In der Zone der Kameraden
Der Antalya-Grill wird regelmäßig
überfallen, der Militariahändler bietet T-Shirts mit
Eichenlaubaufdruck, und die Polizei ist im Gespräch mit Schulleitern
aus Pirna
HEIKE KLEFFNER
Touristen sind in Pirna
gern gesehen. Das "Tor zur Sächsischen Schweiz", wie sich die Stadt
(48.000 Einwohner) an der Elbe in Hochglanzbroschüren nennt, bietet
eine liebevoll sanierte Altstadt, umgeben von den malerischen
Bergzügen des Elbsandsteingebirges.
Doch die Gastfreundschaft hat Grenzen: Auf dem Bahnhofsplatz taxiert
die regionale Jugendleitkultur in Gestalt mehrerer Skinheads
Reisende mit dunkler Hautfarbe oder buntem Outfit. Einer der jungen
Männer trägt den schwarzweißroten Schriftzug "Skinheads Sächsische
Schweiz" offen auf der Bomberjacke, aus der hinteren Tasche seiner
Jeans ragt sichtbar ein Totschläger.
Knapp zehn Minuten vom
Bahnhof entfernt wirbt der bunte Schriftzug des Antalya-Grills um
Kunden. Vor zwei Jahren eröffnete Adem Sendilmen (50), der mit 17
Jahren nach Deutschland kam, das kleine türkische Restaurant mitten
in der Fußgängerzone von Pirna. Weil das Geschäft mit den Dönern und
türkischen Pizzen gut anlief, kamen Ehefrau Selda und die beiden
jüngeren Kinder Recep und Suleyman bald nach. "Das war ein Fehler",
sagt Recep (19). "In den vergangenen zwei Jahren ist unser Geschäft
sechsmal von Rechten angegriffen worden." Zum Beispiel Ende Februar:
Da versammelte sich eine Gruppe von rund 70 Skinheads vor der
Glasfront des "Antalya Grills". "Immer wieder schrien sie ihre
Parolen ,Ausländer raus' und ,Scheißtürken'", sagt Recep. "Wir haben
die Polizei gerufen und gewartet." Doch es geschah, wie zuvor auch
schon - nichts. "Die Polizei kam einfach nicht."
Mit Stühlen in der Hand
gelang es der Familie und einigen Restaurantbesuchern, die Rechten
in die Flucht zu schlagen. "Dieses Mal hatten wir Glück", sagt Adem
Sendilmen. Die Angst, dass man ihm nicht glauben könnte, wenn er von
den anonymen Anrufen mit den Drohungen - "Wir fackeln deinen Laden
ab" - und dem Verhalten der Polizei berichtet, lässt ihn laut
werden. "Der Stress macht mich nervös", entschuldigt er sich dann
und berichtet von einer Polizeirazzia. Ein anonymer Zeuge hatte
behauptet, im "Antalya Grill" werde mit Drogen gedealt. Drogen
fanden die Beamten nicht, Adem Sendilmen verbrachte trotzdem mehrere
Wochen in Untersuchungshaft.
Das Verfahren ist längst
eingestellt, das Stigma vom "kriminellen Ausländer" bleibt - und
wird von den Rechten genutzt. So wie am 4. November. Eine größere
Gruppe Skinheads zieht am Rande einer Demonstration von 700 Bürgern
gegen rechts vor den "Antalya Grill" - unbehelligt von der Polizei,
die zahlenmäßig überfordert war. "Als ich die Glatzen wieder vor
unserem Laden sah, waren meine Nerven am Ende", sagt Selda Sendilmen
(47). Sie holt einen Axtstil hinter dem Tresen hervor. "Damit bin
ich vor die Tür gegangen, um die zu vertreiben." Ihre Tochter zeigt
einen Artikel aus der Pirnaer Rundschau. Unter dem Foto, das
ihre Mutter mit dem Axtstil in der Hand zeigt, wird behauptet, Selda
Sendilmen sei mit "einem Dönermesser" auf die Anhänger der rechten
Szene losgerannt. Das Ergebnis: ein laufendes Ermittlungsverfahren
und ein zugeschwollenes Auge. Eine Polizistin habe sie ins Gesicht
geschlagen, sagt Selda Sendilmen.
Hört dies Günter Sauer von
der Pirnaer Polizeiinspektion, wird der Leiter für Prävention und
Öffentlichkeitsarbeit lebhaft: Die "ausländischen Mitbürger" hätten
provoziert, "die reagieren gleich extrem". Bloß weil jemand kurze
Haare habe, könne man die jungen Leute doch nicht zu Rechten
stempeln.
Die Vorwürfe der "Aktion
Zivilcourage", die lokale Polizei habe das Treiben der Skinheads
Sächsische Schweiz (SSS) jahrelang verharmlost und Beschwerden von
Betroffenen nicht ernst genommen, weist Sauer zurück. Schließlich
sei man mit allen Pirnaer Schulleitern im Gespräch und an zwei
Schulen das Tragen von Bomberjacken und Springerstiefeln per
Hausordnung inzwischen verboten. Die Auseinandersetzungen zwischen
wolgadeutschen Jugendlichen und Rechten habe man beenden können.
"Ich habe den Rechten klar gemacht, dass die Aussiedler auch
Deutsche sind", sagt Sauer. Zudem habe es erst im Frühjahr Gespräche
mit den Anführern der Skinheads Sächsische Schweiz gegeben. "Dabei
haben sie versichert, dass sie sich gesetzestreu verhalten werden."
Doch die seit 1997 in Pirna
und der gesamten Region aktiven Skinheads Sächsische Schweiz, die
von einem ehemaligen Mitglied der verbotenen Wiking Jugend, Thomas
Sattelberg, und mit Unterstützung örtlicher NPD-Funktionäre
gegründet wurden, haben offenbar eigene Vorstellungen von dem, was
hier Recht und Gesetz sein soll. Bei einer Razzia im Juni fand das
Landeskriminalamt Sachsen über zwei Kilogramm des hochexplosiven
Sprengstoffs TNT, Sprenggranaten, Gewehre, Pistolen, scharfe
Zündvorrichtungen und jede Menge rechtsextremes Propagandamaterial.
Die SSS habe ungestört eine
rechte Hegemonie ausbauen können, weil sie "teilweise auf
schweigende Zustimmung und Rückhalt in den Dorfgemeinschaften bauen
konnte", sagt der PDS-Landtagsabgeordnete Falk Neubert. Wie das
Gemeinderatsmitglied der Freien Wähler in Kleingießhübel, Michael
Jacobi, und dessen zwei Söhne. Vater Jacobi erzielte bei den
Kommunalwahlen 1999 das drittbeste Wahlergebnis im Ort und gilt als
allseits geschätzter Heizungsmonteur. Dass das LKA im Juni
ausgerechnet auf seinem Grundstück den Sprengstoff fand und der
46-Jährige mitsamt seinen Söhnen (18 und 21) daraufhin in
Untersuchungshaft genommen wurde, hat dem Ansehen der Familie in
Kleingießhübel kaum geschadet. Auch in Pirna finden sich ähnliche
Beispiele: SSS-Gründer Thomas Sattelberg war bis zur Razzia als
Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt angestellt.
Nach einer zweiten Razzia im
September ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden nun gegen 65
Mitglieder der SSS wegen Bildung oder Unterstützung "einer
kriminellen Vereinigung". Mit dabei: der NPD-Kreisgeschäftsführer
Sächsische Schweiz, Uwe Leichsenring aus Königstein. Leichsenring
(33) wurde bei den Kommunalwahlen mit 11,8 Prozent ins
Stadtparlament gewählt. Nach der letzten Bundestagswahl hatte er
sich in einem Brief bei "den Kameraden der SSS und der SSS/AO für
die hervorragende Absicherung unserer Veranstaltungen und
Infotische" bedankt. Der Brief liegt der taz vor.
Wer in Pirna durch die Tür
des "Military und Freizeitkleidungs-Geschäfts Eagle" tritt, kommt an
der auffälligen Werbung für Leichsenrings Fahrschule unter dem Motto
"Kameraden lernen bei Kameraden" nicht vorbei. Auch ansonsten findet
man in dem Laden alle Accessoires für den rechten Lifestyle:
T-Shirts mit Eichenlaubaufdruck und der weißen Zahl "88", dem
Neonazicode für "Heil Hitler", Springerstiefel "made in Britain"
und, feinsäuberlich sortiert, Bomberjacken in allen Größen. Dazu
gibt es jede Menge Aufnäher mit einschlägigen Botschaften: "White
Power" oder "Skinheads Deutschland". Auch Rechtsrock-CDs sind im
Sortiment - vom Wiking-Jugend-Barden Frank Rennicke bis zur
Blood-&-Honour-Band "No Remorse". Nur mit indizierten CDs ist man
gegenüber Unbekannten vorsichtig. "Wenn du was von Landser haben
willst, musst du über die Grenze nach Tschechien fahren", lautet der
freundliche Rat des Verkäufers auf die Frage nach CDs der Berliner
Neonaziband "Landser".
Bei der Staatsanwaltschaft
Dresden will man die Ermittlungen gegen die SSS bis zum Jahresende
abschließen. Dabei gibt es noch einiges zu tun. Auf den
Internetseiten des NPD-Kreisverbandes Dresden wird offen für einen
Besuch der "neuen Internetseiten der SSS" geworben. Deren
antisemitische Schülerzeitung Parole
wurde nach den Razzien wieder verteilt. Die SSS zeigt zäh Präsenz -
erst im Oktober bei einer alternativen Party im Pirnaer
Jugendzentrum "Hanno".
Was tun? Die Polizei wird
"alles daransetzen, Recht und Ordnung herzustellen", versichert
Günter Sauer. Ein "Netzwerk gegen rechts" ist im Aufbau. Einige
Antifagruppen wollen lieber auf die Straße gehen. Bei der "Aktion
Zivilcourage", die von den Gewerkschaften unterstützt wird, setzt
man auf Aufklärung. "Alles steht und fällt damit, ob wir die
Vorurteile gegen Fremde abbauen und den SSS und anderen Rechten den
Rückhalt in der Bevölkerung nehmen können", sagt Markus Richter,
Sprecher der "Aktion Zivilcourage". So lange will Familie Sendilmen
nicht warten. Sie hofft auf ein neues Restaurant in München.
taz Nr. 6327 vom 20.12.2000,
Seite 7, 273 Zeilen TAZ-Bericht HEIKE KLEFFNER
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Hintergrund (weitere Berichte aus
Pirna):
haGalil onLine
30-12-2000
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