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          |   |  | Wer dachte im Jahr 1949 
	in Deutschland an Auschwitz? Der Krieg war vor vier Jahren zu Ende gegangen. 
	Was die Deutschen interessierte, waren der Wiederaufbau und die 
	Währungsreform. Man blickte nach vorne, oder aber weit zurück, auf 
	glücklichere Tage. Zum Beispiel auf Goethes 200. Geburtstag, den es in 
	diesem Jahr zu feiern galt. 
    Aus diesem Anlass 
	besuchte auch Thomas Mann, zum ersten Mal nach 1933, das mittlerweile in Ost 
	und West geteilte Deutschland. Er sprach in Frankfurt am Main und in Weimar 
	von Goethes großem und gutem "Deutschtum". Das nahe gelegene 
	Konzentrationslager Buchenwald, jenen Ort, wo noch vor wenigen Jahren das 
	böse Deutschtum gewütet hatte und immer noch wütete, erwähnte er nicht. Etwa 
	zur gleichen Zeit war Theodor W. Adorno aus seinem amerikanischen Exil nach 
	Frankfurt zurückgekehrt und schrieb an seinem Essay Kulturkritik und 
	Gesellschaft, der seine Berühmtheit einem einzigen, für die deutsche 
	Literatur nach 1945 folgenschweren Satz verdankt: "Kulturkritik findet sich 
	der letzten Stufe der Dialektik von Kultur und Barbarei gegenüber: nach 
	Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch, und das frisst auch die 
	Erkenntnis an, die ausspricht, warum es unmöglich ward, heute Gedichte zu 
	schreiben".
 
Bereits 1948 war der junge Dichter Paul Celan-Antschel aus Czernowitz in der 
Bukowina, nach kurzen Aufenthalten in Bukarest und Wien, in Paris eingetroffen. 
Er, der jüdische Dichter, war nur knapp der Vernichtung entkommen, die Deutsche 
ihm zugedacht hatten. Seine Eltern waren 1942 deportiert und in einem Lager in 
Transnistrien/Ukraine ermordet worden, ebenso wie viele seiner Bekannten und 
Verwandten. Jetzt war er allein in der französischen Metropole angekommen und 
schrieb Gedichte in deutscher Sprache. Sie war das einzige, so wird Celan Jahre 
später bekennen, was ihm inmitten der Verluste geblieben war, jene deutsche 
Sprache, in der ihm seine Mutter Verse von Goethe und Schiller vorgesprochen 
hatte, und die nun zugleich die Sprache ihrer Mörder war. In keiner anderen 
Sprache hätte er ihr und den anderen Ermordeten gedenken können. 
 
"Kunst kommt nicht vom Können, sondern vom Müssen", dieses Wort Arnold 
Schönbergs fand Celan Jahre später in Adornos Essay über den Komponisten und 
strich es sich an. Auch er hatte keine Wahl: Er musste Gedichte schreiben, 
Gedichte in deutscher Sprache. Bereits in Wien war sein erster Gedichtband mit 
dem düsteren Titel Der Sand aus den Urnen erschienen - auf schlechtem Papier, in 
einer Ausstattung, die dem Dichter missfiel und mit vielen Druckfehlern. Nach 
wenigen Jahren wurde das Buch im Auftrag des Autors eingestampft. Die Bilanz: 
Neun verkaufte Exemplare und ein Erlös von dürftigen 146 Schilling, davon mehr 
als ein Drittel für das Altpapier der vernichteten Bücher. Der Band, der bereits 
die Todesfuge enthielt, Celans wohl bis heute bekanntestes Gedicht, blieb - wie 
der Autor selbst - vorläufig unbekannt.
 
Adornos Worte über Gedichte nach Auschwitz wurden von vielen - auch von Celan - 
als Verdikt interpretiert. Adornos Satz und Celans Gedichte, vor allem die 
"Todesfuge", für uns gehören sie heute wie These und Antithese zusammen. Wer von 
Adornos Diktum spricht, denkt auch an Celans Lyrik. Und - auch dies gehört zum 
Kontext dieser Texte: Sie nahmen Einfluss auf die Sichtweise des Gegenübers. 
Dass Celan mit den Gedichten des Bandes Sprachgitter, die zwischen 1955 und 1958 
entstanden waren, ein anderes, ein verändertes dichterisches Sprechen wagt, 
daran hat auch der kritische Dialog mit Adorno seinen Anteil. Man vergleiche nur 
die Todesfuge mit der ENGFÜHRUNG, dem großen Schlussgedicht des 
Sprachgitter-Buches, in dem der Hinweis auf Adorno vielleicht am deutlichsten 
ist. 
 
Der Philosoph wiederum hat sein Verdikt auch unter dem Einfluss der Lyrik Celans 
langsam zurückgenommen und revidiert. Celan registrierte das sehr genau, wie aus 
dem Briefwechsel der beiden hervorgeht, der in den "Frankfurter Adorno-Blättern" 
erscheinen wird. Als im Januar 1962 in der Zeitschrift Merkur Adornos Aufsatz 
Jene zwanziger Jahre erschien, dankt ihm der Dichter in einem Brief für dessen 
letzten Sätze, mit denen "über die Entfernung hinweg, Ihre Person nahe und 
ansprechbar" geworden sei. Jene Sätze lauten: "Der Begriff einer nach Auschwitz 
auferstandenen Kultur ist scheinhaft und widersinnig, und dafür hat jedes 
Gebilde, das überhaupt noch entsteht, den bitteren Preis zu bezahlen. Weil 
jedoch die Welt den eigenen Untergang überlebt hat, bedarf sie gleichwohl der 
Kunst als ihrer bewusstlosen Geschichtsschreibung. Die authentischen Künstler 
der Gegenwart sind die, in deren Werken das äußerste Grauen nachzittert."
 
Adorno war für Celan bereits in den 50er Jahren kein Unbekannter. Die Bücher in 
seiner Bibliothek, seine Anstreichungen in Adornos Essays, die damals in allen 
wichtigen Literaturzeitschriften erschienen, belegen sein lebhaftes Interesse an 
dessen Werk. Ein Interesse, das bei Celan interessanterweise nur noch mit jenem 
für Heideggers Schriften zu vergleichen ist. Adorno, das war für Celan der nach 
Deutschland zurückgekehrte Intellektuelle, der Freund Benjamins und Scholems, 
ein Jude, ein Verbündeter, der über George, Heine, Kafka und Schönberg schrieb 
und die Entwicklung der deutschen Nachkriegsgesellschaft kritisch begleitete. Es 
musste ihm ungeheuerlich erscheinen, dass gerade Adorno ihn in Frage stellte. 
Ihn, den Dichter, der Gedichte nach Auschwitz schrieb, dessen Gedichte, allen 
voran die Todesfuge, zu den frühesten Zeugnissen einer dichterischen 
Auseinandersetzung mit der Shoa in Deutschland zählten.
 
Im Sommer 1959 sollte es zur ersten Begegnung der beiden kommen. Peter Szondi 
hatte sich bemüht, ein Treffen in Sils-Maria zu arrangieren. Am 22. Juli 1959 
war Celan mit seiner Frau Gisèle und seinem Sohn Eric in dem schweizerischen 
Gebirgsort angekommen. Szondi erinnert sich später "an die Spaziergänge mit 
Celan in Sils, die langen Minuten des Schweigens vor der fremden Natur". Aber 
nach kurzem Aufenthalt, noch bevor Adorno eintrifft, reist die Familie nach 
Paris zurück. Dies ist der karge Rahmen jener "versäumten Begegnung im Engadin", 
die so reiche poetische Früchte trug. Kaum nach Paris zurückgekehrt schreibt 
Celan sein Prosastück Gespräch im Gebirg, das er später als "ein Mauscheln" 
zwischen sich und Adorno bezeichnete. Es ist ein besonderer und zugleich 
sonderbarer Text, dem innerhalb des Celanschen Gesamtwerkes nichts 
Vergleichbares zur Seite gestellt werden kann. Wer den Weg des am Stock gehenden 
Juden durchs Gebirg aufmerksam begleitet, der findet, unter der Oberfläche 
verborgen, immer wieder Hinweise auf literarische Texte, die für Celan wichtig 
waren. So erinnert seine Prosa nicht von ungefähr an Büchners Lenz, an Kafkas 
Der Ausflug ins Gebirge, an Nietzsches Zarathustra und an Bubers Gespräch in den 
Bergen.
 
Vordergründig ist diese Prosaerzählung, was ihr Titel verspricht, ein Gespräch 
im Gebirge. Ein Gespräch allerdings zwischen zwei Juden, ein Gespräch über 
Sprache. Genauer: über die deutsche Sprache, die einem Juden nach Auschwitz 
bleibt, der in der Sprache der Mörder, mit all ihren Abgründen und Tiefen, 
Untergängen und Verwerfungen, Gedichte schreiben und sprechen muss. Die 
Protagonisten der Erzählung blieben freilich nur im Text anonym. Freimütig 
bekannte Celan jedem, der es wissen wollte, dass er hier fiktiv, aber 
beziehungsreich, das Zusammentreffen des "Juden Klein" Celan mit dem "Juden 
Groß" Adorno geschildert hatte. Damit war deutlich und eindeutig darauf 
hingewiesen, dass diese Prosaerzählung eine Fortsetzung der zwischen den Zeilen 
ausgetragenen Kontroverse zwischen dem Dichter und dem Philosophen mit 
poetischen Mitteln war. Sie ist bis dahin die deutlichste öffentliche 
Stellungnahme Celans zu Adornos Diktum. Der Text ist jedoch auch eine 
poetologische und damit für Celan zugleich eine sehr persönliche 
Bekenntnisschrift, in der er seiner Daten eingedenk bleibt. 
 
Es ist kein Zufall, dass Celan in seiner Bücherpreis-Rede an einer 
entscheidenden Stelle von jener "versäumten Begegnung im Engadin" spricht und 
sie mit einem Stimmen-Gedicht aus dem Band Sprachgitter in Beziehung setzt, 
bevor er schließlich das sein Leben und Dichten bestimmende Datum nennt: "Ich 
hatte mich, das eine wie das andere Mal, von einem ,20. Jänner', von meinem ,20. 
Jänner', hergeschrieben. / Ich bin . . . mir selbst begegnet." Vom "20. Jänner" 
her, das meinte den 20. Januar 1942, den Tag der Wannsee-Konferenz, an dem die 
Vernichtung der europäischen Juden bürokratisch und exakt von den Fachmännern, 
den "Meistern" des Völkermords aus Deutschland beschlossen wurde. Auch an dieser 
Stelle der Rede war Adorno der Ansprechpartner.
 
In Gespräch im Gebirg expliziert Celan das Wesen seiner präzisen "grauen" 
Sprache, in der er die neuen Gedichte des Bandes Sprachgitter verfasst hatte. 
Und er tut dies in Anlehnung an das "Jiddische", jenes "Judendeutsch", das dem 
Hochdeutschen so fremd und zugleich so verwandt ist. Celan hatte dafür seine 
Gründe. "Jiddisch", das war die Alltagssprache vieler, vor allem der 
osteuropäischen Juden, mit deren Vernichtung auch diese Sprache ausgelöscht 
werden sollte. Es war das Deutsch der Opfer, frei von jeglicher Schuld, ohne 
falsche Töne und missbrauchte Wörter, Stigma und zugleich Zeugnis einer Liebe 
zur deutschen Sprache, der Sprache der Mörder. Denn Celans Gespräch im Gebirg 
ist in gewisser Weise auch sein Bekenntnis zum Judentum. Ein öffentliches 
Bekenntnis, zu dem es ihn in einer Zeit drängt, als er bereits bei einer Lesung 
in Bonn mit einer antisemitischen Zeichnung verspottet wird und ihn Hans Egon 
Holthusen, ein in Deutschland angesehener Lyriker und Essayist mit 
SS-Vergangenheit, als "Fremdling und Außenseiter der dichterischen Rede" 
bezeichnet, dessen Metapher von den "Mühlen des Todes", künstlich und daher 
"gänzlich tot" sei. Die "Mühlen des Todes" aus dem Gedicht Spät und Tief waren 
jedoch alles andere als eine künstliche Metapher, es war der Titel eines 
Dokumentarfilms über die deutschen Konzentrationslager, den die Alliierten kurz 
nach dem Krieg in vielen deutschen Kinos zeigen ließen. Zudem verleumdete Claire 
Goll, die Witwe des Dichters Ivan Goll, Celan bereits seit Jahren als Plagiator.
 
Celan setzt viele Hoffnungen in die Publikation des neuen Gedichtbandes 
Sprachgitter. Sie erfüllten sich nicht. Die neuen Gedichte stießen bei vielen 
Kritikern auf Unverständnis. Im Oktober 1959, das Gespräch im Gebirg war bereits 
geschrieben, erschien die Rezension Günter Blöckers, für den die Todesfuge oder 
die ENGFÜHRUNG nichts als "kontrapunktische Exerzitien auf dem Notenpapier" 
waren, deren Metaphernfülle nicht der Wirklichkeit abgewonnen sei. Celan habe 
"der deutschen Sprache gegenüber eine größere Freiheit als die meisten seiner 
dichtenden Kollegen", was wohl "an seiner Herkunft" liege. Diese Kritik musste 
Celan als Versuch eines "Rufmordes" erscheinen - an ihm und an jenen, derer er 
in seinen Gedichten gedenkt. Noch am gleichen Tag als er die Blöcker-Rezension 
zum ersten Mal liest, sendet er seinem Lektor Rudolf Hirsch das Gespräch im 
Gebirg und schreibt dazu: "Hier kommt die kleine Prosa, die ich nach meiner 
Rückkehr aus der Schweiz schrieb, Anfang August. Der Aufsatz von Blöcker - er 
könnte auch von Goebbels sein - zeigt, dass sie ‚stimmt'. Auch das Judendeutsch, 
in dessen Licht auch der Titel steht, ist richtig¨."
 
Als Celan Adorno im Mai 1960, kaum zwei Wochen nachdem er von Hermann Kasack 
darüber informiert worden war, dass ihm die Deutsche Akademie für Sprache und 
Dichtung in diesem Jahr den Büchner-Preis verleihen wolle, den Prosatext 
zuschickt, schreibt er in seinem Begleitbrief: "Hier kommt nun, mit meinem 
herzlichen Dank, die kleine, zu Ihnen nach Sils hinaufäugende, Prosa, von der 
ich Ihnen in Frankfurt erzählte. (Seltsam, dass sie sich jetzt als zur 
‚Vorgeschichte' meines Büchner-Preises gehörend herausstellt . . .) Es ist schon 
der Titel, ‚judendeutsch'.. Es ist - assumons donc ce que l'on nous prête! - 
etwas durchaus Krummnasiges . . . an dem das Dritte (und wohl auch das Stumme) 
vielleicht wieder gerade werden kann. Ob es sonst noch etwas ist? Erworbener und 
zu erwerbender Atavismus vielleicht, auf dem Weg über die Involution erhoffte 
Entfaltung . . . Ob es Ihnen gefällt? Ich wüßte es nur allzu gerne!" Adorno 
antwortet prompt: "lassen Sie heute mich Ihnen nur für Ihr höchst merkwürdiges 
und hintergründiges Prosastück aufs herzlichste danken. Natürlich wäre es die 
bare Unverschämtheit, wenn ich beanspruchen wollte, es etwa schon ganz mir 
zugeeignet zu haben, aber ich bin von der Sache außerordentlich beeindruckt. In 
welcher Richtung, zeigt Ihnen vielleicht am ehesten ein Zitat aus dem letzten 
Kapitel meines Mahlerbüchleins an: ‚In der dialogisierenden Anlage des Satzes 
erscheint sein Gehalt. Die Stimmen fallen einander ins Wort, als wollen sie sich 
übertönen und überbieten: daher der unersättliche Ausdruck und das 
Sprachähnliche des Stückes': Es will mir scheinen, als wäre damit wirklich in 
die Lyrik ein Element aus der Musik hereingenommen, das es in dieser Weise zuvor 
nicht gegeben hat, und das mit dem Klischee des musikalischen Wesens der Lyrik 
nicht das mindeste zu tun hat." Das Einverständnis zwischen Celan und Adorno war 
niemals größer als in diesem kurzen Dialog über das Prosastück. Nicht nur, dass 
Adorno Celans Text zur Lyrik zählte, er nahm den poetischen Text auch als 
poetologische Äußerung wahr. Gerade erst hatte Celan in seiner "Antwort auf eine 
Umfrage der Librairie Flinker" davon gesprochen, dass die "Musikalität" der 
"graueren" Sprache, in der er seine neuen Gedichte schrieb, "nichts mehr mit 
jenem ‚Wohlklang' gemein hat, der noch mit und neben dem Furchtbarsten mehr oder 
minder unbekümmert einhertönte". So hatte das fiktive Gespräch im Gebirg - 
zumindest für kurze Zeit - zu einer wirklichen Begegnung geführt.
 
Doch der Annäherung folgte erneut eine Entfremdung, die sicher viele Ursachen 
hat. Eine, und nicht die unwesentlichste, wird in Adornos Verhalten während der 
so genannten Goll-Affäre zu finden sein. Von Adorno, dem Juden und 
"Geschwisterkind", erwartete sich Celan Solidarität und Beistand in seinem Kampf 
gegen die Verleumder. Doch Adorno verhielt sich zurückhaltend und war offenbar 
irritiert über die Reaktionen des Dichters, der die Anschuldigungen und 
Unterstellungen als eine antisemitische Kampagne verstanden wissen wollte. Auch 
das Buch über Celans Gedichte schrieb er nicht, das er dem Dichter versprochen 
hatte und dessen Erscheinen Celan ungeduldig erwartete. Mehr als ein paar 
Aufzeichnungen in der Ästhetischen Theorie und einige wenige Notizen in seinem 
Sprachgitter-Exemplar haben sich zu diesem Plan nicht erhalten. Wenige Jahre 
später gestand Celan in einer Widmung an seinen Wiener Freund Reinhard Federmann 
seine Enttäuschung über den Philosophen ein. Das Gespräch im Gebirg sei in 
Erinnerung an Sils Maria geschrieben, "wo ich den Herrn Prof. Adorno treffen 
sollte, von dem ich dachte, dass er Jude sei . . . - und Friedrich Nietzsche, 
der - wie Du weißt - alle Antisemiten erschießen lassen wollte". Gelegentlich 
kritisierte er auch, dass Adorno den Namen seiner katholischen Mutter angenommen 
hatte, den Namen seines jüdischen Vaters "Wiesengrund" aber verschwieg und mit 
"W". abkürzte. 
 
Auch sein Verdikt hatte Adorno bislang nicht zurückgenommen. In den Materialien 
zu Atemwende (1967), dem ersten Celan-Buch, das im Suhrkamp Verlag erschien, in 
dem auch Adorno seine Werke zu publizieren pflegte, findet sich folgende Notiz: 
"Kein Gedicht nach Auschwitz (Adorno): was wird hier als Vorstellung von 
‚Gedicht' unterstellt? Der Dünkel dessen, der sich untersteht hypothetisch - 
spekulativerweise Auschwitz aus der Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive 
zu betrachten oder zu berichten". Deutlicher hat sich Celan an keiner anderen 
Stelle zu Adornos Verdikt geäußert. Gegen eine ästhetische Theorie, die für ihn 
aus der "Nachtigallen- oder Singdrossel-Perspektive" auf Auschwitz schaute, 
setzt Celan den "unter dem besonderen Neigungswinkel seiner Existenz" 
sprechenden Dichter, der Gedichte schreibt, die ihrer Daten eingedenk sind.
 
Dennoch brach die Verbindung zwischen Celan und Adorno nicht ab. Trotz aller 
Meinungsverschiedenheiten gab es auch Verbindendes. Der letzte erhaltene Brief 
Adornos an Celan endet mit dem Hinweis auf "die beglückende Nachricht, dass 
Ihnen die Negative Dialektik etwas gesagt hat". In Adornos Schrift stehen die 
Sätze: "Das perennierende Leiden hat soviel Recht auf Ausdruck wie der 
Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein 
Gedicht mehr sich schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, 
ob nach Auschwitz noch sich leben lasse". Paul Celan, der am 23. November 80 
Jahre alt geworden wäre, hat 1970 die Frage für sich mit seinem Selbstmord in 
der Seine beantwortet
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	document info ]Copyright © Frankfurter Rundschau 2000
 Erscheinungsdatum 25.11.2000
 haGalil onLine 
			29-11-2000
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