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Eine Tagung des "Hamburger Instituts für Sozialforschung":
Die Begegnung zwischen Paul Celan und Martin Heidegger

Von Thomas Meyer

Zu den Begegnungen, die sofort grundsätzliche Fragen und Reflexionen aufwerfen, gehört die zwischen Paul Celan und Martin Heidegger. Von 1952 bis 1969 dauerte die Auseinandersetzung Celans mit Heideggers Werken, 33 Bände des Philosophen, mit zahlreichen Anmerkungen versehen, enthält seine Bibliothek, und kurz vor seinem Freitod, der auf den 20. April 1970 datiert wurde, trafen sich die beiden - es war ein Gründonnerstag - nochmals im Schwarzwald. 

Wichtigstes Dokument bleibt das Gedicht "Todtnauberg", das wenige Tage nach dem ersten Besuch am 25. Juli 1967 in der "Hütte" entstand. Auf einer von Anja Lemke organisierten Tagung des "Hamburger Instituts für Sozialforschung" legte der Herausgeber der kritischen "Bonner Celan Ausgabe", Axel Gellhaus (Aachen), die demnächst in Band 6 erscheinenden Varianten und Fassungen von "Todtnauberg" vor. In dem Sonderdruck für Heidegger findet sich der zentrale Teil gegenüber dem im Jahr 1970 erschienen Band "Lichtzwang" verändert. Während es dort noch hieß "die in dies Buch / geschriebene Zeile von / einer Hoffnung, heute, / auf eines Denkenden / kommendes / Wort / im Herzen", fordert Celan von Heidegger - quasi unter vier Augen - ein "kommendes (un- / gesäumt kommendes) / Wort".

Doch auch Heidegger, der, wie er dem Germanisten Gerhart Baumann, schrieb, "alles" von Celan kannte, hörte nicht auf, mit dem jüdischen Dichter aus der Bukowina schweigend ein Gespräch zu führen. Wie James K. Lyon (Provo, Utah) aufgrund des Exemplars von Celans Büchner-Preis-Rede "Der Meridian" in Heideggers Handbibliothek nachweisen konnte, hat er sich in den Jahren 69 oder 70 nochmals an den Text gemacht. Die zahlreichen Anstreichungen und Bemerkungen weichen von den durch Otto Pöggeler mitgeteilten Annotationen deutlich ab.

Erste Interpretationsversuche des Fundes stießen jedoch schnell auf Grenzen, die durch grundsätzliche Fragen gesetzt sind: Was für ein Verhältnis von Dichtung und Philosophie spricht aus den wenigen Dokumenten? Wie verhalten sich Poetologie, die der Philosopheme bedarf, und Seinsgeschichte, die den Poeten eine verkündende Rolle zuweist, zueinander? Inwiefern ist überhaupt von einem Verhältnis oder Gespräch auszugehen, wo doch Heidegger am 30. Januar 1968 Celan schrieb, man habe sich "Vieles einander zugeschwiegen"? Welche Erwartungen verbanden sich also mit den Begegnungen? Und natürlich: Wie läßt sich das Verhältnis bestimmen zwischen dem Jahrhundertphilosophen Martin Heidegger, der den Nationalsozialismus in sein Denken einschrieb, und dem Überlebenden Paul Celan, der Heideggers Textgeschichte und -strategien sehr gut kannte? Schließlich: Sind die vielfältigen Bezüge zu und Zitate aus Heidegger-Texten in den Gedichten als Kommentare zu lesen oder sind sie autonome Teile der Lyrik, die ohne den Rückbezug ausgelegt werden kann?

Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, so suggerierte etwa Thomas Schestag (Frankfurt/Main), bedarf es eines Dritten, nämlich Hölderlin, da er von Celan und Heidegger intensiv rezipiert wurde. Gerade die Hölderlin-Vorlesungen zwischen 1934 und 1944 scheinen Heidegger überhaupt erst als einen Philosophen auszuweisen, der ein "Miteinander" denken kann. Celan kannte die Hölderlin-Exegesen, soweit sie publiziert waren. Doch der von Schestag unternommene Vermittlungsversuch blieb exakt dort stecken, wo der Vermittelnde sich selbst sieht: in der Rolle des "Aufhalters" gegenüber einer vermeintlich unendlichen Reflexion, wie sie die Konstellation Hölderlin-Heidegger-Celan andeutet. Heidegger wählte Hölderlin zu seinem Gesprächspartner, um in ein poetisches System mit "Waffengewalt" (Ernst Cassirer) einzudringen, solange bis der Dichter der Seinsgeschichte entspricht und der Denker selbst ins Sprechen kommt, nachdem er 1933 alles "Große" noch im "Sturm" stehen sah und dann verstummte. Die selbstgewählte Rolle Schestags hingegen mag als Gestus durchgehen, aber sie läßt genau die Verantwortung vermissen, auf die Celan äußersten Wert legte: die Grenze zu beachten, die die Auseinandersetzung mit Heidegger weder zu dessen Auratisierung noch zu dessen Rehabilitierung werden läßt.

Eine Annäherung an das Verhältnis von Celan und Heidegger hätte von der Distanz auszugehen, die nicht nur in den Gedichten wirksam ist, sondern auch durch einen Fund - mitgeteilt in Robert Andrés (Tübingen) Studie, die nächstes Jahr unter dem Titel "Gespräche von Text zu Text. Celan-Heidegger-Hölderlin" bei Meiner in Hamburg, erscheinen wird - in Celans-Nachlaß bekräftigt wird. Celan schreibt in einem nicht abgeschickten, undatierten Briefentwurf an Heidegger, "daß Sie (durch Ihre Haltung) das Dichterische und, so wage ich zu vermuten, das Denkerische, in beider ernstem Verantwortungswillen, entscheidend schwächen".

Vor wenigen Monaten ist die deutsche Übersetzung der Monographie des Celan-Kenners Jean Bollack (Paul Celan. Poetik der Fremdheit, Zsolnay Verlag, Wien 2000) erschienen, die sich ebenfalls dem Deutungskomplex Celan-Heidegger ausführlich widmet. Präziser, weil in einen poetologischen Entwurf integriert, als in seinem aufsehenerregendem Essay "Vor dem Gericht der Toten. Celans Begegnung mit Heidegger" (auf deutsch in: Neue Rundschau, 1. 1998, S. 127-156), rückt Bollack die Bedeutung Heideggers für Celan zurecht. Celan konnte die "Nähe" zu Heidegger halten, die keine "Feindschaft" ausschloß, aber auch nicht "einer klarsichtigen Analyse im Wege" stand. Nach Bollack hatte sich Celan ein "Material" erarbeitet, das Heideggers Denken innerhalb der "eigenen Dichtung" wahrzunehmen vermochte. Die persönlichen Begegnungen waren dann die Konfrontation mit dem, was die Philosophie Heideggers nicht zu denken vermochte, dem er aber nicht entgehen sollte. Celan hatte sich durch seine Gedichte ausreichend immunisiert, um Heidegger mit der Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden allein zu lassen. In den Gedichten zeigt sich, was Heidegger fremd sein mußte: Eine Lektüre seiner Werke in der Sprache der Dichtung, die nicht in seine Sprache zurück zu übersetzen war. Der Philosoph konnte zwar, die Anmerkungen zu der "Meridian"-Rede liefern dafür Anhaltspunkte, immer wieder einen Aufruf seiner Denkfiguren entdecken, doch gleichzeitig waren sie ihm nicht mehr verfügbar. Die Strategien der Destruktion und der Verwindung, der Indienststellung in die Rede von Seinsvergessenheit und - verlassenheit, konnten nicht verfangen. Um dorthin zu gelangen, bedurfte es eines langen Weges, der in nuce in den Varianten zu "Todtnauberg" deutlich wird: Zunächst wählt Celan ein Zitat aus Hölderlins "Friedensfeier" ("Seit ein Gespräch wir sind"), um gegen Hölderlin ("und hören voneinander") und Heidegger zu schreiben: "an dem / wir würgen, / an dem ich würge, / das mich / aus hinausstieß, / dreimal, viermal". All das fehlt sowohl in Heideggers Sonderdruck als auch in "Lichtzwang". Die einzelnen Stufen der Auseinandersetzung mit Heidegger kulminieren in einem Text, der die einzelnen poetischen Elemente so fügt, daß sie mit einem begrenzten, klaren Bezug Heidegger in eine Ferne rücken, die keine nachträgliche Vermittlung auflösen kann. Insofern mußte der zitierte Brief nicht abgeschickt werden. In der genauen Nachzeichnung Bollacks findet sich denn auch der Hinweis auf den Briefwechsel Celans mit Franz Wurm (Paul Celan, Briefwechsel mit Franz Wurm. Hg. von Barbara Wiedemann und Franz Wurm, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 1995), der diese Sichtweise nochmals unterstreicht.

Eine andere Position nahm jüngst Anja Lemke ein (u.a. in: Dichtung als Zäsur, in: A. Lemke/ M. Schierbaum, "In die Höhe fallen". Grenzgänge zwischen Literatur und Philosophie, Königshausen & , Würzburg 2000, S. 233-255). Sie versucht schon in "Sein und Zeit" eine Spur nachzuzeichnen, die erst später für Heidegger wichtig geworden wäre: die Rede vom "Anderen". Von dort aus will sie die Möglichkeit und Unmöglichkeit eines Gespräches mit Celan aufspannen. So subtil die nachgewiesenen einzelnen Anknüpfungen und Verbindungenauch sind, und damit auch die neue Sicht, die auf den Heidegger vor bzw. nach der "Kehre" fällt, so sehr bewegt sich die Auslegung in Heideggers Sichtweise. Wie eben Bollack ex negativo zeigt, verfügt Heidegger über keine Sprache seinerseits Celans Lyrik in den "Griff" zu bekommen. Ihm fehlt es bis zuletzt an einer konsistenten Konzeption vom "Anderen", wie schon Karl Löwith 1928 in seinem Buch "Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen" zeigte.

Während Lemke die Lektüre in das gegenstrebige Verhältnis von Celan und Heidegger eintragen kann, blieb Ulrich Wergins (Hamburg) Vortrag seltsam blaß. Durch bloße Analogienbildung zwischen der "Dialektik der Aufklärung", Heideggers später konservativer Technikkritik und Derridas Celan-Heidegger-Versuch "Schibboleth" lassen sich zwar hübsche Gleichklänge in den unterschiedlichen Positionen erzeugen, doch mehr nicht. Außerdem mutet es seltsam an, die Situation von Adorno/Horkheimer im amerikanischen Exil mit der Heideggers in Freiburg kurzzuschließen. Die beliebte Rede von den sich berührenden Extremen führt schnell ins Ahistorische. Dunkel blieb in dem Amalgam Wergins der erkenntnisaufschließende Bezug zu Celan.

Sowohl die Hamburger Tagung als auch neuere Publikationen zu dem Problemkreis Celan-Heidegger zeigen deutlich die Schwierigkeiten, in denen sich ein Nachdenken schnell verstrickt. Andererseits sind mit dem Buch von Jean Bollack und den intensiven Diskussionen in Hamburg die Chancen gewachsen, von Celan aus sich Heidegger zu nähern und damit die Abhängigkeit von der Seinsmythologie zu lösen. Fest steht: von Heideggers Denken ist das "kommende Wort" nicht zu erwarten.

haGalil onLine 22-12-2000

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