Rund 20 junge Rechtsextremisten sind am Donnerstagabend
unbehelligt durch Liestal gezogen. Polizeikommandant Kurt Stucki und
Polizeidirektor Andreas Koellreuter räumten Pannen beim Polizeieinsatz ein.
Die Polizei hat offenbar einen Hinweis zu wenig ernst genommen.
Liestal. stg. Der Baselbieter Polizeidirektor Andreas Koellreuter zeigte
sich gestern vor den Medien über den Vorfall «angewidert und beunruhigt»:
Mit zwei Schweizer Fahnen und mit Baseballschlägern bewaffnet sind am
Donnerstagabend rund 20 jugendliche Sympathisanten der rechtsextremen Szene
durch Liestal marschiert. Die grösstenteils vermummten Neonazis versammelten
sich um 21 Uhr beim Liestaler Bahnhof. Zwischen 21.30 und 21.45 Uhr zogen
sie durch die Rathausstrasse zurück zum Bahnhof. Die Rechtsextremisten
begingen damit den Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess.
Der Marsch sei ruhig verlaufen, erklärte Polizeikommandant Kurt Stucki.
Die Rechtsextremisten hätten keine Parolen skandiert und keine Flugblätter
an Passanten verteilt. Allerdings wurden Medienleute mit Baseballschlägern
bedroht. «Ich mache dich platt», brüllte ein Skinhead einen Radioreporter
an.
Polizei tauchte zu spät auf
Die Polizei tauchte erst am Schluss auf. Man habe nur einen «relativ
vagen» Hinweis eines Journalisten erhalten, sagte Kommandant Kurt Stucki.
Die Polizei beschloss, eine Patrouille vorbeizuschicken und «bei Bedarf»
Personenkontrollen vorzunehmen. Die Patrouille des Polizeistützpunkts
Liestal startete jedoch erst um 21.30 Uhr - zu spät. Bei der Polizei seien
keinerlei Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen, erklärte Stucki.
Allerdings hat anscheinend eine Einwohnerin die Alarmzentrale angerufen.
Dort soll die Frau abgewimmelt worden sein. als Polizeipatrouille um 21.45
Uhr die inzwischen zum Bahnhof zurückgekehrten Neonazis entdeckte, erhielt
sie einen Notruf wegen verdächtigen Personen in einer Oberbaselbieter
Gemeinde. «In einer Güterabwägung», so Stucki, entschied sich die
Patrouille, diesen Fall zu übernehmen. Sie habe aber beim Stützpunkt Sissach
(etwa 10 Km südlich Liestal) und der Autobahnpolizei Unterstützung
angefordert. Diese schickten sogleich zwei Wagen nach Liestal. Zugleich
hätten Angehörige der Kriminalabteilung im «Stedtli» die Fahndung
aufgenommen. Die beiden Rädelsführer konnten noch am gleichen Abend
ermittelt werden. Diese Personen seien der Polizei bekannt, sagte Stucki.
Sie gehören der Neonazi-Organisation «Blood and Honour» an, die im
Waldenburgertal ihr Unwesen treibt. Im Baselbiet sind zwei weitere
rechtsextremistische Gruppierungen aktiv: «Hombre nere» und die «Rechte
Schweizer Jugend». Dieser rechtsextremen Szene werden rund achtzig Personen
zugerechnet. Offenbar haben auch Rechtsextreme aus den Kantonen Aargau und
Solothurn an dem Neonazi-Treffen teilgenommen.
«Nicht optimal verlaufen»
Der Polizeieinsatz sei «nicht optimal verlaufen», räumte Stucki ein.
Deutlicher wurde Polizeidirektor Andreas Koellreuter: «Die Beurteilung durch
die Polizei im Vorfeld war nicht in Ordnung.» Die Polizei habe dem Hinweis
auf den Marsch «zu wenig Gewicht beigemessen», zumal der Todestag von Rudolf
Hess oft von rechtsextremen Umtrieben begleitet sei. Stucki betonte, die
Baselbieter Polizei nehme die rechtsextremen Aktivitäten ernst. Man habe aus
dem Vorfall die Lehren gezogen: Die Polizei werde eine «grössere
Sensibilität gegenüber diesen Aktivitäten» entwickeln. Offen ist, ob die
Polizei das Neonazi-Treffen überhaupt hätte verhindern können. Solange keine
Parolen skandiert und keine Flugblätter verteilt werden und auch keine
Gefahr für Dritte besteht, sind der Polizei die Hände gebunden, wie
Direktionssekretär Stephan Mathis ausführte. Auf den Leibchen der Neonazis
prangte lediglich die Aufschrift «Tellen-Söhne». Bislang liegen der Polizei
keine Hinweise auf eine Verletzung der Antirassismus-Strafnorm vor. Der
Regierungsrat verurteile die rechtsextremen Vorkommnisse der letzten Zeit
«aufs Schärfste», sagte Polizeidirektor Andreas Koellreuter. Er wollte
ohnehin der Gesamtregierung am nächsten Dienstag Massnahmen gegen den
Rechtsextremismus beantragen: Eine interdepartementale Arbeitsgruppe soll
die Situation im Baselbiet «vertieft analysieren» und der Regierung
Vorschläge unterbreiten. «Es handelt sich um ein gesellschaftliches
Problem», meinte Koellreuter, «nicht um ein polizeiliches.»
«Die rechtsextreme Szene nicht verharmlosen»
Ein entschiedeneres Vorgehen gegen Rechtsextreme fordert Regierungsrat
Andreas Koellreuter im Anschluss an den Umzug in Liestal. Laut dem Justiz-
und Polizeidirektor operieren im Baselbiet drei Gruppierungen mit insgesamt
80 Personen, vorwiegend Jugendliche.
BaZ: Wie präsentiert sich die rechtsextreme Szene im Kanton Baselland?
Andreas Koellreuter: Rund 80 vorwiegend Jugendliche müssen der Szene
zugerechnet werden, die vorwiegend aus den drei Gruppen «Blood and Honour»,
«Hombre Nere» und «Rechte Schweizer Jugend» besteht. Wie viele
Sympathisanten diese Gruppen haben, wissen wir nicht. Allerdings können sich
diese Organisationen und ihre Zusammensetzung sehr schnell verändern.
Wo konzentrieren sich diese Gruppen?
Die drei Zentren befinden sich bei Gelterkinden und Ormalingen, im
Waldenburgertal sowie rund um Reinach (Ländliche Gegend in der Umgebung von
Basel).
Wie überwachen Sie die Szene?
Wie Sie wissen, wurde der Staatsschutz vor zehn Jahren auch im Baselbiet
massiv redimensioniert - die Staatsschutzaffäre hatte den Kanton Baselland
stark durchgerüttelt. Deshalb beschloss die Regierung, nur noch aufgrund von
klaren Bundesaufträgen im Bereich Staatsschutz aktiv zu werden. Aufgrund
dieser Situation ist es aber möglich, dass wir nicht immer auf dem Laufenden
sind und nicht alles wissen.
Behält die Kantonspolizei die 80 bekannten Personen im Auge?
Im Rahmen des Möglichen, ja. Aber wie gesagt sind wir auf die Aufträge des
Bundes angewiesen. Zum Glück wird man sich dort aber des Problems bewusst,
weshalb wir nun viel häufiger entsprechende Aufträge erhalten.
Hätten Sie gerne deutlichere Weisungen vom Bund?
Nein, nun wird von Bundesseite her rasch reagiert. Zudem hat der Bund ja
auch schon signalisiert, dass er seinerseits verschiedene Massnahmen
ergreifen will. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir deutlichere Aufträge
erhalten werden und uns somit ein klares Bild verschaffen können.
Wie stufen Sie die Gefahr ein, die von den rechtsextremen Gruppierungen
ausgeht?
Die rechtsextreme Szene ist gefährlich, und wir dürfen sie weder
ignorieren noch verharmlosen. Leider geschieht das momentan teilweise. Wir
müssen diesen Personen signalisieren, dass wir entschieden eingreifen, wenn
sie die Grenzen des Rechts überschreiten. 1995 haben wir das deutlich
bewiesen, als die Baselbieter Polizei ein rechtsextremes Grosstreffen in
Hölstein (Dorf, etwa 30 Km südlich von Basel) unterband.
Verordnen Sie der Polizei für künftige Fälle deshalb wieder ein
entschiedeneres Vorgehen als am Donnerstagabend?
Wenn man weiss, dass der Todestag von Rudolf Hess stattfindet und der
Rechtsextremismus von Deutschland hinüberschwappt, müssen wir künftig sicher
genug sensibilisiert sein und die richtigen Mittel anwenden. Wir müssen
solche Kundgebungen gut beobachten und auch genügend Reserven für eine
allfällige Intervention zur Hand haben.
Welche Massnahmen werden Sie nächste Woche der Regierung vorschlagen?
Wir werden eine Arbeitsgruppe bilden - unter anderem mit Personen aus
jenen Regierungsdirektionen, die mit dem Rechtsextremismus in Berührung
kommen. Wer sonst vertreten sein wird, wissen wir noch nicht. Eigentlich
wollte ich ja erst in rund zwei Wochen über dieses Thema orientieren, wegen
der jüngsten Ereignisse habe ich dies nun aber bereits jetzt getan.
Werden auch bei der Polizei spezielle Massnahmen ergriffen?
Wir müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Polizei
sensibilisieren und fachlich schulen, wie mit diesem Thema umzugehen ist -
ähnlich wie wir das momentan bei unserem Projekt «Gewalt im sozialen
Nahraum» machen. Wissen Sie: Für den Inspektor 2, der seit drei Jahren im
Dienst ist, sind solche Situationen nicht einfach. Ich verstehe durchaus,
wenn solche Personen nicht gerade wissen, wie sie reagieren sollen. Deshalb
spielt die fachliche Führung eine wichtige Rolle.
Interview Raphael Weber