Wiens Israelitische Kultusgemeinde
nach 1945:
Die Vierte Kehilah
Von Rainer Mayerhofer
Von den 180.000 Juden, die
vor dem Anschluss im März 1938 in Wien lebten, befanden sich Mitte
April 1945 nach einer demographischen Studie des Wiener Historikers
Johnny Moser Mitte April 1945 nur mehr 5.512 in ihrer Heimatstadt.
Ein Großteil von ihnen war durch ihre nichtjüdischen Ehepartner vor
der Vertreibung, Deportation und Ermordung geschützt worden,
beziehungsweise waren Nachkommen aus solchen Ehen. Einige hundert
Menschen hatten als sogenannte "U-Boote" die Zeit der Verfolgung
überlebt. Obwohl rund 60.000 Familien nach 1938 aus ihren Wohnungen
vertrieben worden waren, gab es für die wenigen Heimkehrer aus den
Konzentrationslagern nicht genug Unterkünfte und die Versorgungslage
war trist.
Josef Löwenherz, der frühere
Amtsdirektor der Kultusgemeinde, wurde im Mai 1945 von der Roten
Armee verhaftet, der Kollaboration mit den Nazis bezichtigt, in die
Tschechoslowakei verschleppt und dort drei Monate lang festgehalten.
Über die Schweiz und England emigrierte er mit seiner Frau danach zu
seinen Kindern in die USA und kam bis zu seinem Tod im Jahr 1960 nie
mehr nach Österreich zurück.
Das war die Ausgangslage,
unter der nach dem Kriegsende die jüdische Gemeinde in Wien
wiederbegründet wurde. Evelyn Adunka hat im sechsten Band der vom
Institut für die Geschichte der Juden in Österreich herausgegebenen
Reihe über die Geschichte der Juden in Wien die Entwicklung der
Israelitischen Kultusgemeinde von den Wiederanfängen bis in die
heutige Zeit in all ihren Facetten und mit all ihren Brüchen
aufgezeichnet.
Der 75-jährige Arzt Heinrich Schur wurde von dem für
Kultusangelegenheiten zuständigen kommunistischen Staatssekretär
Ernst Fischer als erster provisorischer Leiter der wiederbegründeten
Kultusgemeinde eingesetzt und im Herbst durch David Brill, den
Privatsekretär des KP-Chefs Johann Koplenig abgelöst. Bei den ersten
Kultuswahlen, die am 7. April 1946 stattfanden, kandidierten nur
eine unter KP-Einfluss stehende Einheitsliste und der Verband der
jüdischen Kriegsopfer, auf die 33, bzw 3 Mandate entfielen. Bril
blieb weiter Vorsitzender der IKG. 1948 bei den zweiten Kultuswahlen
erreichte Brills Einheitsliste noch 11 Mandate, acht entfielen auf
die Liste Jüdische Föderation unter David Schapira, fünf auf den
sozialistischen Bund Werktätiger Juden (BJW) unter ihrem
Spitzenkandidaten Emil Maurer, der dann von 1952 bis 1963 an der
Spitze der Kultusgemeinde stand. Vorerst wurde aber Schapira
Vorsitzender. 1950 folgte ihm vereinbarungsgemäß Emil Maurer für
acht Monate und dann für acht Monate der KP-Kandidat Kurt Heitler.
Ebenfalls 1948 wurde Akiba
Eisenberg zum ersten Oberrabbiner bestellt, dem nach seinem Tod im
Jahr 1983 sein Sohn Chaim in dieser Funktion folgte.
In diese frühen Jahre fielen die Wiederbegründung der jüdischen
Organisationen, die von den Nazis zerstört worden waren und die
ersten zaghaften Versuche der Wiedergutmachung, aber auch die
Schatten des Kalten Krieges, die auch innerhalb der Wiener
Kultusgemeinde zu heftigen Auseinandersetzungen führten.
Zwar war dann von 1952 bis
1982 der BJW in der IKG tonangebend mit Maurer, Ernst Feldsberg
(1963-1970) und Anton Pick (1970-82) als Präsidenten der
Kultusgemeinde, die internen Auseinandersetzungen blieben aber auch
in dieser Zeit nicht aus, was einerseits religiöse, andererseits
handfeste parteipolitische Ursachen hatte, warf man doch den Führern
des Bundes Werktätiger Juden vor, die Politik der SPÖ vor
jene der Kultusgemeinde zu stellen. Besonders Simon Wiesenthal war
in den sechziger Jahren ein besonders scharfer Gegenspieler von
Präsident Feldsberg. Der Konflikt fand dann in den Siebzigerjahren
in den Auseinandersetzungen Wiesenthals mit dem sozialistischen
Bundeskanzler Bruno Kreisky eine Fortsetzung, die zu den
Schattenseiten im politischen Wirken Kreiskys zählt und den BWJ
zuerst die absolute Mehrheit in der IKG kostete bis er in den Wahlen
der Neunzigerjahre zur Bedeutungslosigkeit herabsank. Ab 1982 stand
Ivan Hacker an der Spitze der Kultusgemeinde, dem 1987 Paul Grosz
und 1998 Ariel Muzicant folgten.
Evelyn Adunka beschreibt aber
in ihrem Buch, das einen hervorragenden Überblick über jüdisches
Leben nach 1945 in Wien gibt, nicht nur die politischen und
religiösen Entwicklungen in der Kultusgemeinde, sondern auch die
kulturellen, den Kampf um ein eigenes Kindergarten- und Schulwesen,
die Bedeutung der jüdischen Hochschülerschaft, in der Leon Zelman
eine herausragende Rolle spielte, schließlich die Normalisierung und
die Öffnung in den neunziger Jahren, die in der Eröffnung des
jüdischen Museums und in den jüdischen Kulturwochen ihren sichtbaren
Ausdruck fand.
Eigene Kapitel über die
verschleppte und ausgebliebene Wiedergutmachung, palästinensische
und neonazistische Anschläge auf jüdische Einrichtungen in
Österreich, die Auswirkungen der Reder- und der Waldheim-Affäre und
des Aufstiegs der FPÖ auf die Wiener Kultusgemeinde ergänzen den
umfangreichen Band.
Evelyn Adunka:
Die Vierte Gemeinde
- Die Wiener Juden in der Zeit von 1945 bis heute
Philo-Verlag, 568 Seiten, 78.00DM, 39.00€
haGalil onLine
30-05-2000 |