keine Vereinbarung erzielt wird.
SZ: Warum wird dann überhaupt verhandelt?
Peres: Wir haben die Wahl zwischen reden
und nicht reden. Ich bevorzuge es, miteinander zu reden, anstatt aufeinander zu
schießen. Schüsse lassen sich nicht durch Schüsse stoppen, wie man Feuer auch
nicht mit Feuer löscht.
SZ: Weshalb sollte Arafat ein Abkommen
unterzeichnen mit einem Premierminister, dessen Tage jüngsten Umfragen zufolge
gezählt sind?
Peres: Weil er sonst mit leeren Händen
dasteht. Das würden ihm die Staaten übel nehmen, die ihn unterstützen. Die Ideen
Clintons haben mit ihm das Weiße Haus verlassen. So ist es für Arafat besser,
diese Ideen als Grundlage zu nehmen, als wieder ganz von neuem über alles zu
debattieren. Zudem glaube ich, dass Arafat sehr besorgt ist über den Ausgang der
amerikanischen Wahl. Er fürchtet, in der neuen Regierung keinen Gesprächspartner
mehr zu haben.
SZ: Ist er daran nicht selbst schuld?
Peres: Sicher ist er das. Inzwischen aber
will er wirklich ein Abkommen erzielen. Allerdings muss er erkennen, dass es
dafür jetzt zu spät ist.
SZ: In Camp David hat Barak im
vergangenen Juli Arafat ein großzügiges Angebot unterbreitet. Arafat jedoch zog
es vor, die Gespräche abzubrechen, und sein Volk antwortete mit Gewalt. Weshalb
zieht Arafat es vor, einen Staat durch Gewalt zu gründen statt durch Diplomatie?
Peres: Aus unserer Sicht waren Baraks
Offerten großzügig. Aus Arafats Sicht hätte eine Einigung in Camp David
bedeutet, dass er alle künftigen Forderungen hätte aufgeben müssen. Dieser
Frieden, verglichen mit dem, den wir 1979 mit Ägypten geschlossen haben, wäre
dann minderwertiger ausgefallen. So entschied sich Arafat für die Gewalt - was
sein Fehler gewesen ist. Er dachte, er könne dadurch mehr erreichen. Sein
Zeitplan war falsch, um ein Abkommen noch in der Clinton-Ära zu erzielen. Wenn
er Clintons Ideen Ende Dezember sofort und vorbehaltlos akzeptiert hätte, gäbe
es jetzt ein Abkommen. Da er aber den Plan mit Fragezeichen versehen hat,
mussten auch wir Einschränkungen anmelden. In Taba wird nun genau über diese
Einschränkungen verhandelt. Und das wird viel Zeit in Anspruch nehmen.
SZ: Hat Arafat die Situation in den
Palästinensergebieten überhaupt noch unter Kontrolle?
Peres: Ich glaube ja. Allerdings
kontrolliert die Situation umgekehrt auch ihn. Das ist das Dilemma, in dem er
steckt, und deshalb erscheint Arafat mitunter rätselhaft: Er tanzt auf zwei
Hochzeiten. Er muss der Welt gerecht werden - und seinem Volk.
SZ: Sie haben Arafat in letzter Zeit
mehrmals in Gaza zu Gesprächen getroffen. Wie war das?
Peres: Wenn man die Grenze am Checkpoint
in Eres überquert, betritt man eine völlig andere Welt. Arafat schaut mich an,
als sei ich ein Fremder. Darin drückt sich der Verlust von gegenseitigem
Verständnis aus. Die Palästinenser denken, wir wollten ihnen einen Staat nach
unserem Willen aufzwingen. Wir dagegen sind der Ansicht, dass Arafat durch
politische Manöver und Gewalt kaltblütig Vorteile aus der Situation zu schlagen
versucht. Zwar hatten wir uns in der Frage der künftigen Gebietsaufteilung
angenähert, wir standen kurz vor einer Übereinkunft. Leider aber ist die
emotionale Kluft zwischen beiden Seiten breiter geworden. Sie sieht zurzeit
unüberwindbar aus. Dabei ist menschliches Einfühlungsvermögen sehr wichtig,
Zuhören, Körpersprache, der Austausch von Ideen - in diesem Punkt sind wir in
einer fast ausweglosen, traumatischen Situation. Die Klagen der Israelis über
die Palästinenser und umgekehrt sind so hoch, dass wir mehr Ärzte brauchen als
Generäle, um den Konflikt zu heilen und eine andere Atmosphäre herzustellen.
SZ: Vielleicht ist Barak zu sehr General?
Peres: Das haben Sie gesagt.
SZ: Sind Sie von dem Ausmaß der Unruhen
überrascht?
Peres: Ja. Ich habe diese
Gewaltbereitschaft nicht gesehen. Allerdings ist man im Nahen Osten nie
überrascht von Überraschungen.
SZ: Hatten Sie keine Reaktion der
Palästinenser nach dem Besuch Ariel Scharons auf der Esplanade des Tempelbergs
erwartet?
Peres: Ich glaube nicht, dass Scharon
eine Provokation gegen die Palästinenser beabsichtigt hat. Er wollte eher
Benjamin Netanjahu herausfordern, der ihm seine Position streitig machen wollte.
Andererseits wäre ohne Scharons Tempelberg-Besuch vieles von dem, was jetzt
geschieht, nicht passiert.
SZ: Weshalb hat Barak Scharons Visite
nicht verhindert?
Peres: Das konnte Barak nicht. Jeder
Bürger in Israel, Araber oder Jude, darf auf den Tempelberg.
SZ: Zuerst schien in den Verhandlungen
die Hoheit über Jerusalem das Hauptproblem. Inzwischen ist es auch die Forderung
nach einem Rückkehrrecht der Palästinenser. Hat Barak die Flüchtlingsproblematik
unterschätzt?
Peres: Das Rückkehrrecht ist ein Traum,
ein Slogan. Israel kann dem nicht zustimmen, es würde Selbstmord bedeuten. Man
kann nicht eine jüdische Mehrheit in eine Minderheit verwandeln, das ist
Nonsens. Und die Palästinenser verstehen das, tief in ihrem Herzen. Israel ist
zusammen mit der internationalen Gemeinschaft bereit, finanzielle Kompensationen
zu leisten und einzelnen Flüchtlingen im Rahmen von Familienzusammenführungen
ein Rückkehrrecht zuzugestehen. Ein generelles Rückkehrrecht aber wird es nie
geben.
SZ: Der neue US-Außenminister Colin
Powell hat angekündigt, dass er nach dem Weggang des Nahost-Gesandten Dennis
Ross keinen neuen Sonderbeauftragten benennen wird. Machen Sie sich Sorgen, dass
George W. Bush künftig viel weniger Zeit und Mühe in die Beilegung des
Nahost-Konflikts investieren wird?
Peres: Nein, ich sehe keinen Grund zur
Beunruhigung. Aus dem gescheiterten Camp-David-Gipfel und all den Treffen danach
unter Moderation der USA kann man nur einen Schluss ziehen: Dass es notwendig
gewesen wäre, dass Palästinenser und Israelis gleich direkt miteinander
verhandelt hätten, anstatt über Dritte. Grundsätzlich sollten Israel und die
Palästinenser bilaterale Gespräche führen, wie wir das in Oslo getan haben.
SZ: Wie würde Frieden aussehen?
Peres: Wir hätten drei Staaten, einen
israelischen, einen palästinensischen und einen jordanischen. Diese würden
wirtschaftlich miteinander kooperieren, politisch voneinander getrennt sein und
mit den europäischen Staaten auf allen Gebieten Beziehungen unterhalten.
SZ: Zeigt die Intifada nicht, dass der
Frieden, von dem Sie reden, ein Traum bleibt?
Peres: Ich bin und bleibe Optimist. Was
bleibt mir anderes übrig? Wir sind zum Frieden verdammt.
SZ: Und wie sieht die Zukunft aus, wenn
Scharon Premierminister wird?
Peres: Scharon ist nicht die Zukunft, er
ist Vergangenheit. Er würde nur für kurze Zeit im Amt bleiben.
SZ: Und wenn Scharon Sie, den
Arafat-Experten, darum bittet, seinem Kabinett beizutreten?
Peres: Ich trete nicht Regierungen bei,
sondern arbeite für Pläne. Wenn Scharons Plan auf den Oslo-Vereinbarungen
basiert, habe ich kein Problem, mit ihm zusammenzuarbeiten.
SZ: Scharon hat gesagt, der
Friedensprozess von Oslo sei "tot".
Peres: Also werde ich nicht dabei sein,
wenn Scharon Oslo begräbt.
haGalil onLine
29-01-2001
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