Immer wieder gibt es
Jugendliche, die sich in der orthodoxen Welt ihrer Eltern nicht zu
Hause fühlen. Es ist allerdings nicht einfach, diese Welt und deren
Lebensweise zu verlassen. Dabei hilft in Israel die Organisation
"Hillel".
Die Jugendlichen sind auf die Hilfe angewiesen,
denn ihre Entscheidung bedeutet die Trennung von den Familien, die mit den
"Aussteigern" nichts mehr zu tun haben wollen. Oft genug werden sie bedroht und
müssen unter einem anderen Namen weiterleben.
In der normalen Welt stellen sich den jungen
Menschen enorme Probleme, die abrupte Trennung von der Familie, die
Notwendigkeit schnell neue soziale Kontakte zu schließen, die Anforderungen
einer modernen technologisierten Welt an sich, die sie bisher niemals kennen
gelernt haben.
Hillel hilft den Jugendlichen Pflegefamilien,
Arbeit und Ausbildungsplätze zu finden. Gestärkt werden die jungen Menschen in
dem Bewusstsein, dass es ihre freie Wahl war, diesen Schritt zu gehen.
Zum Beispiel Noam. Er verließ eines Tages die Jeschiwah mit dem
Entschluss, niemals zurückzukommen, ging zum Busbahnhof und fuhr einfach davon,
zu einem Kibbutz im Norden.
Noam ist 21 Jahre und das dritte von sieben Kindern in seiner Familie. Sein
Studium verlief glänzend und in der Porat Joseph Jeschiwah, wo er sein letztes
"orthodoxes" Jahr verbrachte, wurde ihm eine glänzende Zukunft vorausgesagt.
Noam fühlte sich in dieser Welt komplett zu Hause, säkulares Lernen hielt er für
Zeitverschwendung und den Militärdienst für absolut unakzeptabel für einen
Jeschiwah-Studenten.
Die Zweifel Noams wuchsen schließlich mit der
Lektüre jüdischer religiöser Gedichte, die ihn zur Poesie im allgemeinen und
säkularer Literatur jeder Art führte. Obwohl er heimlich las und auch seine
Fragen für sich behielt, wurde er von seinen Klassenkameraden verprügelt. Auch
der Wechsel der Schule half nun nichts mehr, die Entscheidung war bereits
gefallen.
Noam konnte die orthodoxe Welt mit Hilfe von "Hillel" verlassen. Die
Organisation fand für ihn eine Pflegefamilie in einem Kibbutz, wo er
mittlerweile lebt und arbeitet. Über sein neues Leben ist er schwer begeistert
und bereitet sich auf den Militärdienst vor. Nach der Armee will Noam auf jeden
Fall studieren.
Die Trennung von seiner Familie ist für Noam weiterhin sehr schmerzhaft. Und er
sorgt sich auch darüber, dass er Sorgen und Schande über die Eltern gebracht
hat. Doch er fühlt auch, dass dieser Schritt der einzig mögliche für ihn war.
Oder Osnat, eine junge Frau von zwanzig Jahren. Ihre Eltern kamen aus
Rußland nach Israel und wandten sich hier der Religion zu, als Osnat noch ein
Baby war. Ihr Vater ist heute den ganzen Tag in seine religiösen Studien
vertieft, die Mutter hat einen Ganztagsjob, um die Familie zu ernähren. Die
politischen Ansichten des Vaters wurden zunehmend extrem und er ist heute
Anhänger des nationalistisch-orthodoxen Lagers.
Osnat ging auf eine religiöse Mädchenschule. Ihre Zweifel an der orthodoxen
Lebensweise begannen im neunten Schuljahr, als sie heimlich anfing, viel
säkulare Literatur in Bibliotheken zu lesen. Die Reaktion des Vaters auf ihre
Fragen war stets: Stell keine Fragen! Osnat hat eine Freundin aus der Schule,
mit der sie über ihre Zweifel sprechen konnte, die aber den Weg, den Osnat
eingeschlagen hat, ablehnt. Sie sind jedoch noch immer in Kontakt und die
Freundin hofft, dass Osnat zurückkommen wird.
Mit 17 machte Osnat selbst den Versuch in die nicht-orthodoxe Welt zu fliehen,
aber nach wenigen Monaten gab sie auf und kehrte zu ihrer Familie zurück.
Schließlich wurde sie mit einem Jeschiwah-Studenten verheiratet, den sie kaum
kannte. Er war der Einstellung, dass jede Ausbildung für sie Verschwendung sei,
denn die Rolle der Frau sei die einer "laufenden Gebärmutter". Nach einem Jahr
war sich Osnat bewusst, dass sie die orthodoxe Welt verlassen musste und konnte
ihren Mann zur Scheidung überreden.
Diesmal nahm sie die Hilfe von "Hillel" in Anspruch. Heute hat Osnat einen Job
im Wohnungsbau-Ministerium. Sie möchte ihr Abitur nachholen und dann eine
Ausbildung machen, vielleicht zur Krankenschwester. Mit ihrer Mutter hat Osnat
noch guten Kontakt, aber so gut wie überhaupt keinen zum Vater. Auch Osnats
jüngere Schwester möchte die orthodoxe Welt verlassen. Osnat hat ihr aber
geraten, noch zwei Jahre zu warten, bis sie selbst unabhängiger ist und sie
dadurch besser unterstützen kann.
haGalil onLine
22-09-2000
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