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Gespräch mit Rabbinerin
Eveline Goodman-Thau

Am 18. Oktober 2000 wurde Eveline Goodman-Thau in Jerusalem als erste orthodoxe Rabbinerin ordiniert.

familiärer Hintergrund

Ich bin 1934 in Wien geboren. Meine Eltern stammen beide aus Ostgalizien. Von Vaters Seite bin ich eine Thau. Das geht zurück auf eine ganz lange rabbinische Familie. Von Mutters Seite bin ich eine Meisels, Kreisrabbiner von Krakau und von Prag. Meine Eltern sind nach dem ersten Weltkrieg nach Wien gekommen und haben es in einer Generation geschafft, aus dem Schtetl in die moderne Welt zu kommen.

Ein großer Teil des ostgalizianischen Judentums kam auch nach Wien vor dem 1. Weltkrieg und hat dort gelebt. So auch mein Vater. Er war geschäftlich sehr engagiert. Meine Mutter ist alleine in die Oper gegangen und hat dort meinen Vater getroffen. Er hatte ein Ticket und die Dame kam nicht. Zwei Wochen später - schaute mein Vater rauf - und da saß die Dame, neben der er in der Oper saß, in der Seitenstettengasse (Synagoge). Dort haben sie auch geheiratet.

1938 kam der Anschluß. Sie sind nach Holland geflüchtet. Dort haben wir im Versteck überlebt: Meine Eltern, meine ältere Schwester, mein jüngerer Bruder, die Mutter meiner Mutter und ich. In Holland lebten vor dem Krieg 130 000 Juden. 8000 haben überlebt im Versteck.

Mein Vater war ein großer Zionist. Er hat Buber gut gekannt, war schon 1924 in Palästina bei der Eröffnung der Hebräischen Universität. Wir haben sofort nach dem Krieg Hebräisch gelernt und mein Vater sagte: Du mußt nach Israel gehen. 1953 war ich zum ersten Mal in Israel. 1956 habe ich dort geheiratet, habe in 6 Jahren 5 Kinder in die Welt gebracht. Schon in Amsterdam hatte ich jüdische Kultur studiert, aber die Akademie hat mich nicht so sehr interessiert. Ich wollte einfach Lehrerin sein. Ich habe viel im erziehungswissenschaftlichen Bereich gearbeitet und war an der Curriculumentwicklung für Yad Vashem beteiligt und habe auch für verschiedene Verlage übersetzt.

Aufgabe im Judentum

Allmählich wurde mir deutlich, daß ich zurück will in die Uni. Ich wollte jüdische Studien studieren, aber habe nicht meine Doktorarbeit geschrieben. Schon ganz früh war ich tätig in einem Frauenverein „Emuna". Durch die Berührung mit diesen Frauen und meine eigenen jüdischen Interessen wurde mir klar, daß ich eine Aufgabe habe im Judentum. Wir waren die ersten die eine Gruppe gegründet haben, die Mizwa hieß, und Frauen mit Scheidungsproblemen geholfen hat, weil nur ein Mann Scheidung initiieren kann. Das war auch der Anfang vom Israel Women`s Network. Wir hatten eine Koalition mit nicht-religiösenen Frauen und deutlich gemacht, daß wir an Halacha (jüd. Religionsgesetz) interessiert sind und daran, daß Frauen Rechte haben.

Als Frau zweiter Rang im Judentum

Ich habe mich von Anfang an nicht so als Feministin gesehen. Ich hatte immer das Gefühl, ich habe selber viel gelernt und die Frauen waren stark in meiner Familie. Aber erst als ich angefangen habe mich intensiv mit Judentum zu beschäftigen, wurde mir klar, daß ich zweiter Rang bin im Judentum. (Ich habe eine Tochter, die ist Rechtsanwältin. Eine Tochter ist Ärztin, aber Rabbinerinnen können sie nicht werden, weil wir orthodox sind - neo-orthodox.)

Wir sind sehr aktiv gewesen, haben gelernt, die Mischna, Talmud, die Halachot - alles was mit Scheidung zu tun hat. Ich habe 10 Jahre lang das Gebetbuch unterrichtet bei der konservativen Bewegung und habe auch bei Privatlehrern gelernt - 10 Jahre .Kabbalah bei Léon Aschkenazy, einem französischer Rabbiner. Er hatte eine Spezialerlaubnis, Frauen in Kabbala zu unterrichten. Schon in Holland hatte ich bei Rabbiner Dassberg gelernt Ich kann mich eigentlich nicht erinnern, daß ich jemals in meinem Leben nicht gelernt habe - nicht nur studiert habe, sondern gelernt habe. Eine Woche ohne lernen war bei mir einfach nicht drin.

Man ist in Jerusalem von einem Schiur zum anderen gegangen. Dann ist man in die Universität gegangen, hat verglichen und sich gestritten. Ich habe geholfen einen Rahmen zu gründen, erst das „Institut für das niederländische Judentum" und war dort 10 Jahre tätig, aber ich habe auch „Elul" mitgegründet, ein Lehrhaus in Jerusalem, wo Religiöse und Nichtreligiöse zusammen lernen. Wir wollten unseren eigenen Lernrahmen haben.

Es gibt keine falsche Interpretation

Der Grund, warum ich das Gebetbuch gelehrt habe, war, weil ich gesagt habe, es gibt keine falsche Interpretation eines Gebetes. Der Mensch bringt seine eigene Andacht an dieses Gebet und steht vor Gott. So wurde mir allmählich deutlich, was ich gegen das Patriachat habe ist zweierlei:

Daß der Text schon im Talmud verarbeitet ist; daß nur bestimmte Fragen gestellt werden und klassisch gesprochen orthodox lernt man den Talmud. Man geht nicht zurück zur Bibel und interpretiert noch einmal neu.

Das zweite, was mich gestört hat, ist, daß man Menschen vorschreibt, wie sie Gott zu dienen haben. Ich habe darüber auch viel geschrieben. Es gibt drei Bereiche von denen Frauen ausgeschlossen sind. Diese sind der Kern der Religiosität:

- Torah lernen
- Torah beten
- Torah lesen (zur Torah aufgerufen werden)

Gefährdung der religiösen Identität

Darum bin ich nach wie vor der Meinung, daß die religiöse Identität von Männern und Frauen gefährdet ist innerhalb der Orthodoxie, weil sie die Frauen nicht einbeziehen in diesen Kern. Die Gründe sind z.B. die Ehre der Gemeinde. Ich muß schon sagen, daß heute sich viel geändert hat in der Orthodoxie. Aber noch ist es so, daß Frauen keine halachischen (religionsgesetzlichen) Entscheidungen treffen können.

Ich habe nicht von Anfang an gesagt, daß ich Rabbinerin werden will. Das war sehr weit weg für mich, denn in der Orthodoxie gibt es keine Frauen, die Rabbinerinnen sind. Aber das hat unmittelbar damit zu tun, daß Frauen keine halachischen Entscheidungen treffen sollen. Männer sollen halachische Entscheidungen treffen.

Interessant ist: Wenn man in die Bibel schaut, dann sieht man, daß zwischen dem Mann und Gott die Frau steht (Rebekka, Zippora, die Mutter von Samson ...). Wenn es keine Verheißung gibt, wenn man nicht weiß, wie es weitergeht, dann ruft man die Frau; aber dann in der Tradition dreht sich das um, und zwischen der Frau und Gott steht der Mann. Das bedeutet nicht, daß es a priori unmöglich ist, daß Frauen beten. Die Mischna sagt auch, wir lernen das Gebet von Hannah, und Frauen müssen das Schma sagen und Frauen sollen die Megilla hören (Anm: Lesen des Buches Ester zu Purim) . Wenn es um Zeugnis ablegen für das Judentum geht, dann ist es so, aber man kann nicht auftreten im Namen einer Gemeinschaft, und darum geht es letztlich.

Es geht um die Frage, ist man mündig oder ist man nicht mündig. Ist man untergeordnet wie ein Kind - Kinder, Sklaven, Frauen. Oder sollte man geistige Verantwortung übernehmen, nicht Führung. Allmählich wurde mir deutlich, daß die Art und Weise, in der die Orthodoxie die Religion vertritt und die Unterdrückung von Frauen - oder die Unterordnung ist ein Teil davon - ist eine Gefahr für das Judentum.

von innen reformieren

Daß ich heute als Frau heute Verantwortung übernehme für das Judentum hat nicht damit zu tun, daß ich Rechte oder Rolle der Frau will.
Ich bin in der dritten Phase, und denke auch, daß jüdischer Feminismus in der dritten Phase ist: Wir reden nicht mehr über Rollen. Wir reden nicht mehr über Rechte. Wir sind an einem Punkt, an dem wir sagen: Wir wollen die Regeln der Partizipation diskutieren. Sogar wenn man uns sagt, so und so sollt ihr es machen, sind wir nicht mehr bereit nach diesen Regeln zu partizipieren. Wir wollen von innen reformieren.

Dafür brauche ich nicht REFORM zu werden. Das Judentum hat sich immer historisch entwickelt. Es gab verschiedene Diasporagemeinden, die unterschiedlich praktiziert haben.
Das moderne Judentum hat natürlich Denominationen. Heute fühle ich mich „transdenominational".

Wir sind in einer Phase, wo wir darüber nachdenken müssen, was der kulturelle Kontext des Judentums ist. Wir müssen sehen, daß es gravierende Unterschiede gibt zwischen dem Rabbinat in Israel - welches eine sehr besondere Position einnimmt, denn in der Geschichte des jüdischen Volkes hat es noch nie in der Geschichte ein Rabbinat gegeben, das für alle beschlossen hat. Es gab ein Rabbinat in Spanien - es gab ein Rabbinat in der Chasside Aschkenas...

Brücke zwischen Tradition und Moderne

Ich bezeichne mich als religiöse Denkerin. In meinen philosphischen Schriften und in meiner Forschung. Ich habe spät promoviert und dann in Halle die „jüdischen Studien" aufgebaut und bin gerade habilitiert mit einer Arbeit über Judentum und Moderne. Ich bin immer wieder interessiert zu sehen, wie religiöse Tradition und Moderne zusammenkommen.

Ich finde es schon bezeichnend, daß ich in einer Woche diese Privatordination bekommen habe und die Habilitation abgeschlossen habe in Kassel. Daß das zusammengekommen ist für mich, weil ich auch 20 Jahre gewartet habe auf diesen Satz, den mir Paul Mendes-Flohr im Gutachten für meine Habilitation geschrieben hat. Er sagte „a statement of faith rooted in solid scholarship and rigorous analysis" also Wissen und Glauben in einem Stück zu verstehen. Ich denke Ost und West, diese Brücke, die ich in meiner Person vertrete.

Ich habe nicht gedacht, daß ich die Anerkennung für mein jüdisches Wissen je von einer jüdischen Seite bekommen würde. Ich habe es auch nicht geplant. Ich habe viel im jüdisch-christlichen Dialog gemacht, und gesehen, daß viele Frauen Pastorinnen sind oder Vikarinnen - also ordiniert sind...

Der Weg zum Rabbinat

Ich habe gedacht, ich würde nur in einem Beruf wirklich gut sein: Und das ist Rabbiner. Ich kann fast sagen, ich fühlte mich berufen, Menschen die Tora in die Hand zu geben und zu sagen: Sie ist deines. Nimm sie an, denn du mußt sie auch weitergeben, also nicht: Warte darauf, daß jemand sie für dich auslegt. Du mußt sie auslegen. Du mußt sie durch dich hindurchgehen lassen. Darum habe ich auch immer Beten und Lernen als mein Paradigma gesehen, wo ich das Gebetbuch als Geschichtsbuch gelehrt habe, als die erste mündliche Lehre gelehrt habe, als Philosophie gelehrt habe, als Text und Kommentar gelehrt habe - also diese Ebenen zusammengebracht habe.

Vor einigen Monaten kam dann der Wunsch einer Gemeinde in Europa, die mich als Rabbinerin wollte. Der Gemeindevorstand sagte, wir möchten, daß Sie Rabbinerin bei uns sind. Ich sagte dann, das kann ich nicht, denn ich habe keinen Rabbinertitel. Dann habe ich angefangen mich zu erkundigen in Jerusalem und habe einige Rabbiner gefunden, die gesagt haben, sie würden es machen. Einer war dann bereit es wirklich in die Hand zu nehmen. Er kennt mich und meine Familie seit 20 Jahren. Ich habe mit ihm gelernt. Dann hat er mich geprüft, ob ich das wirklich weiß.

Unterschiedliche Annäherungen

Was ich beobachtet habe, ist das Folgende: Ich hatte viel Midrasch gelernt. Ich hatte viel Tora gelernt. Ich hatte viel Talmud gelernt, aber ich hatte nie dieses alles in eine Praxis umgesetzt - es war nie ein praktischer Fall da, der mir wichtig wurde. Nachdem ich mit ihm gelernt habe, wurde mir noch etwas deutlich; daß er, der viele halachische Probleme gelöst hat, sofort die halachische Antwort gesucht hat: Wie sollte man jetzt halachisch beschließen und was sind die Stellen dafür.

Ich habe noch die zusätzliche Dimension eingebracht - die zusätzliche Frage, warum die Rabbinen zu so einem Entschluß gekommen sind. Darüber haben wir auch gesprochen. Er hat gesagt: Ich habe das nie gefragt. Für mich war es immer wichtig zu sehen, wie sollte ich beschließen. Er hat mir auch gesagt, er hatte eigentlich in dieser Form Halacha und Aggada noch nicht zusammengebracht.

Das ist ein Manko der Orthodoxie. Eigentlich haben die Midraschim und der Talmud das praktiziert; aber die Orthodoxie heute ist vielmehr praktisch und nicht so sehr symbolisch geprägt.

Ich weiß nicht, was heiliger Text ist. Aber was ich weiß ist, daß ich das tue, was Juden jahrhundertelang gemacht haben: Sie haben im Abschnitt der Woche die Antwort gefunden für das Problem. Auf einmal leuchtet der Text auf, und ich denke, das ist die Stärke eines klassischen Textes, an dem man Relevanz sucht - an dem man Relevanz sehen will.

Du trägst ein Licht an diesen Text heran, und der Text leuchtet auf laut dieser Frage, weil du das erwartest.

Ursprung und Erneuerung

Ich könnte mir sehr gut vorstellen, daß Frauen, die sich mehr mit mündlicher Lehre beschäftigen, das Judentum wieder mehr und mehr zu den eigenen Wurzeln und zur eigenen Spiritualität zurückbringen. Ich denke nicht, jetzt machen wir etwas ganz Neues, jetzt springen wir aus dem Rahmen heraus. Ich glaube, ich rühre den Ursprung an. Dieser Ursprung bedeutet Erneuerung, denn jedes Lesen ist ein wie am ersten Tag lesen.

Wenn ich jetzt nach all diesen Jahren eine Anerkennung bekomme für dieses Wissen - und das heißt Semicha - finde ich das gut. Aber was noch wichtiger ist: Erst hat die Gemeinde sich an mich gewandt und dann habe ich diese Semicha bekommen.

Zukunftsperspektiven

Ich habe das große Bedürfnis einen Kommentar zu schreiben. Ich habe noch nicht die Ruhe und die Zeit das zu machen. Ich sehe mich als Maggid im chassidischen Sinn und als Exeget im mittelalterlichen Sinn und als Midraschistin.

Ich bin mitteleuropäisch. Und mitteleuropäisch heißt, daß Ost und West zusammengehören - und daß das Herz und der Kopf zusammengehören.

Bedeutung der Ordination von Frauen in der Orthodoxie

Ich denke, es liegt an uns, daß wir solche Schritte tun und damit die Orthodoxie öffnen.
Ich bin gegen institutionalisierte Religion - ich bin für persönliche Religiosität und daß dann einzelne aus ihrer eigenen Berufung heraus diese Schritte tun und zwar aufgrund von dem Wissen, das sie haben - und volle Verantwortung übernehmen für das, was sie tun. Ich habe das Gefühl: Schau mal, was mir passiert! Jetzt bist du es - jetzt mußt du die Verantwortung übernehmen, nicht nur für dich selber, sondern auch für die Tradition.

Das Gespräch führte Iris Noah

haGalil onLine 28-11-2000

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