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Jenseits der Häuser:
Musealisierung von Geschichte

Anmerkungen zur Enquete des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien "Jenseits der Häuser. Sinn und Unsinn einer Musealisierung der Zeitgeschichte in Österreich" am 21. Jänner 2000.


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Als ich mich nach einjährigem Gedenkdienst von den MitarbeiterInnen der Forschungsabteilung des U.S. Holocaust Memorial Museums im Oktober 1994 mit der Ankündigung verabschiedete, für ein Holocaust Museum in Österreich einzutreten, war ich nicht der erste und – wie ich angesichts der öffentlichen bzw. veröffentlichten Debatte seit mehr als einem Jahr feststelle – nicht der letzte, der sich mit der Frage der Darstellung des Nationalsozialismus in Österreich bzw. des österreichischen Nationalsozialismus bzw. des österreichischen Anteils am Nationalsozialismus im Deutschen Reich beschäftigt hat. Die Enquete der Wiener Zeitgeschichtler ist mir ein willkommener Anlass für ein Resümee in Thesen und Aufstellen einer Alternative.

1. These: die akademischen ZeithistorikerInnen Österreichs sind in der Defensive. Nicht-Historiker und Außenseiter wurden vor einem Jahr zu Machbarkeitsstudien eingeladen: das Institut für Konfliktforschung (Anton Pelinka) vom SP-Wissenschaftsminister Einem, das Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung (Stefan Karner) von VP-Unterrichtsministerin Gehrer. Die honorigen – und durchwegs um die Sache verdienten – Professoren wurden links bzw. rechts liegen gelassen. Nebenthese: es geht (auch) ums Geld. Während in den beauftragten Gutachten in Millionenhöhe kalkuliert wird (Schilling 23,084.701,64 für zwei Jahre Vorarbeiten bei Pelinka bzw. "rund Schilling 500 Millionen – exklusive Mehrwertsteuer" bis 2009 bei Karner/Rauchensteiner), wurde praktisch gleichzeitig die Einsparung – Schließung – von Zeitgeschichte-Instituten diskutiert.

2. These: die österreichische Zeitgeschichte ist nicht nur parteipolitisch determiniert. Wie das ganze Land unterliegen auch die Zeithistoriker dem Riss von 1934 ff und der dem Tabu nie wirklich entwachsenen und mittlerweile versiegten Diskussion um den – anhaltenden – "österreichischen Bürgerkrieg". So sind sich beispielsweise in Österreich Nationalsozialisten und Sozialdemokraten schon allein durch die gemeinsame Verfolgungsgeschichte 1934 bis 1938 nahegekommen und saßen nicht selten in der gleichen Gefängniszelle. Viele der noch vor 1938 ins Exil geflüchteten Sozialdemokraten haben diese Erfahrung internalisiert: für sie waren die Christlich-Sozialen die ersten politischen Feinde – und nicht die Nationalsozialisten.

3. These: in Politik und Gesellschaft sind österreichische Geschichte im Allgemeinen und der österreichische Anteil am Nationalsozialismus im Besonderen kaum bewusster Teil der österreichischen Identität, auch wenn Karl Stuhlpfarrer von der Klagenfurter Zeitgeschichte ein Bedürfnis nach Geschichte konstatiert. Anstelle des Wissens um Fakten und Zusammenhänge sind Mythen und Verklärungen entstanden, die selbst der Diktatur des Nationalsozialismus positive Eigenschaften zuschreiben lassen (etwa die "Beschäftigungspolitik").

4. These: Geschichte wird nicht (nur) im akademischen Elfenbeinturm geschrieben. Die Geschichtsforschung steht vor der Entscheidung, ob sie sich auf methodische Diskussionen und auf Diskussionen auf Metaebene beschränken will, quasi als Aufsichtsräte der Geschichte, was als Arbeitsfeld durchaus ausreichend und berechtigt wäre, oder ob sie sich (auch) auf eine erstens interdisziplinäre und zweitens nicht-akademische Ebene einlassen will. Derzeit irrt die Zeitgeschichte auf allen drei Ebenen umher – und wird doch nicht ernst genommen. In der letzten halben Stunde der beobachteten Enquete sind die – zugegebenermaßen wenigen verbliebenen – Zeithistoriker auf die Provokation der Filmemacherin Ruth Beckermann hereingefallen, als sie – ausgehend von allen bis dahin diskutierten inhaltsleeren Konzepten – einen möglichen Inhalt erfand und zugleich Art und Ort festlegte: ein Museum des Antisemitismus in Wien.

5. These: Geschichte muss greifbar sein, darin ist der auf die Bedeutung der Gedenkstätten an vormaligen Orten des Verbrechens verweisenden Wortmeldung von DÖW-Leiter Wolfgang Neugebauer zuzustimmen. Ausschließlich virtuell dargestellte Geschichte, wie vom Grazer Helmut Konrad vorgeschlagen, ist wie ein Furz: intensiv, aber kurzlebig – nicht (an)greifbar, auch beliebig, nicht in Gruppenerfahrung und nicht für alle Generationen gleichermaßen zugänglich.

6. These: Geschichte ist dynamisch. Gerhard Jagschitz hat recht, wenn er auf die generationsspezifische Geschichtsschreibung hinweist. Eine monumentale Verewigung von Geschichte in Form eines Gebäudes, das auch die architektonische Interpretation dieser Momentaufnahme beinhaltet, widerspricht diesem Gedanken – außer es besteht von vornherein die Absicht, alle 15, 20 Jahre ein neues Gebäude zu bauen. Wenn monumental, dann auf alle Fälle neu: als eine demokratische Anti-These zu den zahllosen vordemokratisch erbauten Museen und Einrichtungen in Österreich, deren periodische physische Restauration(en) nicht ohne Rückkoppelung auf die intellektuelle Entfaltung geblieben sind.

7. These: Geschichte kann nicht anders als empathisch und selbstreflexiv geschrieben werden. Empathische, anteilnehmende Geschichtsforschung hat die Frage nach den Betroffenen zu stellen und systemische, interaktive Beziehungen zu diskutieren – das gilt sowohl für die Opfer als auch die Täter des Nationalsozialismus. Selbstreflexion betrifft den Historiker als handelndes Subjekt, seine eigene Familiengeschichte, seine Weltanschauung (Partei- bzw. Lager-zugehörigkeit, und -abhängigkeit).

8. These: Geschichtswissenschafter müssen Stellung – auch zu politischen Fragen – beziehen; die Abstinenzforderung des Berliner Historikers Götz Aly an die HistorikerInnen in seiner Wortmeldung ist nicht mehr als eine romantisierende Illusion. Dass die aktuelle Diskussion um die Darstellung der österreichischen Holocaust-Geschichte bisher geführt wurde, ohne dass auf die noch immer nicht abgeschlossene Restitution von unrechtmäßig enteignetem Vermögen hingewiesen wurde, ist erstaunlich. Selbst in der Resolution der akademischen HistorikerInnen, in der sie sich gegen die Art des Zustandekommens der Machbarkeitsstudien wenden, fehlt die Forderung nach Rückgabe allen enteigneten Vermögens und nach Entschädigung allen Unrechts (wie etwa der Zwangsarbeit).

9. These: Identitätsstiftende Geschichte wird vor Ort geschrieben. Staatsakte als Geschichtsdeterminanten treten in entwickelten Demokratien ebenso in den Hintergrund wie nationale – verordnete – Geschichtsschreibung. Gelungene Beispiele für regionale Geschichtsschreibung sind die Projekte einiger Schulen, wie in Wien das Gymnasium in der Vereinsgasse oder das Döblinger Gymnasium, in denen sich Lehrer und Schüler auf die Suche nach jenen Lehrern und Schülern gemacht haben, die von den Nationalsozialisten von der Schule vertrieben worden waren. Die Projekte mündeten jeweils in Einladungen der Vertriebenen, Anbringung von Gedenktafeln an und in der Schule sowie Buchpublikationen.

10. These – zugleich der Alternativvorschlag zur Musealisierung von Geschichte: ein Museum auf Rädern, das – von Ort zu Ort wandernd – ein Grundgerüst nationaler Geschichte zur Schau stellt, das von bestehenden oder neuen lokalen Initiativen ergänzt wird. Eine mobile Geschichtsschau, die lokale Geschichtsschreibung anregt, begünstigt (mit geistigen wie finanziellen Mitteln), und nicht zuletzt sammelt und veröffentlicht (in der Ausstellung, in Büchern und virtuell im Internet) – kurz: ein mobiles, allgemein zugängliches, interaktives Museum. Ein "Museum auf Rädern" ist ob der Synthese von "Anregung von Außen" und basisdemokratischer Struktur eine Herausforderung – für die akademische Wissenschaft, für das Establishment vor Ort (Bürgermeister, Pfarrer, Industrielle) – und ein Störfaktor der jeweiligen ländlichen oder städtischen Gemütlichkeit. Zu den ersten Stationen könnte etwa Rechnitz im Burgenland zählen, zu den ersten Anregungen die Thematisierung des dortigen verdrängten Massengrabes erschossener jüdischer Zwangsarbeiter, dann Kematen, ebenfalls im Burgenland zur Thematisierung des Schicksal der Roma, dann die Wiener Leopoldstadt zum Schicksal der jüdischen Bevölkerung und ihres Eigentums, das Tirolerische Jenbach zur Aufklärung des "Freitodes" der dortigen jüdischen Industriellenfamilie usw.

Anton Legerer, Jr. - anton@hagalil.com
Illustrierte Neue Welt
Nr. 1/2 Jänner/Februar 2000

haGalil onLine 18-02-2000

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