Josef Burg: A Farschpetiker Echo / Ein verspätetes Echo
Peter Kirchheim Verlag, München 1999
Euro 20,90
Bestellen? |
Kind und Zeuge der alten Stetl-Welt ist
der 1912 in Vijnitc (Bukowina) geborene Schriftsteller und Germanist Josef Burg.
Bis heute spricht er die Sprache dieser untergegangenen und längst zum Mythos
gewordenen Welt nicht nur, er schreibt und publiziert auch auf Jiddisch, unter
anderem als Herausgeber der "Czernowitzer Bleter".
Der leidenschaftliche "Buko-Wiener"
(eine Wortkombination von Bukowiner und Wiener) hat bereits mehrere Umbrüche
erlebt. So hat er im Laufe seines Lebens vier Staatsbürgerschaften gehabt, ohne
selbst aktiv seinen Wohnsitz verlegt zu haben bzw. verlegen zu wollen. Im
Frühsommer 1999 kam er anlässlich der Publikation seines jüngsten Buches
gemeinsam mit seiner Frau zu einer Lesereise nach Österreich und Deutschland.
Mit seinen Eltern lebte Josef Burg ab
1924 in Czernowitz, er besuchte dort die jiddische Schule und absolvierte das
Lehrerseminar. Von 1934 bis 1938 studierte er in Wien Germanistik, wo er "bis
zum Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sehr gut, ab dem Anschluss sehr
schlecht" lebte und sich mit Schriftstellerkollegen, unter ihnen Mendel
Neigreschl und Ber Horowitz, in einem Café Central im jüdischen Viertel Wiens -
nicht zu verwechseln mit dem legendären Café Central der säkulären Autoren wie
Karl Kraus, Arthur Schnitzler oder Franz Werfel in der Wiener Innenstadt - traf.
Den abrupten Wandel in der
österreichischen Gesellschaft beschreibt er im Radio-Interview: "Von den
Randbezirken Wiens kamen die Nazi-Gegner mit geballten Fäusten in das
Stadtzentrum. Mit ihrer Annäherung zum Heldenplatz wandelten sich die Fäuste zur
ausgestreckten Hand - zum Hitlergruß. Es war verrückt: am Ende waren die
Österreicher mehr Nazis als die Deutschen selbst." Nach dem Anschluss im März
1938 war er als rumänischer Staatsbürger vorerst vor Verfolgung noch relativ
sicher. Seine Vorbereitungen zur Ausreise nach England waren nicht erfolgreich,
und Josef Burg kehrte noch im gleichen Jahr nach Czernowitz zurück. Dort musste
er erfahren, dass ihm die rumänische Staatsbürgerschaft aberkannt worden war.
1941 folgte er als Staatenloser der Roten Armee in die UdSSR, wo er sich im
Ural, in Berbitschan, im Kaukasus, in Stalingrad und in der Nähe Moskaus
aufhielt. Erst 1958 zog es ihn gemeinsam mit seiner Familie erneut nach
Czernowitz zurück, wo ihm "jeder Schritt ein Seufzen" wurde, weil seine Familie
und seine Freunde nicht mehr da, sondern in der Zwischenzeit ermordet worden
waren. Und obwohl seine Mutter und seine Schwester von den Nationalsozialisten
ermordet worden waren, betont er selbst die Schrecken der sowjetischen
Verbrechen, vor allem unter Stalin. Dort hätte er "die Schutzlosigkeit vor der
Partei" massiv und am eigenen Leib erfahren. Bis 1980 war ihm eine selbständige
Publikation verwehrt, und Josef Burg arbeitete als Deutschlehrer.
Frei als Schriftsteller und als Mensch
ist er erst seit der Perestrojka Ende der 80er Jahre. Seither wurde er auch
Ehrenbürger der Stadt Czernowitz, und bereits zu Lebzeiten wurde eine Straße
nach ihm benannt. Seine Bekanntheit reicht weit über Europa hinaus bis nach
Israel und in die USA. Eine Begegnung mit ihm ist heute auch Teil von
Ukraine-Reisen aus Berlin - als Reisetermin zwischen dem Besuch des jüdischen
Friedhofs und einem Tagesausflug zu Manes Sperbers Geburtsort in den
Vorkarpaten. Zu seinen Zukunftsvisionen zählt ein vereintes Europa - nach dem
kulturellen Vorbild der Bukowina, die von so zahlreichen unterschiedlichen
kulturellen Einflüssen geprägt ist.
Von den Menschen in der Bukowina, ihrer
Kultur, und ihrem Leiden unter habsburgischer, rumänischer,
nationalsozialistischer und sowjetischer Herrschaft handelt auch sein vor allem
in jiddischer Sprache und hebräischer Schrift geschriebenes literarisches Werk.
Sein jüngstes Buch enthält 16 Erzählungen auf Deutsch, acht auch in Jiddisch in
lateinischer Umschrift, die stark ausgeprägte autobiographische Züge enthalten:
seine Jugend in Vijnitc, seine Erweckung als Schriftsteller ("Mein Debüt"), von
seinem Vater und von der wie in einem Traum immer wiederkehrenden und absurden
Geschichte, die ihm selbst und den vielen anderen jüdischen Bukowinern
widerfahren ist und die so nachhaltig an den Grundfesten menschlicher Würde und
Identität rüttelte. Auf die Frage im Radiointerview nach seinem Verständnis von
"Heimat" antwortete er: "Heimat, das ist der Wind, der rauscht, die Umgebung,
die Wälder, die Steine und die Berge, die erzählen, Heimat, das ist die Seele,
das sind die Bücher meiner Eltern und Ureltern, Heimat, das ist meine erste
Liebe und meine Sehnsucht."
Josef Burgs Erzählungen vermitteln einen
sehr anschaulichen Eindruck seiner Erlebnisse, ohne Klischees zu strapazieren
und ohne zu simplifizieren. Selbst in der deutschsprachigen Übersetzung spiegeln
sie Burgs schriftstellerisches Können wider, und für die acht im jiddischen
Original abgedruckten Erzählungen gilt der von Burg zitierte Ausspruch eines
seiner Lehrer: "Jiddisch ist eine Sprache für sich".
hagalil.com / 18-02-2000
|