Zwischen Vision und
Revision:
Historikerstreit in Israel
Andrea Übelhack Seit etwa
zehn Jahren wird die jüdische Geschichtswissenschaft durch eine Generation
junger Historiker mit provokanten Thesen in Aufruhr gebracht. Diese sog. "neuen
Historiker", oder auch Postzionisten und Revisionisten genannt, erschütten die
Grundlagen des historischen Bewußtseins von der Geschichte der Gründung des
Staates Israel, in der Absicht, die gegenwärtige Situation in Israel zu
verändern. So schreibt
beispielsweise Uri Ram, "daß der richtige Weg sowohl zum Verständnis der
Gesellschaft und Kultur in Israel heute als auch zur Förderung der menschlichen
Freiheit in Israel nicht mehr im Festhalten an einer offiziellen, autoritativen
und alleingültigen Definition, sei sie alt oder neu, besteht, sondern gerade in
der Annahme der Multikulturalität - und dies in einem gemeinsamen
gesellschaftlichen solidarischen und zivilen Rahmen." (S. 149 f.)
Die ersten Anstöße und die ersten Arbeiten sog. "neuer Historiker" entstanden
bezeichnenderweise außerhalb Israels, also an amerikanischen und englischen
Hochschulen. Sehr schnell verlagerte sich der Disput dann aber nach Israel und
heute wird der israelische Historikerstreit hauptsächlich in hebräischer Sprache
ausgetragen. Neben der Universität dienen vor allem die israelischen Medien als
Plattform. Doch auch in
Amerika und Europa wird zunehmend die Relevanz der Diskussion in Israel
deutlich. Der von Barbara Schäfer herausgegebene Band "Historikerstreit in
Israel. Die "neuen" Historiker zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit" bietet
durch die Übersetzung einiger zentraler Texte ins Deutsche einen guten Einblick
in die Kontroverse. Die Beiträge sind dem 1997 erschienenem Kongreßband
"Zwischen Vision und Revision. Einhundert Jahre zionistische Historiographie"
entnommen. Der Band von
Barbara Schäfer erhebt in keiner Weise den Anspruch, eine Analyse des Phänomens
vorzulegen oder dazu Stellung zu beziehen. Es geht vielmehr darum, dass "hier
einige Stimmen von Wissenschaftlern und Meinungsträgern in Israel zu Gehör
gebracht werden, die sich in unterschiedlicher Weise an der Kontroverse
beteiligen und (..) besonders gut geeignet schienen, Hauptlinien in ihr
aufzuzeigen und einem weiteren Publikum auch außerhalb Israels nahe zu bringen."
(S. 8) Und das ist der
Herausgeberin bestens gelungen. Entlang der beiden Hauptthemen des
Historikerstreits, die "Araberfrage" sowie der Komplex "Zionismus und Shoah",
zeigt der Band ein sehr breites Spektrum.
Der Band wird durch einen historischen Überblick über die Forschungsgeschichte
des Zionismus eröffnet. Yoav Gelber nimmt dabei die "neuen" Historiker massiv in
Kritik, wobei er deren Geschichtsschreibung als "nichts anderes als die
israelische Version der amerikanischen political correctness" (S. 41)
anprangert. Mit Benny Morris
und Ilan Pappe kommen die wohl bekanntesten Vertreter der "neuen" Historiker zu
Wort. Morris, der in diesem Band zum Transfergedanken zwischen 1937 und 1944
schreibt, kann als einer der Initiatoren der Bewegung gesehen werden. Für ihn
ist die "Araberfrage" das zentrale Thema, das israelische Historiker
aufzuarbeiten haben. Ilan Pappe schildert seine These vom Zionismus als eine
besondere Form des europäischen Nationlismus.
Der andere große Themenkomplex "Zionismus und Shoah" wird durch Dan Michman
vertreten. Uri Ram zeigt in seinem Aufsatz das Eintreten der Soziologie und
deren bedeutende Rolle in die Debatten um den Postzionismus. Ram spricht den
Historikern ab, den Schlüssel zum Verständnis der des Staates Israel zu haben,
dies könne nur der Soziologe umfassen. Das Phänomen sei mittlerweile
interdisziplinär, das Urteil des Historikers nicht mehr entscheidend. Eine
Variante davon gibt auch Amnon Raz-Krakotzkin, mit der Darstellung einer Art
"Meta-Geschichtsschreibung".
Am Ende der Beiträge steht ein Aufsatz von Daniel Gutwein über "die
Privatisierung der Gedächtnisses", der in gewisser Weise das Gegenstück zur
Einleitung Gelbers bietet und die positive Bedeutung der "neuen" Historiker für
Israels Gegenwart hervorhebt.
Insgesamt gesehen bietet Barbara Schäfers Band eine umfassende und dennoch
übersichtlich gehaltene Einführung in die wichtigsten Themen der "neuen"
Historiker. Damit sind diese Texte erstmals auf Deutsch erhältlich. Ein Muß für
jeden, der sich für die israelische Gesellschaft und deren Konflikte
interessiert.
Barbara
Schäfer, Historikerstreit in Israel. Die "neuen" Historiker zwischen
Wissenschaft und Öffentlichkeit.
Campus Verlag, 2000
ISBN: 3593364433
DM 68, Euro 34,76
haGalil onLine 29-10-2000
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