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"Wer ein Haus baue, wolle bleiben",
erklärte Salomon Korn anlässlich der Einweihung des jüdischen
Gemeindezentrums an der Savignystraße im Frankfurter Westend im Herbst 1986.
So weit, sagt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde und Nachfolger von
Ignatz Bubis heute, werde seine Aussage gern und oft zitiert. Dass Korn
seinerzeit hinzufügte, "wer bleiben will, erhofft sich Sicherheit",
wird bei unzähligen Rückgriffen auf die Worte des damaligen
Gemeinderatsmitglieds hingegen häufig unterschlagen.
Dies mag einer wachsenden Neigung
Deutscher christlichen Glaubens entspringen, beim Blick auf das
vielgestaltige heutige Leben der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, die mit
etwa 6700 Mitgliedern eine der größten und überdies fraglos eine der
aktivsten der Republik ist, den historischen Kontext auszublenden.
Tatsächlich aber versinnbildlicht der Bau des Gemeindezentrums als "Akt von
schwerlich zu überschätzendem Symbolgehalt" (Korn) einen entscheidenden
Wandel im Selbstverständnis der Nachkriegsgemeinde - und kann schon deshalb
nicht losgelöst von der langen ruhm- und leidvollen Geschichte der
Frankfurter Juden betrachtet werden.
Das Haus im Westend ist das steinerne
Zeugnis eines weiteren Versuchs. Es dokumentiert den Abschied der - nach
dreimaliger Zerstörung - vierten Jüdischen Gemeinde in der Geschichte der
Stadt von ihrem anfangs dezidiert provisorischen Charakter. "Aus der
Liquidationsgemeinschaft aus Rückkehrern und Displaced Persons nach der
Befreiung hat sich eine Gemeinde entwickelt, die unter den Jüdischen
Gemeinden in Deutschland als Vorzeigemodell gilt", sagt Korn.
Die Gründer der vierten Gemeinde um den
Rabbiner Leopold Neuhaus - zu denen neben vielen anderen der Schriftsteller
Valentin Senger, der in seiner Heimatstadt untergetaucht und so den Häschern
entgangen war, sowie der im DP-Camp Zeilsheim gestrandete Historiker und
Publizist Arno Lustiger zählten - hatten anderes im Sinn als einen Neubeginn
jüdischen Lebens in Frankfurt. Man saß auf gepackten Koffern. Eine Zukunft
für Juden in Deutschland schien vielen der anfangs etwa 500 Menschen
zählenden Not- und Zweckgemeinschaft undenkbar. Kontinuität nach Auschwitz
war und ist nicht vorstellbar. Die heutige Gemeinde knüpfe an die
Traditionen jüdischen Lebens in Frankfurt vor der Schoa an, sagt Salomon
Korn, eine bruchlose Fortschreibung aber könne und dürfe man nicht
betreiben.
Das jahrzehntelang aufrechterhaltene
Selbstbildnis von der "Gemeinde in Abwicklung" war wohl einer der Gründe
dafür, dass sich die kontinuierlich wachsende Gemeinschaft bis weit in die
80er Jahre kaum in den gesellschaftspolitischen Diskurs einschaltete. Wohl
hatten die Stürme von 1968 auch die Jüdische Gemeinde erfasst. So verbuchte
die oppositionelle "Junge Liste" um Heschi Rothmensch, Marek Glezermann, Dan
Diner und Micha Brumlik, die gegen die nach ihrer Überzeugung verkrusteten
Strukturen der damaligen Gemeindeführung rebellierte, bei den
Gemeinderatswahlen 1971 einen Überraschungserfolg. Doch sollte es da noch
etliche Jahre dauern, bis die Gemeinde ihre politische Abstinenz nach außen
aufgab.
Den Anstoß dafür gab die geplante
Aufführung des weithin als antisemitisch empfundenen Theaterstücks "Der
Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer-Werner Fassbinder am Frankfurter
Kammerspiel. "Bis zur Fassbinder-Kontroverse hat sich die Gemeinde nie
dezidiert politisch geäußert", sagt Korn. Das änderte sich schlagartig am
31. Oktober 1985, als Mitglieder der Gemeinde um deren 1983 gewählten
Vorsitzenden Ignatz Bubis die Theaterbühne besetzten, um die Aufführung des
Fassbinder-Stücks zu verhindern.
Die Aktion, getragen von einem breiten
und keineswegs selbstverständlichen Konsens innerhalb der Gemeinde, hatte
bundesweit Signalwirkung und fällt wohl nicht von ungefähr in die Zeit, in
der das Gemeindezentrum errichtet wurde. Mit seinem mutigen Aufbegehren
brachte Bubis - der von der politischen Linken im Zuge des Frankfurter
Häuserkampfes mit gelegentlich nur notdürftig verbrämter antisemitischer
Konnotation zu einer Art Prototyp des "Westend-Spekulanten" stilisiert
worden war - neben einem gewachsenen Selbstbewusstsein auch ein neues
Selbstverständnis der Frankfurter jüdischen Glaubens zum Ausdruck. Eines,
das angesichts der gewachsenen Erkenntnis, dass sich die lange Zeit
hilfreiche Fiktion vom bloß provisorischen Charakter der Gemeinde nicht
aufrechterhalten ließ, die Bereitschaft einschloss, sich öffentlich
einzumischen und die Auseinandersetzung zum Schutz eigener Belange nicht zu
scheuen.
Erst im Zuge der Fassbinder-Kontroverse
und des 1987 folgenden Konflikts um den Stadtwerke-Neubau am Börneplatz, der
die archäologischen Reste der alten Judengasse unwiederbringlich zu begraben
drohte, habe die Gemeinde "ihr Schneckenhaus-Dasein beendet", urteilt
Salomon Korn. Dem Aktionsbündnis "Rettet den Börneplatz", in dem sich neben
anderen Micha Brumlik und die Frankfurter Autorin Eva Demski engagierten,
kommt überdies insofern Bedeutung zu, als Frankfurter jüdischen und
christlichen Glaubens hier Seite an Seite fochten - mit dem Erfolg, dass
wenigstens ein kleiner Teil der Fundamente, die von der bis ins 12.
Jahrhundert zurückreichenden Geschichte der Frankfurter Juden zeugen,
bewahrt und öffentlich zugänglich gemacht wurde.
Das Erinnern bleibt konstitutiver
Bestandteil des Gemeindelebens: an die Ursprünge jüdischer Kultur in der
Stadt ebenso wie an das Wüten des mordlüsternen Pöbels wärend der Pogrome
des Mittelalters oder während des Fettmilch-Aufstands Anfang des 17.
Jahrhunderts; an bedeutende Familien wie die Rothschilds, große Gelehrte wie
Siegfried Kracauer und Max Horkheimer und jüdische Schicksale in der
Nazi-Zeit wie jenes der Frankfurterin Anne Frank. Dass Salomon Korn den
Wiedererwerb des Philantropins zur Einrichtung einer Ganztagsschule neben
der Integration der Zuwanderer aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion
für die derzeit vordringlichste Aufgabe der Gemeinde hält, passt ins Bild.
Wie das junge Gemeindezentrum ist auch Frankfurts alte, 1804 gegründete
jüdische Lehranstalt ein Symbol. Als jene Institution, so Korn, "die
Frankfurts Juden auch geistig aus dem Ghetto geführt hat".
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Copyright © Frankfurter Rundschau 2000
Erscheinungsdatum 19.07.2000
haGalil onLine
19-07-2000
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