Ein journalistisches
Experiment:
"Denn
Du trägst meinen Namen" Andrea Übelhack
Dieses Buch schildert die Lebenswege von Kindern prominenter
Nazi-Führer, also von Menschen, die sich aus einer unheilvollen
Verstrickung mit dem Nationalsozialismus nicht lösen können, obwohl
sie unschuldig sind.
Die Konstruktion des Buches ist einmalig, ein journalistisches
Experiment. Norbert Lebert besuchte 1959 die Kinder der Nazi-Größen
und sprach mit ihnen über ihre Erlebnisse, ihr Verhältnis zum Vater,
ihren Weg mit dem Namen eines Mörders umzugehen. 40 Jahre später,
nach dem Tod des Vaters, nahm Stephan Lebert erneut Kontakt zu den
Nazi-Kindern auf und versucht die Arbeit seines Vaters fortzuführen.
Dadurch ist ein
beeindruckendes Buch entstanden, das nicht bei einer bloßen
Wiedergabe der Gespräche halt macht. Stephan Leberts Beiträge sind
auch Auseinandersetzungen mit der eigenen Familiengeschichte, mit
dem eigenen Vater. Denn der war im Krieg ein begeisterter
Hitlerjunge, der den Zusammenbruch 1945 nicht als Befreiung, sondern
als Niederlage empfunden hat. Und der diese Tatsachen niemals damit
begründete, dass er damals eben noch jung war. "Sondern er sagte
immer: Es gibt keinen Zweifel, wenn der Krieg anders ausgegangen
wäre, hätte ich bei den Nazis Karriere gemacht."
Und Stephan Lebert
konfrontiert sich mit der Überlegung, wie seine Reaktion gewesen
wäre, wenn der eigene Vater ein Täter wäre: "Ich denke, ich hoffe,
ich hätte die Kraft gehabt, mit ihm zu brechen. In welcher Form auch
immer. Sicher bin ich mir nicht."
In welcher Form auch immer... Die Lebenswege der Kinder zeigen die
verschiedensten Formen des Umgangs mit der Familiengeschichte. Da
ist Wolf-Rüdiger Heß, der nicht an den Selbstmord des geliebten
Vaters im Jahre 1987 glaubt, nachdem jener sich als letzter Häftling
in Spandau erhängt hatte. Der mittlerweile zum Hitler-Verehrer wurde
und an der organisierten Judenvernichtung zweifelt.
Oder Martin Bormann,
der zum Glauben gefunden hat und dem Vater mehr als kritisch
gegenübersteht. Oder Niklas Frank, der mit seinen Hasstiraden in der
Serie "Mein Vater, der Nazimörder" alle journalistischen Grenzen
sprengte.
Stephan Lebert konnte
nicht alle Nazi-Kinder, die sein Vater interviewt hatte, treffen.
Edda Göring lehnte ein Gespräch ab. Und natürlich auch Gudrun
Burwitz, geborene Himmler. Das Interview mit Norbert Lebert war das
einzige, das sie in ihrem Leben gegeben hat.
Dennoch, das
journalistische Experiment ist mehr als gelungen. Dazu tragen vor
allem auch Stephan Leberts kritische Beleuchtungen der
bundesdeutschen Gesellschaft bei: "Diese Lebensläufe sind uns viel
näher, als vielen lieb ist. Ausgeliefert an einen Namen, mussten
sich (die Nazikinder) im Gegensatz zu vielen anderen entscheiden,
welchen Weg sie im Umgang mit der Vergangenheit wählen. Manche von
ihnen haben sich dabei schrecklicherweise an die Fußstapfen des
Vaters gehalten."
Die Autoren: Norbert
Lebert, 1929 bis 1993, war ab 1949 zehn Jahre als Reporter bei der
Süddeutschen Zeitung, danach arbeitete er als freier Journalist und
Autor. Stephan Lebert, geboren 1961, besuchte die Deutsche
Journalistenschule in München. Ab 1985 arbeitete er bei der
Süddeutschen Zeitung, dann ein Jahr beim Spiegel, seit 1999 ist er
leitender Redakteur beim Berliner Tagesspiegel.
aue /
haGalil onLine
11-10-2000
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