Zeitzeugen:
Auf Spurensuche
Die Schwestern Hannah Pick-Goslar und Rachel
Mozes-Goslar in Hannover, der Anne-Frank-Schule Bergen/Kreis Celle und der
Gedenkstätte Bergen-Belsen am 11./12. November 2002
Von Heide Kramer, Hannover, April 2009
Stadtrundgang Hannover
Der im November 2001 in Berlin geäußerte Wunsch der Schwestern Hannah
Pick-Goslar und Rachel Mozes-Goslar für einen Hannover-Besuch realisierte
sich ein Jahr später. Hannah und Rachel trafen mit zwei Begleitpersonen in
einem vom Anne-Frank-Zentrum Berlin organisierten Kleinbus bereits am Mittag
des 10. November 2002 in Hannover ein. Die offizielle "Spurensuche" mit
Blick auf den Vater (Hans Goslar) startete tags darauf in Form eines
"Hannover-Programms".
Am Morgen des 11. November fand ich die Gruppe im Hotel "Stella"
(Hannover-Südstadt) in offensichtlich entspannter Stimmung am
Frühstückstisch vor. In ihrer hintergründig-charmanten Art erzählte Hannah
einige jüdische Witze. Bald darauf traf auch der erwartete Historiker Herr
Dr. Schulze vom Stadtarchiv Hannover ein. Ich hatte ihn als Experten zur
jüdischen Geschichte Hannovers für einen Hannover-Stadtgang und den Besuch
des zweitältesten jüdischen Friedhofs "An der Strangriede"
(Hannover-Nordstadt) gewinnen können. Für die Schwestern Goslar ist dieser
Friedhof authentisch, denn hier existieren zwei gut erhaltene Gräber aus
ihrer Familie.
Im Einverständnis aller leitete Herr Dr. Schulze den Stadtgang mit einem
Besuch im Neuen Rathaus Hannover ein. In der Rathaushalle sind vier
Stadtmodelle platziert, die das Hannover des Mittelalters, der
Vorkriegszeit, die Zerstörungen 1945 und die heutige Innenstadt
präsentieren. Herr Dr. Schulze erläuterte uns an diesen vier Stadtmodellen
eingehend die Entwicklung der hannoverschen (jüdischen) Geschichte bis zur
Gegenwart. Parallel dazu beschrieb er am (zeitgemäßen) hannoverschen
Melderegister an den jeweiligen Stadtmodellen den Werdegang des seit 1870 in
Hannover ansässigen Kaufmanns Gustav Goslar: Der Großvater der Schwestern
Goslar wurde vor seiner Eheschließung bis 1894 unter 11 nachvollziehbaren
Adressen beim Einwohnermeldeamt in Hannover registriert. Zwischenzeitlich
verheiratete er sich, und 1889 wurde Hans Goslar, der Vater der Schwestern
Hannah und Rachel, geboren. Bevor seine Eltern 1894 mit ihm nach Berlin
übersiedelten, verlebte Hans Goslar seine ersten fünf Lebensjahre in
Hannover.
Im Anschluss an den Rathaus-Besuch brachte uns der Kleinbus zunächst zum
ältesten jüdischen Friedhof in der Oberstraße (Nordstadt). Die Belegungszeit
dieses Friedhofs wird mit den Daten ca. 1550 - 1864 dokumentiert. Er weist
726 Grabsteine auf, die Abschrift einer Namensliste erfolgte 1913 durch den
Rabbiner Gronemann. Da unser Augenmerk aber dem eingangs erwähnten
zweitältesten Friedhof "An der Strangriede 55" (Nordstadt) galt, hielten wir
nur kurz in der Oberstraße. Die Belegungszeit des Friedhofs "An der
Strangriede"; verweist auf die Daten 1864 bis 1924 mit 2600 Grabsteinen.
Hannover-Nordstadt, Jüdischer Friedhof "An der Strangriede 55".
Foto: ©Heide Kramer, 11. November 2002
Bei den für die Schwestern wichtigen Familiengräbern
handelt es sich um die Grabstätte des Jakob Blumenfeld, dem Großvater Hans
Goslars. Jakob Blumenfeld starb 1878 in Hannover.
Hannah am Grabstein von Jakob Blumenfeld
Foto: ©Heide Kramer, 11. November 2002
Außerdem gibt es das ebenfalls gut erhaltene Kindergrab
von Elsa Blumenfeld, der Tante Hans Goslars. Sie starb einjährig im Jahre
1871. --- Diese Tatsachen dokumentieren die hannoversche Verwandtschaft der
Schwestern Hannah und Rachel.
Nach dem Friedhofsbesuch stand das Mittagessen im
Jüdischen Gemeindezentrum Hannover in der Haeckelstraße 10 an. Der
seinerzeitige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde empfing unsere Gruppe und
verband seine aufschlussreichen Hinweise mit einem intensiven Rundgang durch
das Zentrum der Gemeinde. Er hatte sich meinem Vorschlag für einen
angemessenen Empfang der Schwestern Hannah und Rachel aufgeschlossen gezeigt
und war dieser Idee sehr offen entgegen gekommen.
Leider verrann auch während unserer Entspannungsphase in
meiner Wohnung bei Kaffee, koscheren bzw. nicht koscheren Speisen und
Gesprächen die Zeit mehr als schnell. Bevor die Schwestern weiter nach Celle
reisten (dort sollte Quartier genommen werden), begrüßten sie wunschgemäß
meine Mutter, die damals noch in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ihr
Domizil bewohnte. Hannah und Rachel hörten voller Interesse und Anteilnahme
den Eigenberichten meiner fast 90jährigen Mutter zu. Die Zeit drängte jedoch
zum Aufbruch. Wie ich später erfuhr, wären die Schwestern gern länger
geblieben.
Hannah und Rachel zu Gast bei Heide Kramer
Foto: Anne-Frank-Zentrum Berlin, 11. November 2002
Besuch der Anne-Frank-Schule in Bergen
Am 12. November reiste ich schon sehr früh nach Bergen/Kreis Celle zur
Anne-Frank-Schule, um Hannahs Vortrag für die Kinder der Schule zu erleben.
Der Vortrag war hin- und mitreißend. Die Schwestern saßen gemeinsam an einem
Tisch und die Kinder standen im Banne der lebendig vorgetragenen
Lebensberichte.
Hannah und Rachel beim Vortrag in der Anne-Frank-Schule Bergen/Kreis
Celle. Foto: ©Heide Kramer, 12. November 2002
Hannahs Leben bezieht das ihrer "kleinen" Schwester Rachel
ein, was stets erneut zum Ausdruck kam. Dadurch wurde die enge Verbundenheit
beider spürbar. Später sang Rachel für die Kinder hebräische Lieder, ein
faszinierender Moment!
Inzwischen war auch das Film-Team der Berliner Filmemacherin und
Fotojournalistin Nina Rücker eingetroffen mit dem Ziel, das Geschehen auf
eigene Weise zu dokumentieren.
Nach der Veranstaltung in der Anne-Frank-Schule in Bergen und der
allgemeinen Autogrammvergabe an die Kinder wurden zahlreiche Fotoapparate
gezückt und Fragen beantwortet.
Anne-Frank-Schule Bergen/Kreis Celle, Hannah nach der Veranstaltung.
Foto: ©Heide Kramer, 12. November 2002
Da Hannah gerade am12. November Geburtstag hatte, blieben
entsprechende Ovationen nicht aus. Auch Rachel wurde ähnlich bedacht, denn
ihr Geburtstag (25. Oktober) lag noch nicht lange zurück.
Anne-Frank-Schule Bergen/Kreis Celle. Geburtstagsblumen für Hannah und
Rachel. Foto: © Heide Kramer, 12. November 2002
Gedenkstätte Bergen Belsen
Schließlich begleiteten wir das Film-Team und die Schwestern zur
Gedenkstätte Bergen-Belsen, wo sie von dem Leiter der Gedenkstätte
Bergen-Belsen (Dr. Rahe) in Empfang genommen wurden. Allein die Begehung des
Geländes an sich war für Hannah und Rachel ein sehr persönlicher Moment.
Bergen-Belsen: Hannah und Rachel am Jüdischen Mahnmal
Foto: ©Heide Kramer, 12. November 2002
Bergen-Belsen: Hannah und Rachel am Gedenkstein für Margot und Anne
Frank. Foto: ©Heide Kramer, 12. November 2002
Am späteren Nachmittag trat ich die Rückreise nach
Hannover an. Hannah und Rachel reisten mit ihrem ‚Konvoi' weiter nach
Berlin, denn auf beide wartete für die kommenden zwei Wochen in der Region
des Landes Brandenburg ein umfangreiches Programm.
Am 21. November 2002 kehrten die Schwestern nach Israel zurück.
Textbeitrag von ©Heide Kramer, Hannover, Januar 2003.
Fotos: ©Heide Kramer, 11./12. November 2002.
Aktualisiert: April 2009
Siehe auch:
http://www.hagalil.com/archiv/2007/07/goslar.htm |