Gaza-Krieg im Westjordanland:
Zu müde für eine dritte Intifada
Sie leiden mit ihren "Brüdern im Gaza-Streifen". Doch trotz
aller Wut auf Israel - im Westjordanland gibt es bisher keinen Aufstand.
Von Thorsten Schmitz
Als die israelische Armee vor zwei Wochen mit der Bombardierung des
Gaza-Streifens begann, rief der im syrischen Exil lebende Führer der
radikalislamischen Hamas zu gewaltsamen Protesten auf. An seine Landsleute
appellierte Khaled Meschaal: "Startet eine dritte Intifada!"
Doch seinen Aufruf haben die Palästinenser im Westjordanland bislang
ignoriert. Wer in diesen Tagen Ramallah besucht, die heimliche
Palästinenser-Hauptstadt mit dem Hauptsitz der Autonomiebehörde von
Fatah-Chef und Palästinenserpräsident Machmud Abbas, wird überrascht. Die
Geschäfte im Zentrum sind nicht etwa geschlossen aus Solidarität mit den 1,5
Millionen Landsleuten im hundert Kilometer entfernten Gaza-Streifen - es
wird eingekauft, man raucht Wasserpfeife im Restaurant.
Selbst im kleinsten Falafel-Laden flimmern die Fernseher. Die Sendungen der
Nachrichtenkanäle al-Dschasira und al-Arabija zeigen die Not der Menschen im
Gaza-Streifen. Doch die Bilder verderben den Palästinensern in Ramallah
offenbar nicht den Appetit.
Das kleine Restaurant von Mustafa Sarraj nahe dem zentralen Manara-Platz ist
an diesem Mittwochabend fast voll. Hähnchen werden halbiert, Teller mit
Hummus und Krautsalaten aufgetischt, Cola-Dosen auf Tische gestellt. Ein
Fernseher hängt in einer Ecke, der Reporter von al-Dschasira berichtet in
Helm und Schutzweste von den jüngsten israelischen Luftangriffen. "Wir
leiden mit unseren Brüdern im Gaza-Streifen", sagt Sarraj auf Hebräisch.
Der 56-jährige Restaurantchef hat bis zum Beginn der zweiten Intifada in
Falafel- und Schawarma-Buden in Tel Aviv und Jerusalem gearbeitet. "Aber was
können wir hier machen?" Sarraj möchte nicht über den Einfluss der Hamas im
Westjordanland reden und auch nicht über die Rivalität zwischen der Fatah
von Präsident Abbas und den radikalen Islamisten. Jetzt sei nicht der
Moment, entschuldigt er sich, den palästinensischen Bruderkampf zu
kritisieren. Außerdem halte er sich lieber zurück: "Ich habe Kunden von
beiden Seiten."
Knüppel gegen Demonstranten
Wenn man Palästinenser im Westjordanland fragt, wie sie über den Gaza-Krieg
denken, erhält man stets dieselbe Kritik an Israel. Aber von einer dritten
Intifada ist keine Spur. Restaurantbesitzer Sarraj berichtet, am Dienstag
habe es eine Demonstration gegeben im Stadtzentrum, auf der Israel als
"Nazi-Staat" bezeichnet worden sei. Aber nur höchstens 150 Menschen hätten
sich an ihr beteiligt.
Zuvor hatten mehrere hundert Studenten der Birzeit-Universität am Stadtrand
gegen den Krieg demonstriert und waren in Richtung eines israelischen
Armee-Kontrollpunktes marschiert. Doch palästinensische Polizisten, von den
USA und Jordanien geschult, hatten mit Knüppeln die Demonstration aufgelöst.
Aus Nablus und Dschenin im Westjordanland kommen ähnliche Berichte. Es wird
demonstriert, aber die der Fatah angehörenden palästinensischen
Polizeikräfte halten die Protestierenden im Zaum oder lösen die
Demonstrationen gleich ganz auf. Verboten ist auch, mit Hamas-Flaggen
herumzulaufen.
Die Regierung unter Premierminister Salam Fajad will unter allen Umständen
verhindern, dass Hamas im Westjordanland als Folge des Gaza-Kriegs an
Popularität gewinnt. Seit mehr als zwei Jahren versucht der frühere
Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds im Einklang mit Israel und der
US-Regierung von Präsident George W. Bush im Westjordanland Sicherheit zu
schaffen, politische Stabilität und wirtschaftliches Wachstum - als
Gegenmodell zur Hamas-Regierung im Gaza-Streifen.
Tatsächlich haben Städte wie Dschenin, Nablus und auch Ramallah von Fajads
neuem Regierungsstil profitiert. Die Polizei sorgt für Sicherheit und
Ordnung, und auch wirtschaftlich ist ein kleiner Aufschwung zu registrieren.
Umso mehr sind Abbas und Fajad darum bemüht zu verhindern, dass die Wut über
Israels Offensive in Aufruhr umschlägt.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich die Palästinenser im
Gaza-Streifen und im Westjordanland ohnehin voneinander entfremdet. Viele
waren noch nie in ihrem Leben im jeweils anderen Palästinensergebiet. Die
wenigen Palästinenser aus dem Gaza-Streifen, denen eine Reise ins
Westjordanland gewährt wurde, fühlen sich dort unwohl, weil man sie von oben
herab behandele.
Ein Taxifahrer in Ramallah, der auf Fahrgäste wartet, sagt: "Wir haben keine
Kraft mehr für eine neue Intifada. Wir sind zu müde." Sein Geschäft gehe
schlecht. Viele Leute bevorzugten, zu Fuß zu laufen oder billigere
Sammeltaxis zu nehmen. Gleichwohl findet er auch Kritik an Präsident Abbas,
dessen Amtszeit am heutigen Freitag offiziell abläuft, der aber bis zu
Neuwahlen noch weiterregieren möchte: "Abbas hört zu sehr auf Israel." Dass
er der Hamas Mitschuld an der israelischen Vergeltungsoffensive gegeben
habe, hätten ihm viele Palästinenser übelgenommen, denn im Krieg mit Israel
falle man nicht dem Bruder in den Rücken, auch wenn er der Hamas angehöre.
Khalil Schikaki vom Palästinensischen Umfrageinstitut in Ramallah sieht die
Gefahr, dass der Krieg in Gaza gegen Hamas Fajads neuem Regierungsstil
letztlich schaden könne. Zwar sei es Abbas und Fajad nicht unrecht, dass die
israelische Armee gegen Hamas im Gaza-Streifen kämpfe. Schließlich wollten
der Präsident und der Regierungschef die Spaltung der beiden
Palästinensergebiete wieder rückgängig machen und von einer
Fatah-dominierten Regierung führen lassen. Doch je länger der Gaza-Krieg
andauere, sagt Schikaki, "desto schneller wird die Unterstützung im
Westjordanland für Abbas und Fajad schwinden". |