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Was ist eigentlich Otto Schily
für einer?
Über Staatsräson,
Zielgenauigkeit und Rassismus
»Die Belastbarkeit Deutschlands
durch Zuwanderung ist überschritten«, hat Schily, kaum war er
Innenminister, Kanther nachgeäfft. Schily gilt als Feingeist. Gern liest
er zusammen mit seiner Tochter öffentlich aus der pädagogischen
Schmonzette »Was ist Auschwitz, Mama?« Dem Publikum zur Erbauung und
Belehrung. Zum 70. Geburtstag von Theo Sommer, dem Mann mit der größten
Stilblütensammlung in Deutschland, die im Schatzkästchen »Zeit«
regelmäßig zu bewundern ist, hat der gelernte Anthroposoph Schily eine
Ansprache über Regierungskunst gehalten und sich bei dieser Gelegenheit
selber bebauchpinselt: »Wer gute Politik machen will, muß also im
Glauben stark sein und liebesfähig, darf die Hoffnung nicht aufgeben.«
Wer derart schwiemelige Begriffsblasen in die Welt bläst und sein
Politikverständnis mit religiösem Weihrauch einnebelt, dem ist
zuallerletzt zu trauen.
Und tatsächlich: Als Politiker ist
Schily ganz profan. Da hört er nur auf vox populi und macht den Pitbull,
den er auf Anweisung von »Bild« verbieten ließ. Sich selber leider
nicht.
Daß Schily auch auf die Wünsche der
Industrie sehr sensibel zu reagieren bereit ist, zeigte die Initiative
Schröders, Green Cards für ausländische Computerfachkräfte auszugeben.
Der Inder, so seine Annahme, würde sich die Finger nach Deutschland
abschlecken. Die meisten aber sehen gar nicht ein, warum sie für ein
paar Jahre die Familie verlassen sollen, anschließend wieder zurück
müssen und obendrein noch Gefahr laufen, verprügelt oder möglicherweise
ermordet zu werden. Schröders Wunsch aber ist Schily Befehl. Der Mann,
von dem auch die bürgerliche Öffentlichkeit vermutet, daß er möglichst
viele Ausländer raus haben will, ist flexibel wie ein Ökopudding, denn
für gute Ausländer mit Beruf und Manieren ist immer ein Plätzchen frei,
wenn man dafür ein paar mehr Asylbewerber abschieben kann. In der
militärischen Terminologie Schilys, in der heutzutage moderne Rassisten
reden, wird die vom »Spiegel« als »Trendwende« bezeichnete
Ausländerpolitik folgendermaßen angepriesen: »Die Steuerungsfähigkeit
zurückgewinnen, die Zielgenauigkeit der Entscheidungen erhöhen und die
Trennschärfe unter den verschiedenen Gruppen von Zuwanderern
verbessern.« Wer nach dieser Sonderbehandlung noch lebt, wird aus
Gründen der Staatsräson dennoch abgeschoben: »Wir müssen in der Lage
sein, Zuwanderung dort zu unterbinden, wo sie nicht unseren Interessen
und Grundsätzen entspricht.« Und weil Schily schon mal gerade dabei ist:
Solche Fußballspiele wie Deutschland gegen Portugals B-Elf während der
Europameisterschaft, welches mit einer 3:0-Niederlage endete und das
Ausscheiden in der Vorrunde nach sich zog, würde Schily gesetzlich
verbieten - wenn er könnte. Wenn schon die Spieler unfähig sind, muß
Deutschland eben auf andere Weise ins Finale gebracht werden.
Was die Ursachen rechtsextremer
Gewalttaten und die Möglichkeit ihrer Bekämpfung anging, da hatte Schily
offensichtlich soviel Kreide gefressen, daß seinem Munde lauter kleine
weiße Sansowölkchen entströmten. Möglicherweise lag es auch an der
heiteren und lauschigen Atmosphäre des italienischen Städtchens Siena,
Schilys Urlaubsort, wo der »Spiegel« und sein sich ins Gruppenfoto
drängender Chefredakteur Stefan Aust ihn interviewten und wo ihm viel
Verständnis für die Rechten ins Aufnahmegerät floß. »Um eine sehr
diffuse Szene« handele es sich, um »Einzeltäter, Exzeßtaten sind
darunter, häufig spielt der Alkohol eine Rolle«. Nicht mehr von
»Zielgenauigkeit« und »Trennschärfe« ist die Rede, mit der er gerne die
Asylbewerber auseinandersortiert, vielmehr ist Schily nun von
Selbstzweifeln geplagt: »Eher muß man fragen, was haben wir für ein
Menschenbild, was vermitteln die Medien? Was kommt bei diesen jungen
Menschen an, die sagen, ich hasse Juden oder ich hasse Fremde? Wer
vermittelt noch Werte?«
Und nachdem er sich so überaus
sensibel und behutsam dem Thema genähert hat, stiehlt er sich als
Vertreter der Staatsräson aus der Affäre: »Das kann doch nicht einfach
beim Staat abgeladen werden.« »Es kommt darauf an, die Bevölkerung
einzubeziehen. Man kann nicht alles der Polizei überlassen.« Und auf den
Vorwurf, im Osten sei der Staat zurückgewichen, lamentiert Schily von
»bestimmten Strukturen« in der Polizei und Justiz, die dort »erst mühsam
aufgebaut werden müssen«, als ob nicht gerade im Osten die Polizei
hervorragend ausgebildet ist in der Abwehr von Flüchtlingen, die über
die Oder in den goldenen Westen zu schwimmen versuchen, und auch die
Justiz hat Übung darin, Mord von Skins als Totschlag durchgehen zu
lassen. Und obwohl die Statistiken ellenlange Auskunft darüber geben,
wieviel Tote auf das Konto der Rechtsextremen gehen, bagatellisiert
Schily »dieses Problem«, denn schließlich hätten »alle Staaten mit
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zu kämpfen«.
Eine Erkenntnis, die Schilys
Verständnis für die Rechten nicht mehr rätselhaft erscheinen läßt. Denn
ist es nicht irgendwie beruhigend, daß auch in anderen Ländern Ausländer
umgebracht werden? Und nehmen die Nazis mit ihrer Tätigkeit nicht auch
eine soziale Funktion wahr, die bislang ganz allein auf Schilys
Schultern lastet, wenn es darum geht, die »Zielgenauigkeit« zu erhöhen?
Klaus Bittermann
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