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Alles, was Hitler zwischen 1933 und 1938 den Deutschen an "Gesicht"
wiedergewonnen hatte, also alles an territorialen Rückeroberungen und nationalem
Selbstbewusstsein, verlor er in den Jahren danach.
Schon der Gefreite von 1919 hatte sich in
unerhörter ideologischer Fixierung auf ein Weltkriegs-Szenarium eingeschworen,
wenn er zum Kampf gegen den Bolschewismus und Kapitalismus aufrief und damit die
beiden Hauptsorgen der damaligen deutschen Eliten nachredete. Bolschewismus hieß
Kampf gegen oder besser: um den Osten, Kapitalismus bedeutete Kampf gegen
Westen, wobei letzterer weit eher von der Idee der Revanche beherrscht war als
von territorialen Visionen.
Was beide Aggressionsziele zusammenhielt,
waren wenigstens für den oberflächlichen Blick Begriffe und Ideen vom "Juden".
Die Propaganda des österreichischen Lehrers Schönerer, wonach man dem Volk einen
möglichst klar konturierten einzigen Gegner anbieten müsse, kein Feindbild,
sondern eine "Feindgestalt", wiedererkennbar in jeglicher Variante, trat
erschreckend in Kraft. Seit 1933 flohen die Juden aus Deutschland; die
Kommunisten, die wissenschaftliche und die künstlerische Avantgarde. Der
Widerstand der Emigranten formierte sich in den Fluchtorten Paris, Prag, London
und in den USA. Es war zunächst und notgedrungen vor allem ein symbolischer
Widerstand, in Wort und Bild.
Die satirische Propaganda folgte freilich eigenen Gesetzen. Schon ab 1923 gegen
Hitler und seine völkischen Anhänger gerichtet, steigerte sie sich in
Deutschland parallel zu deren Wahlerfolgen: in Plakaten und Zeitschriften
besonders der Brüder Heartfield und Herzfelde, im Simplicissimus. (hier am
häufigsten, da bereits ab 1923), in der Pleite, der Arbeiter Illustrierten
Zeitung, dem Kladderadatsch, dem Wahren Jakob, den Fliegenden Blättern und
vielen anderen.
Viele dieser Zeitschriften wurden ab 1933 gleichgeschaltet oder taten dies
freiwillig wie etwa der Simplicissimus. Andere Zeitschriften verlegten ihren
Sitz ins Ausland und kämpften dort weiter, wie die AIZ. Zum Zentrum dieses
Widerstandes wurde Prag. 1934 gab es eine eigene Ausstellung mit Werken von
Heartfield (allein 35 Bilder), Grosz, Thomas Theodor Heine, Erich Godel und
vielen anderen. Aber die Satire als Kampfmittel einer Minderheit gegen eine
Mehrheit unter dem adorierten Führer blieb ohnmächtig; weitaus ohnmächtiger
jedenfalls als die systematische, jahrhundertealte Verteufelung der jüdischen
Physiognomie, ab 1933 Sache der offiziellen Propaganda des Deutschen Reiches und
der akademischen Rassenlehre in Schulen und Universitäten.
Als 1933/34 der Chef der Auslandspresseabteilung Ernst Hanfstaengl, Hitlers
landjähriger Freund Putzi, seine zwei Sammelbände mit Karikaturen aus aller Welt
vorstellte - Tat gegen Tinte -, verriet schon das Tableau der Bilder deren
politische Schwäche; ein Kasperletheater weit eher denn Waffe eines ernst zu
nehmenden Gegners.
Das Buch spiegelte die relative Distanz, ja herablassende Neugier des Auslandes
an der lächerlichen Figur des Führers. Memoiren wie die von Dorothy Thompson,
der Frau von Sinclair Lewis, drückten aus, was viele dachten oder auch
schrieben. In ihrem Erinnerungsbuch I Saw Hitler! von 1932 - weswegen sie
allerdings unmittelbar nach der Machtergreifung Deutschland verlassen musste -
schilderte sie ein Interview im Hotel Kaiserhof: "Als ich schließlich Adolf
Hitlers Salon im Hotel Kaiserhof betrat, war ich überzeugt, dem zukünftigen
Diktator Deutschlands zu begegnen. Nach etwas weniger als fünfzig Sekunden war
ich absolut sicher, dass dies nicht der Fall sein konnte.
Genau diese Zeit brauchte es, um die
erschreckende Bedeutungslosigkeit des Mannes zu erkennen, der die Welt so sehr
in Neugier versetzt hat. Er ist formlos, beinahe gesichtslos, ein Mann, dessen
Antlitz eine Karikatur ist, ein Mann, dessen Körperbau wie aus Knorpel
erscheint, ohne Knochen. Er ist inkonsequent und zungenfertig, unausgeglichen,
unsicher. Er ist der exakte Prototyp des kleinen Mannes."
Auch Martha Dodd, Tochter des amerikanischen Botschafters, trifft Hitler im
Kaiserhof und zeigt sich in der persönlichen Begegnung wenig abgestoßen, fast
gerührt, wenn sie seine fahlblauen Augen sieht und ihn unbeholfen, doch
irgendwie charmant im Umgang mit Frauen erlebt! William Shirer, der
unbestechliche amerikanische Journalist, notiert 1934, er könne nichts
Aufregendes in Hitlers Gesicht finden, er sei vielmehr froh, dass dieser nicht
theatralisch posiere wie Mussolini mit vorgestrecktem Kinn und zurückgeworfenem
Haupt, der seinen Augen einen gläsernen Ausdruck zu geben versuchte. Gleichwohl,
schrieb Shirer, "ist etwas Glasiges in seinen Augen, dem stärksten Teil seines
Gesichts".
Nicht alle Angelsachsen sahen Hitler so harmlos. Der Karikaturist David Low
führte einen regelrechten Feldzug mit seinen Zeichnungen. Doch sind Engländer
wie Amerikaner dann wieder mit Chaplins Film The Great Dictator (Der große
Diktator) wie gebannt von der Ähnlichkeit der beiden Erscheinungen, die im
selben Jahr und im selben April geboren wurden. Eine Ähnlichkeit, die zu
abergläubischer Verharmlosung verführen konnte.
Zu Hitlers 50. Geburtstag schrieb Harold Nicolson, der schon von Chaplins
Filmvorhaben weiß, "so unterschiedlich der Aufstieg von Chaplin und Hitler auch
verlaufen und so verschieden ihre Reputation auch ist, sie haben eines
gemeinsam: Ihr Erfolg ruht auf ihrem Verständnis für den ,kleinen Mann' aus dem
unteren Mittelstand (. . .)" Geradezu physische Entwarnung gibt ein Artikel der
Times ebenfalls zum 50. Geburtstag: "In den sechs Jahren seit seinem
Machtantritt hat sich Herr Hitler physisch wahrscheinlich weniger verändert als
die meisten Männer zwischen dem 44. und 50. Lebensjahr. Die Linien in seinem
Gesicht haben sich nur leicht vertieft. Er hat vielleicht 25 Pfund zugenommen
und an Umfang vielleicht vier Inches, aber das ist viel weniger als bei einigen
seiner Leutnants." Noch 1943, zum 54. Geburtstag der beiden, veröffentlichte die
New York Times einen fast liebevollen Cartoon, der freilich über die höchst
unterschiedliche Rolle der beiden Männer in der Weltgeschichte keinen Zweifel
lässt.
An der problematischen Grenze zur Verharmlosung stand auch der berühmte Film von
Ernst Lubitsch, To Be or Not To Be (Sein oder Nichtsein) von 1942. Entlarvung
durch Lächerlichmachung reichte nicht hin; war aber angesichts von mehr als 150
Anti-Nazifilmen der USA auch nur ein weiterer Versuch, mit den traditionellen
Mitteln der komödiantischen Satire zu arbeiten statt mit gezielter Propaganda.
Eher aus deren Perspektive hielt die Walt Disney Corporation im selben Jahr 1942
einen Kinderfilm über "Der Führer's Face" für machbar, in dem Donald Duck von
SS-Schergen zur Arbeit in einer Bombenfabrik gezwungen wird. Das Lied: "In Der
Führer's Face there is the Master Race" begleitet ihn am Fließband, wo er
ständig dem Führergesicht im Porträt salutieren muss, bis zur großen Explosion,
aus der er aber dann doch schließlich glücklich wie aus einem Albtraum erwachen
und weinend die Freiheitsstatue umarmen kann.
Fast galante Züge trug streckenweise die Satire in Frankreich. In der
illustrierten Wochenzeitung Marianne erschienen in den Jahren 1932 bis 1939
sorgfältig überlegte, meist mit Motiven der Kunstgeschichte spielende
Fotomontagen von unbekannter Herkunft und Anzahl; man hat bisher etwa 35
gefunden. Offensichtlich angeregt von John Heartfield, zeigten die Bilder der
Marianne Hitler etwa im Umfeld von Wagner (Hitler und Winifred Wagner als
Tristan und Isolde, 1933) oder, Ende der dreißiger Jahre, Hitler einmontiert in
Gemälde wie "Sinnbild der Sünde" von Franz Stuck, mit einer Schlange an der
nackten Brust und lasziv wie das Vorbild.
Im Inland herrschte ein anderes satirisches Klima. Hitlers physische Erscheinung
hat fast jeder aus seiner Umgebung kommentiert, wenn auch anfangs nicht so
plastisch wie der Historiker Karl Alexander von Müller, der ihn 1924 auch vor
Gericht beschrieb. Mit der Zeit entstand eine regelrecht verbalsatirische
Tradition und Dramaturgie des fazialen Schocks, die an Schärfe alle Bilder weit
übertreffen konnte. Günter Scholdt hat solche Zitate einmal nach Art eines
"Composite Portrait" zusammengesetzt: "Ein Porträt, erstellt aus dem
Durchschnitt entsprechender Äußerungen, ergäbe einen Mann von folgendem
Aussehen: schwarze, ins Gesicht fallende Schmachtlocke über einem pomadig
gescheitelten Schädel mit ach, sowenig Hinterkopf, und einem wulstigen,
reichlich plumpen oder gar dummen Ohr, ein widerlicher Mund mit langen blassen
Lippen und Schnurrbartbürste - garstig moustache, kommt wie schwarzer Schmutz
aus Nase gelaufen - amorphe, höckrige, fleischige gemeine, ja obszöne Nase,
außerdem Schrumpfhändchen. Hinzu kommen maskenhaft leere Mausaugen, deren
vielgerühmter Bannstrahl sich allenfalls als Hundeblick aus einer bleichen
gedunsenen Visage heraus entpuppt."
Invektiven wie diese stammen, wie der Großteil der antisemitischen Karikaturen,
aus der physiognomischen Obsession des 19. Jahrhunderts und seiner Erbschaft.
Jedes einzelne Attribut dieser Collage ließe sich vermutlich in den Tagebüchern
der Brüder Goncourt, im Werk Balzacs, in den Werken von Oscar Wilde und den
nicht selten gehässigen Tagebüchern von Virginia Woolf finden, vor allem aber in
den Karikaturen dieses Jahrhunderts; von Hogarths Erben wie Grandville bis zu
Félicien Rops und Paul Weber. Nicht, oder nicht nur, weil diese europäische
Gesellschaft so besonders gehässig wäre, sondern weil die Karikatur in Wort und
Bild das älteste Spielfeld der Physiognomik ist; folglich auch mit deren
Aufstieg Karriere macht. Ernst Gombrich hat die Geschichte der Karikatur in
diesem Sinne bis zu den berühmten "Grotesken Köpfen" des Leonardo
zurückverfolgt.
Eine Gesellschaft, die physische Auslese zum Programm erhebt, muss mit einer
Mikrodidaktik der Ausstoßung arbeiten, die jedes einzelne Mitglied unter
Beobachtung stellt und jeden einzelnen angeborenen physischen Zug an ihm billigt
oder missbilligt. Arthur Schopenhauer hat die physiognomischen
Züchtungsvorstellungen seiner Gesellschaft prägnant und handbuchartig
formuliert: eine Frau mit Stupsnase und schmalem Becken hat keine Chance zur
Fortpflanzung. Die Herkunft dieser Ideologie ist erst im Gefolge des Dritten
Reiches wirklich namentlich genannt worden. Von Peter Weingart stammt der
Verweis auf die Tierzucht - und in der Tat stammt die obsessive Befassung mit
der "Lehre vom Exterieur" von dort. Vor allem die Pferdezucht aus englischer
Tradition hat seit Mitte des 17. Jahrhunderts den Blick des wohlhabenden
Gentleman für physische Wohlgestalt geschult und den Begriff der Rasse im Kult
des "racing" mit populärem und keineswegs humanem Inhalt gefüllt. Dass die
Physiognomik, die ausdrücklich von nackten Körpern spricht und keine
Wissenschaft der Mode ist, seit Ende des 17. Jahrhunderts so reüssieren konnte,
wie sie es tat, ist unter anderem auch eine Folge jener "Lehre vom Exterieur",
die dem nackten Körper von Tieren gewidmet ist. Nackte Körper nach Leistung und
Charakter evaluieren musste jeder, der auf dem Markt ein Tier kaufen wollte,
gleichviel ob es um einzelne Pferde ging oder um ganze Herden zum Zwecke der
Zucht oder um Rinder oder Schweine. Es hat also seinen guten Sinn, dass keine
physiognomische Tradition der Karikatur näher steht als der Tiervergleich.
Wer die physischen Invektiven gegen Hitler vor diesem Hintergrund liest, wird
sie anders konnotieren denn nur als Ausdruck von visuellem Hass auf eine
hässliche Person. In diesen Hass mischt sich vielmehr von Anfang an
Enttäuschung; Enttäuschung darüber, dass hier jemand "Führer" sein oder werden
will, der weder einem traditionellen "Herrscherbildnis" entspricht noch nach der
neuerdings etablierten physischen Rangordnung an der Spitze stehen dürfte. In
diesem Sinne hat schon 1931 Herbert Blank alias Weigand von Miltenberg in seinem
Buch Adolf Hitler Wilhelm III. konstatiert: "Die Züge seines Gesichts, in dem
als erschreckender Mittelpunkt unter der Nase die schwarze Fliege steht, sind
alle weich und rund. Oftmals gemütlich-väterlich. (. . .) Wer ihn beobachtet,
ist bereits nach fünf Minuten überzeugt, daß es mit der nordischen Herrenrasse,
die er züchten will, noch lange Wege hat." Geradezu verzweifelt über die
widersprüchlichen physischen Botschaften von Erscheinung und Gebaren erlebt
Klaus Mann Hitler 1932 aus nächster Nähe beim Tortenessen: "Da saß er, umgeben
von ein paar bevorzugten Spießgesellen, und ließ sich seine Erdbeertörtchen
schmecken. (...) Ich esse selbst recht gerne süßes Zeug; aber der Anblick seiner
halb infantilen, halb raubtierhaften Gefräßigkeit verschlug mir den Appetit.
(...) Zwei Fragen waren es vor allem, die mich beschäftigten, während dieser
dreißig Minuten unheimlicher Nachbarschaft: Erstens, worin lag das Geheimnis
seiner Wirkung, seiner Faszination? Und zweitens, an wen erinnerte er mich, wem
sah er ähnlich? Ohne Frage, er glich einem Mann, den ich nicht persönlich
kannte, aber dessen Porträt ich oft gesehen hatte. Wer war es nur? Nicht Charlie
Chaplin. Beileibe nicht! Chaplin hat das Schnurrbärtchen. Aber doch nicht die
Nase, die fleischige, gemeine, ja obszöne Nase, die mich sofort als das
garstigste und am meisten charakteristische Detail der Hitlerschen Physiognomie
beeindruckt hatte. Chaplin hat Charme, Anmut, Geist, Intensität - Eigenschaften,
von denen bei meinem schlagrahmschmatzenden Nachbarn durchaus nichts zu bemerken
war. Dieser erschien vielmehr von höchst unedler Substanz und Beschaffenheit,
ein bösartiger Spießer mit hysterisch getrübtem Blick in der bleich gedunsenen
Visage. Nichts, was auf Größe oder auch nur Begabung schließen ließe!"
Nicht Chaplin, so entscheidet Mann wenige Zeilen später, sondern der
Kindermörder Haarmann sieht Hitler angeblich ähnlich, der "homosexuelle
Blaubart". Eine der zeitgenössischen Quellen über Hitlers angebliche, aber nie
erwiesene Homosexualität liegt hier; Klaus Manns Autobiografie Der Wendepunkt
erschien bereits 1942 auf Amerikanisch und erst 1952 in Deutsch.
Nicht einmal die negative Prominenz eines Massenmörders mochte der ostpreußische
Gutsbesitzer Friedrich Reck-Mallezcewen Hitler zugestehen. In seinem
hasserfüllten Tagebuch notierte er: "11. August 1936: Letzthin in Seebruck sah
ich Herrn Hitler, bewacht von seinen vorausfahrenden Scharfschützen, beschirmt
von den Panzerwänden seines Autos, langsam vorübergleiten: versulzt,
verschlackt, ein teigiges Mondgesicht, in dem wie Rosinen zwei melancholische
Jettaugen stecken. So traurig, so über die Maßen unbedeutend, so tief mißraten,
daß noch vor dreißig Jahren, in den trübsten Zeiten des Wilhelminismus, dieses
Antlitz schon aus physiognomischen Gründen unmöglich gewesen wäre und, auf einem
Ministersessel, sofort die Gehorsamsverweigerung (. . .) nicht der Vortragenden
Räte, nein selbst die des Portiers und der Reinemachefrauen zur Folge gehabt
hätte.
9. September 1937: oh, es war der Gipfel der Schmach, daß es nicht einmal der
körperlich schöne und geistig funkelnde Antichrist der Legende, daß es vielmehr
nur eine arme Exkrementalvisage, in jedem Zoll so etwas wie ein
Mittelstandsantichrist war (. . .)."
"Nicht einmal der körperlich schöne und geistig funkelnde Antichrist" - das ist
die Enttäuschung einer alt-aristokratischen, immer schon züchterisch
eingestellten geschöpflichen Wahrnehmung: das ist aber auch die Enttäuschung
über das Fehlen von "Wallensteins Antlitz", dieser Ikone der homofazialen
Führer-Faszination. Von dieser Enttäuschung ist auch schon Konrad Heiden,
Hitlers erster Biograf, wie besessen. In seinem großen Porträt aus dem Jahre
1936 heißt es: "Es gibt keine Bilder von Hitler. Keine Photographie erfaßt
dieses Doppelwesen, das ewig zwischen seinen beiden Polen hin- und herzuckt. Was
es gibt, sind Zustandsaufnahmen des Rohstoffes Hitler. Er ist nie er selbst; er
ist in jedem Augenblick eine Lüge von sich selbst; darum ist jedes Bild falsch.
Die Platte hält nur die äußere Erscheinung fest, und diese Erscheinung ist nun
einmal eine minderwertige Hülle. Das Gesicht ein ausdrucksloser Untergrund, auf
den mit spärlichen Mitteln eine rohe Maske aufgetragen ist. Es läßt sich nicht
bestreiten, daß an dieser Maske Haarsträhne und Schnurrbartbürste das
Ausdrucksvollste sind; die von Bewunderern gerühmte Kraft des Auges wirkt auf
nüchterne Beobachter wie ein gieriges Stechen ohne jenen Schimmer von Anmut, der
den Blick erst zwingend macht; ein Blick, der mehr verjagt als fesselt."
Bei dieser exzessiven Wut auf die Oberfläche blieb es natürlich nicht; es gab
tiefer reichende zeitgenössische Versionen. Die eine hält sich nicht beim
Gesicht auf, sondern illustriert Handlung, wie etwa Bertolt Brecht in seinem
Stück über Arturo Ui; die andere stellt den Diktator in seinen sozialen Kontext.
Hitler als Kriegstreiber wird schon vor, aber erst recht nach 1933 im In- und
Ausland gezeichnet, so von John Heartfield in der bekannten Montage zum Gemälde
von Franz Stuck "Der Krieg" von 1933, und so in The Nation vom 5. April
desselben Jahres: Hitler als Sensenmann. Wirklich politischen Erfolg hatte die
Fotomontage von Erwin Blumenfeld, der in seinen Erinnerungen zur "Hitlerfresse"
berichtete, dass dieses Bild 1942 "millionenfach als amerikanisches Flugblatt
über Deutschland abgeworfen" worden sei. Auch hier hatte wieder Heartfield
vorgearbeitet mit seinem Buchumschlag zu Italien in Ketten (1928): "Das Gesicht
des Faschismus" zeigt Mussolini; halb Schädel, halb noch fleischig erkennbar.
Ähnlich, mit Hitlers Konterfei als Totenschädel, arbeitete später der
amerikanische Geheimdienst: eine Briefmarke mit der kaum erkennbaren Aufschrift
"Futsches Reich" wurde 1943 in Deutschland eingeschleust.
Die andere satirische Front mühte sich mit dem "großkleinen Mann" ab. Wieder hat
Heartfield mit seiner Fotomontage "Der Sinn des Hitlergrußes: Kleiner Mann
bittet um große Gaben" (1932), mit dem Motto "Millionen stehen hinter mir", eine
der zündendsten Versionen geliefert. Wer Hitler als "kleinen Mann" groß fand,
sah sich durch Identifikation selber erhöht. Selbstbewusstere Beobachter wie
Dorothy Thompson oder hasserfüllte wie Heinrich und Klaus Mann sahen die
erwartete Größe gerade durch den physischen Nobody widerlegt; George Orwell
formulierte 1940 etwas raffinierter, aber auch naiver: "(Hitler) wäre imstande,
eine Maus zu töten und uns glauben zu machen, daß er einen Drachen erledigt
hat." Diese Parodie traf einen Kern, wenn man das Märchenmotiv dahinter ernst
nahm. Im Märchen würde der Held umgekehrt den Drachen erledigen und von der Maus
reden. So gab es im schönen deutschen
Selbstbild seit langem den Topos des kleinen Mannes, dem Großartiges gelingt -
der Topos des jüngsten Bruders aus dem Märchen, der Topos des gesegneten
Taugenichts, den Thomas Mann schon 1918 in den Betrachtungen eines Unpolitischen
ins deutschnationale Gespräch geworfen hatte, mit schlagendem Erfolg. Eine
verwandte Bezugsfigur wurde der Hauptmann von Köpenick, jener Schuster Wilhelm
Voigt, dem Carl Zuckmayer 1930 ein Erfolgsstück widmete, nachdem Fritz Kortner
ihn auf die Idee gebracht hatte. Auch
die romanhafte Voigt-Biografie des deutschnationalen Autors Wilhelm Schäfer aus
demselben Jahr 1930 erzielte erstaunliche Auflagen. War es die Satire auf
deutschen Uniformglauben oder eher das Loblied auf einen erfolgreichen
Taugenichts? Ob Hitler die Geschichte
des Hauptmanns kannte, weiß man offenbar nicht; aber es ist wahrscheinlich.
Merkwürdig mutet jedenfalls die Antwort an, die er als Gefreiter gab, als man
ihn zum Unteroffizier befördern wollte: "Ich bitte davon abzusehen, ich habe
ohne Tressen mehr Autorität als mit Tressen." Ein Bühnenverwandter dieses
kleingroßen Mannes jedenfalls war der "brave Soldat Schweijk", den Heinrich Mann
in seiner Satire auf Hitlers Selbstgespräch erwähnt, als Rolle von Max
Pallenberg, dem jüdischen Schauspieler.
Auch Heinrich Manns Satire hatte ein Vorbild. 1934 schrieb der österreichische
Schriftsteller Anton Kuh einen Nachruf auf Max Pallenberg, der im selben Jahr
tödlich verunglückt war. Kuh beschrieb ausgerechnet Hitler als nun verpasste
Lebensrolle des Akteurs:
"Ein eigener österreichischer Eigensinn ( . . . ) trieb ihn immer wieder zu dem
einen Darstellungsobjekt: dem kleinen Mann. Sein kleiner Mann, in der
Lueger-Zeit geboren, später groß und zum Schluss größenwahnsinnig geworden,
spricht nie reines Deutsch.
Er ist, von der Maske bis zur Rede, Abklatsch, Quatsch, Mischmasch. Seine Nase
sieht aus wie aus sämtlichen Blutbestandteilen gepantscht, die je einen
altösterreichischen Hausbesorger zum deutschen Mann formten. Er ist aus
Aktenpapier ausgekrochen, spricht Aktenpapier .
Er hat uns eines Abends verraten, wie er ihn spielen würde, er hat seine
Auffassung von dieser Rolle in einen einzigen, vielbedeutenden Satz
zusammengedrängt, in den Ausspruch: Er sieht aus wie ein Heiratsschwindler.
Nur ein Maskengenie konnte diesen Satz sprechen. Nur einer, der sich keine
andere Maske vorbinden konnte als die, welche er zuvor einem anderen aus dem
Gesicht gerissen hatte."
Kuhs Satire ist nicht an sich überwältigend. Sie nimmt aber im Bild des
Heiratsschwindlers die jedem argwöhnischen Beobachter auffällige Kooperation
zwischen Hitler und den Deutschen auf, die verfängliche Liebesgeschichte. Noch
1946 zitierte Max Picard in seiner Abrechnung mit "Hitlers Gesicht" dieses Bild
vom Heiratsschwindler, freilich nur, um es zu widerlegen. Es war, wie die
meisten Karikaturen, ein schwaches Bild gegen die Realität. Ohne Verankerung in
einem propagandistischen Apparat war die Satire von begrenzter Wirkung.
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Copyright © Frankfurter Rundschau 2000
Erscheinungsdatum 23.09.2000
haGalil onLine
31-10-2000
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