Naziverbrechen:
Vertuschen, verheimlichen,
fälschen
– und das bundesweit, seit Jahren
...aus mindestens
117 Morden
werden 24 statistische Fälle...
In der letzten Woche berichtet das
Magazin "Panorama" über die neuen statistischen Kriterien, mit deren Hilfe es im
Innenministerium gelungen war die Anzahl von weit über 100 nazistisch
motivierten Morden auf 24 zu reduzieren.
Einer der aus der Statistik
herausgenommenen Fälle war der des im brandenburgischen Guben zu Tode gehetzten
Algeriers Omar Ben Noui. Ein Gedenkstein, der an Omar Ben Noui erinnert wurde
vergangenen Nacht erneut geschändet und mit einem Hakenkreuz beschmiert.
Der Fall des zu Tode gehetzten Algeriers
Omar Ben Noui ist allgemein bekannt, wochenlang machte er Schlagzeilen,
bundesweit. Trotzdem fehlt er in der Statistik der Bundesregierung. Gegenüber
dem Magazin Panorama ein mühsamer Erklärungsversuch des Staatssekretärs im
Innenministerium Fritz Körper: "Ich will Ihnen sagen, da darf man auch keinen
bestimmten Grund dafür heranziehen, so nach dem Motto, das ist eine gewisse
Böswilligkeit, um die Statistik in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.
Nein, das ist die Frage der Abgrenzung."
Solcher Abgrenzung fiel offenbar auch
Frank Böttcher zum Opfer. Er ist statistisch nie gestorben. Ein Skinhead
tötete ihn, nur weil er aussah wie ein Punker. Seine Freunde leben noch heute in
Angst, sie reden nur verdeckt. Ein Freund des Toten im Pamorama": "Frank wurde
die Schädeldecke aufgetreten. Und nachdem der Kopf schon offen war, wurde ihm
noch sieben Mal mit einem langen Messer in den Rücken gestochen."
Die Panorama Redaktion stellt fest: Für
das Gericht war dies also kein Mord, sondern nur eine schlichte Körperverletzung
– und damit natürlich auch kein Fall für die Totenstatistik rechtsextremer
Gewalt.
Experten wissen es schon lange: Die
Opferzahlen werden möglichst niedrig gehalten, und zwar mit allen Tricks. Der
Rechtsextremismus-Experte Frank Jansen erklärt: "Es spielt natürlich eine Rolle,
dass hinterher, wenn die Zahlen dann zusammengerechnet werden zu einer
Statistik, oft Fälle einfach gestrichen werden, herausgestrichen werden. Da habe
ich also auch beispielsweise hier von der Brandenburger Polizei durchaus zu
hören bekommen: Also die Statistik, die jetzt öffentlich vorliegt, stimmt so
nicht, das ist einfach so nicht richtig. Wir können da nichts machen, wir dürfen
nichts sagen, das ist politisch so gewollt, damit das Land eben nicht als braune
Hochburg dasteht."
Vertuschen, verheimlichen, fälschen
– und das bundesweit, seit Jahren
Originalton Panorama
Es liegt auch eine ungeschönte Liste der
Todesopfer vor, recherchiert vom Journalisten Frank Jansen und anderen Experten.
Die Liste zeigt das wahre Ausmaß des rechtsextremen Terrors. Es ist um ein
Vielfaches höher als von der Bundesregierung behauptet. Seit der Wende
mindestens 117 Todesopfer. Zur Erinnerung: die Bundesregierung spricht nur von
24.
Weitere Erklärungsversuche aus dem
Innenministerium/0-Ton -
Staatssekretär FRITZ RUDOLF KÖRPER: "Ich denke auch, da sollte man keine
falschen Schlussfolgerungen daraus ziehen in irgendeiner Form. Das kann auch ein
Stück Zufall sein. Man muss, wie gesagt, statistisches Material auch
entsprechend – ich sag‘ jetzt mal: vorsichtig angehen."
KOMMENTAR (Pamorama): Man kann ja gar
nicht vorsichtig genug sein mit der Statistik. Der Fall des Rechtsterroristen
Kay Diesner zumindest scheint eindeutig. Organisiert im weißen arischen
Widerstand, kämpfte Diesner direkt gegen den – wie er sagt – Judenstaat. Er
feuerte ohne Vorwarnung mit einer Pumpgun auf einen Polizisten. Der Beamte war
sofort tot.
FRANK JANSEN: "Im Fall Kay Diesner hat
das Landgericht Lübeck zwei Mal ganz deutlich festgestellt: Kay Diesner hat aus
einer menschenverachtenden, rechtsextremen Gesinnung heraus auf diesen
Polizisten geschossen. Er hat ihn als einen Staatsbüttel angesehen, wie er sich
hinterher im Prozess geäußert hat, der kein Existenzrecht hat und der einfach
damit rechnen muss, dass er draufgeht."
KOMMENTAR: Dieser Fall scheint so
eindeutig, dass selbst der Staatssekretär sich ganz sicher ist. Alle
statistischen Kriterien eines rechtsextremen Mordes sind erfüllt.
FRITZ RUDOLF KÖRPER: "Wenn ich mich
richtig erinnere, ist dieser Täter in die von mir genannten Kategorien
einzuordnen."
KOMMENTAR: Wer würde ihm da
widersprechen. Nur in seiner eigenen Statistik ist selbst dieser angeblich
eindeutige Fall aus dem Jahr 97 nicht verzeichnet. 1997 und 98 – keine
vollendeten Tötungsdelikte. Und noch ein Erklärungsversuch:
FRITZ RUDOLF KÖRPER: "Dieser von Ihnen
besagte Fall hatte – ja – unter anderem einen rechtsextremistischen Hintergrund,
aber offensichtlich nicht nur, ausschließlich, so dass also dieser Fall nicht in
diese Auflistung gekommen ist."
KOMMENTAR: Welchen anderen Hintergrund,
weiß allerdings der Staatssekretär nicht und auch kein anderer. Es bleiben
Unverständnis und Zorn.
KONRAD FREIBERG (Gewerkschaft der
Polizei): "Dafür habe ich kein Verständnis. Das war ein Polizistenmörder, der
wirklich ein Rechtsextremist ist, bekanntermaßen. Dass der in der Statistik
gegen rechtsextremistische Gewalt nicht auftaucht, das ist für mich wirklich
unverständlich."
KOMMENTAR: Und damit immer noch nicht
genug. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke fragt die Regierung schon seit fast
zehn Jahren nach den Opferzahlen rechtsextremer Gewalt. Dabei stieß sie auf
schier Unglaubliches.
Hier die Opferliste der Regierung Kohl.
Doch plötzlich, beim Regierungswechsel, verschwinden über die Hälfte dieser
Toten – von Rot-Grün einfach weggestrichen.
ULLA JELPKE (PDS): "Meine erste Reaktion
war, muss ich ehrlich sagen, dass ich wirklich mich nur noch an den Kopf gefasst
habe und gesagt habe: Das darf nicht wahr sein, dass eine rot-grüne Regierung,
wie gesagt, die sich als Schwerpunkt den Kampf gegen Rechtsextremismus
vorgenommen hat, dass diese Regierung im Grunde genommen noch schlimmer fälscht
als die alte Regierung. Und ich bin der Meinung, wer so mit den Opfern umgeht,
kann Opfern weder Hilfe noch Schutz geben, sondern hat ein einziges Bestreben,
nämlich zu bagatellisieren."
KOMMENTAR: Bagatellisieren, da war schon
die Kohl-Regierung reichlich schamlos, verzeichnete seit der Wende nur 34 Tote.
Rot-Grün ist da offenbar noch viel dreister: noch ein paar Opfer weggerechnet,
und plötzlich stehen nur noch 24 auf der Liste.
Weitere Informationen
ndr - panorama
Sendung vom 24-08-2000
haGalil onLine
28-08-2000
|