Nichts neues unter der Sonne?
Tod per Internet
Mit immer neuen Drohungen gegen
Juden, Ausländer und Linke und mit »Todeslisten« macht die extreme
Rechte in Deutschland mobil.
von korinna klasen und olga
lembke
Beim jüdischen
Online-Dienst haGalil hat man sich an Drohungen von
Rechtsextremisten gewöhnt. »Wir erhalten ständig Morddrohungen per
E-Mail«, erzählt haGalil-Mitbetreiber A.B.*. Per Telefon kommen
»Vergasungsdrohungen« hinzu, da haGalil auch Adressen und Rufnummern
veröffentlicht.
Die Diskussionsforen im
Internet werden ebenfalls von deutschen und internationalen
Rechtsextremisten zugemüllt. Deswegen sperrt haGalil regelmäßig
seine Foren. »Gerade revisionistische Schreiberlinge fühlen sich
offenbar so von der gesellschaftlichen Entwicklung gestützt, dass
sie ihre Beiträge mit richtigem Namen kennzeichnen«, sagt B.. Aber
auch für die anderen gibt es keine Anonymität: Indem man die
Datenwege zurückverfolgt, lassen sich die Urheber meist ermitteln.
Zu Anklagen kommt es dennoch
selten: Einen Mannheimer Staatsanwalt, der ernsthaft dran geblieben
wäre, kann B. immerhin nennen. Er kennt aber auch andere Reaktionen.
So habe ein Beamter des LKA Bayern eine von haGalil erstattete
Anzeige mit den Worten kommentiert: »Wenn Sie da einen Judenstern
abdrucken, brauchen Sie sich über diese Reaktionen nicht zu
wundern.«
Auch die Anti-Antifa macht
noch stärker als sonst gegen Juden und Jüdinnen Front: Auf einer so
genannten Todesliste von militanten Neonazis mit dem Titel
»Wehrwolf«, die seit Anfang Dezember in Umlauf ist, wird eine »neue
Offensive nationalsozialistischer Gegenwehr« angekündigt. »Wer gegen
uns vorgeht, hat mit entsprechenden Gegenmaßnahmen zu rechnen«,
heißt es im Vorwort.
Dominant ist der
Antisemitismus: Auf zwei Seiten der »Todesliste« werden Büroadressen
Jüdischer Gemeinden in Deutschland, der Allgemeinen Jüdischen
Wochenzeitung, von Restaurants in Berlin sowie von jüdischen
Kulturzentren im Bundesgebiet aufgezählt. Auf einem Stadtplan
Berlins ist die Lage von Gedenkstätten für die Opfer des
Nationalsozialismus beschrieben. Der Münchener Rechtsanwalt Michael
Witti, einer der Hauptvertreter ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter in den Rechtsstreits mit deutschen Firmen, wird mit
Foto und Büroadresse präsentiert.
Auch zu ihrer Zielsetzung
äußern sich die Verfasser unverblümt: »Wir wollen nichts weiter, als
Hakenkreuzfahnen zu schwingen, in SA-Uniformen zu marschieren, den
Arm zum Deutschen Gruß zu heben und unsere Meinung über Juden
äußern.« Rund 150 Namen und Adressen aus dem gesamten Bundesgebiet
sind nach Rubriken wie »Parlamentarier«, »Antirassismusbüros,
Demokratische Propagandasender« und »Hebräer« sortiert.
Darunter finden sich die
Kontaktadressen der Roten Hilfe, der MLPD sowie der VVN/BdA und auch
vierzig Bundestagsabgeordnete aller Parteien mit Fotos sowie
Privatadressen. Besonders skurril: Neben PDS- und
Grünen-Abgeordneten werden auch Parlamentarier der SPD, CDU und CSU
genannt - unter ihnen Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) und
Günter Rexrodt (FDP). Dabei bedienten sich die Neonazis offenbar
eines parlamentarischen Handbuchs der letzten Legislaturperiode. So
wird Joseph Fischer hier noch als einfacher Bundestagsabgeordneter
geführt und Volker Rühe als Verteidigungsminister genannt.
Die Auswahl der »Volksfeinde«
macht vor allem eines deutlich: Die Verfasser, eine »Anti-Antifa
Saarpfalz«, die sich bis zum Herbst noch »Anti-Antifa Kurpfalz«
nannte, zeigen den Weg auf, den US-Neonazis wie William Pierce und
schwedische Neonazis vorgeben: weg von den NPD-Massenmobilisierungen
und hin zum Kampf mit militäschen Mitteln gegen - auch vermeintliche
- politische Entscheidungsträger, Gegner und Gegnerinnen sowie
staatliche Institutionen.
Die Anti-Antifa Saarpfalz
hatte schon im September des letzten Jahres eine Liste mit 40 Namen
und Adressen von Berliner Parlamentarierinnen und Parlamentariern,
Journalistinnen und Journalisten sowie nicht-rechten Jugendlichen
veröffentlicht. Einige der Betroffenen stellten Strafanzeige gegen
Unbekannt. Beim Berliner Verfassungsschutz hieß es damals, man wisse
nicht, wer sich hinter der Anti-Antifa Kurpfalz verberge.
Den Sicherheitsbehörden in
Rheinland-Pfalz jedoch waren die rechten Datensammler seit Herbst
1998 bekannt: Im November 1998 hatte der SPD-nahe Blick nach Rechts
berichtet, dass die Anti-Antifa Kurpfalz für »Fotos mit Namen und
Adressen von Gegnern« fünf Mark zahle. Erst nach Presseberichten
wurde die Liste auch in Berlin ernst genommen. Nun ermittelt die
Berliner Staatsanwaltschaft gegen Neonazis aus Berlin, Niedersachsen
und Brandenburg wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung«.
Im Oktober wurden die
Wohnungen rechtsextremer Aktivisten, unter ihnen Oliver Schweigert
aus Berlin, durchsucht; es fanden sich entsprechende
Anti-Antifa-Listen. Nach einem Bericht der britischen Zeitung
Guardian hatten die Neonazis geplant, sechzig Adressen und Namen von
Staatsanwälten, Richtern und anderen politischen Gegnern im Internet
zu veröffentlichen.
In und um Göttingen scheint
die extreme Rechte schon weiter zu sein. Das niedersächsische LKA
musste vor Weihnachten sogar Göttinger Antifas und bekannte Linke
vor Briefbombenanschlägen von Neonazis warnen: Ein lokaler
DGB-Kreisvorsitzender, die PDS-Bundestagsabgeordnete Heidi Lippmann
sowie drei Wohngemeinschaften erhielten überraschenden Besuch, der
davor warnte, Weihnachtspäckchen in der Größe einer Video-Kassette
zu öffnen.
Gegegenüber der taz
begründete der zuständige BKA-Abteilungsleiter das Vorgehen mit
Unterlagen über Sprengstoff und Zündern, die bei Hausdurchsuchungen
in der rechten Szene gefunden worden seien. Gleichzeitig aber
bewertete er die rechtsextreme Szene in Südniedersachsen als
politisch bedeutungslos...
* Name von der Redaktion
geändert
Ja, der Artikel
stammt aus der
Jungle World vom 05.01.2000...
Was hat sich seither verbessert???
Schlagworte: Terror/ismus,
Rechtsextremismus, Drohungen, Antisemitismus, Internet,
Verfassungsschutz
haGalil onLine
05-01-2001
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