2. Autoritärer Charakter als Ideal bürgerlicher Subjektkonstitution
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Eine Annäherung an die Thematik des
Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht, wie es meiner
Herangehensweise entspricht, widersetzt sich m.E. Versuchen einer griffigen
und kurzen Definition dieses komplexen Zusammenhangs. Daher werde ich mich
Eingangs der Thematik über die Entwicklung der Genese des Subjekts zuwenden.
Für die politische Bildungsarbeit und
deren Möglichkeiten, bzw. Grenzen zur Intervention gegen Antisemitismus ist
es von Relevanz das Verhältnis von Subjekt und Gesellschaft näher zu
betrachten, da in der Regel Bildungsarbeit mit ersterem umgeht, ihr Inhalt
sich aber auf das Gesellschaftliche bezieht. Dazu kommt, dass ein jegliches
Engagement gegen Antisemitismus wirkungslos bleiben wird, wenn
SozialpädagogInnen und politische BildnerInnen
"nicht genügend über seine psychologischen Wurzeln
sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene"
wissen und im Antisemitismus "nicht mehr als eine bedauerliche Entgleisung,
ein(en) Rückfall ins Mittelalter"
sehen.
Die Kritische Theorie, auch als
Frankfurter Schule
bekannt, formuliert eine materialistische Kritik der Gesellschaft, die nicht
mit Karl Marx bricht und ist zugleich politische Psychologie mit kritischem
Bezug auf Sigmund Freuds Psychoanalyse. Dabei insistiert sie auf der
grundsätzlichen Veränderbarkeit gegenwärtiger Gesellschaft und der
Möglichkeit von menschlicher Emanzipation unter Reflexion auf die
gegenwärtige Totalität kapitalistischer Verhältnisse. Die Kritische Theorie
stellt zugleich den bislang avanciertesten Versuch dar die Genese des
Antisemitismus aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus zu erklären und sich
nicht auf deskriptive Schilderungen zu beschränken, die letztendlich das
Problem als der Menschheit essenziell darlegen. Dieser vielschichtige und
interdisziplinäre theoretische Ansatz bietet eine Möglichkeit Konzepte
politische Bildungsarbeit zu formulieren, die sich zum Ziel setzen gegen
Antisemitismus aufzuklären und herrschaftskonformes Denken zu kritisieren.
Die Kritische Theorie hat die
industrielle Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden als
geschichtlichen Einschnitt gefasst, der den Menschen den neuen kategorischen
Imperativ aufgezwungen habe, "ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass
Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe."
Im Angesicht von Auschwitz veränderte
sich seit den vierziger Jahren auch der kritisch-theoretische Begriff vom
Antisemitismus. Noch 1939 galt auch, den in die USA emigrierten, kritischen
Theoretikern der Antisemitismus als ideologischer Betrug und
Spaltungsmanöver der herrschenden Klassen gegenüber der Arbeiterklasse.
Horkheimers Schrift "Die Juden und Europa", aus welcher der vielzitierte
Satz stammt "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom
Faschismus schweigen",
zeugt insgesamt noch von dieser instrumentellen Sichtweise auf den
Antisemitismus als Erscheinung des Überbaus in der Tradition Marxscher
Orthodoxie.
Zur Verdeutlichung eines ersten Umrisses
der Thematik, verstehe ich den Begriff des modernen Antisemitismus
dem Berliner Politologen Lars Rensmann folgend, als "eine geschichtsmächtige
ideologische Denkform, als rationalisierte Paranoia mit psychosozialen
Funktionen, die eine Reaktion autoritätsgebundener Subjekte auf die
politischen, ökonomischen wie sozialen Umbrüche und
Abhängigkeitsverhältnisse der modernen Gesellschaft darstellt.
Antisemitismus dient nicht zuletzt als personifizierende
Erklärung der undurchschaubaren kapitalistischen Moderne: ihrer sozialen
Antagonismen, Krisen und Zwänge, die die ohnmächtige Vereinzelung der
Individuen und die gesellschaftliche Unterwerfung wie Konformität
befördern."
Es ist also in der Darstellung des Antisemitismus davon
auszugehen, dass dieser auf Faktoren beruht, die im Feld des
Gesellschaftlichen, und damit verbunden in den subjektiven
Einstellungsmustern derjenigen, die sich antisemitisch äußern zu suchen
sind, und nicht in den realen Eigenschaften von Juden und Jüdinnen. Dem
kritisch-theoretischen Denken folgend ist es das Ziel dieser Arbeit der
Verwobenheit von Individuum und kapitalistischer Vergesellschaftungsform
nachzugehen und aus einer komplexen Kritik des Antisemitismus heraus
Schlussfolgerungen für die Möglichkeiten, aber gerade auch der Grenzen
politischer Bildung zu ziehen.
Der Januskopf der Aufklärung
Die Arbeiten vor allem von Max
Horkheimer, Leo Löwenthal und Theodor W. Adorno haben das Verdienst, die
Gestalt des Januskopfes der Aufklärung aufzuzeigen. Allgemeine Freiheit,
Gleichheit und Emanzipation sind die nicht eingelösten Versprechen
aufklärerischen Denkens an die Menschheit. Auschwitz markiert schließlich
das Ende bürgerlicher Gesellschaft oder wie es Adorno formulierte: "Millionen
von Juden sind ermordet worden, und das soll ein Zwischenspiel sein und
nicht die Katastrophe selbst."
Die Existenz des Antisemitismus und
seine Gewalt, die in der Vernichtung der europäischen Judenheit durch die
Deutschen kulminierte, ist nicht zu verstehen ohne die
gesellschaftlich-ökonomischen Grundlagen zu benennen, welche das
antisemitische Individuum produzieren. Die Totalisierung des
kapitalistischen Tauschverhältnisses, eines blinden Zwangs der
Mehrwertproduktion verfügbar zu sein und sich dieser unterzuordnen, bringt
Individuen mit autoritätsgebundenen Charakterstrukturen hervor. Diese
besitzen ausgeprägte Affinitäten zum Vorurteil. Die verschiedenen und
einander ergänzenden Aspekte der Subjektgenese gilt es herauszuarbeiten.
Sowohl aus der Thematik, als auch aus der ökonomischen Realität, ergibt sich
eine Betrachtungsweise, welche vor allem die negativen Aspekte der
Aufklärung, als Ausgangspunkt moderner Subjektivität, betont. Was in deren
Dialektik an möglichem Positivem vorhanden ist und war, ergibt sich vor
allem aus der Kritik des wahrgenommenen Zustandes. Die Kritik der Aufklärung
ist jedoch nicht im kulturpessimistischen Sinne zu verstehen, das
dahinterliegende Ziel ist noch immer die Emanzipation der Einzelnen, die zu
einer freieren Gesellschaft führt. Die Struktur und Genese dieses
autoritären Subjekts werden im folgenden Kapitel ausgeführt.
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hagalil.com
09-02-2004
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