Weisgal, Werfel &
Weill:
Der Weg der Verheißung - hin und
zurück
Eternal Road - ein
verschollenes Werk
von Weill und Werfel wieder auf der Bühne
Von Thomas Ziegner
Im Juni 1999 war
Premiere in Chemnitz: Über sechzig Jahre wartete das monumentale, Stoffe des
Alten Testaments verarbeitende Oratorium "Der Weg der Verheißung" von Kurt Weill
und Franz Werfel auf seine Aufführung. Unter dem Titel "The Eternal Road" 1937
in New York uraufgeführt, in der Regie von Max Reinhardt, bekam das Werk
enthusiastische Kritiken. Dennoch verschwand es infolge einer Theaterpleite
trotz meist ausverkaufter Vorstellungen vom Spielplan. Weill befand 1942: "Die
Tendenz des Stückes war für Amerika falsch! Ihm fehlte der kämpferische Geist!"
Schon vor dem Boykott
jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 bekamen viele als "nichtarisch" geltende
Künstler im Deutschen Reich Berufsverbot. Deswegen telegrafierte der
us-amerikanische Journalist und Manager Meyer Wolf Weisgal:
"An Max Reinhardt, Europa - Wenn Hitler Sie nicht will - ich nehme Sie".
In Paris traf Weisgal den
als "Theatermagier" Weltruhm genießenden Reinhardt, der dort gerade die
"Fledermaus" inszenierte. Weisgal überredete ihn, in New York ein Stück mit
alt-testamentarischen Inhalten uraufzuführen. Nach einigem Zögern stimmte
Reinhardt zu, wählte als Librettisten den längst mit dem Katholizismus
liebäugelnden Franz Werfel, bestimmte als Komponisten den wegen der (höchst
erfolgreichen) Zusammenarbeit mit Brecht kommunistischer Sympathien verdächtigen
Kurt Weill und schlug später als Bühnenbildner den antisemitische Äußerungen
nicht scheuenden, gigantoman planenden Norman Bel Geddes vor.
Rabiate antisemitische
Töne gab's (nicht nur) im Feuilleton schon in der Weimarer Republik, bevor also
Hindenburg dem Drängen mächtiger Interessengruppen nachgab und den Nazi-Führer
als Reichskanzler installierte. Arnold Schönberg dehnte deswegen seine
Auslands-Ferien so lange wie möglich aus: "Damit ich nicht zu den Hakenkreuzlern
und Pogromisten nach Berlin zurück muß". Er schrieb schon 1927, vor "Moses und
Aron", ein Drama: "Der biblische Weg", über die Gründung eines neuen Staates der
Juden.
Werfel trat 1929
anlässlich der Heirat mit Alma Mahler zwar aus der Jüdischen Gemeinde aus,
weigerte sich aber, in die Katholische einzutreten - wegen des zunehmenden
Antisemitismus'. Angesichts des Nazi-Regimes dachte Sigmund Freud erneut über
"Moses und die monotheistische Religion" nach (1934-1938). Werfel hatte ihn 1926
getroffen, ihm sein Drama "Paulus unter den Juden" geschenkt, das den Begründer
der Psychoanalyse vermuten ließ, der Dichter hänge einem "frommen Kinderglauben"
an. "Keinesfalls", antwortete Werfel brieflich dem "innig verehrten Herrn
Professor", durchaus aber gebe er zu, "dass ich an Entlastungsphantasien heftig
leide, an metaphysischen vor allem".
Gegen die kuriose
Mischung mosaischer und christlicher Motive, als "Entlastungsphantasie", in
der ersten Fassung vom "Weg der Verheißung" protestierte Meyer Weisgal
erfolgreich beim ersten Treff der Beteiligten, 1934 auf Reinhardts Schloss
Leopoldskron bei Salzburg.
Als Werfel die Arbeit an seinem
1935 in Wien erschienen Werk beendet hatte, waren die Nürnberger
Rassegesetze noch nicht verabschiedet. Nur ein Teil seiner Bücher
landete auf dem Scheiterhaufen; die "Vierzig Tage des Musa Dagh" (über
den Völkermordmord an den Armeniern) durfte 1933 noch erscheinen. |
K.Weill |
Die Nötigung zur
Emigration aller von den Nazis als Juden identifizierter Menschen aber las er
dem ab, was im "Land der Dichter und Denker" möglich wurde und - Goldhagen und
andere wiesen kürzlich erneut darauf hin - unterm Schatten des Massenmords
gelegentlich übersehen wird: Dessen Vorgeschichte nämlich, die administrative
Zurichtung einer vordefinierten Minderheit zu einer hilf-und schutzlosen
"Randgruppe"; staatlich-organisierte Kriminalität, die Freud März 1938
sarkastisch kommentierte, das Nazi-Reich mit der Sowjetunion vergleichend: "Man
empfindet es als Erleichterung von einer bedrückenden Sorge, wenn man im Fall
des deutschen Volkes sieht, daß der Rückfall in nahezu vorgeschichtliche
Barbarei auch ohne Anlehnung an irgendeine fortschrittliche Idee vor sich gehen
kann."
Das Vorspiel des
fünfaktigen Oratoriums beginnt in der Gegenwart von 1933, wenn auch auf dem
Titelblatt der deutschen Fassung steht: "Dieses Bibelspiel ereignet sich unter
einer zeitlosen Gemeinde Israel in einer zeitlosen Nacht der Verfolgung". Vor
einem Pogrom retten sich Menschen in eine Synagoge. Ihr Rabbiner, der schon vom
regierungsamtlichen Ausweisungsbefehl für alle Juden weiß, liest aus der Thora.
Szenisch-musikalisch erscheinen Moses und Aron, die Propheten und die Könige.
Immer wieder wird in die Gegenwart zurückgeblendet, zum Schluss erscheint der
"Bote des Königs", verkündend, "dass diese Gemeinde Israels" auswandern müsse.
Für 1935 war die New
Yorker Welt-Uraufführung des auf englisch zunächst "The Road of Promise", dann
"The Eternal Road" heißenden Biblicals geplant, wie Reinhardts
"Ödipus"-Inszenierung in einem Zelt. Diese Idee aber wurde fallengelassen; das
etwas abgelegene "Hammerstein Opera House" stand leer und Bühnenbildner Bel
Geddes hatte freie Hand für "baulich-strukturelle Änderungen", die Weisgal mit
denen Gottes während der sechs Tage der Schöpfung verglich - allerdings habe
Gott billiger und schneller gearbeitet. Zehnmal musste die Premiere verschoben
werden, zwischendurch war Weisgals Etat erschöpft und fast alle hielten das
Projekt für endgültig gescheitert.
Das Nazi Projekt gedieh
inzwischen. Die Arbeiterbewegung war zerschlagen, die "Gleichschaltung"
abgeschlossen. Wie Tausende von Oppositionellen wurde Carl von Ossietzky,
Nobelpreis hin oder her, im KZ gequält; Viktor Klemperer schrieb Tagebuch. Die
Militärs freuten sich über die ungeheure Aufrüstung, Leni Riefenstahl freute
sich über die "Jugend der Welt", die 1936 zu den Olympischen Spielen nach Berlin
kam. Die Volksgemeinschaft schöpfte "Kraft durch Freude", der "Standort
Deutschland" wurde immer wettbewerbsfähiger und wer zuviele jüdische Großeltern
hatte, musste seine Arbeitsstelle in Kliniken, Universitäten, Theatern und so
fort nach 1935 für garantiert arische Kollegen freimachen. Schönberg, im Pariser
Exil in die jüdische Gemeinde zurückgekehrt, schrieb:
"...wir haben die
Verheißung. Und wir haben die Aufgabe, den Gedanken des einzigen, ewigen,
unvorstellbaren, unsichtbaren Gottes zuende zu denken, zu erhalten! Dem lässt
sich nichts an die Seite stellen, und darum bleibt der deutsche Rassismus in
Phrasen stecken... darum messen sie Nasen, Ohren Bäuche Beine - weil eben der
Gedanke fehlt!"
Ähnlich dachte der 1894
im polnischen Stetl Kikol geborene Meyer Wolf Weisgal. Sein Vater war dort
Kantor, seine Stiefmutter sympathisierte aktiv mit den revolutionären jüdischen
Bundisten. In Amerika glänzte Weisgal als Redakteur und Manager verschiedener
jüdischer Zeitungen und organisierte 1932 seine erste Theatershow, "The Romance
of a People", angeregt durch Verdis "Aida". Den rauschenden Erfolg hoffte er mit
dem Regie-Weltstar Reinhardt vergrößert zu wiederholen, den Gehalt jüdischer
Tradition – "Geist statt Götzen" - selbstbewusst zu präsentieren und mit
musiktheatralischen Mitteln zu popularisieren. Er sprach gut und gern Jiddisch,
erklärte Deutsch scherzando zu einer degenerierten Variante desselben. Kaum wird
Werfel jedes Wort verstanden haben in jener Nacht 1934, als ihn Weisgal jiddisch
redend überzeugte, es solle, wie vertraglich festgelegt, ein
jüdisch-biblisches-Moralien-Spiel werden, keine theologisch-mystische
Verquickung von Katholischem und Mosaischem. Mit Weill, ebenfalls Sohn eines
Kantors, verstand er sich auf Anhieb. Und je schlimmer die Nachrichten aus dem
Deutschen Reich wurden - die New York Times publizierte zeitweise regelmäßig
eine Kolumne mit den aktuellen antisemitischen Maßnahmen und Ausschreitungen -
desto unermüdlicher arbeitete Weisgal. So kam es am 4. Januar 1937 doch noch zur
Premiere von "The Eternal Road", dessen Gegenwarts-Rahmenhandlung bald von den
antisemitisch-völkischen Verbrechen im Nazi-Reich überholt werdend sollte.
Weill komponierte
Doppelchöre und nicht-parodistische Fugen, verwendete Motive von
Synagogal-Gesängen, nutzte den Drive diskret swingender amerikanischer Märsche,
verband die europäische Tradition geistlicher Musik mit den Neuerungen, die in
der Zusammenarbeit mit Brecht entstanden waren. Schon in Berlin schätzte Weill
die den deutschen Bildungsbürgern als "niedrig" geltenden Formen amerikanischer
"Popular Music". Er resümierte: "The Eternal Road hat mich aber auf jenem Wege
weitergebracht, dem ich schon in der Dreigroschenoper und Mahagonny beschritten
hatte, hin zu einer neuen Form: Richtiges, lebendiges, modernes Musikalischen
Theater, in dem die Musik nach Ausdehnung und innerer Bedeutung
gleichberechtigter Partner ist".
Die Premiere in Chemnitz
war mehr als ein musikhistorischer Akt der Pietät für ein von der Zeitgeschichte
dieses Jahrhunderts mitveranlasstes und von ihr überrolltes Werk, sagen Kenner.
Dramaturg Gerhard Müller, der das Regiebuch Reinhardts zur Erstellung einer
Textfassung nutzte: "Hier liegt ein Meisterwerk vor...Es ist eine Volksoper
großen Stils mit eindrucksvollen Belcanto-Gesten und imposanten Chören und einem
grandiosen Marsch als musikalischem Symbol des Weges des jüdischen Volkes".
Nach 12 Aufführungen in
Chemnitz ging die in internationaler Koproduktion erarbeitete Inszenierung nach
New York, wird außerdem in Tel Aviv, Krakau und auf der Expo 2000 in Hannover
gezeigt. International ist das Leitungs-Team zusammengesetzt: Regie führt der
Chemnitzer Operndirektor Michael Heinicke, die musikalische Leitung hat der
amerikanische Weill-Spezialist John Mauceri, Bühnenbild und Kostüme entwarf der
israelische Künstler David Sharir. Die Schirmherrschaft übernahm
Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Nicht affirmativ ließ Dramaturg
Müller das Werk enden: "Wesentlich erscheint uns, dass eine eschatologische
Lösung (Wir haben viel Schlimmes erlebt, aber jetzt wird alles gut) vermieden
wird, dass aber auch nicht die Furie des Verschwindens triumphiert und alles im
Nichts endet."
haGalil onLine 08-03-2000
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